Ein offener Brief an die Bundestierärztekammer

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Sehr geehrte Damen und Herren von der Bundestierärztekammer,

hiermit möchten wir auf Ihre Pressemitteilung “Dem Hunde, wenn er wohl erzogen …” vom 20. Juni 2013 Bezug nehmen und wie folgt Stellung beziehen.

Natürlich stimmen wir Ihren Ausführungen dahingehend zu, dass der Begriff “Hundetrainer” nicht geschützt ist, sich also jeder unabhängig von seiner Qualifikation so bezeichnen kann, und dass man selbstverständlich im Fernsehen beobachtete Trainingsmethoden nicht ohne vorherige Konsultation eines Experten ausprobieren sollte.

Ihrer Empfehlung, bei Erziehungsproblemen einen Tierarzt mit Zusatzbezeichnung „Verhaltenstherapie“ oder gar – wie von Ihnen geschildert – den Haustierarzt aufzusuchen, widersprechen wir jedoch entschieden.
Ein Verhaltensproblem beim Hund zu analysieren und zu beheben setzt umfangreiches verhaltensbiologisches Fachwissen und vor allem praktische Erfahrung voraus. Des Weiteren sind grundlegende didaktische Fähigkeiten im Umgang mit dem Hundehalter von Nöten.

Voraussetzungen, die ein Tierarzt innerhalb der zweijährigen nebenberuflichen Weiterbildung in “mindestens 50 Stunden” in Form von “Teilnahme an von der Tierärztekammer anerkannten Fortbildungs- oder Weiterbildungsveranstaltungen über Ethologie und Verhaltenstherapie für Tierärzte” erlangen soll.

Ferner soll sich der angehende Tierarzt mit Zusatzbezeichnung theoretisch und praktisch “mit Verhaltenstherapie in Einrichtungen der tierärztlichen Bildungsstätten, Tierärztlichen Kliniken und/ oder in der eigenen oder fremden Praxis, die sich mit Fragen der Tierhaltung und der Verhaltenstherapie befassen” beschäftigen und den Nachweis von “mindestens 25 Falldokumentationen” erbringen.
Der Aufgabenbereich umfasst dann schließlich “Nutz-, Heim- und Haustiere”, also keineswegs nur Hunde.
(Quelle: Landestierärztekammer Niedersachsen)

In unserer täglichen Arbeit mit verhaltensauffälligen Hunden in Tierheimen haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich der verhaltenstherapeutische Ansatz vieler Tierärzte in der Gabe von Medikamenten, der Empfehlung von Kastration und schließlich leider auch in der Euthanasie des betreffenden Tieres erschöpft.

So erleben wir immer wieder Hunde, die mit Psychopharmaka ruhig gestellt werden, anstatt dass an dem Problemverhalten gearbeitet würde. Die Symptome werden überdeckt, aber das eigentliche Verhalten bleibt bestehen. Und bei Absetzen oder Änderung der Medikation fällt der Hund zurück in seine erlernten Verhaltensmuster. Des Weiteren besteht die Gefahr von Neben- und Wechselwirkungen, die nicht nur auf die Gesundheit des Tieres negative Auswirkungen haben können, sondern auch auf das Verhalten des Tieres.

Außerdem liegen uns zahlreiche dokumentierte Fälle von eklatanten Fehleinschätzungen von Seiten der Tierärzte vor. So wird unerwünschtes Verhalten häufig als Verhaltensstörung diagnostiziert und mit Serotonin-Hemmern behandelt oder Aggressionsverhalten fehlinterpretiert und eine Kastration vorgeschlagen, die sich wiederum verhaltensändernd bemerkbar macht.
Wir sind der festen Überzeugung, dass solche Fälle nicht in böser Absicht oder auf Grund von Fahrlässigkeit passieren, sondern dass die Weiterbildung ihren Fokus zu sehr auf den kurativen Aspekt legt und des Weiteren der Zeitraum von zwei Jahren kaum ausreicht, um die oben erwähnten notwendigen Voraussetzungen für ein ganzes Spektrum von Tierarten zu erlangen.

Darüberhinaus halten wir den Trend für bedenklich, auf unerwünschtes Verhalten dergestalt zu reagieren, dass man einen Arzt aufsucht. In den allermeisten Fällen rühren Verhaltensprobleme aus ungünstigen Beziehungskonstellationen.

Genau wie man bei einem unerzogenen Kind erzieherisch tätig werden sollte, anstatt es mit Ritalin oder ähnlichen Medikamenten zu behandeln, gilt dies auch für das Leben mit dem Hund.
Beziehungsprobleme lassen sich nicht medikamentös beheben! Und dass organische Ursachen einem unerwünschten Verhalten zu Grunde liegen, erleben wir in unserer Arbeit sehr selten.

Wir sehen die Aufgabe des Tierarztes in der Gesunderhaltung und Behandlung von Krankheiten bei Tieren. Für diese hochprofessionelle und anspruchsvolle Tätigkeit ist den Tierärztinnen und Tierärzten unsere Hochachtung gewiss.
Beziehungs- und Erziehungsarbeit verorten wir jedoch bei gut qualifizierten Hundetrainern und Verhaltensberatern, die auch in der Lage sind, vorab eventuelle gesundheitliche Probleme des Tieres durch den Verweis an einen Tierarzt auszuschließen.

Wie oben beschrieben stimmen wir Ihnen in Ihrer Einschätzung des Berufsbildes von Hundetrainern zu. Deshalb sind wir der Meinung, dass wir dringend einheitliche Qualitätsstandards für die Arbeit mit Hunden benötigen. Die Tierärztekammern haben ja bereits in Niedersachsen und Schleswig-Holstein eine Zertifizierung für Hundetrainer ins Leben gerufen, insofern wundert uns, dass sich Ihre Empfehlung nicht dahingehend gestaltet, auf die von den TÄK zertifizierten Hundetrainer zu verweisen.

Und so drängt sich uns der Verdacht auf, dass Sie mit Ihrer Pressemitteilung weniger Aufklärung und Hilfestellung leisten wollen als vielmehr die Verunsicherung der Hundehalter zu nutzen versuchen, um diese in die Tierarztpraxen zu lotsen.

Mit freundlichen Grüßen

Ute Heberer,
1. Vorsitzende Tierschutzverein Tiere in Not Odenwald e.V.
2. Vorsitzende Landestierschutzverband Hessen

Normen Mrozinski
1. Vorsitzender Tierschutzverein LASSY.org e.V.

Christiane Engisch

Miriam Warwas

Mustafa Irmak

Marcel Hein

Christine Ilse Wasiljew

Carolin Padberg

Janine Pachaly

Michael Kohlstedde

Betreff: Wir räumen das schon weg.

Nachtrag:

Die Besitzerin des Hütehundes, über den ich in dem Artikel berichte, hat mir eine Nachricht geschickt, die mich zum Einen natürlich ziemlich bauchpinselt, zum anderen aber durchblicken lässt, wie schwer und emotional belastend eine solche Situation für die Hundehalter ist:

Hallo Normen, deinen neuen Beitrag finde ich klasse und sehr gut formuliert.

Seit (Name des Hundes) nicht mehr bei uns ist, haben wir fast täglich über ihn gesprochen. Wie kam es soweit, was haben wir falsch gemacht, wo und wie hätten wir ansetzen müssen und wer hätte uns helfen können.
Auch wenn es zu Gefühlsduselig ist, fehlt er noch immer und auch das vermissen lässt nicht nach.

Es sind aber auch Erkenntnisse geblieben. Bitterer Erkenntnisse. Man vertraut und bezahlt blind, man handelt gegen sein Gefühl und man verlässt sich auf andere mehr als auf sich selbst. Jeder Strohhalm wurde ergriffen, jeder Trainer im voraus bezahlt. Man hat nicht an sein ungeborenes Kind gedacht-nur an die nächste „trainingsstunde“.

Einige Monate nachdem (Name des Hundes) nicht mehr bei uns war, stand die frage im Raum irgendwann nochmal einen Hund zu halten. Wie schön es mit einem Hund sein kann und wie wertvoll es für eine Familie ist.

Mein Fazit aus dem ist: ich kann es nicht. Nicht weil an (Name des Hundes) keiner rankommt oder weil wir nicht in Training, Geld oder zeit investieren wollen. Die frage ist so leicht zu beantworten: ich habe Angst vor Hunden. Vor jedem! Den 14 Jahre alten Westi meiner Mutter meide ich. Ich wechsel die Straßenseite wenn mir auch nur ein Yorki entgegenkommt und meinen „Gassi geh Hund“ kann nich auch nicht mehr ausführen!

Die sogenannten Trainer schaden in erster Linie den Tieren. In zweiter auch den gutgläubigen Haltern, die das Vertrauen in sich, den Tieren und den dienstleistern.

Mein Sohn wird wahrscheinlich viele Jahre nicht mit Hunden in Kontakt kommen-wegen meiner Angst und das ist nicht fair.

Ich bin mit Hunden aufgewachsen, in der Familie gab es immer welche und jetzt ist die liebe und Achtung weg! Es herrscht nur noch Misstrauen, Angst und Skepsis.

Danke Normen, dass ihr das ausbügelt was andere versaut haben. Danke, dass ihr die leben rettet, die andere eigentlich auf dem gewissen haben und danke, dass du unermüdlich aufklärst!

In meinen Träumen habe ich irgendwann mal wieder einen vierbeinigen Gefährten- dem ich so entgegen trete wie ich (Name des Hundes) einst entgegen getreten bin. Mit dem Unterschied von Anfang an alles besser zu machen!

Lg!

Wir räumen das schon weg.

Nachtrag: Es gab eine Reaktion auf diesen Artikel, die Ihr hier findet!

Was haben Pepper, Ben und Rocky* gemeinsam? Alle drei Hunde wurden eingeschläfert, weil sie gebissen hatten und im Anschluss wahlweise von Tierärzten mit Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie oder von Hundetrainerinnen als untherapierbar eingestuft wurden.

Dies sind nur drei Fälle, die mir persönlich bekannt sind. Bekannt, weil es jeweils tierliebe Menschen gab, die die Einschätzung der Expertinnen nicht geteilt haben und  dem entsprechend bei uns angefragt haben, ob wir helfen könnten. Eingeschläfert, weil wir keine Kapazitäten hatten oder weil unser Hilfsangebot nicht angenommen wurde.

Diego, Aleo und Nanook wiederrum sind unsere Hunde, d.h. wir haben sie adoptiert – nachdem sie von Fachleuten als untherapierbar eingestuft und ebenfalls eingeschläfert werden sollten. Am Wochenende bekommen wir wohl Zuwachs, ein Border Collie-Mix, der – Ihr ahnt es schon – am 18.6. seinen Einschläferungstermin gehabt hätte, wenn nicht ein umsichtiger Mensch in letzter Minute eingeschritten hätte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Tierärztin, die der Einschläferung ohne ausgiebiger vorheriger Inaugenscheinnahme zugestimmt hatte, gleichzeitig die Leiterin des Tierheimes ist, welches den Hund vorher abgelehnt hatte.

Kollege Mario, bei dem die Hündin nun erstmal zwischengeparkt ist, schrieb mir an diesem Abend über Facebook: „der Hund ist jetzt bei uns, ist scheinbar eine total nette, momentan sind wir nur völlig fassungslos, daß der Hund heute nachmittag eineschläfert werden sollte.“

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Es ist immer das selbe.

Wir bekommen momentan täglich Anfragen, ob wir einen Hund nach einem oder mehreren Vorfällen aufnehmen können. Fast immer sehen wir uns mit der mehr oder weniger offenen Drohung konfrontiert, dass wir den Hund entweder aufnehmen oder er den Gang alles Vergänglichen geht. Und wir stehen mit dieser Belastung nicht allein da, alle Freunde und Kollegen, die sich solcher Hunde annehmen berichten ähnliches. Und in den letzten Monaten werden die Anfragen mehr und mehr und mehr.

Hinterfragt man im ersten Gespräch mal ein wenig die Geschichte des Hundes, erhält man immer wieder ähnliche Aussagen. Das Tier wurde in der Hoffnung auf einen treuen Begleiter angeschafft, man hat sich im Internet schlau gelesen und zig Bücher gekauft. Man hat Welpenstunden und Junghundekurse besucht. Und später, als der Hund dann angefangen hat, unerwünschtes Verhalten zu zeigen, hat man drei, vier, fünf Hundeschulen aufgesucht, die einem samt und sonders nicht helfen konnten. Irgendwann eskaliert die Situation soweit, dass eine Lösung her muss. Und zwar möglichst jetzt.

Ein Beispiel:

Vor einigen Monaten haben wir einen jungen altdeutschen Hütehund aufgenommen, der insgesamt 22 Mal (!) den Lebensgefährten der Besitzerin gebissen hatte. Mit 13 Monaten wohlgemerkt. Nun war die Besitzerin schwanger und erwartete in Kürze das Kind, dem entsprechend musste eine Lösung her.

Die erste Hundetrainerin hat natürlich erstmal eine Angst diagnostiziert und den Tipp gegeben, über Leckerchen und Heititei das Verhalten wegzuloben. Mit dem Ergebnis, dass der Hund – nun positiv bestärkt, in dem was er tut – erst richtig losgelegt hat. Dazu kam der „Tipp“ von der Expertin, dass es tierschutzrelevant sei, den Hund aus dem Schlafzimmer zu schmeissen. Das das Hütitüti den Lebensgefährten regelmäßig im gemeinsamen Bett stellte und herzfaft zuschnappte, wenn dieser es wagte, aufzustehen, wurde glattweg ignoriert. Scheiss auf die Gesundheit des Menschen, der arme Hund fühlt sich sonst allein. Fehlt eigentlich nur die Empfehlung auf getrennte Wohnungen.

So ging es weiter. Hundi wurde positiv bestärkt und hat im gesamten Trainingsprozess nicht einmal eine Grenze aufgezeigt bekommen. Wenn das Tierchen drohte, ging man ihm halt aus dem Weg, wenn er zubiss, wurde das Verhalten ignoriert – klar, in dem Moment hatte man auch andere Probleme – und zudem ziemlich wahllos in das Geknurre und Gedrohe reingelobt.

Als wir den Hund schliesslich übernommen haben, hatten wir einen völlig ungehemmten Köter am Bein, der wie ein dreijähriger Junge völlig ausflippte, wenn irgendetwas etwas nicht seinen Vorstellungen entsprach. Futter wurde genutzt, um es zu verteidigen, statt es zu fressen. Und wenn nichts „wertvolles“ da war, tat es auch ein Fusel, der gerade im Weg lag. Wenn man in einem solchen Moment nicht aufgepasst hat, ging der Kerl böse nach vorne und man hatte alle Hände voll zu tun, den Hund wieder von sich abzuflücken.

Natürlich sind solche Situationen nicht immer nett und man muss schon aus Selbstschutzgründen hin und wieder pragmatisch handeln– und so gab es in den sozialen Netzwerken teilweise heftige Reaktionen aus der Ecke der „Gewaltfrei“-Fundamentalistinnen, aber dazu später.

Noch ein Beispiel:

Im Januar 2012 bekamen wir einen Hilferuf von einer Bekannten. Eine junge Frau, Anfang Zwanzig, die auf ihrer Webseite ihre langjährige Erfahrung mit Problemhunden anpreist, hatte sich einen Border Collie aus einer Arbeitslinie ins Haus geholt, um ihn zu therapieren.

Der Hund hatte bei seinen Vorbesitzern, tschuldigung, „Besis“ gebissen und das Mädchen fand es augenscheinlich ziemlich cool, sich ein Projekt aufzubürden.

Ihre Fähigkeiten dazu hatte sie für viel Geld bei einem bekannten Ausbildungsinstitut erworben, musste jedoch sehr schnell feststellen, dass romantische Vorstellungen und verquere pseudowissenschaftliche Ergüsse mit der Realität oft nicht viel gemein haben.

Um die Fortschritte zu dokumentieren, führte sie ein „Pflegestellentagebuch“, in dem sich so witzige Passagen finden wie:

„Ich habe mich SOFORT weg gedreht und den Blick abgewendet, dennoch hat er mir nochmal in den Arm gebissen. Als ich zurück ging, den Blick weiter abgewendet, hat er los gelassen und dann noch ein zweites Mal angesetzt. Ich habe einfach nichts mehr gemacht und lediglich gemieden ihn anzusehen, daraufhin hat er dann ab gelassen.“

Da so etwas ja eine schwere Verhaltensstörung sein muss (Achtung Ironie!) suchte sich das Mädchen Hilfe bei einer Verhaltenstierärztin, die sogleich festgestellt hat, dass hier nur Medikamente helfen können. Vorher wurde er natürlich kastriert. Dem Hund Grenzen zu setzen und aggressives Verhalten einfach mal abzubrechen (ja, das böse Wort), dass kam weder der jungen Frau noch der Veterinärmedizinerin in den Sinn.

Stattdessen wurde der Hund medikamentös eingestellt und vorab schonmal die Euthanasie in den Raum gestellt:

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Auf Grund des Hilferufs unserer Bekannten habe ich damals angeboten, dass wir den Hund aufnehmen, mit ihm arbeiten und ihn weitervermitteln. Allerdings entsprach das nicht den Vorstellungen der Therapeuten, da wir ja ein Tierheim wären und sie den Hund ausschließlich in eine Endstelle geben würden. Die Begründungen für diese Entscheidung waren vielfältig, der arme Hund, der dem Stress ausgesetzt wäre, der Hundehalter, der von Null an neu beginnen müsste etcpp. Behalten wollte die junge Frau ihn aber augenscheinlich auch nicht.

Und so bekam ich einige Wochen später eine E-Mail von der Bekannten mit dem Inhalt:

(Name des Hundes) lebt definitiv nicht mehr :-(((
Ich muss das erstmal sacken lassen.

Diego <3

Diego ist wie oben beschrieben mein Hund, ich habe ihn aus einem Tierheim übernommen, weil er dort nicht zu managen war. Er zeigte keinerlei Frustrationstoleranz und ging „aus dem Nichts“ ins ungehemmte Beschädigungsbeißen, sobald sein sehr dünner Geduldsfaden gerissen ist.

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Ein Beispiel: Diego ist sehr distanzlos und fordert von allen Menschen Streicheleinheiten ein. Er lehnt sich an, bekommt seine seine Zuwendung und – Bäm – innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde dreht er sich um und attackiert den Menschen, der ihm eigentlich etwas gutes tun will. Weitere Beispiele wären Hundebegegnungen, bei denen er umlenkte, An- und Ableinen, In der Nähe stehen sowie jegliche unbekannte Situationen und jeder Hauch von Stress.

Diegos Vergangenheit ist nachweislich von Gewalt geprägt und er wurde von seinem Vorbesitzer heftig verprügelt. Irgendwann hat Diego gelernt, dass er sich Menschen vom Hals halten kann, in dem er seine Zähne einsetzt. Dazu kamen ungünstige Lernerfahrungen und Generalisierungen, was schliesslich dazu führte, dass Diegos Attacken jegliches Normalverhalten vermissen liessen. Der biss nicht zu, der rastete aus und verlor sich völlig in seiner Attacke.

Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin nahm sich Diego an und erarbeitete mit ihm den Maulkorb, so dass man nach Monaten endlich mit ihm spazieren gehen konnte – wenn man diese Tortur denn so nennen will.

Den fragwürdigen Geografiekenntnissen einer lieben Freundin ist es zu verdanken, dass ich eines Tages ins Tierheim fuhr und Diego begutachten sollte.

Da stand ich nun mit seiner Gassigängerin, am Horizont passierte irgendetwas und Diego legte los, attackierte heftig in Arme, Bauch und in Richtung Gesicht und  – es passierte nichts. Schliesslich hatte die zu Rate gezogene Hundetrainerin empfohlen, die Attacken zu ignorieren und abzuwarten, bis der Hund von seinem Opfer abließ. Das diese Vorgehensweise nicht viel mehr als blaue Flecken bei der Gassigängerin hinterließ, jedoch keinerlei Verhaltensänderung bewirkt hat, brauche ich hier nicht zu erwähnen, sonst wäre er ja nicht bei uns.

Oben habe ich erwähnt, dass Diego Opfer von massiv übergriffigen „Erziehungsmethoden“ geworden ist. Sogar am Abgabetag hat sein Vorbesitzer ihn noch sehr übergriffig behandelt, so dass eine Tierheimmitarbeiterin eingreifen musste. Diego ist tatsächlich einer dieser Fälle, in denen von Tierquälerei gesprochen werden kann. Dennoch darf, nein, musste auch Diego lernen, dass er mit seinen Attacken nicht zum Ziel kommt. Und auch bei einem Hund wie Diego muss ein solches Verhalten adäquat unterbunden werden.

Die Betonung liegt hier – und sage ich gerne deutlich –nicht auf nett und positiv bestärkend, sondern auf adäquat und fair.

Eine solche Aussage ruft in den sozialen Netzwerken und Hundeforen naturgemäß hysterische Reaktionen hervor und ich kann mir schon vorstellen, wie demnächst der Shitstorm über uns hereinbricht, weil im Fernsehen zu sehen ist, wie ich mit reality-gescrypteten Alphawurf einen Hund aus der Attacke hole. Und natürlich wissen sie es alle besser, die Facebook-Gruppen und die ganzen „Tierquälerei“-schreienden Damen, die Hundetrainerinnen und der komische Petitions-Messi.

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Da hätte ich nur eine Frage!

So weit, so gut. Nur eines noch. Wenn Ihr es wirklich besser wisst und wenn Eure Methoden wirklich so toll funktionieren, wie Ihr es auf Euren Webseiten, bei Facebook und  sonstwo rausposaunt, wie kann es dann sein, dass alle die von mir genannten Hunde im Tierheim oder in der Tiefkühltrühe gelandet sind?

Alle Hunde in meinen Beispielen, und wie gesagt, mir fallen noch viele weitere ein, sind samt und sonders bei solchen Hundetrainerinnen und Hundetrainern gelandet, die im Internet die absolute „Gewaltverneinung**“ propagieren, denen einfaches „Nein!“ schon zu brutal ist und die mittels intermediärer Brücke, Zeigen und Benennen, Doppelten Rückruf oder was weiss ich an ihren Hunden rumdoktorn.

Und die mit GENAU DIESEN Hunden gearbeitet haben. Also, warum sind die Hunde hier?

Wenn Zeigen und Benennen so gut funktioniert, wie kann es sein, dass der Hund trotzdem weiterbeißt, bis es zur Abgabe kommt? Und wenn sich alle Welt über Frau Nowak empört, weil sie inakzeptable Methoden anwendet, wie kann es dann sein, dass gleich vier der Empörten nicht in der Lage sind, mit den hochmodernen neuesten Erkenntnissen, die sie propagieren, einen 9 Monate alten schnappigen Aussie in den Griff zu bekommen?

Natürlich kenne ich auch die ganzen Ausreden von unkooperativen Haltern, dass man den Hund von vorneherein hätte positiv arbeiten müssen, mangelnder Bindung, Hundeschul-Hopping oder irgendwelchem Blödsinn von Deprivations- oder noch besser Prägeschäden.

Am Ende des Tages ist es so, dass Ihr euch gegenseitig dafür abfeiert, dass Ihr die großen Hundeseelenversteherinnen seid, während wir noch den Müll aufräumen, den Ihr bei Euren Kunden hinterlassen habt.

Und ich hätte manchmal nicht wenig Lust, einfach jeden einzelnen dieser Fälle öffentlich zu machen und Euch eiskalt an den Internetpranger zu stellen. Oder noch besser, Euch besuchen zu kommen und Euch mal so richtig aversiv die Meinung zu geigen. Aber auch so etwas stellt schliesslich eine Form der Gewalt dar, auch wenn Ihr das augenscheinlich anders seht, wenn man Eure Äußerungen so verfolgt.

Und Gewalt, die lehne ich grundsätzlich ab!

 

* Die Hundenamen habe ich geändert, schliesslich will ich niemanden verpetzen.
** Gewaltverneinung gilt selbstverständlich nur für Hunde, bei Menschen sind sie weniger zimperlich.

Empörung!

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Unter Hundetrainern scheint es alter Väter Sitte zu sein, jeden Anlass zu nutzen, um der Konkurrenz einen mitzugeben. Zuletzt durfte das „Die Hundeflüstererin“ erleben. Eine Sendung des ZDF, welches ja für besonders blutrünstige und unseriöse Berichterstattung bekannt ist, in der ein Kamerateam Frau Nowak bei der Arbeit begleitet hat. Sofort fanden sich jede Menge empörte Menschen, die unsägliche Tierquälerei gesehen haben wollten und sofort eine Petition ins Leben gerufen haben, um dem Intendanten des Senders mal so richtig die Meinung zu geigen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, wer sich so alles an dieser Petition beteiligt hat. Da sind sich so manche prominente Gesichter sich nicht zu schade, um ihren Namen für die vermeintlich „gute Sache“ herzugeben. Ob es diesen Menschen wirklich um die armen Hunde geht, darf durchaus bezweifelt werden.

Nun habe ich mir gedacht, das probierste auch mal aus und habe ebenfalls eine Petition ins Leben gerufen. Und da mir gerade kein Hundetrainer eingefallen ist, den ich gerade dissen will, habe ich der Einfachheit halber eine Petition gegen mich selber eingereicht.

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Um eine Petition zu starten reicht es aus, über einen Facebook-Account zu verfügen, mit dem man sich bei Change.org einloggen kann. Das System überprüft weder die Identität noch den Inhalt und hat auch nicht gemerkt, dass ich Petitionsstarter und -Empfänger in Personalunion bin. Aber egal, also habe ich einfach mal einen möglichst blödsinnigen Text eingegeben, vielleicht überprüft ja irgendjemand, gegen wen oder was ich aufbegehre:

Normen soll es lassen – egal was!

Weil er mal wieder so dermaßen tierschutzrelevant und obendrein peinlich war, er total unwitzig ist und obendrein klotzenhohl, sollte er in Sack und Asche kriechen und sich in den Schlaf weinen. Unmöglich, wir sagen Pfui, Herr Mrozinski, Pfui!

Folgende Nachricht wird mir geschickt, wenn jemand die Petition unterzeichnet:

Empfänger:
Normen Mrozinski
Erstens bist du sowas von tierschutzrelevant, zweitens siehst du echt doof aus und drittens hast Du Mundgeruch und Schweissfüße!

Mit freundlichen Grüßen
[Ihr Name]

Nix ist. Und siehe da, mit ein bisschen Unterstützung der sozialen Netzwerke finden sich schon jetzt über 30 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, die mein Anliegen unterstützen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die meisten glauben, dass es sich dabei nur um einen Spass handelt. Doch Glücklicherweise gibt es dann doch noch einige verantwortungsbewusste Tierschützerinnen, die mir ordentlich die Meinung geigen. So schreibt Jessica R. als Begründung für ihren unermüdlichen Online-Einsatz für eine bessere Welt:

Wer Hunde schlecht behandelt soll es lassen – egal was!

Wahnsinn! Nur noch gut 1960 Unterschriften und ich muss es lassen – egal was!