Lieber Arm ab als Arm dran?

Brigitte wirkt erstaunlich sortiert. Der Tierschutzverein, nein, der habe sich noch nicht gemeldet. Aber nachher käme ihr Sohn vorbei, der wisse bestimmt mehr.

Am Wochenende ist es passiert. Brigitte war gerade im Garten zu Gange, als ihr neuer Hund Lennox sie ohne erkennbaren Anlass attackiert und sich in ihrem rechten Arm verbissen hatte.

Mit massiven Bissverletzungen wurde sie ins Krankenhaus gebracht und noch am selben Tag operiert.

Ihren Arm wird sie wohl nie wieder vollständig nutzen können, wie der behandelnde Arzt ihr mitteilen musste. Außerdem seien noch weitere Operationen notwendig.

Da ich Lennox derweil untergebracht habe, bin ich nun hier, um mit Brigitte die weitere Vorgehensweise zu besprechen.

Der vermittelnde Tierschutzverein soll eine Chance bekommen, den Hund abzuholen. Da sich die Damen und Herren trotz E-Mails und Nachrichten auf dem Anrufbeantworter bisher nicht rühren, vermute ich jedoch, dass sie kein großes Interesse daran haben, ihn zurückzunehmen.

Im Internet habe ich den Vermittlungstext zu Lennox gefunden. Dort wird er als Husky-Schäferhund-Mix beschrieben, der unglaublich nett und anhänglich wäre und obendrein ziemlich verspielt. Außerdem, so weiter, hätten seine Menschen wohl keine Lust mehr auf den „lustigen Clown“ gehabt.

Wenn ich mir Brigittes Arm so anschaue, bekomme ich so eine Ahnung, warum Lennox‘ Leute den „Clown“ loswerden wollten.

Keine Ahnung wiederum habe ich, wie der Tierschutzverein auf die Idee gekommen ist, Lennox ohne weitere Begutachtung zu vermitteln bzw. mal genauer nachzufragen, warum er ins Tierheim sollte.

In vielen Tierheimen läuft es leider gleich.

Wenn jemand seinen Hund abgeben möchte, wird ihm ein Fragebogen in die Hand gedrückt, den derjenige bitte auszufüllen hat. Ansonsten kaum weitere Nachfrage, vielmehr bekommt der Hundeabgeber das Gefühl vermittelt, dass er der schlechteste Mensch der Welt ist.

Fatal, denn ist der Vorbesitzer erstmal weg, dann hat das Tierheim den Hund am Bein.

Blöd, wenn die eine oder andere Verhaltensoriginalität nicht bekannt ist.

Richtig blöd, wenn ein ahnungsloser Tierpfleger plötzlich ein Problem hat, wenn er in den Zwinger kommt.

Total beschissen, wenn das Tierchen sein Verhalten erst im neuen Zuhause zeigt, wie im Fall von Brigitte.

 

Verantwortungsvoller Tierschutz bedeutet nicht nur pipikackasatt mit möglichst romantischer Retterharmonie, sondern auch, zu wissen, mit wem man es zu tun hat und mögliche Interessenten zu informieren.

Dazu gehört neben einem vernünftigen Abgabegespräch – Stichwort aktives Zuhören und Empathie – mit den Vorbesitzern auch, den Hund auf Herz und Nieren zu testen und eventuelle Verhaltensauslöser zu erkennen.

Der Tierschützer von Welt protestiert dann gerne, die arme Maus, warum sollte man sie denn „ärgern“ und überhaupt, der arme Hund hat es schon schwer genug.

Also werden die Hunde bespaßt und betüddelt, bis sie in ein neues Zuhause ziehen, ohne jemals überprüft zu haben, wie das Notfell wohl reagiert, wenn etwas nicht nach seiner Fellnase läuft.

Und dann ist es unter Umständen die stinknormale Realität außerhalb des Tierheims, die dafür sorgt, dass der Hund genau das Verhalten an den Tag legt, das zum Tierheimaufenthalt geführt hat.

Aber es geht noch schlimmer. Eine Kollegin, die ehrenamtlich für ein Tierheim mit den Hunden trainiert hat, hatte einem Kandidaten dauerhaft den Maulkorb verordnet, weil er ihrer Meinung nach arschgefährlich war.

„Das geht gar nicht, das arme Tier“, so lautete der Tenor der versammelten Tierlieben, sogar bis an den Deutschen Tierschutzbund gingen die Beschwerden über die ach so herzlose Hundetrainerin.

Also entschied man sich, den armen Hund von seiner Schmach wieder zu befreien.

Mit dem Endergebnis, dass die Kollegin bei der nächsten Gelegenheit die schmerzhafte Erfahrung machen durfte, dass sie mit ihrer Einschätzung richtig lag und vom Hündchen ordentlich zerledert wurde.

Auch hier hätte der Einsatz von Hirn und Sachverstand schlimmeres verhindern können, aber darum geht es beim Tierschutz in vielen Fällen gar nicht.

Vielmehr geht es darum, sich selber gut zu fühlen und so zu tun, als würde man etwas uneigennütziges tun.

Ein Bekannter von mir, der in einem der „Vorzeigetierheime“ Deutschlands arbeitet, hat mir mal erzählt, dass die Tierpfleger angehalten sind, mit allen Hunden gemäß der Philosophie einer meiner Meinung nach völlig Wahnsinnigen zu arbeiten – egal, ob sie zum jeweiligen Hund passt oder nicht.

Wenn der eine oder andere Vierbeiner sich auf Gedeih und Verderb nicht auf Leckerchen und Clickerchen einlassen möchte, gehen die Pfleger wie folgt vor.

Sie warten, bis die Öffnungszeiten rum sind, einer steht Schmiere, und dann wird mit dem Hund so gearbeitet, wie es notwendig wäre.

Denn wehe, jemand würde mitbekommen, dass der eine oder andere Vierbeiner mal eine Ansage bekommt … Dann könnten sich die Pfleger einen neuen Job suchen.

Es ist verrückt.

Wir haben immer extremere Hunde, dürfen aber immer weniger tun, um sie zu erziehen. Will der passend zur Wohnlandschaft angeschaffte Mali seinen Artgenossen umbringen und wir unterbrechen ihn, kriegen wir eine Ansage, die sich gewaschen hat. Lassen wir ihn tun, was er zu tun müssen meint, kriegen wir auch eine Ansage, die sich gewaschen hat.

Vor ein paar Tagen habe ich mit einem Hütitüti gearbeitet, das jagdlich motiviert auf Kinder losgeht. Die Mutter des Kindes war völlig aufgebracht, weil ich den Hund körperlich daran gehindert habe, sich das Kind zu schnappen.

Wie hätte sie wohl reagiert, wenn ich den Hund nicht daran gehindert hätte?

Auch heute hat sich das Tierheim nicht gemeldet, ich überlege, ob ich einfach dahin fahre und Lennox am Tor anbinde. Mal gucken, wie er reagiert, wenn ihn jemand abmachen möchte.