Hässliche Wahrheit (2): Der beste Freund des Hundes

Paul Watzlawick war ein schlauer Mann und seine „fünf Axiome der menschlichen Kommunikation“ sind mir oft hilfreich.

Eines dieser Axiome lautet: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Als Beispiel nannte Watzlawick eine Person, die in einem Wartezimmer sitzt und auf den ersten Blick nicht kommuniziert. Dennoch sagt die Person durch ihre Körperhaltung, ihren abgewandten Blick und die verschränkten Arme etwas aus, z.B.: „Lasst mich in Ruhe.“

Fangfrage: Wenn man nicht nicht kommunizieren kann, wie kann man dann jemanden ignorieren?

Deswegen nennt der kluge Kynopädagoge das vermeintliche Ignorieren eines Hundes auch „Aktives Ignorieren“.

Ein Beispiel: Der Hund, der seinen Besitzer anspringt, wird im ersten Schritt ignoriert. Bietet der Hund dann ein anderes – erwünschtes – Verhalten an, wird er belohnt. So soll er lernen, dass erwünschtes Verhalten zum Ziel (Fürsprache) führt und unerwünschtes Verhalten nicht (Entzug sozialer Auseinandersetzung).

Damit das Ziel erreicht werden kann, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein.

  1. Das Verhalten des Hundes muss sich an den Menschen richten. Springt der Hund nicht seinen Menschen an, sondern will z.B. einem Reh hinterher, dann kann der Hundebesitzer ignorieren bis der Arzt kommt. Und sei es, weil der Vierbeiner es schlicht und ergreifend nicht mitbekommt.
  2. Der Hund muss das Ausbleiben der Reaktion des Menschen situativ als unangenehm wahrnehmen. Wenn das Menschen-Anrempeln Spaß macht, wird das Ignorieren zur stillen Zustimmung.

Die Idee, ein unerwünschtes Verhalten einfach zu ignorieren und ein erwünschtes in der Folge zu belohnen, ist zwar sehr flauschig, aber eben auch sehr limitiert. Was also tun, wenn es mit dem Ignorieren nicht klappen will?

Der Hauptgrund für Verhaltensprobleme beim Hund ist meiner Meinung nach nicht der, dass Menschen falsch reagieren, wenn ihr Hund unerwünschtes Verhalten zeigt. Vielmehr reagieren Menschen gar nicht. Oft aus Unsicherheit, aus Angst verkehrt zu reagieren und weil im Internet steht, was man alles nicht darf.

Oft höre ich, dass Hundeerziehung und Kindererziehung in vielen Bereichen Parallelen aufweisen. Auf jeden Fall kann man viele beobachten.

Hunde sind ebenso wie Menschen hochsoziale Lebewesen. Die soziale Auseinandersetzung gehört zu den elementaren Grundbedürfnissen unserer Vierbeiner. Verwehren wir ihnen dieses Bedürfnis, entstehen nicht nur Probleme – wir verhalten uns auch hochgradig unfair!

Vor einiger Zeit saß ich morgens im Frühstücksraum eines Hotels in Luxemburg und beobachtete zwei kleine Kinder, die schreiend durch den Frühstücksraum tobten und sprichwörtlich über Tische und Bänke gingen. Ihre Mutter hing mehr oder weniger teilnahmslos an ihrem Smartphone und murmelte irgendwas vor sich hin. Die Kinder taten mir leid. Denn die beiden gaben alles, um die Frau irgendwie dazu zu bewegen, eine Reaktion zu zeigen und auf sie einzugehen. Doch die liess die armen Kleinen am langen Arm verhungern. (Ok, in der Situation hätte ich sie gerne erschlagen, aber im Nachhinein tun mir die beiden leid.)

Naja, zumindest bis eines der Kinder anfing, die Brötchen vom Buffet auf den Boden zu schmeissen, da musste die Mutter eingreifen. Kinder sind nunmal kreativ, Hunde auch.

Soziale Reibung gehört zur Entwicklung und zum Miteinander dazu. Nur so erlangen wir ein Bewusstsein für uns selbst. Der Entzug von Konflikten macht nicht glücklicher. Ganz im Gegenteil.

Der junge Hund möchte wissen, wo er steht und lernt das in der Auseinandersetzung mit seinen Geschwistern und seiner Mutter. Er bekommt wichtiges Feedback, lernt z.B. Beißhemmung und Fairness und schafft so Voraussetzungen für neues Spiel.

Dann kommt er zu seinen Menschen und trifft leider allzu oft auf einen sozialen Schwamm. Und ähnlich wie die beiden Kinder im Hotel wird der Hund Mittel und Wege finden, um eine Reaktion hervorzurufen, wenn wir uns verweigern.

Als ich mich neulich über Resozialisierung ausgelassen habe, machte mich mein Freund Niko darauf aufmerksam, dass viele Hunde, die mit Beißvorfällen im Tierheim landen, oft ganz arme, missverstandene Kerle sind. Damit hat er vollkommen recht.

So beobachte ich Hunde, die trotz 24h-Bespassung, aufwendiger Fütterung und Dauer-Training ziemlich einsam auf der Welt sind. Die ihre Menschen um Auseinandersetzung förmlich anflehen. Und manchmal beißen, weil sie nur so ein soziales Feedback erhaschen können. Arme Hunde.

Und arme Menschen. Denn wenn ich auf der anderen Seite sehe, wie manche Hunde mit ihren Menschen umgehen, frage ich mich doch ernsthaft, welches Bild der Mensch von sich selber hat.

Das führt so weit, dass eine bekannte Hundetrainerin fordert, dass wir alle unerwünschten Verhaltensweisen als Teil der hündischen Persönlichkeit gefälligst akzeptieren sollten – beißen inklusive, versteht sich.

Die Verweigerung von Grenzen wird gerne mit Freiheit gleichgesetzt. Doch die beiden Kinder in dem Luxemburger Hotel sind nicht frei. Sie sind stark reglementiert, da man sie nicht eine Sekunde aus den Augen lassen kann.

Ein Freiraum ist ein Raum, und Räume sind definiert durch Grenzen. Innerhalb eines gesetzten Raumes darf sich mein Gegenüber frei verhalten.

Beherrscht mein Hund also ein gutes Sozialverhalten, ist er gut abrufbar und orientiert sich an mir, dann ist der Freiraum, den ich ihm ermöglichen kann, größer als bei einem Hund, der nicht kommt, wenn ich ihn rufe oder bei dem ich mir Sorgen machen muss, dass er wegrennt.

Setze ich keine Grenzen, dann darf ich mich auch nicht beschweren, wenn der Hund diese überschreitet. Und wenn er sich nicht benehmen kann, dann muss ich ihn jederzeit kontrollieren und jeden Schritt überwachen. Wo ist das Freiheit?

Wo ist der Hund frei, der ständig vollgequietscht und mit Leckerchen kontrolliert wird? Der sich nicht einen Meter entfernen darf, weil er sonst vielleicht nicht wieder kommt? Wie viel Freiraum kann ich einem Hund bieten, der so schlecht an der Leine läuft, dass er eine „Halsband oder Geschirr“-Diskussion notwendig macht?

Rita Defries nannte das, was man heute auf vielen Hundewiesen beobachten kann, „Zuckerguss-Kontrolle“. Vermeintliche Belohnungen werden genutzt, um ein Verhalten zu manipulieren oder zu verhindern, dass der Hund nervt.

Die junge Mutter, die das Kind ruhigstellt, in dem es mit dem Tablet spielen darf, wird nicht erzieherisch tätig, sondern macht es sich erstmal leicht.

Ein bekannter Hundesportler hat mal gesagt, dass nur die wenigsten Menschen in der Lage sind, selber die Leistungen zu erbringen, die sie von ihren Hunden erwarten. Der Hund soll 10 Minuten in der Platzablage vor seinem Futter verharren, während sich sein Mensch keine dreißig Sekunden zusammenreissen kann, wenn er mit einem Stück Schokolade konfrontiert wird. Der Hund soll eine Stunde konzentriert arbeiten, während wir selbst über die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs verfügen.

Wir wollen also soziale, souveräne und gut verträgliche Hunde? Dann sollten wir wieder lernen, Konflikte anzunehmen und zu lösen. Wir wollen den besten Freund des Menschen? Dann sollten wir uns aber auch wie ein Freund benehmen.

Und nicht wie ein lebender Futterbeutel mit Kontrollzwang.