Das Hundetraining ist tot, lange lebe das Hundetraining.

Thomas und Stephan haben eines gemeinsam: Beide haben an einer renommierten Universität Medizin studiert. Ihre Professoren waren jeweils Koryphäen auf ihrem Gebiet, die Universitätsbibliothek ist weltweit anerkannt und nicht zuletzt haben beide sehr viel Geld und Zeit in ihr Studium investiert. Der Unterschied? Während Stephan heute ein anerkannter Chirurg in einer Privatklinik ist, muss sich Thomas vor Gericht in einem Kunstfehlerprozess verantworten, weil er einen Patienten auf dem Gewissen hat.

Die Geschichte ist (hoffentlich) frei erfunden, soll jedoch verdeutlichen, worauf ich hinaus will.

Immer wieder lese ich in sozialen Netzwerken die Frage nach der „besten Ausbildung“, die angehende Hundetrainerinnen buchen können. Genannt werden in der Regel die üblichen fünf oder sechs Verdächtigen. Und die eine oder andere Institution nennt sich in dem Zusammenhang auch mal selber gerne „die Elite“.

Doch nur, weil jemand mehrere Tausend Euro für eine Ausbildung übrig hat, macht dieser Umstand denjenigen noch nicht zum Teil einer wie auch immer gearteten Elite. Vielmehr steht die finanzielle Hürde diesem Wunschdenken im Weg.

Auf der einen Seite gibt es keine ernstzunehmenden Aufnahmetests, die diesem Anspruchsdenken Gewicht verleihen würden. Auf der anderen Seite – warum sollte jemand, der wirklich ambitioniert ist, so viel Geld für etwas ausgeben, das man sich für wenige Euro selber erarbeiten kann?

Im Ernst! Du möchtest Hundetrainerin werden?

Dann leihe Dir die entsprechende Fachliteratur aus der Bibliothek (Ja, die gibt es noch!) und vor allem lies sie.

Schaue Dir auf Youtube die verschiedenen Techniken an und sieh vor allem zu, dass Du das Gelernte verstehst und das Verstandene in die Praxis umsetzen und erklären kannst.

Sei dabei offen für alles, probier vieles aus und erkläre fachlich, was Dir komisch vorkommt oder Deiner Meinung nach nicht funktionieren kann.

Das lernst Du in keinem Ausbildungsinstitut, sondern durch Erfahrungen, die du machst.

Mach Praktika – in der Hundepension, im Tierheim, als Gassigänger. Wenn Du eine Methodik interessant findest, dann buche ein paar Einzelstunden. Danach bist du schlauer.

Das, was du theoretisch in einer Ausbildung lernen kannst, findest du in Büchern.

Praktisch geht es vor allem um eines: Technik.

Die eine ist vielleicht „nett“, die andere „böse“. Aber es bleibt Technik

Beratungstechniken, Leinenführigkeitstechniken, Rückruftechniken, Belohnungstechniken usw.

Die Technik bringt man dem Kunden bei und dieser wiederum glaubt, dass sich sein Problem in Luft auflöst, weil er auf Technik vertraut. Das kann nicht funktionieren und funktioniert in vielen Fällen auch nicht.

Der Grund dafür ist einfach. Erziehung ist nichts technisches, vielmehr findet sie im Alltag statt. Ganz nebenbei. Es sind die kleinen Momente, die den Unterschied machen. Und nicht Trainingseinheiten.

Man „trainiert“ nicht mit dem Kind, dass man keine alten Omas ausraubt. Würde das funktionieren, dann gäbe es in der Schule das Fach „Erziehung“ und es gäbe keine Arschlochkinder mehr.

Erziehung heisst, Werte vorzuleben, in der Lage zu sein, sich in Konflikten durchzusetzen, ohne unfair zu werden und vor allem so zu belohnen, dass es keine leere Floskel ist.

Durch Training eignet man sich derweil praktische Fähigkeiten wie Fahrradfahren, Klavierspielen oder Kochen an.

Wer also glaubt, den bissigen Hund mit einem „Anti-Aggressionstraining“ in den Griff zu bekommen, der sollte einfach mal einen Blick auf die Rückfallquote jugendlicher Straftäter werfen, die erlebnispädagogisch korrekt zum Kite-Surfen nach Mallorca geschickt wurden.

Ein Hund wird seinen Menschen nicht ernster nehmen, nur weil dieser beim Spaziergang nonverbal und ritualisiert hin und her marschiert oder zum hundertsten Mal „Sitz“ übt.

Techniken sind für den Erziehungserfolg zweitrangig. Vielmehr sollten sie als Vehikel dienen. Sie sollen kleine Erfolge produzieren, um dem Hundebesitzer Selbstbewusstsein mit auf dem Weg zu geben. Denn Selbstbewusstsein erlangt man durch Handlungsfähigkeit. Wer weiss, wenn ich das geschafft habe, wozu bin ich noch in der Lage?

Hundetraining, wie es heute vielfach durchgeführt wird, kommt daher schnell an seine Grenzen.

Alle haben den Behaviorismus kritisiert, doch geändert hat sich wenig. Es wird konditioniert auf Skinner komm raus, ohne die inneren Vorgänge des Hundes zu berücksichtigen oder ihm die Möglichkeit zu geben, eigene Erkenntnisse zu gewinnen.

Wir palavern über kontextspezifisches Lernen und wundern uns, warum das auf dem Hundeplatz in Anwesenheit des Trainers prima funktioniert und auf der Wiese im Stadtpark nicht.

In den letzten Wochen habe ich gleich mehrere Menschen mit ihren Hunden kennengelernt, die jahrelang eine Technik nach der anderen trainiert haben.

Jede einzelne davon, jeder Satz und Begriff, der mir geschildert wurde, war nahezu identisch. Jeden Ablauf, jede einzelne der durchkonfektionierten Übungen konnten die Hunde rauf und runterbeten.

Aber erzogen waren diese Hunde deshalb noch lange nicht. Nur strategischer und kreativer, wenn es darum ging, ihrem Besitzer auf der Nase rumzutanzen.

Alles war trainiert: Leinenführigkeit, Dranbleiben ohne Leine, Rückruf, Sitz, Platz etc. Aber mal so nett sein und beiseite gehen, wenn der Besitzer mit dem Tablet voller Kaffeetassen vorbeiwill – Pustekuchen.

Der Grund dafür ist der, dass viele Hunde schlicht zu schlau sind und die Übertragung von Technik in den Alltag meiner Meinung nach nicht funktionieren kann.

Die Technik ist nicht für die Erziehung des Hundes wichtig, sondern für den Trainer, der sie vermittelt und deshalb Teil einer Peer Group ist. Eines für alle. Egal, ob es passt. Man hat schliesslich eine Menge Geld dafür bezahlt. Zeig mir Deine Leinenführigkeit und ich sage dir, was sie Dich gekostet hat. Da wären wir dann wieder bei den Eliten.

Viele Hunde sind heute so austrainiert, dass sie nach spätestens fünf Minuten durchschaut haben, wessen Geistes Kind da vor ihnen steht. Sie kapieren sofort, ob sie sich in einer Trainingssituation befinden oder nicht und wissen ganz genau, was zu tun ist. Sie sind leinenschlau, maulkorbschlau, hasenzugmaschinenschlau und diealtepasstgeradenichtauf-schlau.

Was glaubst du, wie weit Du kommst, wenn du die hundertste Übung eintrainierst?

Der Begriff Hundetraining als solcher ist irreführend, weil er suggeriert, man würde etwas mit Hunden tun. Auch „Verhaltensberater“ ist Blödsinn. Toll, wenn der Kunde weiss, warum der Hund etwas tut. Aber eigentlich will er doch wissen, wie er damit umgehen soll. Vielleicht wäre „Erziehungsberater“ passender.

Ich weiss es nicht.

Eines jedoch wird mir jeden Tag aufs Neue klar. Die Idee des Trainings ist überholt. Wir müssen zugeben, dass wir die Viecher unterschätzt haben. Je mehr Raum Hunde bei ihren Menschen einnehmen, je weniger sind sie für Dressur empfänglich.

Kein Wunder, schliesslich wollen sie Sozialpartner und keine Dompteure.

Wir müssen runter von den bequemen Hundewiesen.

Wir müssen weg von Reiz-Reaktions-Mustern.

Wir müssen weg von simplen Belohnungsprinzipien.

Die Trainingstechnik ist der fleischgewordene Knopfdruck.

Offenlegung:

Ich selber habe eine sehr kostspielige Ausbildung gemacht, in der mir dieselben Techniken vermittelt wurden, wie hunderten Auszubildenen vor mir und hunderten nach mir. Außerdem habe ich eine Ausbildung mit entwickelt und bis vor kurzem selber eine angeboten.