Heavenly Creatures

Frau M. hatte immer eine Augensalbe dabei. Für den Fall, dass sich „Charlie“, ihr dreijähriger Mops-Rüde mal aufregen sollte. Dann nämlich konnte es passieren, dass er – flutsch – eines seiner Augen aus der Höhle presste. Routiniert zückte Frau M. dann die Salbe, schmierte das Auge damit ein und – nochmal flutsch – drückte es wieder in die vorgesehene Position.

Möpse trifft man in der Hundeschule eigentlich eher selten außerhalb von den mittlerweile obligatorischen Welpengruppen. Denn so ein leinenpöbelnder Mops ist ja eigentlich ganz gut zu managen und nur die wenigsten Zeitgenossen sehen in dem kleinen Hund eine Gefahr für Leib und Leben.

Frau M. sah das eigentlich ganz ähnlich, würde sich „Charlie“ nur nicht immer so fürchterlich aufregen, wenn ihm andere Hunde begegnen. Ihr Tierarzt hatte ihr nämlich gesagt, dass es garnicht so gesund wäre, wenn der Hund vor lauter Theater ständig seine Augen aus den Höhlen pressen würde.

Also übten Frau M. und ich nun, an anderen Hunden vorbeizukommen, ohne dass „Charlie“ ein Auge nach ihnen warf – im wahrsten Sinne des Wortes.

Ganz andere Probleme hatte derweil Frau P. mit ihrer Cavalier King Charles-Hündin „Yvette“. Die war nämlich eine Futtermittelallergikerin, wie Frau P. in einem Forum erklärt bekam und ihr erst die Züchterin und dann eine Ernährungsexpertin bestätigte.

Nun könnte man sagen, ein bisschen Google hätte Frau P. viel Geld und ihrer „Yvette“ einiges an Leid ersparen können. Aber so einfach war es nicht.

Denn das Hündchen litt unter der sogenannten Syringomyelie, ganz grob zusammengefasst passte das Gehirn des Tieres auf Grund züchterischer Übertreibungen nicht mehr in den Schädel. So kommt es zu einem „inneren Wasserkopf“ auf Grund des erhöhten Drucks des Hirnwassers auf das Gehirn.

Auf Grund der Symptome vermutete Frau P. zunächst eine Allergie, probierte verschiedenste Futter aus, diskutierte sich quer durchs Internet und kam schließlich zum Barfen, was auch nicht weiterhalf.

Als die Symptome immer schlimmer wurden und der Hund beinahe durchdrehte vor Qualen, suchte Frau P. einen Spezialisten auf, der ihrem Hund helfen sollte.

Eine OP sollte es richten, allerdings konnte Frau P. den Erfolg nicht mehr messen, da „Yvette“ die Narkose nicht überstanden hatte.

„Anton“ wiederum ist ein Deutscher Boxer, seine Besitzer Herrn und Frau S. lernte ich kennen, weil der Hund „ein wenig nervös“ wäre, wie es hieß. Tatsächlich war „Anton“ das hündische Pendant zu einem „Zappelphilipp“, extrem aufgedreht und ein echter Wirbelwind. Allerdings nur bis er etwa fünf Jahre alt wurde. Ab da vergreiste der Hund genauso schnell wie er in jüngeren Jahren über die Wiese flitzte.

Mein Freund Gerd hat mir mal erzählt, dass sich diese merkwürdige Entwicklung des schlagartigen Alterns auf einen einzigen Rüden zurückführen ließe, dessen – preisgekrönte – Nachkommen für dieses Phänomen bei vielen Boxern geführt hätte.

„Kurti“ seines Zeichens war ein Golden Retriever wie er im Buche steht. Ein wunderschöner Hund und rassetypisch sehr freundlich. Warum er im Tierheim gelandet war, wollte niemanden so recht einleuchten, bis „Kurti“ bei der Abholung durch seine neuen stolzen Besitzern aus dem Nichts den Familienvater attackierte und schwer verletzt hatte.

In den 1980er Jahren machte mal die sogenannte „Cocker-Wut“ die Runde. Die roten Cocker Spaniel attackierten ohne ersichtlichen Grund ihre Besitzer, verletzten sie zum Teil schwerst und brachen danach ebenso unvermittelt in sich zusammen – als wenn sie sich schämten, wie einige der zu Schaden gekommenen Besitzer später erklärten . Nachdem sich solche Fälle häuften, klärte sich auf, dass die viele der betroffenen Tiere eine verwandtschaftliche Nähe aufwiesen. Später, Ende der 1990er Jahre und Anfang der 2000er Jahre wurden solche Fälle bei Golden Retrievern wie „Kurti“ bekannt, meistens bei besonders hellen Hunden mit großen, dem Kindchenschema entsprechenden Augen.

Nicht ganz so spektakulär, aber dafür umso fataler erging es „Lotte“, einer dreijährigen Australian Shepherd-Hündin aus einer „liebevollen Zucht mit Familienanschluss“, wie es so schön heißt. Weil die Liebe ja bekanntlich überall hinfallen kann, war „Lotte“ das Ergebnis einer Verpaarung zweier eng miteinander verwandter Hunde der Familie.

Als Andenken dieser Liebesbeziehung behielt „Lotte“ eine Degenerierung der Speiseröhre zurück, sprich das Gewebe war an einer Stelle geschwächt, so dass sich Nahrung und Wasser dort sammelten. In der Folge bekam „Lotte“, wenn sie etwas fressen oder trinken wollte, Erstickungsanfälle und verlor schließlich das Bewusstsein.

Es ist von Glück zu sprechen, dass „Lottchen“ bei einer verantwortungsvollen Tierärztin vorgestellt wurde, die das Argument, der Hund hätte ja drei Jahre damit überlebt, nicht gelten ließ und dieser abscheulichen Qual ein Ende setzte.

Trotz solcher Kollateralschäden erfreuen sie die Aussies der „Züchterin“ großer Beliebtheit und so habe ich in der letzten Zeit so manche Exemplare kennengelernt, die aus der „Zuchtstätte“ stammen. Immerhin sind sie wunderhübsch und neben der Inzuchtschäden auch mit dem Merle-Gendefekt ausgestattet, der sie so lustig bunt aussehen lässt.

Laut der Universitätsklinik in Leipzig sind heute ungefähr 500 Erbkrankheiten bei unseren Rassehunden bekannt.

Ein Großteil davon hängt damit zusammen, dass Äußerlichkeiten bei der Zucht eine völlig übergeordnete Rolle spielen, während altmodische Tugenden wie „Wetterhärte“, „Leichtfüttrigkeit“ und „Langlebigkeit“ in den Hintergrund gerückt sind.

Selbst Hunde, die eigentlich auch heute noch für einen klaren Auftrag gezüchtet werden, bekommen einen Rassestandard aufgedrückt, in dem festgelegt wird, wie der Hund auszusehen hat. Als ob es irgendeine Bewandtnis für ein Schaf hätte, wie der Border Collie aussieht, der es gerade über die Koppel treibt.

Wie kann es sein, dass immer mehr Schäfer darüber klagen, dass ihre Hunde den Anforderungen des Arbeitsalltags nicht mehr gewachsen sind? Wie kann es sein, dass sich der Harzer Fuchs seit einiger Zeit einer immer größer werdenden Fanschar erfreut und gleichzeitig die ersten Fälle von Epilepsie bei den Hunden auftauchen?

Ein Bekannter von mir züchtet Französische Bulldoggen, die er eigentlich nicht so nennen darf, weil sie richtige Nasen haben. Sein Argument, dass es ihm wichtiger sei, dass seine Hunde frei atmen könnten und alle Freuden eines richtigen Hundeleben geniessen können, kam bei seinem Verein nicht gut an, so dass er ihn verlassen musste und nun ohne Papiere züchtet.

Seinen Welpenkäufern ist das derweil egal, sie freuen sich über pfiffige und robuste kleine Hunde. Seinem ehemaligen Verein ist das nicht egal und so wird er als „Vermehrer“ beschimpft. Ein Blick auf seine Hunde, die auch im Sommer über die Wiese toben können und keinen Fahrradkorb brauchen, um bei einer längeren Radtour mithalten zu können, hilft dabei, die Begrifflichkeiten in ein anderes Licht zu rücken.

Auf internationalen Ausstellungen werden Hunde zu Siegern und damit zu wertvollen Vererbern für unzählige Nachkommen gekürt, die kaum in der Lage sind zu atmen, ohne Hilfe durch den Showring zu gehen oder ständiger Kühlung bedürfen, damit sie in der Halle nicht kollabieren. Und ihre Nachkommen wiederum sind allesamt Halbgeschwister. Die hiermit verbundene Verkleinerung des Genpools stellt einen weiteren Grund dafür dar, warum nahezu wöchentlich neue Erbkrankheiten bekannt werden.

Und während Frau P. um ihre „Yvette“ trauert und mir am Telefon erzählt, wie sehr sie es ärgere, wie die Krankheit von Züchtern und Verbänden immer noch verharmlost und verheimlicht wird, schaue ich „Pugsley“ an, meine Deutsche Dogge, und muss froh sein, dass er für sein Alter noch so gut drauf ist.

Denn am Ende sind wir alle Kinder dieser Zeit. Und eine Bulldogge sieht einfach unglaublich süß aus. So lange man nicht zuhören muss, wie das arme Tier um Luft ringt. Während sich Züchter, Zuchtverbände und besonnene Tierärzte darüber in den Haaren liegen, ob es sich bei den Tieren nun um eine Ikone oder um eine Qualzucht handelt, wird eine Studie veröffentlich, nach der die Hälfte der vorstellig gewordenen kurznasigen Hunderassen regelmäßig nach dem Fressen umfällt.

Als ich „Pugsley“ kaufte, war ich begeistert von den sensiblen Riesen und mir war sogar klar, dass die Lebenserwartung Deutscher Doggen geringer ist als die anderer, kleinerer und genetisch variablerer Rassen. Mein Irrtum lag darin zu glauben, dass mein Hund einfach früher altert. Das er nie wirklich gesund war, musste ich im Laufe der Zeit lernen.

Mit den Jahren wird man ja schlauer. Und obwohl ich auch heute noch Doggen-begeistert bin, wird „Puglsey“ die einzige bleiben, mit der ich mein Leben teile.

Denn am Ende unterstützen wir alle – und ich mit „Pugsley“ sowieso – eine ganze Industrie, die es garnicht gäbe, wenn unsere Rassehunde gesund wären.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde, die nie geboren geschweige denn gezeugt worden wären, wenn es nicht die künstliche Befruchtung und die Möglichkeit der Kaiserschnittgeburt gäbe.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde aus, die Spezialfuttermittel benötigen, um ein einigermaßen erträgliches Leben führen zu können.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde aus, die wir vor Wärme, Kälte und Feuchtigkeit schützen müssen, damit sie nicht sterben.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde aus, die ohne schlechtes Gewissen und in purer Absicht krank gezüchtet werden, weil genau diese Krankheit dem Ideal der Rasse entspricht.

Der Gewinner des Spiels ist die Industrie: Die Züchter und Zuchtverbände, die trotz „Pedigree Dogs Exposed“ und anderen immer noch die Augen vor dem Problem verschließen. Und die Tierärzte, die Futtermittelhersteller und die Pharmaindustrie, die Milliarden mit den Hunden umsetzen und trotz ihrer unbestrittenen Macht schön den Ball flach halten, um ihre Gewinne nicht zu gefährden.

Verlierer sind die Hunde, die oft trotz aller Liebe und Fürsorge ein Leben führen, welches zumindest im Graubereich der Tierschutzrelevanz stattfindet.

So muss ich, so müssen wir uns die Frage stellen, ob wir Hunde brauchen, die auf Gedeih und Verderb ins Extreme gezüchtet werden.

Brauchen wir Hunde, die so klein sind, dass sie sich den Schädel brechen, wenn sie vom Sofa fallen? Brauchen wir Hunde, die in ihrem ersten Lebensjahr das 200-fache ihres Geburtsgewichtes zunehmen? Brauchen wir Hunde, die nicht in der Lage sind, sich alleine fortzupflanzen oder ohne Hilfe ihren Nachwuchs auf die Welt zu bringen? Brauchen wir Hunde, deren Schönheitsideal ein offener Rücken ist? Brauchen wir Hunde, denen so viel Fell angezüchtet wurde, dass sie nicht mal mehr kacken können, ohne dass man sie danach baden muss? Hunde, die kein Fleisch mehr vertragen? Die nicht mehr bellen können? Die immer und ständig entzündete Augen haben? Die mit ihrem Bauch immer auf dem Boden schleifen? Die nicht mehr in der Lage sind, mit Artgenossen zu kommunizieren?

Wir sollten uns ernsthaft fragen, wie es heute noch möglich sein kann, dass immer noch ein Markt für diese Hunde existiert. In Zeiten von Internet und Smartphone kann sich jeder immer und überall informieren. Überall kann man von der Macht des Konsumenten lesen, wir haben es in der Hand, bestimmte Rassen einfach nicht mehr zu kaufen.

Die Züchter zu unterstützen, die Wert auf Gesundheit und ein ausgeglichenes Wesen legen und diejenigen abzustrafen, deren einziges Ziel es ist, vermeintliche Schönheit zu vermehren. Sollen diese Unmenschen doch auf ihren Hunden sitzen bleiben.

Denn wenn sich rumspricht, dass den Menschen Gesundheit wichtiger ist als eine möglichst kurze Nase, dann werden sich die Rassen verändern. In dem Moment, in dem es ans Eingemachte geht, werden Frischbluteinkreuzungen plötzlich kein Problem mehr sein, dann werden innerhalb kurzer Zeit die Nasen länger, das Fell kürzer, die Riesen kleiner und die Zwerge größer.

Bis dahin bin ich froh, dass Pugsley noch so fit ist.

Der „Geldmach“-Trieb

Hierzulande gibt es ja in etwa so viele Hundeschulen wie es Pizzabuden gibt. Ein bedeutender Unterschied zwischen dem Anbieter von Hundetraining und dem von Pizza ist jedoch, dass man in Falle des Zweiteren spätestens dann bemerkt, dass die Qualität nicht ganz so super war, wenn man die Nacht auf dem Klo verbracht hat. Im Falle der Hundeschule dauert das meistens länger.

Doch das soll sich nun ändern. Denn mit der Novellierung des TierSchG müssen endlich auch solche Menschen ihre Sachkunde nachweisen, die Menschen auf der Hundewiese Ratschläge gegen Geld geben. (Ich würde mir ja auch eine Sachkunde für Menschen wünschen, die ungefragt Ratschläge auf der Hundewiese geben …)

Das finde ich gut, denn viel Ungemach könnte verhindert werden, wenn es für Hundetrainer so etwas wie einen Minimalstandard geben würde. Das wurde zwar oft versucht, aber auf Grund der speziellen Herzlichkeit zwischen den verschiedenen Hundetrainerausbildern hat es nie so recht geklappt.

Zwar kann man sich zum Beispiel von den Tierärztekammern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zertifizieren lassen, aber die schon Bundestierärztekammer scheint dem Braten selber nicht zu trauen und empfiehlt lieber den Gang zum Tierarzt.

Viele Kolleginnen und Kollegen sind erstmal ratlos, was da auf sie zukommt, was auch kein Wunder ist.

Schließlich wissen die Veterinärämter in Moment selber noch nicht, wie die Sachkunde umgesetzt werden soll. Auf Beamtendeutsch heisst es schön, dass „es noch keinen Handlungsleitfaden“ gäbe und man hört schon munkeln, dass es auch mit dem 1. August 2014, an dem das Gesetzt greifen soll, etwas knapp werden könnte.

Dieser Umstand wiederum hält einige Anbieter von Fortbildungen im Hundebereich nicht davon ab, kräftig die Werbetrommel dafür zu rühren, dass sie besorgte Hundetrainer/innen – natürlich gegen Zahlung eines entsprechenden Beitrages – auf die Sachkunde vorbereiten.

Wohlgemerkt auf die Sachkunde, von der noch keine Sau weiß, was genau abgefragt wird. Das nenne ich Service.

Ein paar Veterinärämter befeuern das Ganze noch, in dem sie – quasi weil sie auch noch nichts wissen – schonmal den einen oder anderen Anbieter empfehlen. Schliesslich machen die was mit Hunden, also muss das ja irgendwas mit den Ergebnissen zu tun haben, die dann irgendwann folgen.

Halten wir also fest, dass man viel Geld für Workshops, Seminare etc. ausgeben kann, ohne dass irgendjemand zum jetzigen Zeitpunkt abschätzen könnte, welchen Inhalt diese Veranstaltungen haben müssen, damit sie weiterhelfen.

Soweit, so gut und obendrein merkwürdig, dass sich ein paar Behörden vor den werblichen Karren von wirtschaftlich orientiert arbeitenden Unternehmen spannen lassen.

Apropo wirtschaftlich orientierte Unternehmen.

In Deutschland gibt es – auch wenn man das oft nicht glauben kann – eine strikte Trennung zwischen Wirtschaft und Staat. Aus diesem Grunde verfügt jede Branche, die etwas auf sich hält, über Lobbyisten, die versuchen, der Politik die Interessen ihrer Auftraggeber unterzujubeln. Kommt heraus, dass ein Politiker oder ein Beamter ein Unternehmen begünstigt, gibt es massiven Ärger für den Betreffenden

Das wiederum heißt im Klartext nichts anderes, als dass es den Veterinärämtern herzlich egal sein wird, wo man sein sauerverdientes Geld hingetragen hat, um sich möglichst umfassend fortbilden zu lassen.

So wertvoll und wichtig es ist, sich weiterbilden zu lassen, so wenig wird es einem weiterhelfen, wenn es darum geht, die Sachkunde zu erhalten, wenn man seinem Amtsveterinär sein Zertifikat oder was auch immer vor die Nase hält.

Auch das ist gut, schließlich kann es nicht Sinn der Sache sein, mit der Umsetzung eines Gesetzes irgendeiner Firma zu Reichtum zu verhelfen. Außerdem kann die Qualität eines Hundetrainers nicht daran festgemacht werden, ob er oder sie ein paar Tausend Euro für eine Fortbildung übrig hatten oder nicht.

Insofern werden demnächst einige gute Kolleginnen und Kollegen stolz ihre Sachkunde in Händen halten, obwohl sie nie die finanziellen Mittel oder die Zeit zur Verfügung hatten, teure Ausbildungen zu absolvieren.

Auf der anderen Seite werden wohl auch einige ganz schön fluchen, denn während sich die verschiedenen Hundetrainerausbilder in Villariba noch darum prügeln, welches Zertifikat denn nun der heilige Gral des Hundetrainngs ist, wird in Villabacho schon dem mittlerweile wertlosen Papier hinterhergeheult, weil es nicht anerkannt wird.

In Anbetracht der Flut von zweifelhaften Angeboten, panischen Rundmails und ellenlanger Diskussionen bei Facebook kann ich nur eines empfehlen:

Immer locker durch die Hüfte atmen!

Die allermeisten Veterinäre sind umgänglich und – auch wenn so mancher Tierschützer das anders sieht – sehr engagiert. Wenn man also einen guten Job macht und mit seinen Ansprechpartnern vernünftig umgeht, hat man auch nichts zu befürchten. Und für eine wie auch immer geartete Prüfung fortbilden lassen kann man sich immer noch, wenn es soweit ist

Andernfalls, wenn es mit der Sachkunde nicht klappt, ist es vielleicht besser, wenn man sich eine andere Tätigkeit sucht.

Fataler Doppelbesatz (3)

Nachdem ich mich zunächst mit der Geschichte von Frau Ertel und einigen – meiner Meinung nach – fragwürdigen Ansichten und Regeln für das Zusammenleben mit dem Hund auseinandergesetzt habe, möchte ich mich in diesem dritten Teil mit vermeintlichen Beweisen und den Menschen beschäftigen, die die Rudelstellungen betreiben.

Zur Zeit erleben die vererbten Rudelstellungen so etwas wie einen Hype, was zum Einen daran liegt, dass die Hundeflüstererin Frau Nowak diese Philosophie in der gleichnamigen Sendung vertritt.

Zum anderen wird im Moment von Seiten der Rudelstellungsverfechter gerne auf eine Studie verwiesen, die den vermeintlichen Beweis antreten soll, dass die vererbten Rudelstellungen wissenschaftlich belegbar sind.

Die Studie mit dem schönen Namen „Leadership and Path Characteristics during Walks Are Linked to Dominance Order and Individual Traits in Dogs“ kann im Internet nachgelesen werden und ist leider nur auf Englisch verfügbar.

Die Wissenschaftler haben mittels GPS-Daten Bewegungsmuster einer Hundegruppe bestehend aus 5 Vizslas und einem Mix sowie ihres Besitzers bei 14 Spaziergängen zwischen 30 und 40 Minuten erstellt und dabei gut 800.000 GPS-Punkte gesammelt.

Um die Persönlichkeiten der Tiere zu quantifizieren bedienten sich die Forscher zum einen des sogenannten „Dog Personality Questionnaire“ und des „Dominanz-Fragebogens“ aus der Studie „How does dominance rank status affect individual and social learning performance in the dog (Canis familiaris)?„.

Sehr viel Arbeit also, doch allein die Tatsache, dass es sich bei den Erforschten um exakt eine Gruppe von Hunden handelt, lässt vrmuten, dass es den Wissenschaftlern nicht um die Rudelstellungen gegangen sein kann.

Meiner Meinung nach beschreibt diese Arbeit – grob zusammengefasst – lediglich das, was eigentlich alle wissen, nämlich dass Hunde hochindividuell und anpassungsfähig sind und dass es unterschiedlichste Persönlichkeiten mit ihren jeweiligen Eigenarten gibt. Hierbei gibt es „Führungspersönlichkeiten“ genauso wie es Individuen gibt, die „folgen“.

Soweit sogut, mit vererbten Rudelstellungen hat die Studie meiner Meinung nach also nichts zu tun, aber ich bin ja auch kein Biologe.

Aber dafür eine gute Bekannte von mir, die so nett war und das Ganze auch noch mal hinsichtlich der vererbten Rudelstellungen durchforstete.

Sie kam schließlich zu dem selben Schluß, nämlich das aus den Ergebnissen der Studie nicht auf die Theorien der vererbten Rudelsstellungen geschlossen werden kann.

Soweit zur Theorie, aber es gibt ja unzählige Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht wissenschaftlich erklärbar sind.

Daher bleibt als Bewertungsgrundlage nur das, was die Verfechter der vererbten Rudelstellungen von sich geben, wenn sie Hunde einschätzen. Vor einigen Jahren hätte ich einmal beinahe selber das Vergnügen gehabt, unsere eigenen (Tierschutz-)Hunde bei Frau Ertel persönlich einschätzen lassen.

Dazu ist es jedoch nicht gekommen, dafür hatte ich ich vor knapp zwei Jahren mal die Gelegenheit, der Präsentation einer Rudelstellerin zu lauschen, zudem sind einige Menschen in meinem Freundeskreis das Wagnis eingegangen und haben ihre Hunde einschätzen lassen.

Als dritte Quelle dient mir das Forum auf Frau Ertels Internetseite, allerdings muss ich gestehen, dass ich keinen Zugriff mehr darauf habe. Verständlich, denn was man dort noch vor garnicht langer Zeit, bevor es Beschränkungen gab, so lesen durfte, war schon interessant.

Fazit: Man muss sich darauf einlassen – sozusagen sind die Rudelstellungen dei Globuli unter den Hundeerziehungsmethoden.

Die in verschiedenen Berichten genannte „Hundetauschbörse“ gab es zu dem Zeitpunkt – also vor ca. 2 1/2 Jahren –  tatsächlich, die zumeist weiblichen Nutzer schienen immer auf der Suche nach dem perfekten „Rudel“ zu sein. Da wurde mal hier ein Hund ausprobiert, da wurde mal da ein Hund eingeschätzt. Und wenn es nicht funktioniert hat, wurde er wieder abgegeben.

So war das Argument FÜR die Einschätzung von Tierheimhunden durch Frau Ertel auch, dass den Mitgliedern quasi egal wäre, welche Rasse oder welches Alter der Hund hätte, so lange er die gesuchte Position im Rudel einnehmen würde.

Das dem nicht so ist, konnte mir eine befreundete Tierheimleiterin bestätigen, bis Dato wurde bei ihr noch kein Hund vermittelt, weil er ein MBH oder sonstiges wäre.

Abgesehen davon, aber das ist meine persönliche Meinung, finde ich es grenzwertig, einen Hund einzig und allein auf Grund seines vermeindlichen Nutzen für ein nicht funktionierendes „Rudel“ anzuschaffen.

Mindestens genauso grenzwertig fand ich die Diskussionen, wenn es mit dem perfekten Rudel nicht so klappte.

Natürlich hat jeder das Recht, in einem persönlichen Forum die Regeln für die Streitkultur selber festzulegen, zusammengefasst wurden Kritikerinnen relativ schnell mit dem Stigmata der Ahnungslosigkeit belegt und ihnen – da isses wieder – unterstellt, dass sie sich nicht „einliessen“. Was auch immer das bedeuten mag.

Außerdem wurde immer gerne das Argument vorgebracht, dass die armen Hunde in ihrer wahren Persönlichkeit eingeschränkt würden und deshalb nicht ihrer Rolle gerecht werden dürften.

Nun leben wir in einer Welt, in der Hunde bestimmten gesellschaftlich aufoktruierten Regeln zu folgen haben. Da diese Regeln zumeist nicht viel mit den Vorstellungen unserer Hunde gemein haben, müssen wir sie wohl oder übel erziehen.

Und selbst in dem Moment, in dem wir versuchen nicht auf sie einzuwirken, tun wir es trotzdem. Frei nach dem ersten Axiom von Paul Watzlawick kann man nämlich nicht nicht kommunizieren, selbiges gilt für unseren erzieherischen Einfluss auf unsere Hunde.

Selbst wenn wir unseren auf Grund eines Fehlbesatzes an der Leine pöbelnden Hund einfach nur festhalten, haben wir uns schon eingemischt.

Aber man muss sich nunmal darauf einlassen. Und das ist genau mein Problem.

In einer Zeit immer neuer Methoden, die das Zusammenleben mit unseren Hunden erleichtern sollen, habe ich mir angewöhnt, erstmal zu hinterfragen.

  1. Auf welchen Studien, Quellen, Dissertationen etc. beruht eine Theorie?
  2. Werden die Ergebnisse durch andere Studien unterfüttert?
  3. Werden die Studien etc. vollständig wiedergegeben oder wird da was verschwiegen?
  4. Sind die Ergebnisse wiederholbar?

Im Falle der vererbten Rudelstellungen reicht eigentlich die Beantwortung einer der Fragen aus, um zumindest skeptisch zu werden.

Zumal die Einschätzungen nicht belastbar sind und im Zweifelsfalle auf die – störende – Einmischung des Menschen verwiesen wird. Allein die Tatsache, dass Hunde wieder abgegeben werden, obwohl sie per Einschätzung perfekt in die Gruppe passen müssten, zeigt doch, dass ein Sozialverband wesentlich komplexer ist, als dass man in in sieben Positionen unterteilen könnte.

Und wenn Frau Nowak einem völlig überforderten Besitzer eines ungebremsten Junghundes die Anschaffung eines zweiten empfielt, muss das schon als verantwortungslos bezeichnet werden.

Dennoch gibt es einige Menschen, die daran glauben, dass die Rudelstellungen tatsächlich funktionieren und ihre Meinung durch nichts, aber auch garnichts in Wanken bringen lassen.

Dabei ist die Einschätzung von Hunde-Persönlichkeiten sehr hilfreich, wenn es zum Beispiel darum geht, eine Gruppe im Tierheim zusammenzustellen. Doch wäre doch die Vorgehensweise, erst den Hund einzuschätzen und im Anschluss anhand der Ergebnisse individuell der Gruppe entsprechend ein Soziogramm zu erstellen.

Mit dem Ergebnis, dass Hund A beispielsweise in dieser Konstellation eine bestimmte Rolle einnimmt, in einer anderen aber vielleicht eine völlig andere. Warum man erst den Schuhschrank baut und dann versucht, die Schuhe da rein zu stopfen, erklärt sich mir nicht.

Sehr wohl verstehen kann ich indes, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, Hilfe zu erfahren, dass sie verzweifelt sind und vielleicht sogar Schuldgefühle in sich tragen.

Und im Bereich des Seelestreichelns sind die Rudelstellungen unschlagbar. Denn wenn es unter den Hunden nicht klappt, dann liegt das nicht an fehlenden Management-Qualitäten des Halters, sondern an der ungünstigen Konstellation des Rudels.

Nicht nur, dass der Mensch aus seiner Verantwortung heraus entlassen wird, nein, im Falle der Rudelstellungen ist das Entziehen der eigenen Persönlichkeit sogar ausdrücklich erwünscht.

Fragen, die sich jeder Mehrhundehalter stellt, nämlich ob ein Hund vielleicht zu kurz kommt und wie man allen gerecht werden kann, können beruhigt vergessen werden.

Laut Frau Ertel und anderen Rudelstellerinnen tut menschliche Fürsorge den Hunden nämlich garnicht so gut, wie wir denken – ganz im Gegenteil, sie hindert die Vierbeiner in ihrer Entwicklung.

Dass die Entwicklung unserer hochanpassungsfähigen Hunde in den letzten Jahrzehnten hin zu Sozialpartnern, die ja auch züchterisch vorangetrieben wird, dabei ausser Acht gelassen wird, finde ich nicht unproblematisch.

Unter diesem Gesichtspunkt allerdings verstehe ich sehr gut, dass einige Menschen, die sich mit der Anschaffung mehrerer Hunde vielleicht übernommen haben, die vererbten Rudelstellungen für sich entdeckt haben.

Alle anderen aber, die verstehe ich nicht.

Die Hüte-Tussi

Es wird Frühling und das ist eigentlich gut. Nur habe ich ein kleines Problem – sein Name ist Barney und ist vor ein paar Wochen bei uns eingezogen. Barney ist ein Borderline-Collie mit ein paar kleinen aber uncharmanten Macken.

So zeigt er die ausgezeichneten Eigenschaften dieser tollen britischen Koppelgebrauchshunde. Fixieren, in Deckung gehen und blitzschnell losstarten. Nur eben nicht in den schottischen Hihglands an einer 1000-köpfigen Schafherde, sondern bei Autos, Radfahrern, Spaziergängern, ICEs und Rollerbladern. Und – diese Erfahrung haben wir heute gemacht – bei startenden Rettungshubschraubern, aber denen begegnet man ja nicht allzu oft.

Wenn Barney nicht gerade todbringende Fahrzeuge zu hüten versucht, frisst er für sein Leben gern – blöderweise sich selber. Aber naja.

All das ist nicht neu und jeder Hundetrainer, der sich mal mit Border Collies beschäftigen durfte weiss, dass Genie und Wahnsinn bei solchen Spezialisten oft eng beieinander liegen.

Das kriegt man hin und mittlerweile läuft es auch schon besser … Aber:

Mein Problem ist eher anders gelagert. Denn Barney hat die Eigenheit, dass er jeden noch so geringen Hauch von – nennen wir es Einwirkung – mit einem lautstarken Jaulen und Schreien quittiert.

Und ich schreibe nicht über körperliche Einwirkung, nein, es reicht, wenn Barney sich selber im Weg steht. Ein Beispiel:

Neulich war ich mit Barney beim Tierarzt. Als wir ins Wartezimmer kamen, berührte Barney mit einem Hauch von Fell die Tür und jaulte so laut auf, dass die Tierärztin aus dem Behandlungszimmer gestürmt kam, weil sie glaubte, dass jemand mit einem Notfall reingestürmt gekommen wäre.

Glücklicherweise kannte sie sich aus und sagte beruhigt: „Achso, ein Border Collie.“

Es wäre nicht so, dass Barney ein besonders feingeistiger und sensibler Hund wäre. Nein, das ist Masche. Und ich könnte wetten, dass ich schonmal beobachtet habe, wie er mich heimlich ausgelacht hat, als ich mich mal wieder rechtfertigen durfte.

Sähe Barney aber zum Beispiel einen Tennisball hinter einer Rolle Natodraht, so bin ich mir sicher, dass es ihm die Stacheln scheißegal wären. Wenn er etwas will, dann wird er stumpf wie ein Klischee-Labbi und rumpelt alles um. Zum Beispiel wenn es um Hündinnen geht, die entweder gerade läufig sind, es mal waren oder irgendwann werden. Oder um Rüden. Gucken die ihn auch nur böse an, schreit er übrigens auch wie angestochen und ergreift die Flucht, präventiv quasi. Nur um dann grad nochmal angedödelt zu kommen.

Nun ist Barney nicht ohne Grund bei mir. Denn meine Idee war es, dass er meine Schafe hüten soll. Immerhin entstammt er einer Arbeitslinie und zeigt sich prinzipiell auch interessiert an den Schafen. Naja, eigentlich vielmehr an dem, was die so ausscheiden.

Trotzdem habe ich ihn mitgenommen zu Tom, der Border Collies ausbildet und mich mit den Worten begrüßte: „Ist das eine Hündin?“ Damit war er nicht der einzige. ALLE halten Barney für eine Hündin, als ich neulich einen unserer Welpen dabei hatte, wurde ich auch prompt gefragt, ob Barney die Mutter wäre.

Pff, ich stelle mir vor, wie die Welpen an die Milchleiste wollen und Barney schreiend wegrennt, weil die Nasen so kalt sind.

Vielleicht liegt diese Verwechslung darin begründet, dass Barney ein bisschen, nunja, tussimäßig rüberkommt. So überkreuzt er immer die Beine, sogar wenn er Schafe hütet und ins „Lie Down“ geht. Weniger diplomatische Geister finden bei Anblick von Barneys „Style“ minderheitendiskriminierende Redewendungen, aber die gebe ich hier nicht wieder.

Es ist allerdings faszinierend, wie sich solche Hunde wie Barney in kürzester Zeit ändern, wenn sie einmal gemerkt haben, wofür sie mal gezüchtet wurden. Arbeitet er an der Herde sind ihm vorbeirasende Autos herzlich egal, können ganze Armadas von Roller Bladern an ihm vorbeiziehen und ernten maximal ein „Pfft“ von ihm.

Sind keine Ziegenartigen in der Nähe sieht das Ganze etwas anders aus.

Heute mittag ging ich mit Barney in einer auf Grund des schönen Wetters stark frequentierten Grünanlage spazieren. Um uns herum all die schönen Dinge, die man als „auslösenden Reiz“ bezeichnet. All die Radfahrer, Jogger, Nordic Walker, der startende Rettungshubschrauber – kurz, eigentlich alles, was sich bewegt, mal bewegt hat oder unter Umständen bewegen könnte. Barney würde die Kontinentalspalte hüten, wenn man ihn ließe.

Und natürlich die üblichen Hundebesitzer.

Mit einem Hund wie Barney in einem solchen Umfeld unterwegs zu sein, ist eh schon die Pest am Bein anspruchsvoll, ein einziges Gezerre, Gehechel und Gefiepe, nur unterbrochen von fürchterlichen Gejaule, weil so ein verdammter Grashalm es gewagt hat, Barney am Bauch zu kitzeln oder er mal wieder planlos ins Ende der Leine gerannt ist.

Dieses wiederum wird mit den düsteren Blicken aller Anwesenden gestraft, ich bin mir sicher, dass sogar der Blinde auf der Parkbank seinen Blindenführhund angewiesen hat, mich böse anzugucken.

Reglementieren? Hier? Bin ich bekloppt?

Das schöne an der Sache ist allerdings, dass man mit Barney jede noch so positiv arbeitende TsD-Fundamentalistin als elende Tierquälerin dastehen lassen kann, weil der gute selbst auf den sanftesten Geschirrgriff mit qualvollen Sterben reagieren würde.

Und so dauerte es auch nicht lange, bis mich die erste junge Frau anfauchte: „Wie könn’se nur so brutal mit dem Hund umgehen?“

Ich überlegte kurz und antwortete: „Sie machen sich Sorgen um den Hund? Machen Sie sich lieber Sorgen um meine Frau!“ Das hatte gesessen. Ruhe im Karton, danke an Schäfer Franz für den Tipp.

Trotzdem wünsche ich mir, dass es noch mal richtig kalt wird, so Minus fünf Grad wären gut. Zum einen wären dann weniger Leute unterwegs, Vor allem aber könnte ich mit Kaputzenpulli, Schal und Sonnenbrille einigermaßen entspannt die Mittagspause geniessen.