Der Hütitüti-Schluckauf
Schon vor einiger Zeit habe ich mir abgewöhnt, Hundeforen oder -gruppen im Internet aufzusuchen. Denn allzu oft passiert es, dass ich mich auf meine Hände setzen muss angesichts der teils abenteuerlichen Tipps, die da so zu finden sind.
Würde ich jedes Mal in die Tastatur greifen, wenn ich mich mal wieder aufrege, hätte das nichts anderes zur Folge, als dass
a) ich keine Zeit für irgendwas anderes mehr hätte
b) der erste Herzinfarkt in großen Schritten näher käme
c) F. irgendwann ausziehen würde.
Also lasse ich es. Naja, meistens.
Denn manchmal kann man garnicht anders. So wie neulich, als ich mich bei diesem großen blauen sozialen Netzwerk in eine Gruppe verirrt hatte, die es sich zur Aufgabe macht, Hütitütis an den Mann oder die Frau zu bringen, die vermutlich versehentlich als Familienhund vermittelt wurden.
Dort fand ich einen „Threat“, in dem jemand seine Probleme mit dem hauseigenen Border Collie schilderte, dass dieser alles fixieren, Kinder, Autos, Schmetterlinge und hyperaktive Schnecken „hüten“ und Fremden gegenüber auch mal die Zähne einsetzen würde.
Und da stand es, sozusagen schwarz auf weiß von einer Userin in den Äther geblasen:
„Wer einen Border Collie halten möchte, muss lernen mit diesem Verhalten zu leben. Schließlich wurden sie dafür gezüchtet, alles zu hüten.“
Ich las diese beiden kurzen Sätze und bekam kurzfristig Ganzkörperherpes, gefolgt von einem Schluckauf, den ich seit dem nicht mehr loswerde, sobald ich an diese Aussage denke.
Diese Aussage, gute Frau, ist aus vielerlei Gründen blödsinnig und schlicht falsch! Und für die Tatsache, dass Sie so einen Dummfug für etwa ein Achtel der Weltbevölkerung gut lesbar bei Facebook hinterlassen, würde ich Sie am liebsten aversiv anstupsen! So.
- Kein Border Collie wurde je dafür gezüchtet, irgendetwas zu hüten. Denn das, was die Tierchen da tun hat nischt aber auch jaanischt mit „hüten“ zu tun. Denn der Koppelgebrauchshund als solcher treibt das Vieh. Die Engländer, die ja ein kluges Völkchen sind, nennen den Border Collie deshalb auch „Sheep Dog“ oder „Herding Dog“ und den Hütehund „Tending Dog“ oder „Shepherd Dog“. Aber genug klug geschissen. Vielleicht meinen Sie ja eigentlich das Treiben.
- Trotzdem, selbst, wenn er den Nachwuchs ins Kinderzimmer treibt anstatt ihn zu hüten, wurde kein Border Collie dafür gezüchtet, an Kindern, Autos oder sonstwas zu arbeiten.
Tatsächlich ist es so, dass diese Hunde dazu neigen, unbestimmten Bewegungsreizen nachzugeben. Diese Disposition zu managen ist wiederum Aufgabe des Besitzers.
Ich kenne zig Besitzer von Border Collies – solche, die mit den Hunden an Schafen arbeiten und solche, die es nicht tun – die keine derartigen Probleme mit ihren Hunden haben. Der Grund dafür ist einfach. Diese Menschen haben eben nicht eingesehen, dass man mit einem solchen Verhalten leben muss, sondern haben ihren Hund erzogen.
Es ist verrückt.
Der Besitzer eines Jack Russel Terriers muss die angeborene Disposition seines Hundes managen, der Border Collie-Besitzer muss lernen, damit umzugehen. Dabei stammen beide Verhalten – das Hetzen, Packen und Töten der Beute genauso wie das Fixieren und Anschleichen – aus ein und dem selben Funktionskreis, nämlich dem Jagen und damit dem stoffwechselbedingten Verhalten.
Das könnte wiederum ein Hinweis darauf sein, warum diese Verhalten mit Spiel genauso viel gemein haben könnte wie mein morgentlicher Gang zur Toilette.
Doch zurück zum Border Collie. Die Aufgabe, nämlich das rassetypische Verhalten zu managen, kann mitunter tatsächlich schwierig bis unmöglich werden. Zum Beispiel dann, wenn man sich einen Hund aus einer VDH-Zucht kauft.
Innerhalb des VDH zeichnet sich der Club für Britische Hütehunde für den Border Collie verantwortlich.
Ein Club, dessen Mitglieder solche Dinge behaupten wie, das ein Border Collie nicht rollhaarig sein darf, weil es in Schottland so oft regnet. Naja gut, der selbe Club behauptet auf seiner Internetseite auch, dass die Shetlander den Sheltie gezüchtet hätten, weil sie zu den winzigen Shetlandponies und den noch winzigeren Shetlandsheeps eben ganz besonders winzige Hunde gebraucht hätten. Überhaupt, die Shetländer, ein außerordentlich kleines Volk mit großen behaarten Füßen, dessen Hauptstadt Michelbinge heißt …
Die Züchter des „CfBrH“, wie der Verein abgekürzt heißt, züchten gemäß des Rassestandards der FCI, also der Fédération Cynologique Internationale.
Das sechseitige Dokument inklusive Illustration beschäftigt sich in exakt 18 Worten mit den gewünschten Verhalten des Hundes, nämlich:
Zu harter und ausdauernder Arbeit fähiger Hund von guter Führigkeit; aufgeweckt, aufmerksam, empfänglich, intelligent, weder nervös noch aggressiv.
Im restlichen Text erfahren wir zum Beispiel, dass der Nasenschwamm bitte schwarz zu sein hat – mit Ausnahme bei braunen oder schokoladenfarbigen Hunden, da darf er braun sein. Jedes, aber auch jedes Schaf auf dieser Erde verliert in der Sekunde den Respekt vorm Sheepdog, in dem es feststellt, dass er einen fehlpigmentierten Nasenschwamm hat! Nicht.
Irgendwie ist den Verantwortlichen dann aufgefallen, dass die paar Wörtchen wohl ein bisschen wenig sind und haben dem letzten Absatz noch einen weiteren Halbsatz (in fett) hinzugefügt:
Jede Abweichung von den vorgenannten Punkten muss als Fehler angesehen werden, dessen Bewertung in genauem Verhältnis zum Grad der Abweichung stehen sollte und dessen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Hundes und seine Fähigkeit, die verlangte rassetypische Arbeit zu erbringen, zu beachten ist.
Die Aufnahme in die FCI hat noch keiner Rasse gut getan, beim Border Collie und anderen Gebrauchshundetypen ist es jedoch nahezu absurd, einen Standard festzulegen, der beschreibt, wie das Tierchen bitteschön auszusehen hat.
Aber schlimmer geht ja bekanntlich immer.
Wenn ein Schäfermeister zwei Hunde miteinander verpaart, dann legt er Wert darauf, dass die Elterntiere bestimmte Eigenschaften mitbringen, die später bei der Arbeit am Vieh hilfreich sind.
Im Falle des Border Collies wären das zum Beispiel neben anderen das Fixieren in Verbindung mit dem Anpirschen („Eye and Style“), gepaart mit dem entsprechenden Druck am Vieh, der dann gerne mal als „Power“ bezeichnet wird.
Gemäß Mendel’scher Vererbungslehre stehen die Chancen dann gut, dass die Nachkommen die gewünschten Eigenschaften an den Tag legen.
Ein Züchter, der sich dem Rassestandard verpflichtet fühlt, wird die Elterntiere nach den gewünschten äußerlichen Merkmalen aussuchen und versuchen, dem Standard möglichst nahe zu kommen – mit der Nebenwirkung, dass die hypertrophierten (also stärker ausgeprägten) Merkmale der Tiere ungünstig vererbt werden können.
So wird aus dem „aufgeweckten“, „aufmerksamen“ und „empfänglichen“ Hund unter Umständen ein hypernervöses Wrack mit Geräuschphobie und dem Hang zur genetisch bedingten Störung. Psycho + Psycho ergibt eben Psycho. Lass ihn doch Tapeten fressen, spart Futter …
Neben Ganzkörperherpes und Schluckauf bekomme ich dann hin und wieder hektische Zuckungen, wenn ich auf die Internetseite von „Stehohrbordercollies von Kleinpopelsdorf“ stosse.
Border Collies, aber die mit Stehohren bitte, waren übrigens die letzten Vertreter ihrer Rasse, die dem Meer entstiegen sind. Deshalb auch die Stehohren, denn der Hund soll ja empfänglich sein … Wie das Rollhaarverbot mit den erlaubten Stehohren einhergehen soll, bleibt mir derweil ein Rätsel. Immerhin regnet es da rein – und in Schottland, das wissen wir ja …
Das muss natürlich nicht bedeuten, dass alle Hunde, die rein auf äußerliche Merkmale hin verpaart werden, unbedingt problematisch werden müssen, aber die Gefahr ist größer als bei Verpaarungen, bei denen das Verhalten im Vordergrund steht.
Vorausgesetzt, die hübschen Tierchen sind nicht schon von Geburt an bekloppt, gibt es jede Menge Möglichkeiten, dies nachzuholen – teilweise mit einem Eifer, der vermuten lässt, dass es Zulieferverträge zwischen Züchtern und Hundetrainern geben muss.
Wirft man zum Beispiel einen Blick auf die Internetseite einer beliebten Züchterin, findet man jede Menge herzzereißender Videos, in denen die kleinen Scheißer schon im Alter von Sechs Wochen munter irgendwelchen Objekten hinterher trampeln Niedlich. 250 Personen gefällt das.
Den späteren Welpenkäufern allerdings nicht unbedingt, die sich dann mit monochromen Plüschkugeln rumschlagen müssen, die mit 10 Wochen jedem Auto hinterher machen. Und dann zur Erklärung zu hören bekommen, dass sich das von alleine erledigt.
Das, was da passiert, nämlich das unkontrollierte Hetzen von unbelebten Objekten, bezeichnen viele Menschen als „Spiel“. Viele Hundetrainer, Tierärzte und Ethologen bezeichnen so etwas als problematisch.
Denn, und das dürfte sich mittlerweile bis ins letzte Hundeforum durchgesprochen haben, das Jagdverhalten ist selbstbelohnend. Der Hund, der jagt, wird mit körpereigenen Endorphinen zugeschüttet, der Begriff Endorphin ist eine Wortkreuzung aus endogenes und Morphin sagt Wikipedia und trifft den Nagel auf den Kopf.
Anders als von diversen TsDlern propagiert sind diese Endorphine sehr wirkungsstark und der Versuch, einen Hund mittels Leckerchen-Belohnung aus dem Jagen zu holen (unterbrechen sagen wir nicht, denn das ist Pfui! Achja, und „Tscht“ sagen wir nicht, weil das Geräusch den Hund bei seiner Urangst vor der Schlange packt, genau) vergleichbar ist, wie Sie mit einem trockenen Knäckebrot vom Sex abzuhalten (vergl. Krawallmaus). Aber egal.
Im Normalfall wird jeder Hund im Laufe seiner Entwicklung früher oder später mit der glücklich- und süchtigmachenden Wirkung des Jagens konfrontiert.
Der Welpe indes probiert sich bereits im Spiel aus, allerdings noch verschwurbelt mit jeder Menge anderer Verhaltensweisen, die so ein kleiner Pups lernt. Erst im Laufe der Zeit lernt er die verschiedenen Verhalten voneinander zu trennen und sozusagen nach Funktionskreis zu sortieren. Er lernt (im besten Fall), dass man Artgenossen nicht hetzt, packt und tötet und das man seiner Beute nicht vorher lautstark zu verstehen gibt, dass man sie gleich fressen wird.
Wird ein junger Hund jedoch schon sehr früh und einseitig mit jagdlichen Reizen konfrontiert, so wird die arme Maus (so nennt man die doch) mit den körpereigenen Belohnungssystemen im wahrsten Sinne des Wortes vollgeballert, obwohl das Tier vom Entwicklungsstand her noch garnicht in der Lage ist, damit umzugehen.
Verrückt, würden Sie heute abend auf der Straße einen 11-jährigen treffen, der sturzbetrunken ist, würden Sie sich fürchterlich aufregen. Der viermonatige Hütitüti der morphingeschwängert einer wertlosen Filzkugel hinterhetzt, als wenn es kein Morgen gäbe, den youtubet man und genießt die „Oh Cuuuute“-Kommentare …
Anders als die Hundebespaßungsindustrie uns glauben machen will, braucht ein Border Collie (oder irgendeine andere Rasse) keinen Agility-Vorbereitungskurs für Welpen, nein, rein genetisch betrachtet ist es für einen Hund, der dafür gezüchtet wurde, den Outrun quasi per Disposition mitzubringen, eher widersinnig, einen Parcours zu absolvieren.
Die erste Lektion des Border Collie-Welpen: Nicht glotzen! Gefolgt von der zweiten Lektion des Border Collie-Welpen: Immer noch nicht glotzen. Schafe (und anderes Vieh) sind im ersten Jahr tabu, die bekommt er nicht zu Gesicht. Achwas, er bekommt nicht mal Lamm & Reis!
Dann mit etwa einem Jahr stehen da auf einmal diese komischen Tiere, machen „Mäh“ und hassenichgesehn – jetzt darf er. Mehr brauch er nicht. Vorausgesetzt, man möchte einen Hund haben, der adäquat am Vieh arbeitet.
Möchte man einen Hund haben, der Familienbegleiter ist, dann lautet die erste Lektion immer noch: Nicht glotzen!
Nur mit dem Unterschied, dass man das angeborene Verhalten tatsächlich bis in alle Ewigkeit managen muss, ohne einen adäquaten Einsatz für das Tier bieten zu können. Zu glauben, man könnte ihm irgendetwas anderes vorsetzen, der irrt bzw. glaubt dem Marketing der Hundeschulen. Kein Hund geht zum Treibball und sagt „Mensch, eigentlich werde ich ja seit Jahrhunderten für die Arbeit am Vieh gezüchtet, aber hey, so ein paar Bälle in ein Handballtor treiben, das ist viel cooler!“
Auch wenn der eine oder andere ISDS-Anhänger nun meinen sofortigen Tod fordert, für Familien mit Border Collie-Anspruch könnten verantwortungsvolle Züchter genau solche Exemplare verpaaren, die das typische Verhalten weniger stark ausgeprägt zeigen. Mit dem Nachteil, dass auch untalentierte Border Collies nicht unbedingt dem Rassestandard entsprechen. Die hätten dann vermutlich Rollhaar, da regnet es durch …
Die Engländer, ich erwähnte schon, was für ein pfiffiges Volk das ist, nennen solche Hunde dann übrigens „Pet Dog“. Und Pet bedeutet neben „Haustier“ eben auch „streicheln“. Und auch das wäre ja ein tolles Leben für einen Hund.
Doch so lange auf der einen Seite Hunde in erster Linie auf Schönheit hin selektiert, Verhalten nur eine Nebenrolle bei der Zucht spielt, die Tiere ungünstig sozialisiert und wie lebendige Sportgeräte behandelt werden, hat die Dame bei Facebook wohl nicht ganz Unrecht:
Dann muss man wohl damit leben. Eigentlich schade.