Eines der beliebtesten Ziele deutscher Facebook-User ist Rumänien. Zumindest, wenn es darum geht, Vorurteile zu pflegen und ausländerfeindlichen Stimmungen freien Lauf zu lassen. So sind es „die Rumänen“, die massenweise hierzulande „einfallen“, weil sie die Frechheit besitzen, von ihrem Recht als als EU-Bürger Gebrauch zu machen und in Deutschland tatsächlich arbeiten zu wollen. Schnell sind piefige Politiker und noch piefigere Medienmenschen dabei und reden den Untergang des Abendlandes herbei. Es werden schnell mal Kamerateams zum „Problemhaus“ nach Duisburg geschickt, um möglichst plastisch darzustellen, was uns demnächst erwartet. Das gerade dieses Haus schon lange, lange Zeit, bevor rumänische Bürger dort „einfielen“, nicht gerade ein Hort der guten Nachbarschaft war, wird indes verschwiegen.
Sofort fanden sich denn auch bei Facebook jede Menge Idioten User, die munter jedes noch so blöde Vorurteil nachplapperten, aus jeden Rumänen erstmal einen klauenden und stinkenden „Zigeuner“ machten und in allerlei Theorien von der massenweise Ausbeutung des Sozialstaates phantasierten. Nur dass es eben bisher nicht dazu gekommen ist. Und Deutschland als „Einwanderungsland“ eben nicht den besten Ruf hat, auch nicht in Rumänien.
Aber das war ja der Wunsch der breiten Masse. Sollen die Rumänen doch da bleiben, wo sie sind. Und sich vielleicht beissen lassen. Von einem Streunerhund.
Gerade jetzt haben viele Tierschützer mal wieder Rumänien für sich entdeckt. Nach Spanien, Süditalien, der Ukraine und schliesslich Russland wird nämlich zur Zeit das ärmste Land der EU durch das moralingesäuerte Dorf gejagt.
Natürlich begleitet von grauenvollen Bildern, noch grauenvolleren Schilderungen und verbalen, menschenverachtenden Ausfällen, die scheinbar keine Geschmacksgrenze nach unten kennen.
Was war passiert? Anfang September wurde in Bukarest ein kleiner Junge von Straßenhunden angegriffen und tödlich verletzt. Die ersten Reaktionen der Menschen war ganz gut vergleichbar mit denen, die 1999 auf den tödlichen Beißvorfall mit dem kleinen Volkan hier in Deutschland folgten.
Es wurde laut nach strengeren Gesetzen gerufen und Politiker – hüben wie drüben – reagierten, in dem sie aktionistisch schnell ein paar Gesetze zusammenzimmerten, um den Menschen – und damit potentiellen Wählern – Schutz und Sicherheit zu suggerieren.
Und so entschied das rumänische Parlament, welches sich übrigens für eines der modernsten Tierschutzgesetze Europas verantwortlich zeichnet, einige Tage später, dass Streunerhunde getötet werden dürfen. Allerdings nicht „einfach so“, wie in den sozialen Netzwerken rumgeshared wird, sondern nach 14 Tagen, wenn sich kein Besitzer findet.
Das geht natürlich nicht, finden viele und empören sich aufs heftigste.
Befeuert von diversen grausamen Abbildungen, die zwar oft weder aus 2013 noch aus Rumänien stammen, dafür aber umso öfter mittels Photoshop schön blutig aufgepimpt wurden, steigerte man sich von Mitleid mit den armen Hunden hin zu Hass auf die bösen Menschen. Nur die Tierschutzorganisationen in Rumänien wissen nichts derartiges zu berichten und bestätigen laut Spiegel, dass es bisher „lediglich“ Meldungen über „Selbstjustiz gegen Hunde“ durch Anwohner gab. Solche Fälle gab es in Hamburg übrigens auch. Zu Genüge.
So finden sich jede Menge „Erfahrungsberichte“ von Usern, die allerlei schlimme Erfahrungen mit den bösen Rumänen gemacht haben bis hin zu Forderungen, dass „dieses Pack in die Gaskammer“ gehört, man „denen den Schädel einschlagen sollte“ und – da ha’m wirs wieder – die nicht nach Deutschland einreisten dürften, um „unsere Kinder vor diesen Bestien“ zu beschützen. (Den Kram verlinke ich hier jetzt nicht!)
Als sich dann ein Politiker, der auch ansonsten einen an der Waffel zu haben scheint, erklärte, dass es sich bei dem tragischen Unglück in Wirklichkeit um einen Mord durch einen Pädophilen gehandelt hätte, der vertuscht worden wäre, wurde selbst dieser Unfug übernommen. An die Familie des Opfers denkt wohl keiner und es bleibt nur zu hoffen, dass diese armen Menschen von dem ganzen Wahnsinn verschont geblieben sind.
Die etwas gemäßigteren Empörungs-User rufen derweil nach sogenannten „Spay and Neuter Programs“ (also das Einfangen, Kastrieren und wieder Aussetzen von Streunerhunden) oder dem Bau neuer staatlicher Tierheime.
Tolle Idee, nur gibt es einen kleinen Haken.
Laut seriöser Schätzungen gibt es alleine in Bukarest 65.000 Streunerhunde, in ganz Rumänien dürften es einige Hunderttausend sein. Selbst wenn es „nur“ 200.000 Hunde auf den Straßen wären, dann müssten Tierheime mit einer Gesamtfläche von 1.400.000 Quadratmetern gebaut werden, wenn man mal die Mindestfläche für die Haltung von Hunden gemäß der deutschen TierschutzHundeVO zu Grunde legt. So in etwa gut die Hälfte des Saarlandes …
Das ärmste Land der EU hat sicherlich keine anderen Sorgen, als seine Kohle für den Bau von Tierheimen zu verwenden.
Wie man mittels „Spay&Neuter“ in kurzer Zeit eine Linderung erreichen will, bleibt derweil ein Rätsel. Zumal das Argument von Vier Pfoten, dass steriliserte Hunde weniger aggressiv wären vollkommender Blödsinn und hoffentlich ein Übersetzungsfehler von Spiegel Online ist. Zumal ausgerechnet einer der Hunde sterilisiertes und gechipptes Eigentum einer rumänischen Tierschutzorganisation ist.
Dabei kam das jetzt nicht so überraschend.
2011 wurde sich im Internet schonmal mächtig über Rumänien empört und schon damals wurde der Ruf nach Euthanasie in dem Land laut. Zu dem Zeitpunkt, um genau zu sein am 26. Juli 2011, verurteilte das EugH das Land wegen Verstosses gegen das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit, nachdem eine Rentnerin 11 Jahre zuvor von Hunden atttackiert und schwer verletzt wurde.
In den letzten Jahren wurden je nach Quelle ca. 15.000 – 16.000 Menschen nur in Bukarest gebissen, jährlich wohlgemerkt. Allein im ersten Quartal 2013 kam es zu 2.000 Verletzungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Zum Vergleich, in NRW wurden 2004 859 Menschen gebissen. Das Bundesland hat knapp 18 Millionen Einwohner, Rumänien hat gut 21 Millionen …
Es ist natürlich einfach, sich aufzuregen und nach Mord und Totschlag zu schreien. Und es ist sogar verständlich, dass man Mitleid mit den Hunden hat, die ja schliesslich nichts dafür können und sich einfach so verhalten, wie es verwilderte Hunde nunmal tun.Und natürlich ist die Frage erlaubt, wie es soweit kommen konnte und warum erst jetzt (auf welche Art auch immer) gehandelt wird.
Aber es gibt keinerlei Rechtfertigung, Menschen herabzuwürdigen, zu beleidigen und als minderwertig zu diffamieren, die das selbe Recht auf Unversehrtheit haben wie jeder andere auch. Das gilt auch für „Tierschützer“.
Vor einigen Monaten habe ich übrigens einen Hund an eine rumänische Familie vermittelt. Nette Leute.
Ich geh mal meine Freundesliste bei Facebook aufräumen …