Das Hitzedilemma

Tierschutzuschi, die; seltener Tierschutzuli, der (Definition): Tierliebe – häufig weibliche – Person, die meist sehr emotional, jedoch selten sachkundig handelt. Man unterscheidet die Tierschutzuschi digitalis, deren natürlicher Lebensraum Onlineforen und soziale Netzwerke sind und die Tierschutzuschi vitalis, die sich im öffentlichen Raum verhält und verstärkte Aktivität bei Temperaturen ab ca. 20° Celsius zeigt. Häufig kommt es zu Mischformen, in der Regel witterungsabhängig.

„Öffnen’se mal Ihr Auto, ich bin vom Tierschutz.“ herrschte mich die merkwürdige Dame an. Einigermaßen verwundert schaute ich sie an und fragte sie, von welchem Tierschutz genau sie denn sei.

Ich bin nämlich auch vom Tierschutz, aber wohl von dem anderen, denn ich für meinen Teil habe keine Polizeibefugnisse und darf einfach so Autos kontrollieren. Ich glaube, ich muss den Tierschutz wechseln.

Diese kleine Anekdote spielte sich 2014 ab, um genau zu sein Anfang März 2014 gegen 21 Uhr. An dem Tag hatte ich einen Workshop gegeben und wollte mit ein paar Teilnehmerinnen noch eine Kleinigkeit essen gehen.

Dann kam sie. Sie stürzte ins Restaurant und brüllte uns an, wem die Hunde da draussen im Auto gehören würden.

Wenig später stand ich – gemeinsam mit zwei per Notruf hinzuzitierten Polizisten und einigen Gästen aus dem Restaurant – immer noch etwas ungläubig bei ungefähr 2 Grad und Schneeregen auf dem Parkplatz. Die Dame klärte uns auf, dass die Hunde im Auto zu ersticken drohen.

„Ja nee, is klar. Es ist ja allseits bekannt, dass man bei längeren Autofahrten alle 30 Minuten durchlüften muss, weil man sonst erstickt“, versuchte sich einer der Polizisten in Ironie.

Mit dem Ergebnis, dass wir uns darauf einigten, dass ich das Auto woanders parke und die Dame schließlich mittels Platzverweis entfernt wurde, weil sie mit Ironie nicht so viel anfangen konnte (und weil sie „Schlampe“-brüllend auf die Veranstalterin des Workshops losgegangen war).

Nun wird es langsam Sommer. Und damit kommt die perfekte Jahreszeit für Tierschutzuschis wie meine von damals, aktiv zu werden. Es ist angenehm warm und bei Facebook ist bei gutem Wetter eh nicht viel los.

Selbstredend sollte mittlerweile auch der letzte Depp begriffen haben, dass man den Hund (und das Kind, Oma, Opa oder die Frau) bei höheren Temperaturen nicht längere Zeit im Auto lassen sollte.* 

Doch sobald das Thermometer mehr als 19 Grad anzeigt, scheinen die Uschis und Ulis auszuschwärmen und Jagd auf unverantwortliche Hundehalter zu machen, die es wagen, ihren vierbeinigen Liebling auch nur einen Wimpernschlag lang der todbringenden Hitze auszusetzen.

Zum Beweis dient ihnen eine Tabelle, die besagt, dass bereits ab 20 Grad das Auto zur tödlichen Falle wird. Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, legen sie großen Wert darauf, möglichst laut, hysterisch, feindselig und unsympathisch zu erscheinen.

Schließlich wissen wir von Facebook, dass uns niemand hört, wenn wir nicht mindestens eine abfällige Bemerkung und fünf Ausrufezeichen in unsere Kommunikation einbauen.

Da ich harmoniesüchtig** bin, gebe ich mir natürlich große Mühe.

Dem entsprechend lasse ich meine Hunde bei höheren Temperaturen a) entweder zuhause oder b) nehme sie mit aus dem Auto.

Damit befinde ich mich jedoch in einem Dilemma.

a) Den Hund längere Zeit alleine zuhause zu lassen geht nämlich auch nicht. Dem Internet zufolge ist es nämlich dem Bedürfnis des Hundes nach Nähe zum Menschen nicht zuträglich, wenn er mehr als zwei oder maximal drei Stunden alleine bleiben muss. Diese Tatsache ist im übrigen so gravierend, dass es für den Hund allemal besser ist, in einem Tierheim zu hocken als bei egoistischen Menschen, die es wagen, einer Arbeit nachzugehen.***

b) Zuerst muss ich natürlich den „Handflächentest“ machen. Ist der Untergrund zu heiss, kann sich der Hund fiese Verbrennungen zuziehen. In dem Fall muss entweder b1) meinen Hund tragen oder b2) wieder nach Hause fahren und ihn ans Katzenklo gewöhnen, bis der Sommer vorbei ist.

Wie man es macht, macht man es falsch.

Vorgestern habe ich lernen dürfen, dass es nicht mal einen Hund benötigt, um eine Tierschutzuschi zu aktivieren. In dem Fall reichte mein Auto, in dem unter Umständen ein Hund sitzen könnte, um mich mal ordentlich anzupampen. Da ich nämlich selber nicht ersticken respektive den Hitzetod sterben wollte, hatte ich das Fenster einen Spalt weit auf, so dass die Dame einen Blick auf die Hundebox im Auto werfen konnte.

Um eine akute Straftat zu vermeiden zog ich es schließlich vor, die keifende Dame einfach stehen zu lassen. Soll sie doch das leere Auto retten.

Aber mal Spaß beiseite.

Ich habe nie verstanden, warum manche Menschen ihre Hunde ständig und überall dabei haben müssen. Das gilt für den einstündigen Großeinkauf im Supermarkt im Hochsommer genauso wie für den Besuch eines überfüllten Weihnachtsmarktes in der Adventszeit. Was genau soll der Hund davon haben?

Wenn ich irgendwo hin möchte, wo es nicht um den Hund geht – warum sollte ich ihn dann mitnehmen? Hat er Freude daran, im Auto zu warten, während ich mir ein paar neue Schlüpfer kaufe? Findet er es toll, dass ihm Leute auf den Pfoten rumtreten, weil ich am Glühweinstand unbedingt so ein süßes Gesöff kaufen muss? Ist es eine Wonne für ihn, im Restaurant unterm Tisch zu liegen und nicht auffallen zu dürfen?

Andererseits – wenn ich mit meinen Hunden unterwegs bin und einen Zwischenstopp einlege, brauche ich auch nicht gleich selbsternannte Tierschützer, die mit der Stoppuhr an der Zapfsäule (oder vorm Bäcker) warten und den Autofahrer beschimpfen, weil der Hund fünf Minuten warten musste, während der ehrliche Mensch seine Tankrechnung bezahlen war.****

Ein Typ hat mal versucht mein Auto aufzubrechen, während ich daneben stand.

Außerdem – Warum sollte ich mit meinen Hunden auf Asphalt spazieren gehen? Selbst in Großstädten gibt es Grünflächen, die sich nicht dermaßen erhitzen, dass der Vierbeiner sich gleich die Pfoten verbrennt? Und wenn nicht, dann fährt man eben raus oder überdenkt seine Wohnsituation.

Abgesehen davon, was für eine Art Spaziergang ist das denn, der ausschließlich oder größtenteils auf Asphalt stattfindet? Die Seele baumeln lassen auf dem Pannenstreifen der Autobahn?

Diese Grafik, die jeden Sommer in den sozialen Netzwerken verteilt wird, ist nicht nur grenzwertig, weil sie von den Uschis und Ulis dieser Erde als Killerargument genutzt wird, sondern vor allem auch, weil sie die trügerische Sicherheit vermittelt, dass bis 20°C alles takko wäre.

Doch wie heiss es in einem Auto wird, hängt von vielen Faktoren ab und nicht nur von der Außentemperatur und der Zeit, die vergeht.  Ich hatte mal einen schwarzen Hochdachkombi mit vielen Fensterflächen. Der wurde auch bei 17 oder 18° sehr schnell sehr ungemütlich, wenn die Sonne schien. Im weissen Kastenwagen war es auch bei 25° noch angenehm und gut auszuhalten.

Davon abgesehen hängt es doch auch davon ab, wie wettertauglich der Hund ist, der da gerade wartet.

Mit meinem Border Collie brauche ab 25° nicht mehr raus gehen. Der verträgt Hitze nicht und den würde ich dem entsprechend nicht eine Minute im Auto warten lassen. Meine Altdeutschen sind im wahrsten Sinne des Wortes wetterhart. Auch bei 35° rennen die stundenlang mit und wenn ich ihnen im Anschluss Wasser anbiete, gucken die mich nur komisch an.

Es ist natürlich gut und wichtig, über Gefahren zu informieren! 

Auf der anderen Seite möchte ich nicht wissen, wie viele Hunde bei knappzwanziggrad in irgendwelchen schwarzen SUVs vor sich hin hecheln, weil der Hund im Backofen laut Tierschutz erst zwei Grad später gart.

Ein bisschen Augenmaß wäre ja schön.

Steht der Hund nicht gerade kurz vorm Kollaps, könnte man ja mal vier oder fünf Minuten warten, bevor man in Aktionismus fällt. Oder vielleicht fragen. Und total revolutionär, das Ganze vielleicht höflich.

Das gilt im übrigen für Uschi und Uli genauso wie für Hundehalter, die jetzterstrecht nicht darauf achten, was auf dem Parkplatz gerade vor sich geht. Die gibt es nämlich auch.

In diesem Sinne, ich geh mal meine Oma aus dem Auto holen.

* Den Absatz habe ich extra fett gesetzt, bevor mir noch jemand unterstellt, dass ich es OK finde, meine Oma im überhitzten Auto warten zu lassen.
** Ja, wirklich!

*** Diejenigen, die viel Freizeit haben, bekommen den Hund natürlich auch nicht. Denn die haben entweder zu wenig Geld oder sind zu alt. Das ist das Hauptproblem im deutschen Tierschutz: zu wenige arbeitslose Einkommensmillionäre mittleren Alters.
**** Ohne  Quatsch, das habe ich schon erlebt.

Kurz – polemisch – angemerkt (3)

Ja, ich gebe offen und ehrlich zu: In diesem Haus gibt es Hundeboxen!

Bei neun Hunden finde ich die äußerst praktisch, denn ich kann deutlich ruhiger schlafen, mal eben einkaufen gehen oder auch weniger hundeaffinen Besuch empfangen, wenn die Knalltüten derweil gut verpackt sind.

Da ich selbiges vor kurzem kundgetan habe, wurde ich auch auf einen bemerkenswerten Artikel aufmerksam gemacht.

Denn wenn es nach dem Willen des Tierschutzbeirats des Landes Rheinland-Pfalz geht, dann ist eine Hundebox sowas von Pfuibäh und noch schlimmer – sie verstösst sogar gegen die TierschutzHundeVerordnung.

Die Mitglieder waren nämlich fleissig:

„Der Tierschutzbeirat Rheinland-Pfalz hat sich mit der Frage beschäftigt, ob die Verwendung der geschlossenen Hundebox tierschutzrechtlich erlaubt ist?“

Für diejenigen, die diese Verordnung noch nicht kennen.

„(1) Diese Verordnung gilt für das Halten und Züchten von Hunden (Canis lupus f. familiaris).“

Abgesehen davon, dass der Canis Familiaris schon seit Jahren nicht mehr Canis Lupus Forma Familiaris heißt, geht es also um Hunde. Und wie der erste Teil des Satzes schon aussagt, um das „Halten und Züchten“ von selbigen.

Nun schreibt der „Tierschutzbeirat“ auf seiner Internetseite also, dass die Hundebox als solche gegen die TierschutzhundeVO verstösst und beruft sich dabei auf §6, der das Halten von Hunden in Zwingern regelt und – grob zusammengefasst – Mindestgrößen für Hundezwinger vorschreibt.

Und kommt zu folgendem Ergebnis:

Die Unterbringung eines Hundes in der geschlossenen Hundebox ist möglich. Sie darf nur auf tierärztliche Anordnung (nicht auf Anordnung eines Hundeerziehers oder –therapeuten, der nicht auch Tierarzt ist) erfolgen. Der Tierarzt muss den Einsatz begleiten.

Dieses ist – mit Verlaub – doppelt daneben. Denn:

  1. Die TierschutzHundeVO regelt die Haltung von Hunden und nicht temporäre Zustände. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Man darf also seinen Hund temporär an einen Zaun binden, ohne dass die Anbindevorrichtung den Anforderungen der Verordnung genügen muss. Selbiges gilt für einen Zwinger (z.B. Fundhundezwinger in Tierheimen, auf Polizeistationen etc.).
  2. Da eine Hundebox in der Regel in einem Raum und nicht im Freien steht, würde – wenn überhaupt – §5 (Haltung von Hunden in Räumen) greifen. Tut er aber auch nicht, weil es dort eindeutig um Räume, „die nach ihrer Zweckbestimmung nicht dem Aufenthalt von Menschen dienen“ geht. Die Wohnung oder das Wohnhaus fallen – hoffentlich – nicht darunter. Sollte jemand tatsächlich seinen Hund in der Garage oder sonstwo halten, wo Menschen in der Regel nicht wohnen, greift §5 und nicht §6. Mit der Hundebox als solche hat das immer noch nichts zu tun.

Liest man sich die Liste der Mitglieder des „Tierschutzbeirats“ durch, dann finden sich diverse Doktortitel (überraschenderweise Tierärzte),  was voraussetzen sollte, dass diese Menschen in der Lage sind, einen Gesetzestext genau zu lesen und zu interpretieren. Und den Unterschied zwischen einer Verordnung und einem Gesetz zu kennen.

Stellt sich also die Frage, warum eine solch fragwürdige „Rechtsauffassung“ ihren Weg in die Öffentlichkeit findet.

Liest man sich den Artikel – und insbesondere das „Fazit“ – genauer durch, finden sich ein paar Hinweise:

Der Tierarzt soll also derjenige sein, der entscheiden darf, ob ein Hund in einer Box – ja, was denn? gehalten? untergebracht? – werden darf. Und bitte nicht der „Hundeerzieher“ oder gar Therapeut, „der nicht auch Tierarzt ist“. Verrückt, dass einige Mitglieder Tierärzte sind.

Logisch, denn das dauerhafte Halten eines Hundes in einer Box wäre schließlich ein Verstoss gegen das Tierschutzgesetz. Denn da steht gleich in §2 geschrieben:

„Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,

2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden“

Das Tierschutzgesetz schließt im Übrigen den „vernünftigen Grund“ aus, weswegen solche „Grundrechte“ für Hühner, Schweine und Rinder in der Massentierhaltung nicht gelten.

Den vernünftigen Grund kann der Tierarzt festlegen, weswegen auch tausende Hunde jedes Jahr ohne Not auf Anraten von Tierärzten kastriert werden.

Die Aussage, dass ein Hundetrainer eine solche Empfehlung gar nicht geben dürfe, ist nichts anderes als ein weiterer billiger Versuch, verunsicherte Hundehalter in die Tierarztpraxen zu locken.

Denn „tierschutzrechtlich“ ist es erstmal völlig wumpe, ob man einen Hund zeitweise in eine Box packt oder nicht. Es stellt nicht mal eine Ordnungswidrigkeit dar, da die TierschutzHundeVO gar nicht regelt, was minuten- oder stundenweise im Haushalt vor sich geht.

Eine Box mit einem Zwinger gleichzusetzen ist derweil völliger Blödsinn. Der Sinn des Zwingers ist die dauerhafte Unterbringung, weswegen die TierschutzHundeVo an diesem Punkt sinnvoll ist.

Der Sinn einer Hundebox ist, den Hund ohne Aufsicht und ggf. seine mit im Haushalt lebenden Artgenossen sowie das Inventar vor Schaden zu bewahren.

Daraus auf Tierleid zu schliessen, ist ziemlich hanebüchen.

Die dauerhafte Unterbringung eines Hundes in einer Box wäre – falls sich denn ein Richter fände – ein Verstoss gegen §2 des Tierschutzgesetzes, und viel wichtiger: Das gehört sich einfach nicht.

Ps.: Die Mitgliedschaft im Tierschutzbeirat ist eine ehrenamtliche Tätigkeit, vermutlich wurde aus diesem Grunde darauf verzichtet, die Freiwilligen auf Objektivität und Sachkunde zu überprüfen.

Provinz beginnt da, wo Viechdoktoren als Wissenschaftler angesehen werden.

Ich pack jetzt meine Hunde in ihre Boxen und geh schlafen.