Das Leben ist ein gottverdammter Ponyhof!
„Ey Finn, tut mir echt leid, aber die meinen das wohl ernst“, sagte ich. Finn ist ausnahmsweise mal kein Hund, sondern ein Pferd. Vielmehr ein sogenanntes „Reitsofa“, wie mir Denise versicherte. Und in den nächsten zwei Stunden sollte ich auf ihm sitzen, denn die Damen des Hauses hatten einen Ausritt geplant und mich kurzerhand eingeplant.
Normalerweise würde ich dankend ablehnen, aber ich hatte es mal jemand wichtigem versprochen und wollte nicht als derjenige dastehen, der seine Versprechen nicht hält.
In meiner Fantasie würden wir gemeinsam dem Sonnenuntergang entgegen reiten. In der Realität musste ich in den nächsten Stunden feststellen, dass die Sonne längst untergegangen ist, bis ich den Gaul mal in Bewegung gesetzt habe.
Davon abgesehen, wir wohnen auf einem Ponyhof, wo kämen wir denn dahin, wenn ich nicht wenigsten ein bisschen reiten könnte.
Das größte Glück der Erde soll ja bekanntlich auf dem Rücken eines solchen Zossen zu finden sein. So ganz sicher war ich mir meiner Sache allerdings nicht. Nun standen wir da, Finn und ich. Er nicht mehr der jüngste, ich nicht nicht gerade der leichteste. Ob das wohl gut geht?
Meine Erfahrung mit Pferden im Nahbereich beschränkt sich weitestgehend auf eine unheilvolle Begegnung mit einem Shetlandpony. Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, machte nämlich ein Wanderzirkus bei uns im Dorf halt und hatte eben dieses Vieh im Schlepptau. Als ich es streicheln wollte, biss es mir herzhaft in den Oberschenkel.
Das war’s dann auch mit der Horse-Experience, ansonsten hatte ich als Jugendlicher mal hier, mal da mit irgendwelchen Mädchen zu tun, die Reitunterricht nahmen und die „Wendy“ lasen – meist nur so lange, bis sie das Pferd gegen einen Freund und die „Wendy“ gegen wertvolle Ratschläge vom Dr. Sommer-Team eintauschten.
Davon abgesehen habe ich als bekennender Kontrollfreak naturgemäß ein Riesenproblem damit, eben diese abzugeben und meine Vergangenheit als kleiner, dicker Junge auf dem Land hat sich ebenfalls als nicht besonders förderlich herausgestellt, wenn es darum geht, sich als absoluter Anfänger vor anderen Menschen sportlich zu betätigen.
Aber versprochen ist versprochen. Und so würde ich also ausreiten.
Glücklicherweise ist Finn nicht allzu groß, so dass ich es auch ohne hochnotpeinliche Aufstiegshilfe in den Sattel schaffte. Unglücklicherweise ist Finn wiederum groß genug, um mich daran zu erinnern, dass ich ziemlich höhenängstlich bin.
Als erfahrenes Reitpferd merkte mein getreuer Gaul natürlich sofort, dass ich überhaupt keine Ahnung cavon habe, was ich da tue und beschloss, meinen „Kommandos“ entsprechend exakt Folge zu leisten.
Und da sich die Einweisung von Denise auf „Rechts“, „Links“, „Vorwärts“ und „Stopp“ beschränkte, signalisierte ich wohl auch genau das: „Finn, lauf mal rechts, links, geradeaus und stopp – und zwar gleichzeitig“.
Finn tat wie geheißen, mit dem Ergebnis, dass wir nicht so richtig mit den anderen mithalten konnten und zunächst erstmal mehr oder weniger Slalomgehend hinter der Gruppe hertrotteten. Das Finn sich überhaupt bewegte lag wohl eher am Herdentrieb und nicht meinen souveränen Anweisungen.
Zwischendurch war ich etwas besorgt, ob der gute Finn vielleicht eine Pause bräuchte, ich jedenfalls brauchte eine.
So saß ich auf der Suche nach dem großen Glück auf dem Rücken des Pferdes, versuchte meine Unsicherheit mit dummen Sprüchen zu kaschieren und gleichzeitig mit den anderen Schritt zu halten, während ich mir von meiner Höhenangst getrieben beinahe in die Hosen machte.
Vor meinem inneren Auge stellte ich mir vor, wie ich gleich runterfallen und mir sämtliche Knochen brechen würde, wie ich regungslos auf meinem Krankenbett sitze, von Kopf bis Fuss eingegipst, und von einer schlechtgelaunten Krankenschwester gegen meinen Willen mit schwedischen Stockfisch gefüttert werde.
Selbstverständlich während meine Reitkumpanen immer noch am Ort des Geschehens auf dem Rücken liegen und sich vor Lachen die Bäuche halten.
Finn zeigte derweil viel Verständnis für meine Ängste und Sorgen, hin und wieder blieb er mal stehen und schüttelte mich samt Sattel wieder in eine aufrechte Sitzposition. Dann schaute er mich fragend an, ich vermute, unter einem echten Cowboy hat er sich auch was anderes vorgestellt.
Im Laufe der Zeit erlangte ich eine jedoch gewisse Souveränität und schaffte es tatsächlich kurzfristig meinem Wünschen die entsprechenden Taten folgen zu lassen – oder Finn hatte gelernt, meine kruden Kommandos zu lesen.
Telepathie sozusagen, immerhin hatte die Reitlehrerin ja auch gesagt, dass man ein Pferd nicht mit den Händen sondern mit dem Kopf führt …
Irgendwie ganz cool, so auf nem Pferd, dachte ich mir jedenfalls, machte es mir etwas bequemer und gab etwas mehr Zügel – so dass es Finn plötzlich ziemlich eilig hatte, lostrabte und ich mich just in der Sekunde schon wieder stockfischgefüttert im Krankenhaus sah.
Die Strecke, die die anderen ritten und die Finn und ich irgendwie zu überbrücken versuchten, nennt sich „Zauberwaldweg“. Klingt total romantisch.
Doch mit einem Mal stoppte Denise und sagte: „Das war der Zauberwald, nun kommen wir zum ‚Highway to Hell'“. Aha, ist ja saukomisch!
Die nächsten 300 Meter ging es querfeldein und meine Aufgabe war es, Finn elegant an den Hindernissen vorbei zu lotsen. Da das mit dem „vorbei“ nicht so recht klappen wollte, entschied sich das kluge Pferdchen dafür, einfach untendrunter durch zu gehen, während ich diverse Äste und Zweige aus nächster Nähe begrüßen durfte.
Mit der Lernerfahrung, dass Tanne überhaupt nicht nach Weihnachten schmeckt, verließ ich den „Highway to Hell“ weitestgehend heile und saß den Rest der Zeit sozusagen auf einer Arschbacke ab, weil ich nämlich einen Mordskrampf im Oberschenkel hatte und mich nicht traute, vom Pferd zu steigen.
Finn, der gnadenvolle alte Zosse, gab sich aber jede Mühe, es mir so bequem wie möglich zu machen – gaaaanz in Ruhe – und jemand wichtiges erbarmte sich, mich den Rest der Strecke auf meinem Geschwindigkeitsniveau zu begleiten.
„Vorwärts“ klappte nämlich immer noch nicht so richtig und ehrlicherweise hatte ich Angst, dass Finn gleich einfach umkippt und einschläft.
Reiten ist toll. Überhaupt ist mir ein Sport, bei dessen Ausübung man rauchen kann, sehr sympathisch.
Und es ist tatsächlich ein merkwürdig erhebendes Gefühl auf so einem Pferd. Und ich kann mir gut vorstellen, dass es tatsächlich das großes Glück sein kann – vorausgesetzt, man hat verstanden hat, was man tut.
Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, wurden mir dann auch zwei Dinge sofort klar:
1. Es gibt im Oberschenkel- und Beckenbereich Muskeln, von denen ich vorher noch nie etwas gehört hatte und die sauweh tun können.
2. Ich brauche Reitunterricht. Das bin ich Finn schuldig. Und ja, ich will den verdammten Sonnenuntergang einholen.
Das „Wendy“-Abo ist bestellt.