Die journalistische Sorgfalt des Nichts

Neulich lief ich durch die Frankfurter Fußgängerzone, schaute mir den Apple-Store auf der Zeil an und dachte „Würg“.

Plötzlich stand eine junge Frau vor mir, sie gehörte zu einer dieser Drückerkolonnen, die einem eine Spende und/oder eine Mitgliedschaft aus den Rippen leiern wollen, und fragte mich: „Haben Sie ein Herz für Tiere?“

Ich schaute sie an und erwiderte: „Nein, ich hasse Tiere. Der einzige Grund, warum ich Fleisch esse, ist weil ich Tiere nicht leiden kann und möchte, dass sie leiden.“ Die studentische Aushilfskraft guckte irritiert, murmelte „Na dann noch einen schönen Tag“ und schlich davon.

Mir gehen diese Menschen fürchterlich auf den Sack, die vor allem in den nächsten Wochen wieder in den Einkaufsmeilen rumstehen und für verschiedene wohltätige Organisationen auf Mitgliederfang gehen.

Im Deutschlandradio gab es mal einen Bericht über diese Rattenfänger, die man stundenweise buchen kann. Von 10-12 Uhr Amnesty International, ab 12:30 Uhr Greenpeace und am späten Nachmittag noch eineinhalb Stunden noch für diesen großen Tierschutzverein, dessen Vorstand sich in den 1990er Jahren mal mit mehreren Millionen D-Mark vom Acker gemacht hat.

Meine alljährliche Steuervermeidungsspende geht schon lange an eine Organisation, die sich um Menschen kümmert. Die Spendenaufrufe von Tierschutzseite landen schon lange im Müll.

Dabei gibt es durchaus Tierschutzvereine, die unterstützenswert sind.

Und ein solcher Verein, den gerne unterstütze, ist Tiere in Not Odenwald. Seit über 20 Jahren kümmern sich Ute und ihr Team um Hunde, die in anderen Tierheimen keine Chance hätten, die ordentlich zugelangt haben oder aus erbärmlichen Verhältnissen kommen.

Die TiNos haben schon Gruppenhaltung eingeführt, als es noch völlig normal war, Hunde in Betonkäfigen von 6 Quadratmetern und weniger einzupferchen. Jedes Mal, wenn ich im Odenwald bin, bin ich überwältigt von Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft, die mir entgegengebracht wird.

Und deshalb habe ich mich ganz besonders gefreut, dass TiNo den diesjährigen Hessischen Tierschutzpreis für seine Arbeit mit Problemhunden und der artgerechten Gruppenhaltung gewonnen hat.

Doch da wo Erfolg ist, sind natürlich die Empörungstheoretikerinnen nicht weit, die auch gleich was zu meckern hatten. Und damit auch jeder mitbekommt, dass es was zu meckern gibt, haben sie sich an das „Darmstädter Echo“ gewandt und einen Redakteur gefunden, der sich aufgemacht hat, einen Artikel über die düsteren Machenschaften der TiNOs runterzuschmieren zu veröffentlichen.

Das Ergebnis nennt sich „Tierheim TiNO: Bleiben Problemhunde ein Problem?“ und grob zusammengefasst besteht der Inhalt aus folgenden Aussagen.

  • Empörungstheorikerin 1 hat einen Hund adoptiert, der nach der Vermittlung krank geworden ist. Außerdem tanzt er ihr auf der Nase rum und sie sagt, dass ihr niemand gesagt hat, dass man einen Hund erziehen sollte. Verrückt, ein Problemhund aus einem Tierheim, dass sich auf Problemhunde spezialisiert hat. Das ist ganz dramatisch, aber nicht so dramatisch, dass sie den Hund wieder abgeben würde.
  • Empörungstheoretikerinnen 2 und 3 ist sowas ähnliches auch schon mal passiert.
  • Außerdem, so vermutet man, könnte es sein, dass der Hund aus dem Ausland kommt. Einen vagen Hinweis darauf liefert übrigens die Information vom Tierheim, dass der Hund aus dem Ausland kommt und der europäische Heimtierausweis, der nicht etwa voller Tippfehler steckt, sondern in einer anderen Sprache verfasst wurde. Dubios, dubios …
  • Man könnte zwar sein Tier kostenlos bei TiNO behandeln lassen, aber dann könnte man sich ja nicht empören.
  • Man könnte ausserdem kostenlos mit dem Hund in die Hundeschule, aber die kostet normalerweise ja Geld. Und wenn man denn was dafür bezahlen müsste, wäre ganz schön teuer.
  • Außerdem ist Empörungstheoretikerin 2 bei einem Besuch des Tierheims einmal aufgefallen, dass es an einem Ort, an dem 50 Hunde leben, manchmal müffelt und stellt fest: Man muss nur zur richtigen Zeit (nämlich kurz vor der Zwingerreinigung) vor Ort sein, um die dramatischen  Zustände zu erkennen.
  • Apropo Drama: Man habe sich zwar an die Zeitung gewendet, um die Missstände mal so richtig aufzuzeigen, aaaaber: „Alle drei Beschwerdeführer betonten jedoch die durchaus gute Arbeit des Tierheimes, die sie auch weiterhin unterstützen wollten.“

Fassen wir zusammen. Von tausenden Vermittlungen, die TiNo in seinen über 20 Jahren getätigt hat, finden sich drei(!), bei denen die Adoptanten nicht so richtig glücklich sind. Aber nicht so unglücklich wohlgemerkt, dass man den Verein nicht weiter unterstützen würde. Das is ja n Ding!

Jetzt könnte man sich die Frage stellen, wozu der zuständige Redakteur diesen Artikel verfasst, wenn doch eigentlich alles gut ist. Die Frage hat er sich wohl auch gestellt und ist vielleicht aus diesem Grunde investigativ tätig geworden. Könnte ja sein, dass er einem ganz dicken Ding auf der Spur ist.

Also hat er angefangen zu recherchieren. Nicht etwa, in dem er sich ins Auto gesetzt hat und die 30 Kilometer zu TiNo gefahren wäre, nein, er hat telefoniert und wahnsinnige Details ans Licht gebracht:

  • Das Umweltministerium weiß von nichts, hat aber beim Veterinäramt nachgefragt und die haben wiederrum gesagt, dass TiNO ein tolles Tierheim ist.
  • Das Veterinäramt sagt, dass TiNO ein tolles Tierheim ist und dass sich auch noch nie jemand beschwert hat.

Zu guter Letzt hat der Journalist dann immerhin noch bei TiNO selber angerufen und erfahren, dass Tiere manchmal krank werden und – siehe oben – die Menschen sie in solchen Fällen von der eigens dafür angestellten Tierärztin behandeln lassen könnten. Und über mögliche Krankheiten klären die auch noch auf.

So viel Arbeit für so wenig substantielles, nicht mal ein kleiner Skandal ist dabei herausgekommen. Aber naja, Content ist ja bekanntlich Content und vielleicht kommen ja immerhin ein paar Klicks dabei heraus.

Denn glücklicherweise gibt es ja die sozialen Netzwerke und genügend Bekloppte, die wiederrum genügend Zeit haben, jetzt so richtig loszulegen. Schliesslich muss man nur selektiv genug lesen, um sich so richtig aufzuregen.

Und schon sind sie da, die Empörungstheorikerinnen, die zwar noch nie vor Ort waren, die aber auf jeden Fall den Braten Tofu riechen und von jemanden gehört haben, der jemanden kennt, dass da was faul sein muss.

Und dann natürlich die, die zwar schonmal da waren, aber auf jeden Fall der Meinung sind, dass sie alles besser können, wenn man sie nur machen liesse. Die Mädels könnte man den Hunden zwar vom Futter abziehen, so sie sich denn tatsächlich in den Zwinger trauen  und mittels Heieiei und Eeeeaaasy den Versuch unternehmen würden, sich gegen 25 Hunde zu behaupten.

Aber das ist natürlich nur hypothetisch, denn heutzutage pöbelt es sich am besten anonym. Und natürlich hat man den Tierschutz erfunden und die Gruppenhaltung eh. Auch wenn man selber keine Gruppe hält.

Und dann ist da noch die Konkurrenz, denn die ist unter Tierschützern bekanntlich größer als im Big Brother Container und man gönnt dem Nachbarverein nichtmal die Fusel im Bauchnabel. Die könnens zwar nicht besser, aber dafür könnten sie es gebrauchen – das Preisgeld.

Der Redakteur hat sein Ziel erreicht, Klicks bedeuten Einnahmen. Der Link wird quer durch die sozialen Netzwerke geteilt und jeder Piefke gibt seinen Senf dazu. Die TiNos wiederrum dürfen sich nun mit dem Wahnsinn rumschlagen. Als wenn sie nicht genug zu tun hätten. Darüber hätte „ha“, wie sich der Redakteur nennt, mal eine Sekunde nachdenken können. Aber das wäre wohl zu viel verlangt.

Hätte ich ein Abo vom Darmstädter Echo, würde ich es kündigen. Das Geld könnte man gut anderweitig verwenden, beispielsweise als Spende an Tiere in Not Odenwald.

Was ich sagte und was ich dachte

Dieser Text ist von den großartigen „Eure Mütter“ inspiriert:

Neulich klingelte mein iDings und eine nette Frau war am anderen Ende der Leitung. Sie hatte meine Telefonnummer von einer Bekannten und wollte meine Meinung zum Thema „Gründung eines Tierschutzvereins“ hören.

Was ich sagte …

„Mensch, das ist doch eine tolle Idee. Nicht nur, dass Ihr Eure Schützlinge von der Hundesteuer befreien könnt, nein, Ihr könnt – sobald Ihr als gemeinnützig anerkannt seid – auch Zuwendungsbescheinigungen ausstellen. Vielleicht finden sich ja ein paar Spender, die Euch unterstützen. Und außerdem ist es natürlich wesentlich seriöser, als richtiger Verein Tiere zu vermitteln, Du weisst ja, als Privatperson wirst Du wie ein gewerblicher Hundehändler behandelt.“

… und was ich dachte.

„Um Gottes willen, tu es bloss nicht. Die Idee ist ja an sich gut, aber:

In dem Moment, in dem Deine Internetseite online ist, wirst Du mit Hilferuf-E-Mails überflutet. Wenn Du die alle liest, wirst du wahnsinnig und wenn Du sie löscht, halten dich alle für herzlos. Und wenn Du darum bittest, aus diesen Verteilern rausgenommen zu werden, wird das ignoriert.

Bekommst Du keine Mails, dann wird deine Chronik auf Facebook damit zugepflastert. Gehst Du darauf ein, werden es mehr, gehst Du nicht drauf ein, dann werden es auch mehr. Wenn Du alles löscht, sind sie im Nu wieder da.

Achja, Facebook, da war ja was … Postest Du da was, dann wird jedes Wort seziert werden wie ein Frosch im Biounterricht. Postest Du jedoch nichts, dann hast du garantiert was zu verbergen.

Startest Du einen Spendenaufruf, bist Du garantiert pleite und kurz vor der Privatinsolvenz, bittest Du nicht um Spenden, dann bist du garantiert stinkreich und man kann DICH um Spenden bitten.

Es fängt schon damit an, was Du eigentlich vorhast. Kümmerst Du dich um alle Tiere, dann ist das halbseiden, kümmerst Du dich nur um Hunde, dann bist Du ein Rassist.

Und wo wir bei den Hunden sind. Kümmerst Du dich um Hunde aus dem Ausland, sind unsere Tierheime überfüllt und kümmerst Du dich um Hunde aus Deutschland, dann ist Tierschutz grenzenlos.

Kümmerst Du dich um Hunde aus Deutschland UND aus dem Ausland, dann sind unsere Tierheime überfüllt UND Tierschutz ist grenzenlos.

Egal, was Du tust, es wird falsch sein.

Nimmst Du einen aggressiven Beißer auf, werden sie sagen, dass das vergebene Liebsmüh ist und Du lieber einem netten Hund eine Chance geben solltest. Lehnst Du die Aufnahme ab, dann bist Du ein herzloser Kuscheltierschützer, der nur zu feige ist, sich auch mal einem Problem anzunehmen.

Arbeitest Du dann mit dem Hund über Abbruchsignale, bist du ein brutaler Tierquäler, arbeitest Du mit dem Hund positiv bestärkend, dann bist du ein huschiger Wattebäuschenwerfer.

Kriegst Du den Hund hin, hätten andere das schneller, besser, sanfter und toller geschafft. Kriegst du das Problem nicht in den Griff, dann bist Du unfähig und jeder andere hätte es hinbekommen.

Vermittelst Du einen Hund, sind die Adoptanten ungeeignet und ein Unglück vorprogrammiert. Vermittelst Du den Hund nicht, dann bist Du ein Animal Horder.

Achja, die Vermittlungen: Vermittelst Du viele Hunde, dann bist du ein Vermehrer, vermittelst Du wenige Hunde, dann kümmerst Du dich nicht um die armen Notfelle …

Machst Du Vorkontrollen, bist du pedantisch, machst Du Nachkontrollen, bist du fahrlässig und machst Du keine Kontrollen, dann sind Dir die armen Tiere egal. Die sogenannten Schutzgebühren sind zu hoch, weil man dafür ja schon einen Welpen kriegt. Oder zu niedrig, weil das ja niemals seriös sein kann.

Diskussionen, die schon im Alltag nervig sind, erhalten durch den emotionalen Aspekt, nämlich dass es arme Fellnasen sind, eine noch nervigere Dimension.

Trägt der Hund ein Halsband, bekommt er’s mit der Wirbelsäule. Trägt er ein Geschirr, bekommt er’s mit dem Rücken.

Wenn Du barfst, kriegen sie Mängelerscheinungen, fütterst Du Trockenfutter, dann ist das der letzte Dreck, den man keinem Tier zumuten kann.

Ist der Hund schlank, dann verhungert er, weil Du ihn garantiert vernachlässigst. Ist er mopsig, hat er zu wenig Bewegung, weil Du ihn  garantiert vernächlässigst.

Ist ein Hund unruhig, dann unterfordert, ist er entspannt, dann hat er Langeweile.

Fragst du irgendwen um Rat, dann bist du zu blöd. Fragst Du nicht, dann bist Du arrogant.

Diskutierst Du in Foren mit, dann hast du ja sonstnichts zu tun, hältst du dich da raus, dann werden sie über dich diskutieren.

Hältst Du die Hunde in der Gruppe, kommt das Individuum garantiert zu kurz, hältst Du sie einzeln, kommen sie erst recht alle zu kurz.

Baust Du eine Zwingeranlage, ist die Haltung nicht artgerecht, hältst du die Hunde im Haus, dann bist du bekloppt.

Wenn Du mich fragst, lass es bleiben. Ehe Du es Dich versiehst bist du von Wahnsinnigen umgeben. Scheiss auf die Hundesteuer und die Spenden! Und als Verein musst du genauso Umsatzsteuer für die Vermittlungsgebühr geltend machen wie jeder Händler auch.

Such Dir einen Nebenjob am Nachtschalter einer Tankstelle neben einer Großraumdiskothek. Du wirst mehr Streitkultur finden als in den meisten Tierschutzforen und obendrein vermutlich mehr Geld einnehmen.

Wenn Du etwas gutes tun willst, dann geh in ein Altenheim und spiel mit ein paar Omas Menschärgeredichnicht. Oder hilf jemanden über die Straße. Und wenn Du was für Tiere tun willst, geh zu Ute und mach Dich nützlich …“

Nun, das war das, was ich dachte – aber nicht sagte. Und dann bekam ich eine E-Mail mit der Einladung zur Mitgliederversammlung zur Gründung des Vereins.

Was soll ich sagen? Herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg, liebe Kollegen!