Last Christmas I Gave You my Heart

Den Titel habe ich übrigens nur gewählt, um Euch mit einem Ohrwurm ein letztes Mal in diesem Jahr zu ärgern 😉

2014 neigt sich dem Ende und es ist Weihnachten.

Wie es sich für einen nonkonformistischen Revoluzzer gehört geht mir das natürlich total am Arsch vorbei, weil Weihnachten ja eh eine reine Kommerzveranstaltung ist und ich mit diesem ganzen religiösen Klimbim nichts anfangen kann.

Grund dafür ist bestimmt meine Sozialisation:

Zwar bin ich in einem erzkatholischen Dörfchen aufgewachsen, doch die Tatsache, dass mein Vater katholisch und meine Mutter evangelisch waren, hat den damaligen Pfarrer dazu bewogen, uns Kindern die Taufe zu verweigern.

Also wurden wir evangelisch getauft (weil Taufe musste in den 1970ern sein), doch meine Eltern hatten die Nase voll von dem Verein und ich kann meine Kirchenbesuche, die darauf folgten, an einer Hand abzählen.

Trotzdem haben wir in der Familie natürlich Weihnachten gefeiert, ein Fest in erster Linie geprägt von Essen, verdammt viel Essen, Langeweile beim Warten auf das „Christkind“ und jeder Menge mehr oder weniger unterhaltsamen Fernsehsendungen auf den drei Sendern, die es damals gab.

Das Wohnzimmer schmückte eine alte Krippe, deren Figuren schon bessere Zeiten gesehen hatten. Jedes Jahr musste dem jeweiligen Familienhund wahlweise ein Schaf oder einen der drei Könige aus dem Maul gefischt werden, erst Ernie, später Tiger, dann Charlie und – da war ich schon ausgezogen – Olina.

So fehlten einigen der Figuren Extremitäten, den Esel hätte man im richtigen Leben erlöst, und das Jesuskind hatte eine schwere Bißverletzung davongetragen. Ich kann mich nicht mehr genau an das Jahr erinnern, aber irgendwann war die Krippe verschwunden und den Gang alles vergänglichen gegangen.

Nicht verschwunden dagegen war der Weihnachtsbaum aus Plastik, den mein Vater irgendwann mit der Begründung besorgt hatte, dass sich die Anschaffungskosten schon nach wenigen Jahren amortisiert hätten. Stimmt, denn den Baum gibt’s auch heute noch und nur an wenigen Feiertagen wurde er im Abstellraum gelassen, weil es einen echten gab.

Am Niederrhein aufzuwachsen bedeutet, in größtmöglicher Entfernung zu einer weißen Weihnacht aufzuwachsen, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Meistens war der 24.12. grau und nass. Außer natürlich in dem Jahr, als ich ein BMX-Rad geschenkt bekam. An jenem Heilig Abend war dermaßen viel Schnee gefallen, dass an eine Probefahrt nicht zu denken war.

Im Laufe des Lebens verliert Weihnachten dann den Zauber, den es für Kinder hat und artet in Stress aus.

Irgendwann weichen die großen, bunten Pakete einem schnöden Umschlag mit einem Gut- und später einem Geldschein. Und irgendwann beschließen wir, dass wir uns in der Familie keine Geschenke mehr machen. So auch bei uns.

Also keine für die Menschen. Für die Hunde macht meine Familie gerne eine Ausnahme.

Und so bekommen meine Hunde jedes Jahr zum obligatorischen Weihnachtsbesuch am Niederrhein selbstverständlich ein Geschenk – nämlich einen Karton Bonzo-Leckerchen, Schmackos, Kaustreifen und allem, was das Zoofachgeschäft sonst noch so her gibt.

Ich freue mich derweil über eine „Tupperware“-Schüssel mit Rouladen zum Aufwärmen. Ist ja auch was. Es sei denn, ich passe nicht auf, und die Rouladen fallen auf der Rückfahrt einem der Hunde zum Opfer.

Achja, die Hunde, die sind so etwas wie ein Enkelkindersatz für meine Mutter.

Da sie von meiner Schwester und mir in dieser Hinsicht nicht viel zu erwarten hat, nehmen die Hunde eben die Position derer ein, die es großmütterlich zu verwöhnen gilt, ohne dass man sich um die Konsequenzen zu scheren hat.

Dies wiederum ist mit einer der Gründe, warum ich mir sehr genau überlege, welche meiner Hunde ich mit zum Elternbesuch nehme, denn ein Tag bei der Familie reicht vollkommen aus, um den Erziehungsstand der Viecher auf Pubertätsniveau zurückzuwerfen.

Dabei geht es weniger darum, dass meine Hunde verwöhnt werden, sondern wie.

Als ich mal einen Workshop gab, fiel eine Teilnehmerin in der Mittagspause beinahe vom Glauben ab, weil ich meine Hunde vom Tisch füttere. Ein Stück Pizza hier, eine Scheibe Wurst da – ich finde das witzig und gönne meinen Hund den kleinen Snack zwischendurch.

Allerdings habe ich auch kein Problem damit, das arme bettelnde Tierchen in seiner Hungersnot sitzen zu lassen, wenn mir nicht nach teilen zumute ist.

So liegt die Bettelquote im Normalzustand bei lediglich 16,67 %, aber das ist der Dackel und der Dackel ist kein Hund, wie schon Horst Stern zu berichten wusste.

Anders bei meiner Familie. Wenn er oder sie schon so süß guckt, dann soll er oder sie auch was haben. Und da er oder sie ständig süß guckt, kriegt er oder sie ständig was. Und wenn gerade nichts zu Essen in der Nähe ist, steht man halt auf und holt dem armen Klops ein Häppchen. Denn wer weiß, wann er oder sie jemals wieder so süß gucken wird.

Noch Tage nach einem Besuch gucken meine Hunde völlig bekloppt aus der Wäsche in der Hoffnung, dass ich das süß finde und ich ihnen einen Keks hole.

Die Zeit zwischen den Tagen, wie man sie so schön nennt, ist meist von Ruhe und nur wenigen Terminen geprägt, so dass man in sie gut nutzen kann, um ausführliche, romantische Winterspaziergänge zu machen.

Und so lautet der chiffrierte Facebook-Post: „Heute wieder einen ausführlichen, romantischen Winterspaziergang mit meinem Hunde-Team gemacht“ (15 Leuten gefällt das.)

Dechiffriert bedeutet „Winter“ dieses Jahr, dass man besser in Regenhosen und Gummistiefeln unterwegs ist, will man nicht einen elenden Grippetod sterben, aber das ist ja nicht jedes Jahr so.

„Romantisch“ bedeutet wiederum, dass einem die geliebten Hundies all die kleinen Kleinigkeiten, die man in der hektischen Vorweihnachtszeit mangels Zeit und und Muße hat durchgehen lassen, nun geballt vor die Füße schmeißen.

„Ausführlich“ bedeutet nichts anderes, als dass es unter Umständen eben eine Zeit lang dauert, bis der Hund wieder da ist. Glücklicherweise jagen meine nicht, sind ja Hütehunde und die tun sowas nicht … *hüstel*.

Und Team steht, wie jeder weiß für „Toll, ein anderer machts“. Im Falle des Hunde-Teams, dass der eine das macht, was man dem anderen gerade verboten hat.“

Ein Facebook-Chat:

N: „Hast Du einen Moment Zeit, kann ich Dich anrufen?“
Ich: „Kein Problem, ich warte eh darauf, dass Finchen vom jagen zurückkommt.“
N: „Cool, dann kann ich ja erst noch meine Hunde rauslassen.“
Ich: „Klar, ich kann ja nicht weg.“

Wenn der „sichere Rückruf mittels Markersignal“ auf Grund weihnachtlicher Schmackosverstopfung der Gehörgänge mal wieder in Vergessenheit geraten ist, hilft mir meine längst vergangende Karriere als Sänger einer Punkrockband glücklicherweise auch heute noch, wenn es darum geht, auf Distanz mit meinen Hunden zu kommunizieren.

Das Crowling, so der Fachausdruck für ärgerverheißendes Gebrüll hat noch einen weiteren Vorteil – die Umgebung im Umkreis von ca. 20 Km Luftlinie weiß bescheid, dass Tacker heute nicht so ganz supi auf mein „Hiiiieeeeer, jabbajabba“ reagiert.

Da jetzt wieder alle meckern, dass man doch mit dem geliebten Vierbeiner leise und sanft kommunizieren soll, kann ich Euch versichern, dass der blöde Sauköter so weit weg war, dass mein „Du blöder Sauköter“ mit Sicherheit nur noch ganz leise und sanft zu vernehmen war.

So stehe ich also ganz weihnachtlich gestimmt bei angenehmen 3° Celsius im strömenden Regen knöcheltief im Schlamm, während meine Hunde machen, was sie wollen und denke darüber nach, wie sich mein Leben wohl entwickelt hätte, wenn ich mir – wenn ich schon viele Tiere haben will – Goldfische zugelegt hätte.

Goldfische sind toll, man kann ihnen tolle Tricks beibringen. Ein Schulfreund hatte mal fünf Stück, denen er beigebracht hatte, auf dem Rücken an der Wasseroberfläche zu schwimmen.

Allerdings lebten die haarscharf an der Verhaltensstörung, denn sie waren so in diesen Trick vertieft, dass man es nicht mehr abbrechen konnte. Schließlich haben sie das Körperpflegeverhalten ziemlich vernachlässigt, so dass es nach einiger Zeit ganz schön müffelte in dem Aquarium.

Spaß beiseite, ohne Hunde hätte ich viel verpasst.

Die „Hundeszene“ zum Beispiel.

Und meinen hohen Blutdruck und mein Magengeschwür.

Andererseits sollten wir „Hundemenschen“ uns nicht einbilden, dass es nicht noch schlimmer ginge. Wo wir gerade bei Goldfischen sind, besuch doch mal ein Aquaristikforum. Du wirst auf schlagartig erfreut sein, wie sehr die Diskussionen unter Hundehaltern doch von gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme geprägt sind.

Auch in Häkelforen soll es übrigens heiß her gehen, habe ich neulich erfahren.

Überall da, wo Menschen aufeinandertreffen kommt es auch zu Reibungen. Und da, wo es um so etwas hochemotionales wie Häkeln geht, da schlägt man auch mal über die Stränge.

Das ist menschlich und erstmal nicht weiter schlimm. Hauptsache, das Ergebnis stimmt und der Pulli sitzt.

Wenn nicht, dann sieht’s halt scheiße aus, egal ob es sich um den selbstgeklöppelten Anorak oder um den selbst versauten Hund handelt.

So wie neulich, als eine prominente Kynopädagogin im Regionalfernsehen zeigen durfte, wie man seine Hunde ausschließlich mittels positiver Verstärkung dazu bringt, einen vor der Kamera so richtig dämlich aussehen zu lassen.

Grenzen setzen ist sowas von out und Neunziger Jahre, genau das habe ich gerade letzte Woche meinem Sohn erzählt, als ich ihn in der JVA besucht habe.

Achtung Quotenargument: Dämlich aussehen funktioniert natürlich auch hervorragend mit ausschließlich aversiven Methoden! Der Unterschied liegt allerdings darin, dass es die positive Verstärkung ins Privatfernsehen schafft und die Prügelfraktion nur bis Youtube.

Ich bleibe dabei.

Jeder soll seinen Goldfisch so barfen, wie er es für richtig hält, seine Socken so stricken, wie es ihm passt und seinen Hund so erziehen, wie es ihm gefällt.

Wenn das Ergebnis stimmt, ist doch alles prima, wenn nicht, dann hilft Humor und Selbstreflexion.

Und wenn man keinen Humor hat und auch nicht selbstreflektiv ist, dann finden sich im Internet immer noch genügend Gleichgesinnte, mit denen man zum Clickern oder Klöppeln in den Keller gehen kann.

So ist das in einer freien Gesellschaft.

Empathie heißt das Zauberwort, das uns hilft, Mitgefühl für 17.500 Menschen zu empfinden, die sich von sage und schreibe drei salafistischen Straftätern bedroht fühlen und Forderungen stellen, die beinahe so krude und dämlich sind, wie die Umsetzung des §11 für Hundetrainer.

Gerade jetzt zu Weihnachten sollten wir den Gedanken der Nächstenliebe hegen und nicht nur an uns denken.

So könnte man zum Beispiel einen Troll im Dogs-Forum glücklich machen, in dem man mit ihm eine Diskussion startet. Oder eine Petition, in der man dem Weihnachtsmann verbietet, seine Rentiere mittels Peitsche anzutreiben. Man könnte seinem Hund die Nachbarskatze auch mal gönnen. Das ist doch der Gedanke von Weihnachten.

In diesem Sinne muss ich jetzt mal meine Hunde mit Keksen versorgen, denn die gucken schon wieder süß!

Euch wünsche ich ein friedliches und besinnliches Weihnachtsfest und möchte mich bei allen bedanken, die ich auf den Workshops, Lesungen und im Training kennenlernen durfte, die ich sonstwo kennenlernen durfte, die fleißig kommentiert haben und schließlich ganz besonders Dir – fürs Lesen!

 

Der König ist tot, lang lebe der König!

Als „Hoax“ bezeichnet man eine gezielte Falschmeldung, die im Internet rumgereicht wird, meist mit dem Ziel, Clicks zu erreichen und interessierte Leser auf die eigene Seite zu lotsen.

Es gibt Hoaxes, die sich sehr, sehr hartnäckig halten wie beispielsweise der, das es ausreichen würde, den Facebook-AGB zu widersprechen, in dem man das einfach in sein Profil postet. Auch die immer wiederkehrenden Nachrichten über „Altkleidersammler“, die Katzen klauen und den mittlerweile berühmten weißen Bulli, der vor Kindergärten rumsteht sind einfach nicht totzukriegen.

Gestern machte bei Facebook die Nachricht die Runde, dass Cesar Millan an einer „Heart Attack“ gestorben sei, was sich jedoch relativ schnell als Fake rausstellte.

Kein Fake dagegen waren die Kommentare unter der Meldung. Ein paar „Highlights“:

  • „Hoffentlich ist er elendig verreckt.“ (5 Gefällt mir-Angaben)
  • „Endlich ist die Welt diesen Tierquäler los.“ (22 Gefällt mir-Angaben)
  • „Gut so.“ (2 Gefällt mir-Angaben)
  • „Hoffentlich war es ein qualvoller Tod.“ (8 Gefällt mir-Angaben)
  • „Das hat er verdient.“ (17 Gefällt mir-Angaben)
  • etcpp.

Diese Liste ließe sich beliebig weiterführen und beweist ein weiteres Mal, wessen Geistes Kind so manche vermeintliche Tierfreude sind. Die propagierte Gewaltfreiheit beschränkt sich auf den Umgang mit dem eigenen (Haus)tier.

Schon bei solchen Tieren, die verfüttert statt gefüttert werden, hält sich das Mitleid in Grenzen.

Und geht es um Menschen, insbesondere solchen, denen man „Gewalt“ vorwirft, sieht das Ganze nochmal anders aus. Denen darf man den – möglichst qualvollen – Tod an den Hals wünschen und sich diebisch drüber freuen, wenn sie gestorben sind.

Selbstverständlich scheißegal, dass Millan vielleicht eine Familie und Hinterbliebene hat, die sich – im Falle einer echten Meldung – dann mit solchen Äußerungen konfrontiert sehen.

Viele Menschen behaupten ja, dass Facebook geradezu dazu verleiten würde, ungefiltert unter dem Schutz der vermeintlichen Anonymität die Sau raus zu lassen.

Ich sehe das etwas anders.

Bei einem Hund würde man von latenten Verhalten sprechen, also einer Verhaltensweise, die vorhanden, aber nicht unmittelbar zu erfassen ist. Der Hund ist grundsätzlich bereit zu beißen, bisher hat es jedoch keinen Auslöser gegeben, der ihn dazu veranlasst.

Viele Menschen scheinen grundsätzlich dazu bereit zu sein, sich menschenverachtend und (verbal) gewalttätig zu verhalten – und Facebook scheint ein geeigneter Verhaltensauslöser zu sein.

Und wenn man bei Facebook schonmal Erfolg hatte, dann verhält es sich ähnlich wie mit dem Hund. Wenn das mit dem Knurren auf dem Sofa funktioniert, dann kann man es ja mal mit dem ganzen Wohnzimmer ausprobieren. Und wenn es für die kreativste Morddrohung bei Facebook ein paar aufmunternde Likes gibt, vielleicht probiert man es dann mal bei Spiegel Online.

Darauf angesprochen hört man dann, dass der Facebook- oder Forennutzer „sowas im richtigen Leben“ ja niemals sagen würde.

Das Problem ist nur, dass die Empfänger der Botschaft „richtige“ Menschen sind und nicht ein paar virtuelle Schießbudenfiguren, an denen man sich abreagieren kann.

Ein Kollege erklärte mir mal ein radikal neues Konzept, er nannte es „nachdenken.“

Angstmäuse from Hell

Jetzt neu mit Hass-Mail-Live-Ticker:

(A) Präambel

Die gemeine „Angstmaus“ erkennt man daran, dass sie

  1. oft aus einem Land kommt, dessen Bewohner eine etwas andere Vorstellung von Hundehaltung haben als wir, weshalb diese Menschen alle samt und sonders „Schweine“, „Arschlöcher“ oder „Hurensöhne“ sind, die man „umbringen“, „besuchen“ oder deren „Familie man auslöschen“ sollte (vgl. Facebook 2014 et al.)
  2. auf Grund dessen eine schlimme Vergangenheit haben muss, auch wenn diese garnicht bekannt ist. In anderen Ländern landen Hunde nämlich grundsätzlich und immer an der kurzen Kette, in einem nicht rostfreien Zwinger oder auf der Straße.
  3. sie sich gerne mal wie offene Hose benimmt; ihrem Gegenüber gaaanz schüchtern zeigt, wo der ängstliche Frosch die Locken hat oder vor lauter Panik an der Leine pöbelt, als wenn’s kein morgen gäbe.
  4. oft einen Besitzer bzw. vielmehr eine Besitzerin hat, die etwas gutes tun wollte, als sie sich dafür entschieden hat einen Hund aus dem Tierschutz zu kaufen einem armen Notfell eine Chance zu geben und es zu adoptieren.

(Bis hier 5 Hass-Mails)

Wenn eine Angstmaus beißt, dann meist deshalb weil sie ein Problem mit großen Männern oder dicken Kindern oder gebrechlichen Frauen oder Menschen generell hat, was an den oben genannten Gründen liegen muss.

Dieses Verhalten war dann nicht etwa irgendwie aggressiv, sondern zumindest mal eine Übersprungshandlung.

So erklärte mir auch Sabine, warum „Tiffy“ den älteren Herrn im Park in Richtung Krankenhaus befördert hatte. Dieser nämlich hatte die Individualdistanz der Angstmaus deutlich unterschritten – und das trotz gelber Schleife, die an Tiffies Geschirr baumelte.

So ein Idiot, ist der nicht bei Facebook? Dann müsste er doch wissen, dass es die „gelbe Schleife“ ist, an der man Hunde erkennt, deren Besitzer lieber gelbe Schleifen kaufen als ihre Hunde zu erziehen oder ihre Umwelt vor dem Vieh zu schützen.

(20 Hass-Mails, nein, 19, die eine wird ironisch gemeint sein … )

Bei näherer Analyse des Beißvorfalls, ähm, ich meine natürlich der Übersprungshandlung, wurde klar, dass Tiffies Individualdistanz ungefähr 15 Meter beträgt und dass sie „normalerweise“, so Sabine auf dieser Distanz schon sehr gut gegenkonditioniert wäre.

Meine Frage, woher sie denn weiß, dass „normalerweise“ funktioniert, beantwortete sie mit dem Hinweis auf die vier anderen Menschen, denen Tiffy schon in der Hose gehangen hatte. Meine Frage, wozu sie eine Fünfzehnmeterleine hätte war nur noch rhetorischer Natur.

Denn natürlich ist Tiffy ein Hund. Und ein Hund ist ein Lauftier. Und Lauftiere müssen laufen.

Das ist schon richtig, erwiderte ich. Aber sollten sie nicht auch zurückkommen? Ja schon, so das Angstmausfrauchen, das Rankommen übe man ja mittels Angstpendeln – und nein, das habe rein garnichts mit Auspendeln zu tun.

Sie könne mir das auch demonstrieren, aber hier sei dann doch zu viel los. Ich schaute mich um, weit und breit nichts zu sehen. Aber Sabine hatte recht, hier mitten auf dem Feld könnte ja was unvorhersehbares passieren. Ein Flugzeug könnte z.B. ein Piano verlieren, das dann neben uns auf den Boden knallt.

Nein, aber es könnte ja sein, dass irgendwo ein Kaninchen auftaucht und dann wäre Tiffy weg. Denn trotz Würstchenbaum und Antijagd-Clickern hatte das Mäuschen noch nicht verstanden, dass es in Vollpension lebt und das selbstständige Erlegen von Beute nicht mehr notwendig sei. Naja, außer Suchmäuseln, denn das sieht total süß aus, wenn Tiffy – nicht die Maus – so einen Spaß hat.

Ich wiederholte das bis dahin Gehörte, nämlich dass Sabines Hund bisher fünf Leute, davon einen ziemlich heftig gebissen hatte und außerdem jagt wie die Sau. Und trotzdem ohne Leine durchs Leben geht. Alter Schwede. (Hemlik Svenska)

Jetzt gerade stand Tiffy jedoch neben ihrem Frauchen und fixierte mich – nur unterbrochen durch ständiges „Mach Sitz, Tiffy“ von Seiten Sabines, was die Angstmaus mit einem kurzen „Ich hab die Sau im Blick“ quittierte und sich noch ein bisschen größer machte.

Angst sieht anders aus, dachte ich mir.

Und außerdem fragte ich mich, ob irgendwo jemand mit einer versteckten Kamera unser Gespräch filmte. Sozusagen im Sekundentakt erklärte mir Sabine ihre Methoden, natürlich alle nur die neuesten und vor allem solche, bei denen ich Brechreiz kriege.

Vielleicht will die mich verarschen, dachte ich bei mir. Vielleicht gibt es jetzt ein neues Format namens „Grünschleifen-TV“ und ich bin das erste Opfer der Sendung „Irritieren statt trainieren“, in dem böse Menschen wie ich vor laufenden Kameras in den Wahnsinn getrieben werden, bis sie den Job an den Nagel hängen oder so.

(35 Hass-Mails, zwei Anrufe)

Nachdem ich mit Sabine und Tiffy ungefähr 20 Minuten spazieren gegangen war, uns in der Zeit drei Hunde entgegenkamen, die Tiffy allesamt killen wollte, während ich penibel auf die Individualdistanz achtete, damit mir das Notfell nicht gleich in Jacke hüpft, blieben wir schließlich stehen und ich sagte:

„Sabine, du musst jetzt ganz stark sein, aber ich glaube Tiffy ist gar kein Angsthund. Ich glaube sogar, dass sie ziemlich genau weiß was sie tut und ihre Zähne einsetzt, wenn ihr was nicht passt. Und wenn du mich fragst, ist das auch der Grund, warum sie in Spanien ins Tierheim gegeben wurde. Weil sie nämlich beißt. Davon abgesehen jagt sie wie die Sau, ist nicht abrufbar und wenn sie mal an der Leine hängt, dann pöbelt sie wie irre.“

In solchen Momenten kann man die Spannung in der Luft beinahe spüren.

Ich sah Sabine an und hörte quasi die Heavy Rotation in ihrem Kopf. Sie atmete tief ein und ich machte mich auf ein Donnerwetter gefasst. Doch dann sagte sie:

„Stimmt, das habe ich mir auch schon mal überlegt“.

In solchen Momenten kann man wiederum beinahe hören, wie meine Kinnlade auf den Asphalt scheppert. *klirr*

Was nicht sein darf, darf auch nicht sein.

Und wenn die freundliche Tierschützerin aus Spanien sagt, dass die favourisierte Notnase Angst hat, dann ist das so.

Kann ja schließlich keiner wissen, dass es mit dem Fachwissen bei ausländischen Tierschützern häufig genauso weit her ist, wie bei vielen von denen, die hierzulande aktiv sind.

Viele Emotionen, noch mehr Tierliebe, das gepaart mit dem guten Gefühl, etwas uneingennütziges zu tun und dem kynologischen Fachwissen aus einem „Was ist Was“-Hörbuch – und schon wird aus dem herzhaften Beißer ein ängstliches Herzchen.

(Ticker kaputt, müssen mittlerweile tausend Hass-Mails sein.)

Ungefähr Hundertundzwölf Prozent der beißenden Hunde, die in Hundeschulen vorgestellt werden, haben Angst. Der Grund dafür ist einfach.

Denn der Hund, der aus Angst beißt, ist emotional wesentlich einfacher zu verkraften, als der, der beißt, weil er ein unerzogenes Arschloch ist.

Der Kunde mit der Angstmaus zahlt gerne die eine oder andere Zehnerkarte mehr, weil er das Gefühl kennt. Angst hat jeder, sei es vor dem Verlust des Jobs, sei es vor dem älter werden oder vor Spinnen.

Außerdem will man ja was gutes tun. Und wenn einem plötzlich klar wird, dass man da nicht einer armen Seele das Leben gerettet hat, sondern einem hundgewordenen Charles Manson Unterschlupf gewährt, steht man unter Umständen plötzlich ziemlich dämlich dar vor den Freunden aus der Facebookgruppe.

Von der nächsten Kynopädagogin positiv bestärkt, tauscht man flux noch das Stachelhalsband gegen eine Einzelstunde und schon wird fleißig an einem nicht existierenden Verhaltensproblem gearbeitet – und zwar bitte recht freundlich.

Das Mittel der Wahl ist dann häufig die Gegenkonditionierung, salopp ausgedrückt also die hohe Kunst, exakt den Moment positiv zu besetzen, bevor das Tierchen in Stress gerät. Wirklich eine eine hohe Kunst, da es genügend Stresssymptome gibt, die der geneigte Positivbestärker garnicht oder erst bemerkt, wenn es zu spät ist – es sei denn, er hat seinen Hund zufälligerweise gerade am EKG und am Elektroenzephalografen angeschlossen.

Kostenloser Marketing-Tipp!

Für die wirtschaftlich denkenden Hundetrainer unter uns (wir machen das ja eigentlich alle nur aus Liebe zum Tier und weil wir helfen wollen) ist das eine wahre Goldgrube.

Rechtzeitig, bevor die nächste Leasingrate für das vollfolierte Firmenauto fällig wird, schnell noch ein „Oh Mist, das ist aber ein bisschen doof. Jetzt hast du genau in die Angst des Mäuschens reinkonditioniert“ eingeworfen und schon kann’s von vorne los gehen.

Super, der nächste Pauschalurlaub auf Malle ist gesichert. Und wenn man schonmal da ist, kann man grad noch eine Angstmaus mitbringen, die man dann der solventen Kundschaft gegen Zahlung einer entsprechenden Schutzgebühr aufs Auge drückt – zuzüglich Einzeltraining natürlich.

Marketing-Tipp Ende.

Nachdem wir nun alle gelacht haben, wird es ernst. Und zwar unter Umständen todernst.

Angst erkennt man an verschiedenen Symptomen, laut Feddersen-Petersen müssen drei davon identifizierbar sein, um auch ethologisch von einer Angst zu sprechen. Der gravierende Unterschied zwischen Angst und Unsicherheit ist der, dass der unsichere Hund noch in der Lage ist, sich mit dem auslösenden Reiz auseinanderzusetzen. Er verhält sich also ambivalent.

Der Angsthund jedoch kann sich nicht mehr auseinandersetzen, mit dem Ergebnis, dass er – je nachdem, wem man glauben möchte – drei bis vier „f“ zeigt: Flight, Freeze, Fight und neuerdings auch Fidget.

Einem Angsthund, der flüchtet wird man maximal mithilfe einer Lebendfalle oder einer Fangstange habhaft. Beides sehr hässlich und einmal hatte ich auch das „Vergnügen“, einen solchen Hund aus einer Wohnung zu holen. Von den Tierschützern als „ein bisschen schüchtern“ beschrieben, war die „Adoptantin“ etwas verwundert, als man ihr an der Autobahnraststätte eine Flugbox mit der Aufschrift „Nicht öffnen, Fluchtgefahr“ in die Hand drückte.

Als sie dann zuhause ankam und die Box öffnete, wusste sie dann auch, was gemeint war. Drei Wochen mit einem Schatten im Haus später hatte sie die Nase voll, rief mich an und ich musste den armen Hund mit einer Moxonleine aus dem Badezimmer rausoperieren, in das wir es vorher getrieben hatten.

Es ist wirklich kein Vergnügen, einen solchen Hund aus dem zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses ins Auto zu bugsieren und ich durfte mir von durch den Lärm aufgeschreckte Nachbarn entsprechende Wünsche für die Zukunft anhören.

Insofern war es mir dann ein kleiner innerer Reichsparteitag, als die empörten Tierschützer ihren Schützling wieder abholen wollten und stundenlang mit ihren Futterbeuteln vor der Hundehütte gammelten, bevor sie eingesehen hatten, dass die Hündin lieber verhungert, als sich ihnen auch nur einen Millimeter zu nähern.

Ein Hund, der in seiner Angst einfriert, der stellt grundlegende Körperfunktionen wie den Stoffwechsel, das Komfortverhalten und die Sexualität ein. Wenn man also versucht, dem Hund ein Steak anzudrehen hat man genauso gelitten wie wenn man dem Angstrüden mit einer attraktiven Hündin in der Standhitze vor der Nase rumwedelt. Wie eine Salzsäule hockt er da und verhält sich nicht mehr – trotz der Aussicht auf eine heiße Nacht und ein „Steak danach“.

Der Angsthund, der in den „Fight“ geht, sorgt oft für bleibende, schmerzhafte Erinnerungen. Kein Wunder, denn wer unter Todesangst agiert, der macht keine Gefangenen und wird so heftig wie irgendmöglich zubeissen.

Und die neue Besitzerin, die es auch nur gut meinte, musste sich schweren Herzen wieder vom frisch zugelegten Liebling trennen angesichts der zwanzig OPs, die nach dem Angstintermezzo noch auf sie zukamen,

Angst haben ist kein Spaß und erst recht kein Zustand, den man einem Hund mit Mitleid, netten Worten und irgendwelchen kynopädagogischen Spöckes entgegentreten könnte.

Ein solcher Hund braucht in erster Linie eines – nämlich einen Besitzer, der in der Gefühlslage ist zu ertragen, dass sein Vierbeiner Angst hat. Das klingt vielleicht herzlos, aber niemanden, und am wenigsten dem Hund ist damit geholfen, wenn man ihm die Situation noch gruseliger quatscht als sie eh schon für ihn ist.

Und der Alltag mit einem solchen Tier ist in erster Linie durch viele kleine und große Momente geprägt, in denen man nur auf dem zweiten Blick gutes tut – auf dem ersten sieht das oft scheiße aus und fühlt sich emotional auch so an.

Den Angstbegriff inflationär zu gebrauchen ist nicht nur fachlich nicht haltbar und oft genug nichts anderes als eine Ausrede für die eigene Verweigerung, den Hund zu erziehen oder moralische Masturbation auf das eigene Gutmenschen-Ego.

Nein, der inflationäre Gebrauch dieses Begriffs stellt auch eine Verharmlosung eines wirklich schwerwiegenden Verhaltensproblems dar, mit der fatalen Folge, dass sich tierliebe Menschen mit einem solchen Hund ins Unglück stürzen.