Von Grenzfellen

„Der Obduktionsbefund des Kindes ergab massenhaft unterschiedlich tief reichende, glattrandige Hautdurchtrennungen, einen großflächigen Verlust der Haut und des Weichteilgewebes beider Gesichtshälften sowie der behaarten Kopfhaut.

Beide Brusthöhlen waren eröffnet, ebenso die hintere Schädelgrube mit Durchtrennung der harten Hirnhaut. Todesursache war ein massiver Blutverlust in Kombination mit dem Pneumothorax.“

(Quelle: Tödliche Attacken von Hunden auf Kinder – Aktualgenese und Motivation bei spezifischer Kasuistik und bestimmten pathomorphologischen Veränderungen“ S. Heinze, D.U. Feddersen-Petersen, M. Tsokos, C. Buschmann, K. Puschel)

In den letzten Tagen erreichten mich viele Forderungen, mich an der „Rettung“ eines Hundes zu beteiligen, der im Ruhrgebiet ein Kind schwerst verletzt hat und nun per Amtsbeschluss eingeschläfert wurde.

Dies habe ich abgelehnt und klargestellt, dass ich das Einschläfern in diesem Fall völlig in Ordnung finde.

Die Gründe hierfür lege ich in den nächsten Zeilen dar.

Der Ethologe von Welt unterteilt die verschiedenen Verhaltensweisen eines Hundes in sogenannte Funktionskreise. Hierzu zählt das Sozialverhalten und dazu wiederum der Bereich der Agonistik, also alles, was Angriff und Flucht betrifft.

Einen Hund, der nicht oder falsch gelernt hat, mit Artgenossen und Menschen zu kommunizieren, kann man „resozialisieren“, wie man so schön sagt.

Im diesem Fall jedoch geht es nicht um Sozialverhalten und der Hund hat das Kind nicht „angefallen“, wie die Presse behauptet, sondern hat es gejagt, wie auch die Amtsveterinärin festgestellt hat.

Hier greift dem entsprechend keine Resozialisierung, sondern (unter anderem) ein Antijagdtraining.

Das Jagen gehört nicht zum Sozialverhalten sondern zu den stoffwechselbedingten Verhaltensweisen, also allem, was der Nahrungsbeschaffung dient. Und mit Beute kommuniziert man nicht.

Die Endhandlung des Jagens ist – auch wenn die meisten Hunde heute erfolglos bleiben – das Hetzen, Packen und Töten der Beute, um sie schließlich zu fressen.

Normalerweise gehört der Mensch nicht zum Beutespektrum des Hundes, nicht mal der Wolf hat Appetit auf uns.

Wenn ein Hund uns dennoch als Beute wahrnimmt, läuft ordentlich was schief – und ist in den allermeisten Fällen die Ursache für die schrecklichen Beißvorfälle der vergangenen Jahre.

Die liebe Dorit Feddersen-Petersen hat gemeinsam mit Rechtsmedizinern zu dem Thema geforscht und verschiedene – tödlich verlaufene – Vorfälle untersucht.

In fast allen Fällen zeigten die Hunde Elemente aus dem Jagdverhalten und keine Kommunikation mit ihren Opfern. Kein Knurren, kein Drohen, kein Nichts.

Die Verletzungen der Opfer ähneln sich häufig, ein Auszug aus „der Westen„:

„Dem Kind wurden große Teile der Kopfhaut abgerissen, es erlitt zudem teils schwere Bisswunden an Ohren, Auge, Mund, Bauch und Beinen.“

Verhalten sich Hunde aggressiv gegen Artgenossen oder Menschen, dann kommunizieren sie mit ihrem Gegenüber, jagen sie dagegen Menschen, dann stellt dieses fehlgeleitete Beutefangverhalten eine Störung dar.

Gerade Hunde, die „von Hause aus“ über ein gesteigertes Beutefangverhalten verfügen, neigen dazu, in diesem Bereich problematisches Verhalten zu zeigen.

Ungünstiges „Spiel“ kann bedingen, dass Hunde z.B. durch unreflektiertes Ball“spiel“ nicht mehr differenzieren, dem Bewegungsreiz nachgeben und schliesslich Dinge jagen, die garnicht essbar sind.

Ein Kollege sagte mal „Wenn Du wissen möchtest, ob Dein Hund ein Problem hat, schmeiss einfach den Ball vom Dach. Wenn er hinterher hetzt, hatte er ein Problem.“

Wenn der Hund die gelbe Filzkugel nicht mehr von der gelben Jogginghose unterscheiden kann, hat der Jogger ein Problem.

Noch ein Zitat aus der Studie:

„Durch Pfotenstemmen wurde Gesichtshaut abgezogen und gefressen. Auch dies gehört zum Jagdverhalten.“

Doch nicht nur „das andere Ende der Leine“ muss schuld an einer solchen Entwicklung sein.

Viele Menschen fahren vom Züchter nach Hause und haben ein Riesenproblem im Kofferraum, dem sie selbst mit größtem Sachverstand nicht Herr oder Dame werden können.

Bei einer Zuchttauglichkeitprüfung vor kurzem waren drei Erwachsene notwendig, um den Prachtrüden daran zu hindern, den Richter umzubringen, weil dieser sich die Beißrechen von dem Tierchen angucken wollte.

Der Hund bestand die Prüfung schließlich und wird nicht nur sein tolles Fell, sondern auch sein Verhalten an seine Nachkommen weitergeben.

In einer Zeit, in der Gebrauchshunderassen nach Standards gezüchtet werden, die mehr Wert auf die exakte Schulterhöhe legen als auf ein ausgeglichenes Wesen, in einer Zeit, in der das Züchten bestimmter Rassen mit Arbeitsbackground eine Lizenz zum Gelddrucken bedeutet, werden wir uns mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass wir immer wieder mit Hunden konfrontiert werden, die trotz aller ihnen entgegengebrachten Liebe und aller Mühen dermaßen genetischer Abfall sind, dass große und kleine Katastrophen vorprogrammiert sind.

Eine Amtstierärztin hatte ein inadäquates beziehungsweise fehlgeleitetes Jagdverhalten festgestellt. Eine Beißhemmung habe während des über mehrere Minuten fortgesetzten Angriffs auf das Mädchen nicht bestanden. (Quelle: Der Westen)
(Warum sollte ein Beutegreifer beim Töten der Beute eine Beißhemmung zeigen?????)

Früher mal war der Rottweiler sprichwörtlich gelassen wie ein Metzgerhund. In meiner Kindheit hatten wir einen tollen Rüden in der Nachbarschaft, den wir Kinder hätten auf Links drehen können, ohne der er auch nur einen Mucks gemacht hätte.

Solche Hunde muss man heute mit großer Sorgfalt und detektivischen Gespür suchen, noch vor zwanzig Jahren zeichnete die Hunde genau das aus.

Diese Entwicklung ist gleich aus drei Gründen dramatisch.

Erstens werden ganze Rassen unter Generalverdacht stehen, nur weil eine unseriöse Züchtermafia ohne Sinn und Verstand Viecher verpaart, bei denen Ärger vorprogrammiert ist.

Zweitens geben viele seriöse Züchter, die großen Wert auf ausgeglichene, familienfreundliche Hunde legen, irgendwann auf, weil sie auf Grund 1.) keine Käufer mehr finden.

Drittens lässt sich beobachten, dass diese Hunde dann im Tierheim landen und quasi unvermittelter sind.

Im Moment sind gerade Malinois überproportional in den Tierheimen vertreten, die ich kenne. Wenn ich im Kleinanzeigenportal meines Vertrauens lese, dass diese Hunde „familiengeeignet“, „für Senioren geeignet“ und „für Hundeanfänger“ geeignet sind und der Züchter sich gleichzeitig via YouTube einen Keks freut, dass die kleinen Racker ihm mit sechs Wochen schon in der Hetzhose hängen, dann frage ich mich, ob der gute Mann sein Gehirn in den Beinen trägt und die Hunde ihm das schon rausgeknabbert haben.

In der Hauptverhandlung führte einer der angeklagten Besitzer der Hunde aus, die Hunde haben nichts Böses „tun wollen“, sie hätten „wohl den Kopf des Jungen mit einem Ball verwechselt“

Was auch immer der Grund dafür war, dass der Hund das Kind so schwer verletzt hat, stellen sich drei Fragen.

Erstens, wie möchten die tierlieben Menschen dem Opfer, das ein Leben lang von diesem Vorfall seelisch wie wohl auch körperlich gezeichnet sein wird, erklären, dass eben dieser Hund gerettet werden musste? Nachdem, was in den verschiedenen Netzwerken zu lesen war, hat wohl kaum einer der „Retter“ auch nur einen Gedanken daran verschwendet.

Zweitens, wenn man den Hund denn gerettet hätte, wie sähe dann das Leben des Tieres aus?

Kein Tierschützer hätte die persönliche Verantwortung dafür übermehmen und gewährleisten können, dass sich ein solcher Vorfall niemals auch nur im Ansatz wiederholt. Niemals bedeutet, dass keine noch so kleine Unaufmerksamkeit in all den Jahren passieren darf. Kein sich lösender Karabiner beim täglichen Gassigang, kein kaputter Verschluss am Maulkorb und kein Moment der Unachtsamkeit beim Öffnen des Kofferraums.

Ein Leben ausschliesslich an der Leine und mit Maulkorb gesichert. Ohne Freilauf, ohne Sozialkontakt, ohne Ausnahmen. Ein Leben, gegen das Tierschützer oft genug protestieren.

Drittens, welche/r seriös arbeitende Hundetrainer/in hätte denn die Verantwortung dafür übernommen, dass der Hund sein Verhalten ändert?

Und wie hätte das Training ausgesehen?

Hätte der oder die Kollegin sich im Falle unterbrechener Maßnahmen die entsprechend entrüsteten Reaktionen derer eingefangen, die nun für die Rettung plädiert haben?

Jeder, der einen jagdlich motivierten Hund hat weiss, dass man immer auf der Hut sein muss. Und die Wahrscheinlichkeit, einem Kind zu begegnen ist in der Lebensrealität der meisten Menschen einfach größer als die Wahrscheinlichkeit, dass man einem Reh begegnet.

Und niemand möchte in diesem Zusammenhang auf der Titelseite der Bildzeitung landen, wenn doch was passiert.

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ein beißvorfällig gewordener Hund eine Chance bekommen soll – vorausgesetzt, es findet sich jemand, der die Verantwortung übernimmt und mit dem Hund arbeitet.

In diesem Fall habe ich zwar viel Empörung wahrgenommen, aber keiner der Empörten hat gerufen, dass er bereit wäre, den Hund zu übernehmen und die Verantwortung zu tragen.

Das war zu erwarten.

Das kaum einer dem Opfer so etwas wie Empathie oder gar Mitgefühl entgegengebracht hat, dass sogar Stimmen laut wurden, die der geschädigten Familie so etwas wie eine Mitschuld gaben, lässt tief blicken in die Seele der Empörten.

Lieber Arm ab als Arm dran?

Brigitte wirkt erstaunlich sortiert. Der Tierschutzverein, nein, der habe sich noch nicht gemeldet. Aber nachher käme ihr Sohn vorbei, der wisse bestimmt mehr.

Am Wochenende ist es passiert. Brigitte war gerade im Garten zu Gange, als ihr neuer Hund Lennox sie ohne erkennbaren Anlass attackiert und sich in ihrem rechten Arm verbissen hatte.

Mit massiven Bissverletzungen wurde sie ins Krankenhaus gebracht und noch am selben Tag operiert.

Ihren Arm wird sie wohl nie wieder vollständig nutzen können, wie der behandelnde Arzt ihr mitteilen musste. Außerdem seien noch weitere Operationen notwendig.

Da ich Lennox derweil untergebracht habe, bin ich nun hier, um mit Brigitte die weitere Vorgehensweise zu besprechen.

Der vermittelnde Tierschutzverein soll eine Chance bekommen, den Hund abzuholen. Da sich die Damen und Herren trotz E-Mails und Nachrichten auf dem Anrufbeantworter bisher nicht rühren, vermute ich jedoch, dass sie kein großes Interesse daran haben, ihn zurückzunehmen.

Im Internet habe ich den Vermittlungstext zu Lennox gefunden. Dort wird er als Husky-Schäferhund-Mix beschrieben, der unglaublich nett und anhänglich wäre und obendrein ziemlich verspielt. Außerdem, so weiter, hätten seine Menschen wohl keine Lust mehr auf den „lustigen Clown“ gehabt.

Wenn ich mir Brigittes Arm so anschaue, bekomme ich so eine Ahnung, warum Lennox‘ Leute den „Clown“ loswerden wollten.

Keine Ahnung wiederum habe ich, wie der Tierschutzverein auf die Idee gekommen ist, Lennox ohne weitere Begutachtung zu vermitteln bzw. mal genauer nachzufragen, warum er ins Tierheim sollte.

In vielen Tierheimen läuft es leider gleich.

Wenn jemand seinen Hund abgeben möchte, wird ihm ein Fragebogen in die Hand gedrückt, den derjenige bitte auszufüllen hat. Ansonsten kaum weitere Nachfrage, vielmehr bekommt der Hundeabgeber das Gefühl vermittelt, dass er der schlechteste Mensch der Welt ist.

Fatal, denn ist der Vorbesitzer erstmal weg, dann hat das Tierheim den Hund am Bein.

Blöd, wenn die eine oder andere Verhaltensoriginalität nicht bekannt ist.

Richtig blöd, wenn ein ahnungsloser Tierpfleger plötzlich ein Problem hat, wenn er in den Zwinger kommt.

Total beschissen, wenn das Tierchen sein Verhalten erst im neuen Zuhause zeigt, wie im Fall von Brigitte.

 

Verantwortungsvoller Tierschutz bedeutet nicht nur pipikackasatt mit möglichst romantischer Retterharmonie, sondern auch, zu wissen, mit wem man es zu tun hat und mögliche Interessenten zu informieren.

Dazu gehört neben einem vernünftigen Abgabegespräch – Stichwort aktives Zuhören und Empathie – mit den Vorbesitzern auch, den Hund auf Herz und Nieren zu testen und eventuelle Verhaltensauslöser zu erkennen.

Der Tierschützer von Welt protestiert dann gerne, die arme Maus, warum sollte man sie denn „ärgern“ und überhaupt, der arme Hund hat es schon schwer genug.

Also werden die Hunde bespaßt und betüddelt, bis sie in ein neues Zuhause ziehen, ohne jemals überprüft zu haben, wie das Notfell wohl reagiert, wenn etwas nicht nach seiner Fellnase läuft.

Und dann ist es unter Umständen die stinknormale Realität außerhalb des Tierheims, die dafür sorgt, dass der Hund genau das Verhalten an den Tag legt, das zum Tierheimaufenthalt geführt hat.

Aber es geht noch schlimmer. Eine Kollegin, die ehrenamtlich für ein Tierheim mit den Hunden trainiert hat, hatte einem Kandidaten dauerhaft den Maulkorb verordnet, weil er ihrer Meinung nach arschgefährlich war.

„Das geht gar nicht, das arme Tier“, so lautete der Tenor der versammelten Tierlieben, sogar bis an den Deutschen Tierschutzbund gingen die Beschwerden über die ach so herzlose Hundetrainerin.

Also entschied man sich, den armen Hund von seiner Schmach wieder zu befreien.

Mit dem Endergebnis, dass die Kollegin bei der nächsten Gelegenheit die schmerzhafte Erfahrung machen durfte, dass sie mit ihrer Einschätzung richtig lag und vom Hündchen ordentlich zerledert wurde.

Auch hier hätte der Einsatz von Hirn und Sachverstand schlimmeres verhindern können, aber darum geht es beim Tierschutz in vielen Fällen gar nicht.

Vielmehr geht es darum, sich selber gut zu fühlen und so zu tun, als würde man etwas uneigennütziges tun.

Ein Bekannter von mir, der in einem der „Vorzeigetierheime“ Deutschlands arbeitet, hat mir mal erzählt, dass die Tierpfleger angehalten sind, mit allen Hunden gemäß der Philosophie einer meiner Meinung nach völlig Wahnsinnigen zu arbeiten – egal, ob sie zum jeweiligen Hund passt oder nicht.

Wenn der eine oder andere Vierbeiner sich auf Gedeih und Verderb nicht auf Leckerchen und Clickerchen einlassen möchte, gehen die Pfleger wie folgt vor.

Sie warten, bis die Öffnungszeiten rum sind, einer steht Schmiere, und dann wird mit dem Hund so gearbeitet, wie es notwendig wäre.

Denn wehe, jemand würde mitbekommen, dass der eine oder andere Vierbeiner mal eine Ansage bekommt … Dann könnten sich die Pfleger einen neuen Job suchen.

Es ist verrückt.

Wir haben immer extremere Hunde, dürfen aber immer weniger tun, um sie zu erziehen. Will der passend zur Wohnlandschaft angeschaffte Mali seinen Artgenossen umbringen und wir unterbrechen ihn, kriegen wir eine Ansage, die sich gewaschen hat. Lassen wir ihn tun, was er zu tun müssen meint, kriegen wir auch eine Ansage, die sich gewaschen hat.

Vor ein paar Tagen habe ich mit einem Hütitüti gearbeitet, das jagdlich motiviert auf Kinder losgeht. Die Mutter des Kindes war völlig aufgebracht, weil ich den Hund körperlich daran gehindert habe, sich das Kind zu schnappen.

Wie hätte sie wohl reagiert, wenn ich den Hund nicht daran gehindert hätte?

Auch heute hat sich das Tierheim nicht gemeldet, ich überlege, ob ich einfach dahin fahre und Lennox am Tor anbinde. Mal gucken, wie er reagiert, wenn ihn jemand abmachen möchte.

Barfuss ins Stressnäpfchen treten

Es gibt zwei Anhaltspunkte anhand derer man merkt, dass man älter wird.

  1. Die Filme, von denen man dachte, sie seien voll im Trend, laufen plötzlich sonntags mittags auf Kabel 1.
  2. Dinge, die einen noch vor gar nicht langer Zeit auf die Palme brachten, ignoriert man einfach – und sei es, um dem ersten Herzinfarkt vorzubeugen.
  3. Weil, da krieg ich Stress – und wie jeder weiß ist Stress böse!

Und weil Stress böse ist, halten wir den gefälligst von unseren Fellnasen fern, denn wir wollen ja nur das beste für die Kleinen. Dafür nehmen wir natürlich gerne in Kauf, selber in Stress zu geraten. Denn so ein Leben für den ungebremsten Vierbeiner will ja schließlich organisiert werden.

Der Begriff „Stress“ als solcher wird erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts genutzt und beschrieb zunächst einmal die allgemeine erhöhte Aufmerksamkeit eines Organismus in einer Gefahrensituation.

Diese Reaktion unseres Körpers ist erstmal gut – egal, ob wir ein Hund oder Mensch sind.In früheren Zeiten, in denen es noch größere Gefahren gab, als das der Akku vom Smartphone leer ist, konnte die akute Stressreaktion Leben retten.

Wenn Euer UrUrUrUrUrUrUrUrUr-Großvater plötzlich vor einem Säbelzahntiger stand, sorgte unter anderem Adrenalin aus dem Nebennierenmark dafür, dass Opa in der Lage war, schnell zu reagieren.

Auf der einen Seite werden z.B. die Pupillen erweitert und die Herfrequenz sowie der Muskeltonus erhöht, auf der anderen Seite wurden – in dem Moment – unnötige Körperfunktionen eingestellt. Schließlich kann es niemand brauchen, im Angesicht einer Bedrohung erstmal kacken zu müssen.

Auf Hirnebene sorgen Serotonin und Noradrenalin dafür, dass unser schnarchlangsames Großhirn „nichts mehr zu sagen“ hat und dafür das nicht ganz so kluge, aber dafür schnellere Stammhirn das Ruder übernimmt.

Ob Euer Vorfahre die Flucht ergriffen hat oder in den Kampf gezogen ist, konnte er spontan entscheiden. Im Falle des Säbelzahntigers hat er besser den ungeordneten Rückzug angetreten, im Falle eines fremden Typen, der sich an Eure UrUrUrUrUrUrUrUrUr-Oma rangemacht hat, hat es vermutlich geknallt und dem Eindringling wurde gezeigt, wo der Frosch die Locken hat.

Der Psychologe nennt das Ganze „Fight & Flight“, der Endokrinologe glaub‘ ich auch.

Auf jeden Fall braucht unser Körper nach Lösung des Konfliktes etwas Zeit, bis das Adrenalin wieder abgebaut ist. Das ist der Grund, warum sich manche von uns noch halben Tag aufregen, wenn irgendwas passiert ist.

Viele Menschen auf dieser Erde finden diese körperliche Reaktion übrigens dermaßen witzig, dass sie sich in Achterbahnen setzen, ins Horrorkino gehen oder sich für Geld an einem Gummiseil von einer Brücke stürzen.

Erst, wenn wir mit dem Stressor überfordert oder ihm dauerhaft ausgeliefert sind, kommt es zu einer negativen Stressbelastung. Hier schießt der Körper Cortisol aus der Nebennierenrinde nach und verhindert sozusagen, dass wir „wieder runterkommen“. Was bleibt ist ein dauerhafter Alarmzustand, der im schlimmsten Falle verhindert, dass wir dazulernen. Dafür bekommen wir Bluthochdruck, Impotenz, Herzinfarkte oder ein Burnout-Syndrom.

Hans Seyle war es, der ab 1934 das sogenannte allgemeine Adaptionssyndrom (generell adaption syndrom) beschrieb und später die Begriffe „Eustress“ für positiven, also aktivierenden Stress und „Distress“ für negativen, weil dauerhaften und überfordernden Stress nutzte.

Wie ich bereits oben beschrieb,liegt es beim Empfänger, was für ihn Stress bedeutet und was nicht.

B.F. Skinner war ein Behaviorist und experimentierte mit Ratten in der von ihm entwickelten Skinner-Box.

Die Holzkiste bestand aus einem reizarmen Raum und einem Hebel. Die Aufgabe der Ratte war es, selbigen zu betätigen und dafür gab es dann Futter. Skinner maß die Zeit, die die Ratte benötigte, um hinter das Prinzip Hebel =Futter zu kommen und überprüfte in er Folge, ob das Versuchstier in der Wiederholung den Hebel schneller betätigte. Und siehe da. Einmal kapiert, zeigte die Ratte das Verhalten öfter und verstärkt, schließlich wurde sie positiv belohnt.

In einem weiteren Versuch wurde ein Aversiv- und ein Akustikreiz eingebracht. Wenn die Ratte den Hebel nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Erklingen des Akustikreizes betätigte, erfolgte ein Stromstoss.

Was folgte war eine körperliche Stressreaktion auf den Schmerzreiz, welche abgebaut wurde, sobald das Versuchstier die Lösung, nämlich den Hebel zu betätigen, wieder abgebaut wurde.

Wie realitätsfern jedoch die Theorie des Behaviorismus ist, zeigte sich, als New York zwischen den beiden Weltkriegen von einer Rattenplage heimgesucht wurde. Auf Grund seiner Versuche galt Skinner als Rattenexperte und wurde gebeten, bei der Eindämmung der Plage zu helfen.

Tatsächlich blieben all seine Versuche erfolglos – schlicht und ergreifend deshalb, weil er auf Grund der Laborbedingungen, unter denen er gearbeitet hatte, keine Ahnung von der sozialen Organisation der Tiere hatte. Das die Tiere in Gruppen leben und das jeweils älteste Tier die Rolle des Vorkosters übernimmt, war ihm neu und so konnte er nicht helfen.

Aber zurück zum Thema Stress.

Richtig fies wurde es für die Nager, die für ein vergleichendes Experiment genutzt wurden.

Hier hatte Gruppe 1 die Möglichkeit, einen Schmerzreiz zu verhindern, in dem sie eine Taste betätigten, während Gruppe 2 keine Möglichkeit hatte, dem Reiz zu entgehen. In der Folge wurden die Versuchstiere der zweiten Gruppe apathisch und defensiv, ergaben sich ihrem Schicksal und verendeten schließlich.

Auch andere Versuche belegen, dass eine Stressreaktion vermindert bzw. wieder abgebaut wird, wenn der Proband eine Möglichkeit hat, mit dem Stressor umzugehen.

Hierfür ist es allerdings notwendig, dass das Tier (oder der Mensch) über entsprechende Copingstrategien verfügt.

In der Pchychologie bezeichnet der Begriff eine Strategie im Umgang mit schwierigen Situationen, im Bereich der Verhaltenstherapie zum Beispiel Rituale, die im Umgang mit Triggern (Schlüsselreize) oder gar Flashbacks (ein Wiedererleben früherer Gefühlszustände) helfen.

Und die gibbet eben nicht bei Fressnapf, sondern müssen durch Erfahrungen erworben werden.

Warum schreibe ich eigentlich das ganze Gesummse?

In der modernen Kyno-Pädagogik hat sich ja allenthalben durchgesetzt, dass Stress böse ist und dafür sorgt, dass unsere Hunde nicht mehr lernen oder gar in die „erlernte Hilflosigkeit“ fallen, wenn sie ihm ausgesetzt sind. Des Weiteren wird Stress nur und ausschließlich durch Strafe, scharfe Worte oder die Nutzung von Konsonanten verursacht.

Zunächst einmal: Die „erlernte Hilflosigkeit“ geht vermutlich zurück auf die „experimentelle Neurose“ nach Pawlow, das war der mit dem Hund, und auf den „Depressionseffekt“ aus der Lerntheorie (Verstärker).

Pawlow erkannte, dass man im Experiment beim Versuchstier Neurose hervorrufen konnte, in dem man dafür sorgt, dass es sich „weder der Situation entziehen noch ein entsprechendes Lernverhalten entwickeln“ kann. (Quelle: Uni-Hamburg)

Ein Beispiel:

„Ein Tier in einem Versuchskäfig lernt, dass es einen Stromschlag erhält, wenn es gegen die Tür kommt. Es weicht der Tür aus. Plötzlich erhält es Stromschläge vom Boden, obwohl es sich nicht bewegt hat. Dies führt zu einer Neurose des Tieres, die experimentell hervorgerufen wurde.“

Selbiges gilt für die Konfrontation mit zwei unterschiedlich belegten Reizen, die das Tier nicht unterscheiden kann.

So wurden Versuchstiere mit zwei Ellipsen konfrontiert, bei Ellipse 1 erfolgte ein Lob, bei Ellipse 2 erfolgte ein Aversivreiz. Auf Grund dessen, dass dei Tiere nicht in der Lage waren, gut und böse voneinander zu unterscheiden, verhielten sie sich neurotisch.

Und weil die Forscher ja mit Aversivreizen gearbeitet haben, beschränkt sich ein solcher Effekt natürlich ausschließlich auf Strafe. Nicht.

Vielmehr ist es für die Messung eines Versuchserbnisses schlicht einfacher, die Schmerzreaktion zu messen als die pure Freude.

Wenn Dein Lob und Dein Nicht-Lob sich sehr ähnlich sind, kannst Du den selben Effekt bei deinem Hund erreichen. Wenn Du nicht konsequent belohnst, läufst Du ebenfalls Gefahr, dass der Hund nicht in der Lage ist, zu begreifen, was Du eigentlich möchtest.

Und dann kommt der Depressionseffekt um die Ecke. Hier findet eine Gewöhnung statt und der Verstärker verliert an Reiz. Irgendwann gewöhnt sich Waldi also an den Leinenruck und irgendwann ist das Frolic nicht mehr interessant.

Alles gar nicht so einfach. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, kommen noch die ganzen Hormone dazu und das Vieh belohnt sich auch noch selbst.

Und nun kommt da so elender Stressor um die Ecke und los geht’s

Gehen wir davon aus, dass wir einen gut sozialisierten und habituierten Hund haben, dann findet die Adrenalinausschüttung statt und der Hund kann auf Grund seiner vielfältigen Lernerfahrungen entscheiden, wie er reagiert.

Da ja sein Herrchen oder Frauchen dabei sind, kommt noch die soziale Kompomente dazu – Stichwort Oxytocin, das „Bindungshormon“.

Im Falle eines anderen, aggressiv auftretenden Hundes hat unser Vierbeiner die Wahl zwischen „den bring ich um“, „ich hau hier ab“, „ich bleibe cool“ und anderen. Im Idealfall bleibt er locker und die Situation löst sich auf.

Hier findet dann nochmal eine selbstbelohnende Hormonausschüttung durch Serotonin statt, Rex klopft sich quasi selber auf die Schulter und lernt – trotz Stress – das locker bleiben eine gute Copingstrategie ist.

Toller Hund, alles gut!

Schwierig wird es, wenn der Hund nicht ausreichend Strategien hat, mit Stress umzugehen oder der irrigen Annahme ist, dass er sein Gegenüber verprügeln möchte.

Dann muss der Mensch eingreifen – Stress hin oder her – um die Umwelt und den Hund vor sich selber zu schützen.

Und solche Hunde lerne ich in letzter Zeit immer mehr kennen. Ist ja logisch, damit unser geliebter Vierbeiner ja glücklich ist, halten wir jede Form von Stress vom kleinen Kerl fern, füttern ihn mit Bananenkeksen, weil Lernen ja Glukose verbraucht und markern fröhlich vor uns hin.

Kommt dann ein Stressor um die Ecke, wirds heikel.

Um es noch mal zu wiederholen, was Stress ist und was nicht, ist hochindividuell. Wenn ich merke, dass ich mich verspäte, bekomme ich die Krise, während meine Freundin vollkommen entspannt bleibt.

Und so ziemlich alles kann zum Stressor werden, wenn der Hund nicht vernünftig habituiert und sozialisiert wird. Bis hin zu Hunden, für die der ganz normale Alltag purer Stress bedeutet.

In der modernen Kyno-Pädagogik heißt das Zauberwort dann Desensibilisierung.

Der Ablauf ist einigermaßen logisch: Der Klient, in dem Fall Luna, wird sachte und nur so lange an den Stressor herangeführt, wie sie entspannen kann. So soll über Zeit und Wiederholung erreicht werden, dass sie im Angesicht des Stressors entspannt bleibt.

So weit, so gut.

Nun ist das mit der Desensibilisierung so eine Sache. Denn selbst in der Therapie eines Menschen ist höchstes Fingerspitzengefühl gefragt und nicht selten bleibt die Desensibilisierung erfolglos.

Ein mögliches Beispiel:

Wenn statt Luna Heike vorm Therapeuten sitzt und nicht Hunde sondern Spinnen der Stressor sind, dann beginnt die Desensibilisierung oft „in Sensu“, d.h. man würde mit Heike erstmal im Gedanken durchspielen, wie es wäre, wenn da jetzt eine Spinne daher käme, sich ihr nähert, an ihr hoch krabbelt etc. Erst, wenn es ihr gelingt, „in Sensu“ entspannt zu bleiben, würde „In Vivo“ folgen, sprich Heike würde mit einer echten Spinne konfrontiert.

Die Krux an der Geschichte ist, dass es außerordentlich schwierig ist, den Moment zu finden, in dem Heike in der Stresssituation entspannt bleiben kann. Geht der Therapeut nicht weit genug, findet keine Linderung statt. Geht er zu weit, kann Heike nicht mehr entspannen.

Das bedeutet für den Therapeuten, dass er Heike aus der Konfrontation mit dem Stressor entlassen muss.

Hormonell bedeutet das für Heike, dass sie sich durch die Distanzvergrößerung zum – in dem Fall phobischen Auslöser – selber belohnt.

Für die Lerntheoretiker unter uns: Durch Wegnehmen des unangenehmen Reizes findet eine negative Belohnung statt.

Der Grund, warum Desensibilisierung beim Menschen überhaupt funktioniert, ist in den meisten Fällen das hohe empathische Vermögen des Therapeuten.

Was bei Heike schwierig ist, ist bei Luna meiner Meinung nach nicht umsetzbar. Zumindest nicht innerhalb eines vertretbaren Zeitraum in der Lebensrealität eines Hundes.

Zunächst einmal ist es nicht möglich, sich mit einem Hund „In Senso“ einem Auslöser zu nähern.

Die Frage „Luna, stell Dir mal vor, da kommt jetzt ein fremder Hund, wie fühlst Du Dich?“ bleibt ziemlich sinnlos, da Hunde 1. erwiesenermaßen nicht über die Adaptionsfähigkeit verfügen, Gedankenspiele durchzuführen und 2. anders als wir Menschen mit unserer Symbolsprache wenig anfangen können.

Das bedeutet, dass uns nur „In Vito“ bleibt, wenn wir Luna den Stress mit anderen Hunden nehmen wollen.

Das wiederum heißt nichts anderes, als dass wir unmittelbar an die Türe zur Reizüberflutung klopfen und Luna gegen unseren Willen „flooden“, wenn plötzlich ein Hund um die Ecke kommt.

Dazu kommt, dass es schon extrem schwierig ist, bei einem Menschen den magischen Punkt zu finden, an dem eine Desensibilisierung stattfinden kann. Wie das bei einem Hund – zuverlässig – gelingen soll, ist mir schleierhaft.

Und wenn die Lunamaus dann im Stress ist, ereilt uns die selbe Problematik wie mit Heike und der Spinne.

Lassen wir sie da raus, belohnt sie sich selber und das Verhalten wird verstärkt. Das gilt übrigens auch in dem Fall, in dem Luna sich dazu entscheidet, ihr gegenüber zu attackieren.

Das Ziel von Lunas Attacke ist auch eine Distanzvergrößerung, haut der andere Hund ab oder wir treten den Rückzug an, ergibt sich das selbe Spiel – das Lunatier belohnt sich selber.

Übrigens, mit dem Gegenkonditionieren, also dem „Schönfüttern“ eines angstauslösenden Reizes, verhält es sich ganz ähnlich. Entweder hat er keine Angst im biologischen Sinne oder er frisst nicht.

Eigentlich ganz einfach.

Zeigt unser Hund ein unerwünschtes Verhalten, das wir unterbrechen müssen, dann zeigt er eine Stressreaktion. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass er deshalb nicht in der Lage wäre zu lernen.

Unserem pubertierendem Kind können wir sagen „Kevin, räum bitte Dein Zimmer auf, ansonsten nehm ich Dir dein Handy weg“. Da Kevin in der Lage ist, sich ein Leben ohne Whatsapp vorzustellen, wird er sein Zimmer aufräumen und sich selber belohnen, in dem er dem Ärger aus demWeg geht und das vorteilhafte Verhalten zeigt. Hier findet wieder die Hormonausschüttung statt, die dafür sorgt, dass Kevin sich gut fühlt.

Übrigens: Wenn Kevin gelernt hat, dass wir ihm sein Telefon eh nicht wegnehmen, dann können wir lange bitten.

Selbiges gilt, wenn wir darauf warten, dass ein 15-jähriger von sich aus ohne Not auf die Idee käme, sein Zimmer aufzuräumen, um ihn dann zu belohnen.

Dürfte jedem, der mit Kindern in dem Alter zu tun hat, klar sein.

Wir kommen zurück zu Luna: Statt „Angst“ vor anderen Hunden zu haben, pöbelt sie einfach gerne an der Leine.

Kommt uns jetzt der Rex entgegen, bekommt Luna ihren Adrenalinkick und wills jucken lassen. Das heisst, der Stress ist schon da. Vorausgesetzt, dass Luna bereits Lernerfahrungen gemacht hat und die Beziehung stimmig ist, kann Lunas Besitzer sie durchaus unterbrechen.

Auf Grund der guten Bindung kann Oxytocin den Stresspegel dämpfen, die Selbstbelohnung kann stattfinden, wenn Luna ein alternatives Verhalten zeigt.

Der Grund, warum ich nicht vom lobenden Menschen schreibe ist der, dass wir nicht nur ein Verhalten verstärken, sondern immer auch eine Stimmung. Das heißt, auch wenn Luna den blöden Rüden augenscheinlich nicht anzickt, kann es sein, dass ich ihre innere Bereitschaft dazu lobe und dadurch das Verhalten auslöse.

Leben ist die beste Prävention

Wenn man wirklich einen Hund sein Eigen nennt, der auf bestimmte Reize mit starkem Stress reagiert, sollte man tunlichst vermeiden, die selbstbelohnenden Mechanismen zuzulassen, weil – und das ist nicht neu – belohntes Verhalten häufiger gezeigt oder verstärkt wird.

Idealerweise verhindert man den ganzen Kladderadatsch, in dem man dafür Sorge trägt, dass der Hund vielfältige Erfahrungen auch mit stressauslösenden Reizen macht.

Zudem sollte man sich bewusst machen, dass ein Hund einen großen Teil der sensiblen Phasen beim Züchter verbringt. Das Geld, das man beim Welpenhändler spart trägt man oft doppelt und dreifach in die Verhaltenstherapie.

Lass die Hunde leben, lasst sie Erfahrungen machen – auch solche, die vielleicht nicht so schön sind.

Behandelt triviale Reize trivial, das macht das Leben leichter und bringt Euren Hund gar nicht erst auf die Idee, irgendwas gruselig zu finden.

Macht nicht aus jedem Scheiß eine Wissenschaft und nicht aus jedem Verhalten eine Übung.

Zieht nicht in den Krieg, dann gibt es auch keinen.

Und zu guter Letzt: Nicht vergessen zu atmen.

Suche junge, dekorative Biologin zum Stricken.

Mit dem Hundetrainerdasein ist das ja so eine Sache.

Während man bzw. frau früher nur die Entscheidung treffen musste, ob man jetzt, wo die Kinder aus dem gröbsten raus sind, lieber ein Naildesign-Studio (oder eine Social Media-Agentur) eröffnet oder lieber Hundetrainer wird, ist es mittlerweile ja etwas komplizierter.

Seit dem 1. August 2014 nämlich müssen Menschen wie ich nachweisen, dass sie „sachkundig“ sind. Das regelt der §11 des Tierschutzgesetzes. Dafür wiederum sind die Veterinärämter zuständig, deren Mitarbeiter bis Dato garnicht wussten, über welch weitreichende Expertise sie so verfügen.

Nun isses wie es ist und viele Hundetrainer machen seitdem ihre ersten artfremden Erfahrungen mit Pferden – um genau zu sein mit dem Amtsschimmel, der teilweise kräftig wiehert.

Um die „Sachkunde“ zu erhalten, gibt es verschiedene Möglichkeiten. So kann man z.B. über den BHV eine Prüfung ablegen oder sich durch die Tierärztekammern zertifizieren lassen.

Man kann aber auch eine Prüfung beim zuständigen Amt ablegen, mit dem kleinen Haken, dass die meisten Ämter garnicht so genau wissen, wie eine solche Prüfung aussehen soll.

Dieser kleine Haken hat zur Folge, dass gefühlt Tausende von Anträgen bei den Ämtern in Ablage P zur Wiedervorlage warten.

Zudem gibt es – je nach individuellen Größenwahn und Allmachtsgefühl des zuständigen Sachbearbeiters – noch gefühlt tausend andere Möglichkeiten, irgendwie an den vermaledeiten „Elfer“ zu kommen.

Der eine Kollege darf keine Retrieverleinen mehr benutzen, obwohl von denen garnichts im TierschG steht, der nächste Kollege darf gleich einen ganzen Tierschutzbeauftragten ernennen, womit er die Anzahl seiner Mitarbeiter gerade verdoppelt, der vierte wird lächelnd durchgewunken, weil er mit der Tochter vom Amtsleiter poppt und die fünfte Kollegin bekommt ein Berufsverbot, WEIL sie selbiges mit dem Sohn der Amtsleiterin tut.

So gesehen hatte ich großes Glück mit meinem auch ansonsten sehr netten und umgänglichen Veterinäramt.

Nur knapp Tausend Euro (für eine Zertifizierung durch die Tierärztekammer und für die Bearbeitung meines Antrags) und schon darf ich – sozusagen mit Stempel drauf – weiterarbeiten. Danke!

Um sich zertifizierter Hundetrainer nennen zu dürfen, muss man mindestens zwei Tage Fortbildungen im Jahr nachweisen können.

Bis letztes Jahr war das relativ einfach. Man besuchte einen Wochenend-Workshop zu einem Hundethema, reichte die Bescheinigung ein und durfte weitermachen.

Dann ließ sich die Tierärztekammer  Schleswig-Holstein etwas neues einfallen.

Ab sofort werden nämlich nur noch Fortbildungen anerkannt, die von jemanden gegeben werden mit abgeschlossenen Biologiestudium oder mit tierärztlichen Studium inkl. der Zusatzbezeichnung „Verhaltensdingens“.

Der Grund für diese Änderung ist relativ einfach. Als es darum ging, welche Voraussetzungen durch die Ämter anerkannt werden und welche nicht, ging es bestimmt ganz besonders friedlich von Statten.

Denn in Deutschland gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich zum Hundetrainer oder waswasich ausbilden zu lassen und keine dieser Möglichkeiten ist wirklich günstig.

Derjenige Hundetrainerzertifizierer, dessen Schüler per Gesetz durchgewunken werden, erhält quasi eine Lizenz zum Gelddrucken.

Insofern kann man durchaus die Frage stellen, warum es neben den Zertifizierungen und den Prüfungen durch die Ämter auch ein kommerzieller Anbieter in die Riege der Auserwählten geschafft hat. Aber egal, es sei ihm gegönnt.

Die Hand voll Möglichkeiten, die neben dem Gang zur amtlichen Prüfung übrig bleiben, sind zwar überschaubar, aber deswegen nicht weniger Konkurrenten.

Und so wirft man sich gegenseitig vor, zu lasch, zu hart, zu sonstwas zu sein, um dem Anderen jeweils das Leben schwer zu machen.

Hier kommen dann die Zertifizierten ins Spiel. Ein guter Freund sagte man „Der Mensch lernt, wenn er muss“ und einige derer, die ihre Zertifizierung erlangt hatten, dachten sich wohl „genug gelernt“ und reichten teils merkwürdige „Fortbildungsnachweise“ ein – vom Wochenende Wellnessurlaub in einem Hotel, in das man Hunde mitnehmen durfte bishin zur Eintrittskarte zu Rütters „Mensch – Hund“.

Da aber eine gewisse Qualität der Weiterbildungen gewährleistet sein soll, gilt nun die oben erwähnte Regel – sehr zum Vorteil der Biologen und Tierärzte, sehr zum Nachteil der Referenten, die eher praxisorientiert sind.

Denn ganz ehrlich – so eine Fortbildung ist nicht eben günstig und wer hat schon das nötige Kleingeld, gleich mehrere zu besuchen.

„Ihr wollt einen Biologen? Ihr bekommt einen Biologen“, dachte ich mir und fragte eine gute Freundin, die nicht nur Biologin ist, sondern sogar Ahnung von Hunden hat, ob sie nicht Lust und Zeit hätte.

Zumindest eines von beiden hatte sie, also treten wir zu zweit an, um Fortbildungen zu geben, die unsere zertifizierten Kollegen beim zuständigen Gremium einreichen können.

Vorausgesetzt – und da wird das Ganze absurd – die gute Freundin ist vor Ort.

Einfach „nur“ Inhalte wissenschaftlich auf ihre Richtigkeit zu prüfen, die entsprechenden Quellen gegenzurecherchieren und andere wissenschaftliche Standpunkte anzubringen etc. reicht nämlich nicht!

Nein, sie muss mit im Raum sitzen und kann sich die Zeit während der Praxis, die im Normalfall ca. 70 % der ganzen Veranstaltung ausmacht, damit vertreiben, indem sie bei Facebook surft oder Socken für ihren Freund häkelt.

Im Klartext bedeutet das, dass unsere gemeinsame Fortbildung anerkannt wird, es sei denn, sie bekommt einen Tag vorher eine Magen-Darm-Grippe. Dann haben meine Teilnehmer die Wahl.

Entweder wird die Veranstaltung nicht anerkannt oder man nimmt in Kauf, dass man sich einen netten Norovirus einfängt. Naja, hat ja immerhin den Vorteil, dass man an den folgenden Tagen viel Zeit im Klo verbringt und die Gelegenheit nutzen kann, die ganzen Studien nachzulesen.

Nun bin ich ja bekanntermaßen ein Freund der TÄK, mag die Menschen im Gremium wirklich gerne und schätze ihre fachlichen Fähigkeiten.
Aber wer auch immer auf diesen Schmarn gekommen ist, hatte wohl so etwas wie eine Diarrhö im Kopf.

„Stellenausschreibung“


Da es ja auch mal Tage gibt, an denen ich gezwungen bin, Hundetrainern alleine etwas zu erzählen – sei es, weil die liebe Kollegin Urlaub hat, andere Dinge vorhat oder einfach noch über ein eigenes Leben verfügt – suche ich auf diesem Wege

  • eine junge (weil nicht so teuer),
  • dekorative (sollte so einen wissenschaftlichen Verve mit sich bringen, am besten mit Kittel)
  • Biologin (Fachrichtung egal, von mir aus kannst Du über die Anatomie von Mücken ptomoviert haben),
  • die Zeit und Lust hat, während meiner Fortbildungen, zu stricken.

Vielleicht einen Pullover. Für anderweitige Unterhaltung ist gesorgt, ich bringe gerne Kreuzworträtselhefte oder einen Gameboy mit.

Auf Reise (2)

„Unglücklich verliebt zu sein, ist wie ein Beinbruch – bist Du jung, ist es nach ein paar Wochen wieder vergessen, bist Du älter, dauert es ewig, bist Du wieder auf die Beine kommst.“

Monika zog an ihrer selbstgedrehten Zigarette, nahm einen Schluck Bier und schaute über die Ostsee hinweg auf die Wolken, die sich langsam zuzogen: „Weißte, Menschen wie wir brechen uns selten die Beine, aber wenn, dann humpeln wir den Rest unseres Lebens.“

Monika war meine Ostseebekanntschaft, eine kleine, pummelige Dame, vermutlich so um die Siebzig. Sie verdiente ihr Geld als Haushälterin in einer völlig heruntergekommenen Herberge für feierwütige Biker und nicht weniger feierwütige Dänen auf Fehmarn, in der ich untergekommen war, weil ich eine möglichst günstige Unterkunft gesucht hatte.

Günstig war meine „Ferienwohnung“ tatsächlich und die Tatsache, dass ich sieben Hunde ohne Aufpreis mit hinein nehmen durfte, ließ mich vergessen, dass es sage und schreibe ein Klo für vierzehn „Appartments“ gab und Bettwäsche im Gegensatz zu den Hunden fünf Euro am Tag kostete.

Die grauhaarige Herbergsmutti und ich hatten uns angefreundet, als ihr kugelrunder Shitsu eines Morgens meine Hunde umbringen wollte, als ich versuchte, mit ihnen halbwegs unbemerkt durchs Siebzigerjahretreppenhaus an die frische Luft zu gelangen.

Wir kamen ins Gespräch, sie erklärte mir, wie ich einen Strand finde, an dem keine „Windjacken“ – so nannte sie die Touristen – zu finden seien und machte mir einen Kaffee.

Am Abend vor meiner Weiterreise trafen wir uns zufällig am Strand, ich wunderte mich etwas über ihren Dosenbiervorrat, freute mich aber, dass sie bereit war zu teilen.

So saßen wir da, es wurde langsam dunkel und sie erzählte mir von Bikern, Dänen und ihrem Leben, nur unterbrochen vom Gekläffe ihres Shitsus, der Touristen augenscheinlich genauso verachtete wie sie.

Früher, da war alles anders auf der Insel, erklärte sie. Was genau anders gewesen sein soll, konnte ich nicht ganz nachvollziehen, bis sie begann, von Hans zu erzählen.

Hans hatte einen Rottweiler und ein Motorrad, mit dem er Monika immer abgeholt hatte und mit ihr nach Petersdorf gefahren sei.

Außerhalb der Urlaubssaison sei dort kaum jemand anzutreffen. Monika und ihr Hans waren zu der Zeit jung und verliebt gewesen. Stundenlang seien sie auch beim schlimmsten Sturm spazieren gegangen, haben sich über alles mögliche und unmögliche unterhalten, um dann schließlich in Hans kleiner Wohnung in Puttgarden zu landen und Dinge zu tun, die hier nicht hingehören und die ich so genau auch gar nicht wissen wollte.

Während Monika so von ihrer Jugend berichtete und sich in meinem Kopf ganz merkwürdige Bilder zu festigen drohten, unterbrach sie abrupt ihren Redeschwall und schwieg.

Sie drehte sich wirklich gekonnt einhändig eine Zigarette und kramte mit der anderen Hand ein riesengroßes Altfrauenportmonee hervor.

Aus der Geldbörse nahm sie ein verblichenes Foto mit gezackten Rändern, wie sie in den 1970er Jahren mal in Mode waren und deutete auf den großen, spindeldürren Mann, der eine kleine, schlanke junge Frau im Arm hielt. „Das waren wir“, sagte sie und schaute mich an, als wenn sie eine Antwort erwarten würde. Also antwortete ich „Ihr ward ein schönes Paar“, um sie zufrieden zu stellen.

„Papperlapapp“ entgegnete sie schnippisch, packte das Bild zurück und nahm einen Schluck Bier.

Am Horizont tauchten zwei „Windjacken“ auf, der Shitsu rannte ihnen beherzt entgegen und kläffte sie besorgniserregend an.

Die männliche Windjacke rief Monika zu, dass sie doch bitte den Hund zurückrufen möge, was sie ignorierte und mit ihrer Geschichte fortfuhr.

Irgendwann war Hans weg, erst geistig, dann irgendwann auch körperlich. Nach Hamburg sei er gegangen, die Insel sei ihm zu eng geworden.

Dort habe er sich neu verliebt, was ihr geblieben war, war Hans‘ Rottweiler. Ironischerweise ein Hund, der fremden Männern nicht viel abgewinnen konnte, vielleicht einer Gründe, warum Monika sich nie mehr verliebt hatte. Vielleicht hatte sie aber auch recht mit ihrem Vergleich. Wer riskiert schon einen weiteren Beinbruch, wenn der alte niemals abheilt.

Die Hauptstadt von Fehmarn heißt Burg und als ich vor meiner Reise noch einen Termin wahrnehmen wollte, machte ich dort kurz halt. Ich war recht früh dran, der morgendliche Kaffee bei Monika musste ausfallen, weil sie den Rasen mähen musste und so entschied ich mich dazu, am „McDrive“ zu halten und mir einen Kaffee zu bestellen.

Da der junge Mann am Schalter mich warten ließ, dachte ich mir, sei umweltbewusst und gönne dem Vierlitervausechs eine kurze Pause. Der Jeep, den ich mir im letzten Jahr eher aus einer Schnapslaune heraus gekauft hatte, ist knapp Achtundzwanzig Jahre und damit eigentlich viel zu alt, um mich tausende von Kilometern quer durch die Republik zu karren. Außerdem benötigt er nur um Anzuspringen Benzin im Wert einer guten Flasche Rotwein. Aber da das Vernunftauto Anfang des Jahres auf der A7 von einem LKW erlegt wurde, muss das alte Schlachtross noch eine Zeit lang funktionieren.

Dafür, dass mein Auto aus den USA kommt, verfügt es über durchaus britischen Humor. Und so bekam ich endlich meinen Kaffee, wollte losfahren und … der Vierlitervausechs sprang mitten im McDrive nicht mehr an.

Ein kurzer Blick auf die Batterieanzeige bestätigt, dass ich jemanden brauche, der mir Starthilfe gibt, glücklicherweise weiß ich um den Zustand meines Fahrzeugs und habe alles nötige dabei.

Wenn ich mit Hütehunden arbeite, lege ich immer großen Wert darauf, dass sie Frustrationstoleranz lernen und mit Stress gelassen umgehen können.

Interessanterweise lässt sich dieses Prinzip recht einfach auf Menschen übertragen, die im McDrive hinter einem liegengebliebenen Auto warten.

Hierbei konnte ich zwei entgegengesetzte Verhalten beobachten:

1. Eigentlich würden wir gerne weiter fahren, geht aber nicht, weil da ein Jeep im McDrive steht.

2. Das heißt noch lange nicht, dass wir dem Typen mit dem Jeep helfen. So dringend ist der unter 1. formulierte Wunsch dann doch nicht.

Nachdem mir ein junger Familienvater in einem scheußlichen Hemd glaubhaft versichert hatte, dass mein Jeep seinen Familienkombi im Falle des Überbrückens qualvoll töten würde, drei Dänen so taten, als ob sie kein Englisch könnten und mir alle McDonalds-Angestellten erklärt hatten, dass sie mit dem Fahrrad zur Arbeit kämen, rief ich schließlich den ADAC.

Nur 45 Minuten und vier Autos mehr in der Schlange hinter mir, kam der „gelbe Engel“ und der Pannenhelfer brachte nicht nur mein Auto zum Laufen, sondern machte mir gleich auch ein Kaufangebot.

Am Abend, nach einem sehr interessanten Termin mit einem „Du kommst hier ned rein“-Mini-Aussie verließ ich Fehmarn und machte Halt in Kiel, des schleswig-holsteinschen Landeshauptstadt.

Kiel ist so etwas wie das Duisburg des Nordens. Nicht besonders hübsch, teilweise ziemlich abgeranzt, aber irgendwie recht charmant. Und die Kieler an sich verfügen über einen großartigen Humor – anders kann ich mir nicht erklären, dass überall in der Stadt Plakate mit der Aufschrift „Kiel – Sailing City“ hängen und jeder, aber auch jeder Kieler mir versicherte, wie schön es hier sei.

Die Kieler Innenstadt wurde im zweiten Weltkrieg weitestgehend verwüstet und so haben die Stadtväter in den 1950er Jahren wohl entschieden, aus Kiel so etwas wie ein urbanes Labor für architektonische Folter zu errichten.

Sobald man jedoch das Zentrum hinter sich lässt, findet man wirklich schöne Plätze. Ich verlor mich ein bisschen im Gedanken und beschloss mit dem Auto die Gegend zu erkunden – außerdem wollten meine Hunde raus.

So fuhr ich von Ottendorf nach Quarnbek, bis ich schließlich in und dann am Westensee ankam.

Dort konnten meine Hunde genügend Wasser in sich aufsaugen, um das Interieur des Autos nachhaltig zu versauen. Am See entlang ging ich eine Zeit lang durch den Wald, bis ich eine rauchen wollte und feststellte, dass ich meine Zigaretten im Auto hatte liegen lassen. Unmittelbar danach stellte ich fest, dass ich eigentlich alles im Auto hatte liegen lassen. Und das Auto noch mit offenen Türen an einem Straßenrand stand. Scheiß Kopfkino. Der Rückweg zum Jeep gestaltete sich deutlich schneller, ich weiß nicht, ob es der Drang nach einer Zigarette war oder die Sorge um mein Notebook, das für jeden frei zugänglich auf dem Beifahrersitz lag.

Den Vierlitervausechs verriegelt und die Zigaretten eingesteckt, lief ich mit den Viechern durch Westensee und fand ein Haus mit einem Schild „Zu verkaufen“ darauf. Ich schaute mich um, denn ich habe jemanden versprochen, wegzuziehen. Schließlich traf ich auf eine ältere Frau der Sorte „neugierig und frustriert“, die mich sofort darauf aufmerksam machte, dass so viele Hunde hier in der Nachbarschaft bestimmt nicht erwünscht seien.

Ich fand das saukomisch, entschied aber, dass ich ihrem Wunsch nachkommen würde und setzte meine Erkundungstour fort.

Krummwisch ist meiner Meinung nach einer der witzigsten Orte überhaupt, sieht zwar auch nicht anders aus als anderswo, aber der Name ist schon cool.

In Bredenbek wurden wir von einem Hund verfolgt, der und lautkläffend klarmachte, dass wir sowas von gar nicht willkommen sind und in Ostenfeld wurde mir klar, warum es Westensee gibt.

Als es langsam später wurde und ich merkte, dass ich nahezu eine halbe Tankfüllung in den Ether geblasen hatte, nur um mich umzusehen, beschloss ich, mit meinen Hunden noch mal ans Meer zu fahren. Kann ja nicht so weit weg sein.

Eine kurze Irrfahrt über eine malerische Autobahn brachte mich nach Kiel Gaarden – laut Google Maps sollte hier das Meer sein, das was ich vorfand war jedoch eher so eine Art mystischer Ort, an den sich Baumärkte zum Sterben zurückziehen.

Also kehrte ich um und fuhr über Kronshagen und Altenholz an einen Ort, dessen Namen ich vergessen habe.

Langsam dämmerte es und ich fand tatsächlich einen Parkplatz an einem Strand, an dem sich außer mir und meinen Hunden niemand befand.

Ich ließ die Hunde Hunde sein, setzte mich auf einen Stein und musste an Monika denken und wie sie sagte, dass die Insel sich verändert hätte.

Klar, es kommen Häuser hinzu, andere Häuser verschwinden und da wo früher der Tante-Emma-Laden war, in dem wir für 10 Pfennige Süßigkeiten gekauft haben, ist heute ein Ein-Euro-Laden. Doch in Monikas Fall war es das Gefühl, jung und verliebt zu sein, das die Insel mit Hans verlassen hatte und statt Träumen, Zukunft und Freiheit nur Gebäude, Straßen und schlechtes Wetter hinterlassen hatte.

Dort, wo wir früher über unsere Zukunft phantasiert haben, wo wir Fußballprofis, Astronauten, Ballerinas oder Superstars waren, steht heute eine Bushaltestelle und wir sind Sparkassenangestellte, Versicherungskaufleute, Friseurinnen oder Hotelfachfrauen.

Und dort, wo wir früher die große Liebe gefunden und dann verloren haben, finden wir heute heraus, dass das Bein nicht mehr schmerzt.

Einige Zeit später, ich saß im Auto Richtung Süden, stellte ich fest, dass ich etwas suche – ich weiß nicht genau was, aber es findet sich am Meer.

Monika, keep Calm & carry on!

Freunde sollt ihr sein

Dinge gibts, die gibts nicht. Zum Beispiel Tierheime, die Hundetrainern, die anbieten, kostenlos mit den Insassen zu arbeiten, um so die Vermittlungschancen zu steigern, die Türe vor der Nase zuschlagen mit der Begründung „Brauchn wa nich, hammwa genuch von.“. Klingt komisch, ist aber so.

Wie das dann aussieht, durfte ich schon das eine oder andere Mal miterleben. Sei es, dass gutverträgliche Hunde ohne jeden vernünftigen in Einzelhaft hocken, nur weil sie ein bisschen größer sind oder der Welt was mitzuteilen haben oder – und das ist ganz und garnicht witzig – Hunde als total nett angepriesen werden, obwohl der Hundetrainerdepp, den das Tierchen kürzlich die Unterarme in Streifen gerissen hat, eindringlich darauf hingewiesen hat, dass Status plus kurze Zündschnur gleich zwei Argumente für einen Maulkorb wären.

Das in der TierschutzHundeVO steht, dass Hunde in Gruppen gehalten werden sollen, ist vielen Tierschützern derweil wumpe. Entweder aus mangelndem Wissen, was ja noch ok wäre, dafür gibt es ja Fortbildungen. Meistens jedoch, weil man das schon IMMER so gehandhabt hat. Ja, IMMER, in Großbuchstaben und mit Ausrufezeichen!

Und so freuen sich sozial obligat lebende Tiere auf die Stunde Gassi (aber nur, wenn auch geöffnet ist) am Tag und auf Fütterung und Zwinger kärchern. Sozialkontakt zu Artgenossen gibt es nur am Zaun, und das gerne mal über Jahre. Schließlich wird so ein Hund unter solchen Lebensumständen nicht klarer in der Birne.

Das „Killerargument“, nämlich dass die Hunde sich ja gegenseitig killen könnten, kann ich nicht mehr hören. Und erst recht nicht bestätigen. In all den Jahren, in denen ich Hunde in Gruppen halte, gab es sage und schreibe einen (1!) Ernstkampf, selbst in den größeren Tierheimen, die seit Jahren Gruppenhaltung mit wesentlich mehr Hunden praktizieren, lassen sich die ernsthaften Auseinandersetzungen an einer Hand abzählen.

Die Haltung von Hunden in der Gruppe hat mehrere Vorteile:

1. Der Hund ist das einzige Haustier, dass den Menschen seinen Artgenossen vorzieht. Während der Tierpfleger von Welt in der Einzel- oder maximal Paarhaltung von einem Zwinger zum nächsten tingelt, verbringt er in der Gruppenhaltung den Großteil seines Arbeitstages unter den Hunden. Das Bedürfnis zum Menschenkontakt wird also wesentlich besser erfüllt als in der Einzelhaltung.

2. Durch den Umgang mit Artgenossen lernen die Hunde Sozialverhalten, was ihre Vermittlungschancen deutlich erhöht. Durch die Interaktion mit den anderen Hunden ist der Alltag wesentlich abwechslungsreicher, was die Gefahr von Stereotopien etc. massiv minimiert.

3. Insbesondere Hunde mit Zwingerkoller, die Verhaltensstörungen zeigen, werden durch die Anwesenheit der anderen Hunde quasi daran gehindert, sich ständig im Kreis zu drehen, die Zäune auf und ab zu pendeln oder andere hospitalitische Züge zu zeigen. Stattdessen ist Kommunikation angesagt! Gruppentherapie für umme.

Natürlich gibt es Ausnahmen, es gibt Hunde, die mangels oder auf Grund von falscher Lernerfahrung nicht für das Leben in einer Gruppe gemacht sind, die sich heillos überfordert zeigen oder auf Grund ihres mit Ball, Kong oder Gummireifen eingetrichterten Beutefangverhaltens jeden Artgenossen wie ein Kaninchen behandeln würden.

Aber diese Ausnahmen sind nicht 90 % der in Deutschland lebenden Tierheimhunde!

So viel dazu.

Um so erfrischender fand ich es, mal auf ein Tierheimteam zu treffen, dass die ganze Angelegenheit etwas realistischer betrachtet und im Sinne der Hunde und nicht im Sinne irgendwelcher emotionalen Befindlichkeiten zu denken – und zu handeln.

Als ich vor ein paar Wochen in der Nähe von Hamburg über Beißerchen geworkshoppt habe, war Yvonne vom Tierheim Hodenhagen – nennen wir es mal – leicht irritiert, als das Thema auf die Tierheime kam und gleich mehrere Teilnehmer davon zu berichten wussten, dass sie nicht mal zum Kacke wegmachen in diverse Tierheime gelassen wurden.

Da ich einige Tage später eh in der Heide unterwegs war und mir das Tierheim Hodenhagen schon alleine deshalb aufgefallen war, weil es direkt neben dem Tierfriedhof liegt, verabredete ich mich mit Yvonne, um mir mal ein paar Hunde anzugucken, sie einzuschätzen und ggf. mit meinen Hunden zusammenzuführen.

An zwei Nachmittagen war ich dort und habe mir ein paar Hunde angeschaut, die teilweise seit Jahren im Tierheim sitzen und bis dato in Einzelhaltung lebten.

Am Ende der beiden Tage stehen nun einige Zwinger leer. Weil die ersten Kandidaten nun eine WG teilen, weil sich das für soziale Lebewesen einfach so gehört.

Und weil ein richtiges Zuhause noch besser wäre, stelle ich Euch die Jungs (im Tierheim lebt nicht eine Hündin) mal vor und kann Euch nur ans Herz legen, die mal kennen zu lernen.

Das Tierheim erreicht Ihr übrigens hier.

Big Foot

Bigfoot

Was für ein Kerl! Big Foot wiegt gut und gerne 45 Kilo und ist mächtig groß. In der Erstbegegnung in der Hundegruppe machte er erst mal den dicken Max, ließ sich aber leicht beeindrucken und fand es schließlich recht mauschelig unter den Kollegen. Laut Tierheim wurde Big Foot ca. 2006 geboren, ist also etwa 9 Jahre alt. Für einen Hund seiner Größe ist das ein stolzes Alter.

Mir gegenüber war er sehr nett, allerdings wurde er schon mehrmals wieder zurück ins Tierheim gegeben, so dass er sicherlich keiner ist, der sich die Butter vom Brot nehmen lässt.

Praktisch: Wenn man keine Katzen mag – Big Foot hilft gerne. Und im Anschluss kann man die vom Futter abziehen, damit der alte Herr sein Gewicht hält.

Spaß beiseite, Big Foot ist ein geiler Hund, der jemanden braucht, der ihm im wahrsten Sinne gewachsen ist. Es wäre wirklich schade, wenn der alte Knabe im Tierheim irgendwann hops geht.

Happy

Happy

Scheiß Name, denn so richtig happy ist der Happy nicht. Immerhin hat er dreiviertel seines bisherigen Lebens im Tierheim verbracht. Er soll ein Border Collie/Altdeutscher-Mix sein, verhält sich aber eher wie ein Border Collie und zeigt diesen charmanten Hang zum Wahnsinn, den wir an den Hütitütis so lieben.

Alleine im Zwinger zeigte er verschiedene Marotten und kekste sich erstmal am Zaun hoch. Als ich ihn zu meinen Hunden in die Gruppe gesetzt habe, dauerte es ungefähr drei Minuten, bis er Raik erkannt hatte und die beiden die nächsten Stunden damit beschäftigt waren, herauszufinden, wer das Schaf und wer der Hütehund ist.

Happy ist super verträglich mit Hunden und Menschen, und auf Grund seiner sehr frühen Kastration (die werden dann ja ruhiger, höhö) ein Kindskopf wie er im Buche steht. Dafür kennt er seinen Namen und kommt sogar, wenn man ihn ruft.

Ich habe mehr als einmal an den beiden Tagen darüber nachgedacht, Happy mitzunehmen. Und tue es auch immer noch, jetzt wo ich so darüber nachdenke.

 

Charly

Charly

Charly ist einfach nur unglaublich cool, hat aber leider die Arschkarte gezogen. Auch er sitzt seit drei Jahren im Tierheim, er war eines der Sorgenkinder, wegen derer ich vor Ort war.

Charly soll ein HSH-Mix sein, glaub ich aber eher nicht, dafür ist er zu aufgeschlossen. Bei der Einschätzung nahm er jede Nähe dankbar an, ließ sich überall anfassen, ohne allzu angstrengt zu werden und reagierte gut auf Einschränkung.

Doch dann kam die Bürste. Als ich die in der Hand hielt, änderte sich die Stimmung schlagartig und beim Bürsten dauerte es nur einige Sekunden, bis er sich umdrehte und mich attackierte.

Nachdem wir geklärt hatten, dass ich nicht gerne attackiert werde, konnte ich ihn aber weiterbürsten und er ließ es sich geduldig gefallen.

Na super, so ein Fell und dann ein Bürstentrauma …

Charly liegt mir besonders am Herzen, weil solche Hunde es oft schwer haben. Er zeigte sich in der Gruppe supersouverän und angenehm, war nach der Bürstensache überhaupt nicht nachtragend und freute sich am zweiten Tag wie Keks, mich zu sehen.

Wenn ihn jemand hier in der Nähe nimmt, komm ich auch zum Bürsten vorbei!

 

Buddy

Buddy

Buddy war am Tag meines Besuches gerade erst zwei Wochen im Tierheim und ich sollte einschätzen, inwiefern er ein Aggressionsproblem haben könnte.

Die Antwort ist kurz, nach fünf Minuten setzte ich Buddy in die Gruppe und er sagte sofort „Jupp, Hunde, kenn ich, super!“.

Buddy ist ein verträglicher Hund und sehr freundlich zu Menschen. Allerdings ist er auch ein ungehobelter Klumpen, der das total nett meint, wenn er einen über den Haufen rennt. Dabei ist er aber so charmant, dass man ihn mögen muss.

Nicht rausfinden konnte ich, ob er mit seinen Ohren flugfähig ist – die Vermutung liegt nahe.

Wer einen echten „Buddy“ sucht, der nix kann, aber das ungebremst, der bei diesem Kerl genau richtig!

 

Joker

Joker

Auch Joke gehörte zu den Kandidaten, die mir als Sorgenkinder geschildert wurden. Sicherlich nicht zu unrecht, denn wenn Joker läuft, dann läuft er. Und dann sehr ernsthaft.

Mit Vorliebe gegen Männer, die er kaum kennt, weil er fast sein ganzes Leben im Tierheim verbracht hat. Seine Bezugsperson im Tierheim kann mit ihm weitestgehend machen, was sie möchte. Von ihr lässt er sich auch mal in den Senkel stellen, wenn er es übertreibt. Männer dürfen in seiner Gegenwart atmen.

Der Spruch „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“ trifft bei Joker also nicht zu.

Mit Druck braucht man einem Hund wie Joker nicht kommen, denn Gegendruck kann er. Diese Erfahrung durfte auch eine Hundetrainerin machen, die ihn zwecks „Resozialisierung“ unter ihre Fittiche genommen hat und wohl mit einem Schäferhund verwechselt hatte.

Vielmehr braucht Joker einen ernsthaften Gesprächspartner und die Chance noch vieles zu lernen, was den Alltag angeht.

Darüber hinaus darf er auch einiges verlernen, insbesondere sein fehlgeleitetes Beutefangverhalten macht Joker zu einem nicht ungefährlichen Hund – wie gesagt, wenn er läuft, dann läuft er.

Auch Hunde wie Joker können ein normales Hundeleben führen, sie brauchen nur einen Wahnsinnigen, der Bock auf ein Projekt hat. Da sich unter meinen Lesern besonders viele Wahnsinnige befinden, hoffe ich auf einen sachkundigen! Menschen, der sich diesem tollen Hund annimmt.

Ich würde mich auch als Versuchsmann zur Verfügung stellen, wenn das Training etwas fortgeschrittener ist 😉

 

Maddox

Maddox

Was soll ich zu Maddox sagen. Ein echter Kerl für echte Kerle. Nicht der größte Held auf dieser Erde, aber dafür hochintelligent und beobachtend.

Schon als ich Maddox an die Leine genommen habe, gab er mir zu verstehen, dass er mich für eine Zecke in seinem Fell hält. Als ich dann noch die Frechheit besessen habe, irgendwas von ihm einzufordern, zeigte er mir auch gleich, wo der Frosch die Locken hat.

Ich liebe solche Hunde. Nichts hysterisches, kein langes Gerede, Maddox klärt Konflikte, wie es Männer tun bzw, wie es Männer vor 150 Jahren getan haben.

Seinem Menschen gegenüber ist Maddox durch und durch loyal und erwäre ein grandioser Beschützer für Dein Haus!


Russell

russel

Airdale-Terrier/Dackel-Mix! Das sagt schon alles. Russell ist ein sehr intelligenter selbstbewusster Kerl, der einen sehr intelligenten, selbstbewussten Halter sucht.

Mit Artgenossen ist er sehr gut verträglich, kein Wunder, alles unter 12 Metern Schulterhöhe kann an sein Ego eh nicht ranreichen. Und mit dem Fußvolk kann man sich ja amüsieren.

Und so fegte Russell den ganzen Mittag mit den anderen Hunden durch den Freilauf und amüsierte sich königlich, also standesgemäß!

Kommuniziert man klar und deutlich mit Russell, dann ist er ein echter Kumpeltyp, eiert man rum, braucht man früher oder später einen Breaking Stick, um ihn aus dem Arm zu puhlen.

Dies ist wohl auch der Grund, warum auch Russell schon zwei Jahre im Tierheim hockt.


Marley

Marley

Marley heisst eigentlich Charly, aber da es im Tierheim schon einen gab, wurde er kurzerhand umgetauft. Ich wiederum habe Marley in „Autsch“ umgetauft, weil er sich in einer Tour Prügel von meiner Hündin abgeholt hat, weil wer wie ein sechszehnjähriger Schnauzbartträger an ihr rumgebaggert und sich immer wieder eine Abfuhr geholt hat.

Marley ist so ein Hund, der immer und immer wieder auf die Herdplatte greift, „autsch“ ruft, lacht und den dann  Vorgang wiederholt. Dabei ist er sehr nett und gottseidank gutaussehend. Denn besonders klug ist er nicht. Aber was man nicht weiß, kann man ja lernen.

Marley war ein Neuzugang, er ist zur Zeit der einzige unkastriere Rüde im Tierheim und ist mit Artgenossen sehr gut verträglich. Nur fehlt ihm eben ein wenig Erfahrung.

 

Das Tierheim Hodenhagen hat nur zwölf Zwinger. Zumindest einige der Hunde haben nun die Möglichkeit, zusammenzuleben und so eine höhere Lebensqualität zu erfahren.

Vor einigen Tagen bekam ich schließlich Post:

… man kann die Veränderungen zusehens bemerken. Die Hunde sind viiiieeel ruhiger und ausgeglichener und wir tun uns schwer zu Arbeiten weil wir am liebsten nur zugucken würden, besser als jedes Fehrnsehprogramm.“

Dienstags bei Moritz

Wenn man sein Geld damit verdient, anderen etwas zu erzählen, dann ist es von Vorteil, wenn das Gegenüber auch hören möchte, was man man zu sagen hat.

Jeder von uns kennt das. Wir gehen in ein Geschäft und möchten lediglich schnell irgendetwas besorgen und plötzlich steht sie da – eine überambitionierte Verkäuferin mit Beratungsauftrag, die sich fest vorgenommen hat, dafür zu sorgen, dass man das Geschäft als glücklicher Kunde wieder verlässt. Ob man will oder nicht.

Manchmal kann so etwas sehr charmant sein. Zum Beispiel als ich mal für eine Freundin „schnell“ einen Mascara kaufen sollte und die Angestellte der Drogerie mich in ein zwanzigminütiges Verkaufsgespräch reinzog – in der irrigen Annahme, dass der Kosmetikartikel für mich sei.

Als ich wieder in mein Auto stieg war ich um zwei Erkenntnisse reicher. Erstens, dass ich eher der „Volumentyp“ bin, weil ich über ausgesprochen lange Wimpern verfüge und zweitens, dass hessische Drogerieangestellte deutlich weltoffener sind als ich dachte.

Meistens jedoch nervt eine solche Zwangsberatung einfach nur und fühlt sich an, wie wenn man mit Norovirus im Fahrstuhl stecken bleibt.

Als mal mein Telefon klingelte und eine Sabine mir erzählte, dass Moritz, der Retriever total unerzogen sei, an der Leine ziehe und Essen klaue, da dachte ich, ich hätte einen Beratungsauftrag und vereinbarte einen Termin.

Als ich zum besagten Termin dann auftauchte wurde ich eines besseren belehrt. Denn von Sabine war weit und breit nichts zu sehen. Statt dessen öffnete mir Hagen die Tür, ein wahrhaft großer, vollbärtiger Mann mit diversen Tätowierungen, die auf eine bewegte Vergangenheit hinwiesen und der mir erklärte, dass Sabine seine Ex-Frau sei und ihm mittels im Voraus bezahlten Einzeltraining wohl etwas gutes tun wolle. Oder ihn foltern, je nach Sichtweise.

Da es, wie eingangs erwähnt nichts unangenehmeres gibt, als gegen wider freien Willens beraten zu werden, bot ich zugegebenermaßen zähneknirschend an, dass ich Hagen die gezahlten Stunden zurückgeben könne, doch der Hühne antworte, wenn ich schon mal da sei, könne ich auch reinkommen.

Moritz, der Retriever und Hagen lebten in einem kleinen Haus, vielmehr einer großen Hütte direkt am Wald.

In seinem früheren Leben handelte Hagen mit „Kram“, welcher Kram genau das gewesen sei, wollte er mir nicht erzählen.

Als die Ehe mit Sabine in die Brüche gegangen ist, ist er hierher gezogen und genießt seitdem die Ruhe. Denn Sabine, so versicherte er mir, könne einen schier in den Wahnsinn treiben, so nett wie sie ja sei.

Weil er keine Lust mehr auf den Handel mit Kram hatte, und weil er die Ruhe sehr schätzte, war Hagen von nun an viel im Wald unterwegs. Und weil er schonmal da war, begann er, die Tiere zu katalogisieren, die er hier traf. Und weil der Hochtaunuskreis noch ein paar öffentliche Mittel im Budget hatte, die dringend weg mussten, wurde Hagen seit einiger Zeit dafür bezahlt, dass er mit Moritz im Wald unterwegs war und Tiere katalogisierte.

Denn bei Tieren, da wurde der tätowierte Rocker zum Softie.

„Zeig mir irgendeinen Typen und ich verteil den auf dem Platz. Aber bei Tieren, da bin ich ein Weichkeks“, so Hagen.

Moritz, der Retriever war, wie von Hagens Ex-Frau beschrieben, wirklich nicht besonders gut erzogen. Aber das war Hagen egal. Denn Moritz war wirklich ein netter Kerl. Und ein echter Kumpel, mit dem man Pferde stehlen konnte. Was Moritz jedoch auch tat, wenn Hagen nicht aufpasste. Klar, er zog an der Leine, klaute wie ein Rabe und machte sich auch gerne mal selbstständig, wenn die beiden im Wald unterwegs waren.

Aber alles in allem, so Hagen, habe er überhaupt kein Problem mit seinem Hund.

Bei unserem zweiten Treffen, denn so ein bisschen Gesellschaft sei ja was nettes und wenn die Ex-Frau eh zahlt, offenbarte mir Hagen, dass er mit seinem Hund mal einen Erziehungskurs beim örtlichen Hundeverein besucht hätte.

Hagen betrat mit Moritz den Platz, schaute sich ein „Mensch-Hund-Team“ an, dass gerade ziemlich strebermäßig einige Übungen für die Begleithundeprüfung absolvierte und dachte sich, Mensch, das kann Moritz auch.

Worauf er sich neben seinen Hund kniete und ihm zum Erstaunen der Anwesenden motiverend ins Ohr flüsterte: „Moritz, guck dir das gut an, das kriegst du auch hin.“

Moritz sah das naturgemäß anders und so erklärte Hagen der Trainerin, dass Moritz so ein Kadavergehorsam doch eher peinlich sei. Und überhaupt, für alle Beteiligten sei es doch von Vorteil, auch für das eigene Ego, wenn einer der Hunde freiwillig die rote Laterne in Sachen Gehoram übernehmen würde.

„Die haben mir mein Geld zurückgegeben“ hielt Hagen fest.

Nur eine Sache, die war Hagen wichtig.

Abends, wenn es dunkel wurde im Wald, da musste Moritz ruhig sein. „Denn dann wollen die Vögel schlafen“, erklärte er und strich sich durch seinen Bart. „Und die wollen wir ja nicht wecken.“

Dog-Whispering 101

Jeder kennt das. Manchmal entstehen so kleine Momente des peinlichen Schweigens.

Ein Beispiel: Während des ersten Termins mit meinem neuen Kunden Klaus kommt uns ein Mensch mit Hund entgegen. Klaus‘ Hauscanide zeigt uns sogleich unmissverständlich, warum die beiden bei mir sind. Und dann passiert etwas merkwürdiges.

Während der Kundenrüde seinem Gegenüber laut zeternd zu verstehen gibt, dass er ihn gleich wegatmen wird, schreitet der Klaus zur Tat und – besteigt seinen Hund.

Also, nicht so richtig, vielmehr simuliert er das Besteigen seines Hundes, was dieser wiederum gewohnt zu sein scheint und ignoriert, während dem Artgenossen weiterhin mit Mord und Todschlag gedroht wird.

Ein Blick auf den Besitzer des so Angepöbelten verrät mir, dass ich nicht der einzige bin, der das gerade ziemlich spooky findet.

Mit einer Mischung aus Angst und Verwunderung gehen unsere Gegenüber weiter und nach einiger Zeit beruhigt sich auch der Bestiegene. Und Klaus lässt seinen Hund wieder frei.

„Öhm Du“, beginne ich vorsichtig meinen Satz. „Sag mal, hast Du Deinen Hund gerade bestiegen?“

Mein Kunde guckt mich erwartungsschwanger an und erwidert, dass er das so in der Hundeschule gelernt hat. Weil nämlich sein Rüde sehr dominant sei und er ihm auf diesem Wege zeigen würde, dass er der Alpha im Rudel sei.

Aha, denke ich unterdrücke meinen Brechreiz. Gleich drei Begriffe in einem Satz, bei denen sich mir die Fußnägel hochrollen.

Wie immer in solchen Situationen frage ich erstmal „Und, funktioniert es?“, worauf Klaus etwas verdattert guckt und mir bestätigt, dass es eher nicht so doll klappt.

Klappen sollte es übrigens auch bei Sandra und ihrem Border Collie „Fly“, der schon mit fünfzehn Wochen den ersten ausgiebigen Ausflug gen Bundestraße zwecks SUV-hüten machte. Nämlich mit der Bindung, wie die Hundetrainerin feststellte. Denn die sei garnicht vorhanden.

Abgesehen davon, dass ich das ganz schön beleidigend dem Menschen gegenüber finde, ihm eine Bindung zu seinem Hund abzusprechen, finde ich es prinzipiell in einem solchen Fall gut, den Hund an sich zu binden. Und zwar erstmal mithilfe einer Leine, bis der kleine Pups verstanden hat, dass Autos keine Schafe sind.

Sandras Trainerin sah das etwas anders und verordnete der ambitionierten Problemhündchenbesitzerin, dass sich sich fortan regelmäßig auf den Zeigefinger spucken und mit dem so vollgesauten Akron das Zahnfleisch des Hobbyjägers einschmieren solle.

Anders als beim Besteigen des Monsterrüden habe ich in dem Fall etwas länger gebraucht, um den Zusammenhang zu verstehen.

Mit dem Einreiben des Zahnfleisches mittels vollgesabberten Finger würde nämlich das Maulwinkelstossen des Welpen bei der Mutterhündin simuliert.

Hunde tun das schließlich auch, wenn sie irgendwann erwachsen werden gerne mal als aktive Demutsgeste.

Was mir allerdings nicht ganz so klar werden möchte ist der Sinn der Übung.

Liegt die Hoffnung darin, dass der Hund etwas Futter vorwürgt und aufs Jagen verzichtet, weil ihm jetzt übel ist? Oder ist das wirklich als Demutsgeste gemeint und als so eine Art bettelndes Flehen zu verstehen, auf das er Einsicht zeigt und so etwas nie wieder tut?

Naja, zumindest beim Menschen spielt beim gegenseitigen Austausch von Körperflüssigkeiten in vielen Fällen Oxitozin ein große Rolle.

Gar keine Rolle spielt Oxitozin bei „Mandy“, wenn sei auf ihresgleichen trifft. Und mit ihren gerade mal neun Monaten schon ziemlich beschädigend mit anderen Hunden umspringt.

Mandys Besitzer wollten von Anfang an alles richtig machen und pilgerten brav in die Welpengruppe. Nun hatte Mandy ein Problem, nämlich das, dass die Hundetrainerin ein Problem mit Mandys Rasse hatte und der erwünschte Sozialkontakt mit Artgenossen gegen Zahlung von 15 Euro pro Termin darin bestand, dass Mandy und ihre Menschen außerhalb des Hundeplatzes hinter einem Sichtschutz zugucken durften, wie die anderen Hunde und ihre Menschen Welpenspiel veranstalteten.

Dass das so nix wird mit dem Sozialverhalten wurde Mandys Frauchen in dem Moment klar, als ihre Hündin den ersten Artgenossen ziemlich überambitioniert auf links gedreht hat.

Gottlob hatte die Trainerin auch für solche Fälle einen Tipp. Wenn nämlich Mandy das nächste Mal einen anderen Hund verprügeln will, sollen Frauchen und Herrchen doch einfach Leckerchen auf die Kontrahenten träufeln. Denn dann, da war sich die Kynopädagogin sicher, lassen die beiden Streithähne bzw. Hühner sofort voneinander ab und beschäftigen sich lieber mit dem Futter.

Sozusagen Frolic statt Fresse voll. Was nicht geklappt hat.

Wie die Hundetrainerin auf die Idee gekommen ist, bleibt derweil ihr Geheimnis.

Apropo Geheimns: Das meine Kundin Ulrike morgens etwas von ihrem Morgenurin mit einer Einwegspritze aufzog, um dann jedes Mal, wenn ihr Hund irgendwo hinmarkierte, ein paar Tropfen darüber zu träufeln, hat sie niemanden verraten.

Dominique wiederum ist da etwas offener und lässt sich von ihren Hunden besteigen, weil der Experte gesagt hat, dass nur die Leithündin gdeckt würde. Und das ihre Hündin sie gleich mitdeckt ist doch ein schöner Beweis, dass Hunde liberale Tiere sind.

So liberal, dass sie uns so ziemlich jeden Schwachsinn verzeihen …

Eilmeldung: Die Welt ist nicht schlecht.

Liebe Menschen,

in Paris stürmen ein paar Idioten die Redaktion eines Satiremagazins und töten Menschen. Trotzdem ist die Welt immer noch nicht schlecht.

Denn die überwältigend große Mehrheit ist schockiert und verurteilt diesen Wahnsinn. Und das ist ein gutes Zeichen.

Auch in den nächsten Tagen wird die Welt nicht besser oder schlechter. Auch wenn wir uns alle noch wundern werden – über Freunde, Bekannte und Nutzer der sozialen Netzwerke.

Denn schlimme Ereignisse setzen nicht nur Entsetzen, sondern auch jede Menge Dummheit und Verallgemeinerungen frei.

Es ist ja auch bequem. Ein Haufen Spinner startet einen Angriff auf die Meinungsfreiheit im Namen eines Gottes, der, so es ihn denn gibt, entsetzt mit dem Kopf schütteln würde, so er denn einen hat.

Ein anderer Haufen Spinner sagt, man habe es ja immer gewusst.

Und die einen oder anderen, die sonst vielleicht mal ein verschämtes „Like“ unter irgendeinen islamophoben, fremdenfeindlichen oder sonstwie verschwurbelten Nonsense setzen, fühlen sich jetzt berufen, der Welt ihre Meinung kundzutun.

Oliver Kalkhofe hat es in seinem Statement gut auf den Punkt gebracht.

Ein wie auch immer gearteter Allmächtiger, egal wie er oder sie heisst, wäre durchaus in der Lage, sich selber eines lästigen Problems zu entledigen. Dafür braucht es weder selbsternannte Gotteskrieger noch selbsternannte Verteidiger des Abendlandes.

Wenn schlimmes passiert, dann hilft nur denken.

Denn all die großen und kleinen Brandstifter werden jetzt um die Ecke kommen und behaupten, dass sie immer Recht hatten. Und sie werden viele „Likes“ bekommen.

Doch eine Meinung wird nicht richtiger, nur weil sie von vielen vertreten wird.

Es sind harte Fakten und Zahlen sind, die sie widerlegen.

Die Welt ist nicht schlechter als vorgestern, sie ist einfach nur um ein Unrecht reicher.

Es ist lediglich schwerer geworden, dem ganzen Unsinn zu begegnen.