Dienstags bei Moritz

Wenn man sein Geld damit verdient, anderen etwas zu erzählen, dann ist es von Vorteil, wenn das Gegenüber auch hören möchte, was man man zu sagen hat.

Jeder von uns kennt das. Wir gehen in ein Geschäft und möchten lediglich schnell irgendetwas besorgen und plötzlich steht sie da – eine überambitionierte Verkäuferin mit Beratungsauftrag, die sich fest vorgenommen hat, dafür zu sorgen, dass man das Geschäft als glücklicher Kunde wieder verlässt. Ob man will oder nicht.

Manchmal kann so etwas sehr charmant sein. Zum Beispiel als ich mal für eine Freundin „schnell“ einen Mascara kaufen sollte und die Angestellte der Drogerie mich in ein zwanzigminütiges Verkaufsgespräch reinzog – in der irrigen Annahme, dass der Kosmetikartikel für mich sei.

Als ich wieder in mein Auto stieg war ich um zwei Erkenntnisse reicher. Erstens, dass ich eher der „Volumentyp“ bin, weil ich über ausgesprochen lange Wimpern verfüge und zweitens, dass hessische Drogerieangestellte deutlich weltoffener sind als ich dachte.

Meistens jedoch nervt eine solche Zwangsberatung einfach nur und fühlt sich an, wie wenn man mit Norovirus im Fahrstuhl stecken bleibt.

Als mal mein Telefon klingelte und eine Sabine mir erzählte, dass Moritz, der Retriever total unerzogen sei, an der Leine ziehe und Essen klaue, da dachte ich, ich hätte einen Beratungsauftrag und vereinbarte einen Termin.

Als ich zum besagten Termin dann auftauchte wurde ich eines besseren belehrt. Denn von Sabine war weit und breit nichts zu sehen. Statt dessen öffnete mir Hagen die Tür, ein wahrhaft großer, vollbärtiger Mann mit diversen Tätowierungen, die auf eine bewegte Vergangenheit hinwiesen und der mir erklärte, dass Sabine seine Ex-Frau sei und ihm mittels im Voraus bezahlten Einzeltraining wohl etwas gutes tun wolle. Oder ihn foltern, je nach Sichtweise.

Da es, wie eingangs erwähnt nichts unangenehmeres gibt, als gegen wider freien Willens beraten zu werden, bot ich zugegebenermaßen zähneknirschend an, dass ich Hagen die gezahlten Stunden zurückgeben könne, doch der Hühne antworte, wenn ich schon mal da sei, könne ich auch reinkommen.

Moritz, der Retriever und Hagen lebten in einem kleinen Haus, vielmehr einer großen Hütte direkt am Wald.

In seinem früheren Leben handelte Hagen mit „Kram“, welcher Kram genau das gewesen sei, wollte er mir nicht erzählen.

Als die Ehe mit Sabine in die Brüche gegangen ist, ist er hierher gezogen und genießt seitdem die Ruhe. Denn Sabine, so versicherte er mir, könne einen schier in den Wahnsinn treiben, so nett wie sie ja sei.

Weil er keine Lust mehr auf den Handel mit Kram hatte, und weil er die Ruhe sehr schätzte, war Hagen von nun an viel im Wald unterwegs. Und weil er schonmal da war, begann er, die Tiere zu katalogisieren, die er hier traf. Und weil der Hochtaunuskreis noch ein paar öffentliche Mittel im Budget hatte, die dringend weg mussten, wurde Hagen seit einiger Zeit dafür bezahlt, dass er mit Moritz im Wald unterwegs war und Tiere katalogisierte.

Denn bei Tieren, da wurde der tätowierte Rocker zum Softie.

„Zeig mir irgendeinen Typen und ich verteil den auf dem Platz. Aber bei Tieren, da bin ich ein Weichkeks“, so Hagen.

Moritz, der Retriever war, wie von Hagens Ex-Frau beschrieben, wirklich nicht besonders gut erzogen. Aber das war Hagen egal. Denn Moritz war wirklich ein netter Kerl. Und ein echter Kumpel, mit dem man Pferde stehlen konnte. Was Moritz jedoch auch tat, wenn Hagen nicht aufpasste. Klar, er zog an der Leine, klaute wie ein Rabe und machte sich auch gerne mal selbstständig, wenn die beiden im Wald unterwegs waren.

Aber alles in allem, so Hagen, habe er überhaupt kein Problem mit seinem Hund.

Bei unserem zweiten Treffen, denn so ein bisschen Gesellschaft sei ja was nettes und wenn die Ex-Frau eh zahlt, offenbarte mir Hagen, dass er mit seinem Hund mal einen Erziehungskurs beim örtlichen Hundeverein besucht hätte.

Hagen betrat mit Moritz den Platz, schaute sich ein „Mensch-Hund-Team“ an, dass gerade ziemlich strebermäßig einige Übungen für die Begleithundeprüfung absolvierte und dachte sich, Mensch, das kann Moritz auch.

Worauf er sich neben seinen Hund kniete und ihm zum Erstaunen der Anwesenden motiverend ins Ohr flüsterte: „Moritz, guck dir das gut an, das kriegst du auch hin.“

Moritz sah das naturgemäß anders und so erklärte Hagen der Trainerin, dass Moritz so ein Kadavergehorsam doch eher peinlich sei. Und überhaupt, für alle Beteiligten sei es doch von Vorteil, auch für das eigene Ego, wenn einer der Hunde freiwillig die rote Laterne in Sachen Gehoram übernehmen würde.

„Die haben mir mein Geld zurückgegeben“ hielt Hagen fest.

Nur eine Sache, die war Hagen wichtig.

Abends, wenn es dunkel wurde im Wald, da musste Moritz ruhig sein. „Denn dann wollen die Vögel schlafen“, erklärte er und strich sich durch seinen Bart. „Und die wollen wir ja nicht wecken.“

Dog-Whispering 101

Jeder kennt das. Manchmal entstehen so kleine Momente des peinlichen Schweigens.

Ein Beispiel: Während des ersten Termins mit meinem neuen Kunden Klaus kommt uns ein Mensch mit Hund entgegen. Klaus‘ Hauscanide zeigt uns sogleich unmissverständlich, warum die beiden bei mir sind. Und dann passiert etwas merkwürdiges.

Während der Kundenrüde seinem Gegenüber laut zeternd zu verstehen gibt, dass er ihn gleich wegatmen wird, schreitet der Klaus zur Tat und – besteigt seinen Hund.

Also, nicht so richtig, vielmehr simuliert er das Besteigen seines Hundes, was dieser wiederum gewohnt zu sein scheint und ignoriert, während dem Artgenossen weiterhin mit Mord und Todschlag gedroht wird.

Ein Blick auf den Besitzer des so Angepöbelten verrät mir, dass ich nicht der einzige bin, der das gerade ziemlich spooky findet.

Mit einer Mischung aus Angst und Verwunderung gehen unsere Gegenüber weiter und nach einiger Zeit beruhigt sich auch der Bestiegene. Und Klaus lässt seinen Hund wieder frei.

„Öhm Du“, beginne ich vorsichtig meinen Satz. „Sag mal, hast Du Deinen Hund gerade bestiegen?“

Mein Kunde guckt mich erwartungsschwanger an und erwidert, dass er das so in der Hundeschule gelernt hat. Weil nämlich sein Rüde sehr dominant sei und er ihm auf diesem Wege zeigen würde, dass er der Alpha im Rudel sei.

Aha, denke ich unterdrücke meinen Brechreiz. Gleich drei Begriffe in einem Satz, bei denen sich mir die Fußnägel hochrollen.

Wie immer in solchen Situationen frage ich erstmal „Und, funktioniert es?“, worauf Klaus etwas verdattert guckt und mir bestätigt, dass es eher nicht so doll klappt.

Klappen sollte es übrigens auch bei Sandra und ihrem Border Collie „Fly“, der schon mit fünfzehn Wochen den ersten ausgiebigen Ausflug gen Bundestraße zwecks SUV-hüten machte. Nämlich mit der Bindung, wie die Hundetrainerin feststellte. Denn die sei garnicht vorhanden.

Abgesehen davon, dass ich das ganz schön beleidigend dem Menschen gegenüber finde, ihm eine Bindung zu seinem Hund abzusprechen, finde ich es prinzipiell in einem solchen Fall gut, den Hund an sich zu binden. Und zwar erstmal mithilfe einer Leine, bis der kleine Pups verstanden hat, dass Autos keine Schafe sind.

Sandras Trainerin sah das etwas anders und verordnete der ambitionierten Problemhündchenbesitzerin, dass sich sich fortan regelmäßig auf den Zeigefinger spucken und mit dem so vollgesauten Akron das Zahnfleisch des Hobbyjägers einschmieren solle.

Anders als beim Besteigen des Monsterrüden habe ich in dem Fall etwas länger gebraucht, um den Zusammenhang zu verstehen.

Mit dem Einreiben des Zahnfleisches mittels vollgesabberten Finger würde nämlich das Maulwinkelstossen des Welpen bei der Mutterhündin simuliert.

Hunde tun das schließlich auch, wenn sie irgendwann erwachsen werden gerne mal als aktive Demutsgeste.

Was mir allerdings nicht ganz so klar werden möchte ist der Sinn der Übung.

Liegt die Hoffnung darin, dass der Hund etwas Futter vorwürgt und aufs Jagen verzichtet, weil ihm jetzt übel ist? Oder ist das wirklich als Demutsgeste gemeint und als so eine Art bettelndes Flehen zu verstehen, auf das er Einsicht zeigt und so etwas nie wieder tut?

Naja, zumindest beim Menschen spielt beim gegenseitigen Austausch von Körperflüssigkeiten in vielen Fällen Oxitozin ein große Rolle.

Gar keine Rolle spielt Oxitozin bei „Mandy“, wenn sei auf ihresgleichen trifft. Und mit ihren gerade mal neun Monaten schon ziemlich beschädigend mit anderen Hunden umspringt.

Mandys Besitzer wollten von Anfang an alles richtig machen und pilgerten brav in die Welpengruppe. Nun hatte Mandy ein Problem, nämlich das, dass die Hundetrainerin ein Problem mit Mandys Rasse hatte und der erwünschte Sozialkontakt mit Artgenossen gegen Zahlung von 15 Euro pro Termin darin bestand, dass Mandy und ihre Menschen außerhalb des Hundeplatzes hinter einem Sichtschutz zugucken durften, wie die anderen Hunde und ihre Menschen Welpenspiel veranstalteten.

Dass das so nix wird mit dem Sozialverhalten wurde Mandys Frauchen in dem Moment klar, als ihre Hündin den ersten Artgenossen ziemlich überambitioniert auf links gedreht hat.

Gottlob hatte die Trainerin auch für solche Fälle einen Tipp. Wenn nämlich Mandy das nächste Mal einen anderen Hund verprügeln will, sollen Frauchen und Herrchen doch einfach Leckerchen auf die Kontrahenten träufeln. Denn dann, da war sich die Kynopädagogin sicher, lassen die beiden Streithähne bzw. Hühner sofort voneinander ab und beschäftigen sich lieber mit dem Futter.

Sozusagen Frolic statt Fresse voll. Was nicht geklappt hat.

Wie die Hundetrainerin auf die Idee gekommen ist, bleibt derweil ihr Geheimnis.

Apropo Geheimns: Das meine Kundin Ulrike morgens etwas von ihrem Morgenurin mit einer Einwegspritze aufzog, um dann jedes Mal, wenn ihr Hund irgendwo hinmarkierte, ein paar Tropfen darüber zu träufeln, hat sie niemanden verraten.

Dominique wiederum ist da etwas offener und lässt sich von ihren Hunden besteigen, weil der Experte gesagt hat, dass nur die Leithündin gdeckt würde. Und das ihre Hündin sie gleich mitdeckt ist doch ein schöner Beweis, dass Hunde liberale Tiere sind.

So liberal, dass sie uns so ziemlich jeden Schwachsinn verzeihen …