Der Fluch der Belohnung, die Hölle der Bestrafung

In einem früheren Leben habe ich mal erfolglos Sozialpädagogik studiert. Und das ist gut so, denn ich kenne ein paar Menschen, die in diesem Bereich arbeiten und mir hin und wieder von ihrem Alltag erzählen. Ich bin froh, dass es mich in andere Gefilde getrieben hat.

Andererseits war das Studium auch hilfreich, denn vieles von dem, was heute im Umgang mit Hunden gang und gäbe ist, hat dort seinen Ursprung.

Noch vor 50 Jahren war der pädagogische Alltag von autoritären Strukturen, körperlichen Züchtigungen und unbedingtem Gehorsam geprägt. Noch Anfang der 1980er Jahre besuchte ich eine Schule, deren Lehrerinnen uns Kinder an den Ohren aus dem Klassenzimmer zogen, wenn wir den Unterricht störten.

Auf den Hundeplätzen der Republik sah es lange Zeit nicht anders aus. Der Umgang war hart und oft unfair, der Begriff Unterordnung war im Wortsinne zu verstehen und die Älteren unter uns wissen noch, was „Luftpost“ bedeutet.

Nach und nach änderte sich etwas. In der Jugendarbeit wurden neue pädagogische Konzepte konsensfähig. Ging es vorher vielfach um Disziplin und normierte Wertvorstellungen, gelangten nun Ansätze, die auf Förderung und Kooperation beruhten, in den Vordergrund.

Auch der Umgang mit den Hunden änderte sich ab etwa Ende der 1980er Jahre. Die Erkenntnis, dass man seine Trainingsziele auch mit anderen, fairen Mitteln, erreichen kann, setzte sich langsam durch. Abgestossen vom damals teils brutalen Umgang mit den Hunden, wendeten sich viele Menschen von den Hundevereinen ab. Es formierten sich Trainingsgruppen, die auf positiv verstärkende Trainingsmethoden setzten und schließlich gründeten sich die ersten kommerziellen Hundeschulen.

Man sieht also durchaus gewisse Parallelen zwischen der Entwicklung in der Pädagogik und den Methoden im Hundetraining, wenn auch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung.

Heute findet Hundetraining weitestgehend auf Basis von Belohnungsprinzipien statt. In der Humanpädagogik allerdings regt sich schon seit längerem Widerstand.

„Auch Belohnung, die postmoderne Version von Bestrafung, sollte man verbannen.“

Jesper Juul ist Familientherapeut und von ihm stammt das Zitat. Der Däne hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben und ist sicherlich kein „Hardliner“. Vielmehr hat er die manipulativen und teils schädlichen Nebenwirkungen von Belohnung erkannt.

Was Strafe angeht, scheinen sich im Hundetraining wie auch in der Pädagogik alle einig zu sein. Pfui ist das!

Heute spricht man lieber von „Konsequenz“: „Während bei der Strafe zwischen dem unerwünschten Verhalten und der Sanktion oft kein sachlicher Zusammenhang steht, ist bei einer Konsequenz der Zusammenhang für das Kind ersichtlich.“

Wendy Mogel ist Autorin des Buches „The Blessings of a skinned Knee“ und drückt es so aus: „Entzug von Privilegien statt Strafe.“

Wie auch immer man es benennt, offenkundig ist, dass Konsequenz bzw. Strafe in der Ratgeberliteratur nicht stattfindet. Während es unzählige Seminare, Bücher, DVDs etc. zum Thema „Richtig belohnen“ gibt, sucht man zum Thema „Richtig bestrafen“ vergeblich.

Fatal, denn im Alltag sind selbst die Friedliebendsten unter uns ständig gezwungen, den Hund zu reglementieren bzw. sein Verhalten zu unterbrechen. Sei es, weil Gesetze es vorschreiben oder auch nur, um zu verhindern, dass der geliebte Vierbeiner auf die Straße rennt.

Es wäre also im Sinne von Fairness absolut empfehlenswert, sich auch mit diesem Teil des Zusammenlebens auseinanderzusetzen.

Stattdessen versuchen viele Hundebesitzer, dem Verhalten Herr/Frau zu werden, in dem sie den Vierbeiner ablenken. Durchaus ein probates Mittel des Verhaltensmanagements, jedoch kein Ansatz für das Erreichen einer Verhaltensänderung.

Die Psychologin Rheta DeVries bezeichnete diese Vorgehensweise bei Kindern  mal als „Zuckerguss-Kontrolle“. Eigentlich handelt es sich bei der Belohnung um eine Form der Manipulation und nicht um die Bestätigung eines Verhaltens.

Wenn ich meinen Hund beispielsweise mittels Futter oder Spielzeug in der Artgenossenbegegnung ablenke, damit er den anderen Hund nicht attackiert, ist das vergleichbar mit dem iPad, das ich Kevin in die Hand drücke, damit er Torben-Oliver nicht verprügelt.

Ein großer Kritikpunkt an Belohnungsprinzipien ist in diesem Zusammenhang, dass diese immer an sichtbarem Verhalten ansetzen, die innere Motivation für dieses Verhalten jedoch ignorieren.

Ein großer Kritikpunkt an Bestrafung ist der derweil, dass diese häufig nur in Anwesenheit des Ausführenden wirkt. Fällt die „bestrafende“ Person weg, bleibt das Verhalten ohne Konsequenz, was wiederum selbstverstärkend wirkt.

Wenn Kevin ständig klaut und nie erwischt wird, wird die Handlung des Klauens selbstverstärkend. Wenn Luna in unserer Abwesenheit dem Postboten zeigt, wo der Frosch die Locken hat, ist dies ein Erfolg, der wiederholt werden möchte.

Dann sind wir wieder im Bereich der Belohnungsprinzipien und dem Zusammenhang von Endorphinen und Hormonen, die ausgeschüttet werden, wenn unser Belohnungszentrum aktiviert wird und Suchtverhalten, also dem Bestreben, ein schönes Gefühl öfter zu erleben.

Der Hund, der alles zeigt, was er je gelernt hat, tut dies in der Regel, weil er etwas dafür erwartet. Je nach Erregungszustand stellt sich durchaus die Frage, wie gesund das sein kann.

Auf der anderen Seite konnte bei Kindern beobachtet werden, dass ständige Belohnung die Motivation verringert und schließlich die Leistung schmälern kann.

Ein Phänomen, das auch bei Hunden bekannt ist: Warum sollte der Hund motiviert mit seinem Menschen arbeiten, wenn er, von Natur aus Ressourcenschoner, auch ohne Mühe an die Belohnung kommt?

Es ist gut und richtig, dass der faire und wohlwollende Umgang mit unseren Hunden heute Alltag ist. Ferner bin ich kein Freund von Plattitüden à la „Der Hund braucht nur mal eine Grenze“. Das Leben ist komplizierter und Veränderung bedingt Veränderung.

„Nicht geschimpft ist gelobt genug“ ist eine weitere Plattitüde, die ich so nicht unterschreiben würde. Aber man sollte sich darüber im Klaren sein, was genau man gerade belohnt.

Eine Plattitüde, die ich relativ oft anwende, lautet:

„Pass auf, was Du belohnst, es könnte sein, dass es funktioniert.“

Hässliche Wahrheit (3): Man darf sie nicht alle retten!

Heute habe ich frei. Und weil ich keine Ahnung habe, was ich mit so viel Freizeit anfangen soll, trödle ich ein wenig in den sozialen Netzwerken rum. Und siehe da. In meiner Timeline spült es einen Hilferuf hervor:

Jemand sucht für einen Hund, der mehrfach aktenkundig gebissen hat, einen Menschen, einen Verein oder wasauchimmer. Zwecks Rettung vor der „Todesspritze“, wie der Autor schreibt. Solche Aufrufe sind erstmal nicht außergewöhnlich und zumindest in meiner persönlichen Filterblase allgegenwärtig.

In diesem Fall jedoch gibt es einige Besonderheiten.

Zum Einen lebt der Hund nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz. Das ist aber nicht so schlimm, denn zum Anderen würde die Schweizer Polizei schriftlich genehmigen, dass der Hund ausreisen darf.

Das ist ja ein Ding, denke ich mir. Und tatsächlich finden sich unter dem Beitrag jede Menge Kommentator*innen, die den armen Bub sofort und auf der Stelle retten würden. Wenn sie nicht schon drei hätten, versteht sich.

Die Einfuhr bzw. im Falle der Schweiz, die kein EU-Mitglied ist, die Verbringung von gefährlichen Hunden nach Deutschland regelt das Gesetz mit dem völlig unkomplizierten und charmanten Namen „Gesetz zur Beschränkung des Verbringens oder der Einfuhr gefährlicher Hunde in das Inland“ oder kurz „Hundeverbringungs- und -einfuhrbeschränkungsgesetz“, oder noch kürzer „HundVerbrEinfG“.

Wer sich schonmal über merkwürdige Gurkenverordnungen gewundert hat, wird an der Geschichte dieses Gesetzes seine wahre Freude haben.

In Kraft getreten ist dieses Wunderwerk der politischen Spontanität im Jahr 2001. Die Älteren unter uns werden sich erinnern, dass kurz zuvor ein Kind bei einem tragischen Beißvorfall in Hamburg ums Leben gekommen war. Tragisch auch deshalb, weil die Besitzer der betreffenden Hunde den Behörden bekannt waren, diese jedoch untätig blieben. Dies Unglück hätte also verhindert werden können.

Unmittelbar nach dem Vorfall war die Wut groß und insbesondere die Boulevardmedien befeuerten mit wenig zurückhaltenden Schlagzeilen à la „Tötet die Bestien!“ die Debatte.

Vor diesem Hintergrund taten die Verantwortlichen das, was sie am besten können: Sie übten sich in Aktionismus! Aber in Blindem, bitte.

Entgegen unzähliger Hinweise von Biolog*en, Tierärzt*en, Hundetrainer*n etcpp. wurde in kürzester Zeit also das „HundVerbrEinfG“ zusammengeschustert, welches im wesentlichen besagt, dass

„Hunde der Rassen Pitbull-Terrier, American Staffordshire-Terrier, Staffordshire-Bullterrier, Bullterrier sowie deren Kreuzungen untereinander oder mit anderen Hunden“

nicht nach Deutschland gebracht werden dürfen.

Kaum trat das Gesetz in Kraft, kamen prompt die ersten unangenehmen Fragen bzgl. gefährlicher Hunde auf.

Nur mal hypothetisch: Was wäre zum Beispiel, wenn es an der deutsch-österreichischen Grenze zu einem Gebäudeeinsturz käme und die Mitglieder österreichischen Rettungshundestaffel Pitbulls als Suchhunde hätten? Haben die Verschütteten dann Pech gehabt, weil die Hunde nicht einreisen dürfen?

Dass man da wohl etwas vorschnell war, ahnten auch die Verantwortlichen und beschlossen die „Verordnung über Ausnahmen zum Verbringungs- und Einfuhrverbot von gefährlichen Hunden in das Inland“, kurz HundVerbrEinfVO“.

Diese Verordnung trat im April 2002 in Kraft und erklärt, dass Diensthunde, auch solche fremder Streitkräfte sowie „Blindenhunde, Behindertenbegleithunde und Hunde des Katastrophen- und Rettungsschutzes“ doch einreisen dürfen. So ein Glück!

Außerdem darf man seinen Hund wieder mit nach Hause bringen, wenn man im Urlaub war. Und weil wir Deutschen so gastfreundlich sind, dürfen auch ausländische Gäste ihren Hund mitbringen. Und der Baden-Württemberger mit seinem Rottweiler in Bayern eine Pinkelpause machen. Aber maximal vier Wochen. Wenn der Schwabe sich dabei das Bein bricht, darf der geliebte Fiffi ausnahmsweise länger bleiben. Auf Antrag versteht sich.

Der Hund in dem oben geschilderten Hilferuf gehört übrigens keiner der im „HundVerbrEinfG“ genannten Rassen an.

Auf Grund der spätestens jetzt öffentlich bekannten Beißvorfälle stehen seine Chancen für eine – legale – Einreise dennoch nicht allzu gut. Selbst wenn der besagte schweizer Polizist den deutschen Kollegen die Ausreisegenehmigung vortanzen würde.

Zum Einen weil jedes Bundesland nochmal ein eigenes Hundegesetz hat und beißende Hunde, egal woher sie stammen, nirgendwo gerne gesehen sind. Zum Anderen, weil die Polizei, auch in der Schweiz, solche Dinge gar nicht entscheidet bzw. entscheiden darf.

„Der Kevin überfällt zwar alte Omas, aber so lange er das nicht hier tut, schreiben wir ihm eine Unbedenklichkeitbescheinigung.“

Ja, Nee, is klar.