Dienstags bei Moritz

Wenn man sein Geld damit verdient, anderen etwas zu erzählen, dann ist es von Vorteil, wenn das Gegenüber auch hören möchte, was man man zu sagen hat.

Jeder von uns kennt das. Wir gehen in ein Geschäft und möchten lediglich schnell irgendetwas besorgen und plötzlich steht sie da – eine überambitionierte Verkäuferin mit Beratungsauftrag, die sich fest vorgenommen hat, dafür zu sorgen, dass man das Geschäft als glücklicher Kunde wieder verlässt. Ob man will oder nicht.

Manchmal kann so etwas sehr charmant sein. Zum Beispiel als ich mal für eine Freundin „schnell“ einen Mascara kaufen sollte und die Angestellte der Drogerie mich in ein zwanzigminütiges Verkaufsgespräch reinzog – in der irrigen Annahme, dass der Kosmetikartikel für mich sei.

Als ich wieder in mein Auto stieg war ich um zwei Erkenntnisse reicher. Erstens, dass ich eher der „Volumentyp“ bin, weil ich über ausgesprochen lange Wimpern verfüge und zweitens, dass hessische Drogerieangestellte deutlich weltoffener sind als ich dachte.

Meistens jedoch nervt eine solche Zwangsberatung einfach nur und fühlt sich an, wie wenn man mit Norovirus im Fahrstuhl stecken bleibt.

Als mal mein Telefon klingelte und eine Sabine mir erzählte, dass Moritz, der Retriever total unerzogen sei, an der Leine ziehe und Essen klaue, da dachte ich, ich hätte einen Beratungsauftrag und vereinbarte einen Termin.

Als ich zum besagten Termin dann auftauchte wurde ich eines besseren belehrt. Denn von Sabine war weit und breit nichts zu sehen. Statt dessen öffnete mir Hagen die Tür, ein wahrhaft großer, vollbärtiger Mann mit diversen Tätowierungen, die auf eine bewegte Vergangenheit hinwiesen und der mir erklärte, dass Sabine seine Ex-Frau sei und ihm mittels im Voraus bezahlten Einzeltraining wohl etwas gutes tun wolle. Oder ihn foltern, je nach Sichtweise.

Da es, wie eingangs erwähnt nichts unangenehmeres gibt, als gegen wider freien Willens beraten zu werden, bot ich zugegebenermaßen zähneknirschend an, dass ich Hagen die gezahlten Stunden zurückgeben könne, doch der Hühne antworte, wenn ich schon mal da sei, könne ich auch reinkommen.

Moritz, der Retriever und Hagen lebten in einem kleinen Haus, vielmehr einer großen Hütte direkt am Wald.

In seinem früheren Leben handelte Hagen mit „Kram“, welcher Kram genau das gewesen sei, wollte er mir nicht erzählen.

Als die Ehe mit Sabine in die Brüche gegangen ist, ist er hierher gezogen und genießt seitdem die Ruhe. Denn Sabine, so versicherte er mir, könne einen schier in den Wahnsinn treiben, so nett wie sie ja sei.

Weil er keine Lust mehr auf den Handel mit Kram hatte, und weil er die Ruhe sehr schätzte, war Hagen von nun an viel im Wald unterwegs. Und weil er schonmal da war, begann er, die Tiere zu katalogisieren, die er hier traf. Und weil der Hochtaunuskreis noch ein paar öffentliche Mittel im Budget hatte, die dringend weg mussten, wurde Hagen seit einiger Zeit dafür bezahlt, dass er mit Moritz im Wald unterwegs war und Tiere katalogisierte.

Denn bei Tieren, da wurde der tätowierte Rocker zum Softie.

„Zeig mir irgendeinen Typen und ich verteil den auf dem Platz. Aber bei Tieren, da bin ich ein Weichkeks“, so Hagen.

Moritz, der Retriever war, wie von Hagens Ex-Frau beschrieben, wirklich nicht besonders gut erzogen. Aber das war Hagen egal. Denn Moritz war wirklich ein netter Kerl. Und ein echter Kumpel, mit dem man Pferde stehlen konnte. Was Moritz jedoch auch tat, wenn Hagen nicht aufpasste. Klar, er zog an der Leine, klaute wie ein Rabe und machte sich auch gerne mal selbstständig, wenn die beiden im Wald unterwegs waren.

Aber alles in allem, so Hagen, habe er überhaupt kein Problem mit seinem Hund.

Bei unserem zweiten Treffen, denn so ein bisschen Gesellschaft sei ja was nettes und wenn die Ex-Frau eh zahlt, offenbarte mir Hagen, dass er mit seinem Hund mal einen Erziehungskurs beim örtlichen Hundeverein besucht hätte.

Hagen betrat mit Moritz den Platz, schaute sich ein „Mensch-Hund-Team“ an, dass gerade ziemlich strebermäßig einige Übungen für die Begleithundeprüfung absolvierte und dachte sich, Mensch, das kann Moritz auch.

Worauf er sich neben seinen Hund kniete und ihm zum Erstaunen der Anwesenden motiverend ins Ohr flüsterte: „Moritz, guck dir das gut an, das kriegst du auch hin.“

Moritz sah das naturgemäß anders und so erklärte Hagen der Trainerin, dass Moritz so ein Kadavergehorsam doch eher peinlich sei. Und überhaupt, für alle Beteiligten sei es doch von Vorteil, auch für das eigene Ego, wenn einer der Hunde freiwillig die rote Laterne in Sachen Gehoram übernehmen würde.

„Die haben mir mein Geld zurückgegeben“ hielt Hagen fest.

Nur eine Sache, die war Hagen wichtig.

Abends, wenn es dunkel wurde im Wald, da musste Moritz ruhig sein. „Denn dann wollen die Vögel schlafen“, erklärte er und strich sich durch seinen Bart. „Und die wollen wir ja nicht wecken.“

Dog-Whispering 101

Jeder kennt das. Manchmal entstehen so kleine Momente des peinlichen Schweigens.

Ein Beispiel: Während des ersten Termins mit meinem neuen Kunden Klaus kommt uns ein Mensch mit Hund entgegen. Klaus‘ Hauscanide zeigt uns sogleich unmissverständlich, warum die beiden bei mir sind. Und dann passiert etwas merkwürdiges.

Während der Kundenrüde seinem Gegenüber laut zeternd zu verstehen gibt, dass er ihn gleich wegatmen wird, schreitet der Klaus zur Tat und – besteigt seinen Hund.

Also, nicht so richtig, vielmehr simuliert er das Besteigen seines Hundes, was dieser wiederum gewohnt zu sein scheint und ignoriert, während dem Artgenossen weiterhin mit Mord und Todschlag gedroht wird.

Ein Blick auf den Besitzer des so Angepöbelten verrät mir, dass ich nicht der einzige bin, der das gerade ziemlich spooky findet.

Mit einer Mischung aus Angst und Verwunderung gehen unsere Gegenüber weiter und nach einiger Zeit beruhigt sich auch der Bestiegene. Und Klaus lässt seinen Hund wieder frei.

„Öhm Du“, beginne ich vorsichtig meinen Satz. „Sag mal, hast Du Deinen Hund gerade bestiegen?“

Mein Kunde guckt mich erwartungsschwanger an und erwidert, dass er das so in der Hundeschule gelernt hat. Weil nämlich sein Rüde sehr dominant sei und er ihm auf diesem Wege zeigen würde, dass er der Alpha im Rudel sei.

Aha, denke ich unterdrücke meinen Brechreiz. Gleich drei Begriffe in einem Satz, bei denen sich mir die Fußnägel hochrollen.

Wie immer in solchen Situationen frage ich erstmal „Und, funktioniert es?“, worauf Klaus etwas verdattert guckt und mir bestätigt, dass es eher nicht so doll klappt.

Klappen sollte es übrigens auch bei Sandra und ihrem Border Collie „Fly“, der schon mit fünfzehn Wochen den ersten ausgiebigen Ausflug gen Bundestraße zwecks SUV-hüten machte. Nämlich mit der Bindung, wie die Hundetrainerin feststellte. Denn die sei garnicht vorhanden.

Abgesehen davon, dass ich das ganz schön beleidigend dem Menschen gegenüber finde, ihm eine Bindung zu seinem Hund abzusprechen, finde ich es prinzipiell in einem solchen Fall gut, den Hund an sich zu binden. Und zwar erstmal mithilfe einer Leine, bis der kleine Pups verstanden hat, dass Autos keine Schafe sind.

Sandras Trainerin sah das etwas anders und verordnete der ambitionierten Problemhündchenbesitzerin, dass sich sich fortan regelmäßig auf den Zeigefinger spucken und mit dem so vollgesauten Akron das Zahnfleisch des Hobbyjägers einschmieren solle.

Anders als beim Besteigen des Monsterrüden habe ich in dem Fall etwas länger gebraucht, um den Zusammenhang zu verstehen.

Mit dem Einreiben des Zahnfleisches mittels vollgesabberten Finger würde nämlich das Maulwinkelstossen des Welpen bei der Mutterhündin simuliert.

Hunde tun das schließlich auch, wenn sie irgendwann erwachsen werden gerne mal als aktive Demutsgeste.

Was mir allerdings nicht ganz so klar werden möchte ist der Sinn der Übung.

Liegt die Hoffnung darin, dass der Hund etwas Futter vorwürgt und aufs Jagen verzichtet, weil ihm jetzt übel ist? Oder ist das wirklich als Demutsgeste gemeint und als so eine Art bettelndes Flehen zu verstehen, auf das er Einsicht zeigt und so etwas nie wieder tut?

Naja, zumindest beim Menschen spielt beim gegenseitigen Austausch von Körperflüssigkeiten in vielen Fällen Oxitozin ein große Rolle.

Gar keine Rolle spielt Oxitozin bei „Mandy“, wenn sei auf ihresgleichen trifft. Und mit ihren gerade mal neun Monaten schon ziemlich beschädigend mit anderen Hunden umspringt.

Mandys Besitzer wollten von Anfang an alles richtig machen und pilgerten brav in die Welpengruppe. Nun hatte Mandy ein Problem, nämlich das, dass die Hundetrainerin ein Problem mit Mandys Rasse hatte und der erwünschte Sozialkontakt mit Artgenossen gegen Zahlung von 15 Euro pro Termin darin bestand, dass Mandy und ihre Menschen außerhalb des Hundeplatzes hinter einem Sichtschutz zugucken durften, wie die anderen Hunde und ihre Menschen Welpenspiel veranstalteten.

Dass das so nix wird mit dem Sozialverhalten wurde Mandys Frauchen in dem Moment klar, als ihre Hündin den ersten Artgenossen ziemlich überambitioniert auf links gedreht hat.

Gottlob hatte die Trainerin auch für solche Fälle einen Tipp. Wenn nämlich Mandy das nächste Mal einen anderen Hund verprügeln will, sollen Frauchen und Herrchen doch einfach Leckerchen auf die Kontrahenten träufeln. Denn dann, da war sich die Kynopädagogin sicher, lassen die beiden Streithähne bzw. Hühner sofort voneinander ab und beschäftigen sich lieber mit dem Futter.

Sozusagen Frolic statt Fresse voll. Was nicht geklappt hat.

Wie die Hundetrainerin auf die Idee gekommen ist, bleibt derweil ihr Geheimnis.

Apropo Geheimns: Das meine Kundin Ulrike morgens etwas von ihrem Morgenurin mit einer Einwegspritze aufzog, um dann jedes Mal, wenn ihr Hund irgendwo hinmarkierte, ein paar Tropfen darüber zu träufeln, hat sie niemanden verraten.

Dominique wiederum ist da etwas offener und lässt sich von ihren Hunden besteigen, weil der Experte gesagt hat, dass nur die Leithündin gdeckt würde. Und das ihre Hündin sie gleich mitdeckt ist doch ein schöner Beweis, dass Hunde liberale Tiere sind.

So liberal, dass sie uns so ziemlich jeden Schwachsinn verzeihen …

Eilmeldung: Die Welt ist nicht schlecht.

Liebe Menschen,

in Paris stürmen ein paar Idioten die Redaktion eines Satiremagazins und töten Menschen. Trotzdem ist die Welt immer noch nicht schlecht.

Denn die überwältigend große Mehrheit ist schockiert und verurteilt diesen Wahnsinn. Und das ist ein gutes Zeichen.

Auch in den nächsten Tagen wird die Welt nicht besser oder schlechter. Auch wenn wir uns alle noch wundern werden – über Freunde, Bekannte und Nutzer der sozialen Netzwerke.

Denn schlimme Ereignisse setzen nicht nur Entsetzen, sondern auch jede Menge Dummheit und Verallgemeinerungen frei.

Es ist ja auch bequem. Ein Haufen Spinner startet einen Angriff auf die Meinungsfreiheit im Namen eines Gottes, der, so es ihn denn gibt, entsetzt mit dem Kopf schütteln würde, so er denn einen hat.

Ein anderer Haufen Spinner sagt, man habe es ja immer gewusst.

Und die einen oder anderen, die sonst vielleicht mal ein verschämtes „Like“ unter irgendeinen islamophoben, fremdenfeindlichen oder sonstwie verschwurbelten Nonsense setzen, fühlen sich jetzt berufen, der Welt ihre Meinung kundzutun.

Oliver Kalkhofe hat es in seinem Statement gut auf den Punkt gebracht.

Ein wie auch immer gearteter Allmächtiger, egal wie er oder sie heisst, wäre durchaus in der Lage, sich selber eines lästigen Problems zu entledigen. Dafür braucht es weder selbsternannte Gotteskrieger noch selbsternannte Verteidiger des Abendlandes.

Wenn schlimmes passiert, dann hilft nur denken.

Denn all die großen und kleinen Brandstifter werden jetzt um die Ecke kommen und behaupten, dass sie immer Recht hatten. Und sie werden viele „Likes“ bekommen.

Doch eine Meinung wird nicht richtiger, nur weil sie von vielen vertreten wird.

Es sind harte Fakten und Zahlen sind, die sie widerlegen.

Die Welt ist nicht schlechter als vorgestern, sie ist einfach nur um ein Unrecht reicher.

Es ist lediglich schwerer geworden, dem ganzen Unsinn zu begegnen.

Last Christmas I Gave You my Heart

Den Titel habe ich übrigens nur gewählt, um Euch mit einem Ohrwurm ein letztes Mal in diesem Jahr zu ärgern 😉

2014 neigt sich dem Ende und es ist Weihnachten.

Wie es sich für einen nonkonformistischen Revoluzzer gehört geht mir das natürlich total am Arsch vorbei, weil Weihnachten ja eh eine reine Kommerzveranstaltung ist und ich mit diesem ganzen religiösen Klimbim nichts anfangen kann.

Grund dafür ist bestimmt meine Sozialisation:

Zwar bin ich in einem erzkatholischen Dörfchen aufgewachsen, doch die Tatsache, dass mein Vater katholisch und meine Mutter evangelisch waren, hat den damaligen Pfarrer dazu bewogen, uns Kindern die Taufe zu verweigern.

Also wurden wir evangelisch getauft (weil Taufe musste in den 1970ern sein), doch meine Eltern hatten die Nase voll von dem Verein und ich kann meine Kirchenbesuche, die darauf folgten, an einer Hand abzählen.

Trotzdem haben wir in der Familie natürlich Weihnachten gefeiert, ein Fest in erster Linie geprägt von Essen, verdammt viel Essen, Langeweile beim Warten auf das „Christkind“ und jeder Menge mehr oder weniger unterhaltsamen Fernsehsendungen auf den drei Sendern, die es damals gab.

Das Wohnzimmer schmückte eine alte Krippe, deren Figuren schon bessere Zeiten gesehen hatten. Jedes Jahr musste dem jeweiligen Familienhund wahlweise ein Schaf oder einen der drei Könige aus dem Maul gefischt werden, erst Ernie, später Tiger, dann Charlie und – da war ich schon ausgezogen – Olina.

So fehlten einigen der Figuren Extremitäten, den Esel hätte man im richtigen Leben erlöst, und das Jesuskind hatte eine schwere Bißverletzung davongetragen. Ich kann mich nicht mehr genau an das Jahr erinnern, aber irgendwann war die Krippe verschwunden und den Gang alles vergänglichen gegangen.

Nicht verschwunden dagegen war der Weihnachtsbaum aus Plastik, den mein Vater irgendwann mit der Begründung besorgt hatte, dass sich die Anschaffungskosten schon nach wenigen Jahren amortisiert hätten. Stimmt, denn den Baum gibt’s auch heute noch und nur an wenigen Feiertagen wurde er im Abstellraum gelassen, weil es einen echten gab.

Am Niederrhein aufzuwachsen bedeutet, in größtmöglicher Entfernung zu einer weißen Weihnacht aufzuwachsen, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Meistens war der 24.12. grau und nass. Außer natürlich in dem Jahr, als ich ein BMX-Rad geschenkt bekam. An jenem Heilig Abend war dermaßen viel Schnee gefallen, dass an eine Probefahrt nicht zu denken war.

Im Laufe des Lebens verliert Weihnachten dann den Zauber, den es für Kinder hat und artet in Stress aus.

Irgendwann weichen die großen, bunten Pakete einem schnöden Umschlag mit einem Gut- und später einem Geldschein. Und irgendwann beschließen wir, dass wir uns in der Familie keine Geschenke mehr machen. So auch bei uns.

Also keine für die Menschen. Für die Hunde macht meine Familie gerne eine Ausnahme.

Und so bekommen meine Hunde jedes Jahr zum obligatorischen Weihnachtsbesuch am Niederrhein selbstverständlich ein Geschenk – nämlich einen Karton Bonzo-Leckerchen, Schmackos, Kaustreifen und allem, was das Zoofachgeschäft sonst noch so her gibt.

Ich freue mich derweil über eine „Tupperware“-Schüssel mit Rouladen zum Aufwärmen. Ist ja auch was. Es sei denn, ich passe nicht auf, und die Rouladen fallen auf der Rückfahrt einem der Hunde zum Opfer.

Achja, die Hunde, die sind so etwas wie ein Enkelkindersatz für meine Mutter.

Da sie von meiner Schwester und mir in dieser Hinsicht nicht viel zu erwarten hat, nehmen die Hunde eben die Position derer ein, die es großmütterlich zu verwöhnen gilt, ohne dass man sich um die Konsequenzen zu scheren hat.

Dies wiederum ist mit einer der Gründe, warum ich mir sehr genau überlege, welche meiner Hunde ich mit zum Elternbesuch nehme, denn ein Tag bei der Familie reicht vollkommen aus, um den Erziehungsstand der Viecher auf Pubertätsniveau zurückzuwerfen.

Dabei geht es weniger darum, dass meine Hunde verwöhnt werden, sondern wie.

Als ich mal einen Workshop gab, fiel eine Teilnehmerin in der Mittagspause beinahe vom Glauben ab, weil ich meine Hunde vom Tisch füttere. Ein Stück Pizza hier, eine Scheibe Wurst da – ich finde das witzig und gönne meinen Hund den kleinen Snack zwischendurch.

Allerdings habe ich auch kein Problem damit, das arme bettelnde Tierchen in seiner Hungersnot sitzen zu lassen, wenn mir nicht nach teilen zumute ist.

So liegt die Bettelquote im Normalzustand bei lediglich 16,67 %, aber das ist der Dackel und der Dackel ist kein Hund, wie schon Horst Stern zu berichten wusste.

Anders bei meiner Familie. Wenn er oder sie schon so süß guckt, dann soll er oder sie auch was haben. Und da er oder sie ständig süß guckt, kriegt er oder sie ständig was. Und wenn gerade nichts zu Essen in der Nähe ist, steht man halt auf und holt dem armen Klops ein Häppchen. Denn wer weiß, wann er oder sie jemals wieder so süß gucken wird.

Noch Tage nach einem Besuch gucken meine Hunde völlig bekloppt aus der Wäsche in der Hoffnung, dass ich das süß finde und ich ihnen einen Keks hole.

Die Zeit zwischen den Tagen, wie man sie so schön nennt, ist meist von Ruhe und nur wenigen Terminen geprägt, so dass man in sie gut nutzen kann, um ausführliche, romantische Winterspaziergänge zu machen.

Und so lautet der chiffrierte Facebook-Post: „Heute wieder einen ausführlichen, romantischen Winterspaziergang mit meinem Hunde-Team gemacht“ (15 Leuten gefällt das.)

Dechiffriert bedeutet „Winter“ dieses Jahr, dass man besser in Regenhosen und Gummistiefeln unterwegs ist, will man nicht einen elenden Grippetod sterben, aber das ist ja nicht jedes Jahr so.

„Romantisch“ bedeutet wiederum, dass einem die geliebten Hundies all die kleinen Kleinigkeiten, die man in der hektischen Vorweihnachtszeit mangels Zeit und und Muße hat durchgehen lassen, nun geballt vor die Füße schmeißen.

„Ausführlich“ bedeutet nichts anderes, als dass es unter Umständen eben eine Zeit lang dauert, bis der Hund wieder da ist. Glücklicherweise jagen meine nicht, sind ja Hütehunde und die tun sowas nicht … *hüstel*.

Und Team steht, wie jeder weiß für „Toll, ein anderer machts“. Im Falle des Hunde-Teams, dass der eine das macht, was man dem anderen gerade verboten hat.“

Ein Facebook-Chat:

N: „Hast Du einen Moment Zeit, kann ich Dich anrufen?“
Ich: „Kein Problem, ich warte eh darauf, dass Finchen vom jagen zurückkommt.“
N: „Cool, dann kann ich ja erst noch meine Hunde rauslassen.“
Ich: „Klar, ich kann ja nicht weg.“

Wenn der „sichere Rückruf mittels Markersignal“ auf Grund weihnachtlicher Schmackosverstopfung der Gehörgänge mal wieder in Vergessenheit geraten ist, hilft mir meine längst vergangende Karriere als Sänger einer Punkrockband glücklicherweise auch heute noch, wenn es darum geht, auf Distanz mit meinen Hunden zu kommunizieren.

Das Crowling, so der Fachausdruck für ärgerverheißendes Gebrüll hat noch einen weiteren Vorteil – die Umgebung im Umkreis von ca. 20 Km Luftlinie weiß bescheid, dass Tacker heute nicht so ganz supi auf mein „Hiiiieeeeer, jabbajabba“ reagiert.

Da jetzt wieder alle meckern, dass man doch mit dem geliebten Vierbeiner leise und sanft kommunizieren soll, kann ich Euch versichern, dass der blöde Sauköter so weit weg war, dass mein „Du blöder Sauköter“ mit Sicherheit nur noch ganz leise und sanft zu vernehmen war.

So stehe ich also ganz weihnachtlich gestimmt bei angenehmen 3° Celsius im strömenden Regen knöcheltief im Schlamm, während meine Hunde machen, was sie wollen und denke darüber nach, wie sich mein Leben wohl entwickelt hätte, wenn ich mir – wenn ich schon viele Tiere haben will – Goldfische zugelegt hätte.

Goldfische sind toll, man kann ihnen tolle Tricks beibringen. Ein Schulfreund hatte mal fünf Stück, denen er beigebracht hatte, auf dem Rücken an der Wasseroberfläche zu schwimmen.

Allerdings lebten die haarscharf an der Verhaltensstörung, denn sie waren so in diesen Trick vertieft, dass man es nicht mehr abbrechen konnte. Schließlich haben sie das Körperpflegeverhalten ziemlich vernachlässigt, so dass es nach einiger Zeit ganz schön müffelte in dem Aquarium.

Spaß beiseite, ohne Hunde hätte ich viel verpasst.

Die „Hundeszene“ zum Beispiel.

Und meinen hohen Blutdruck und mein Magengeschwür.

Andererseits sollten wir „Hundemenschen“ uns nicht einbilden, dass es nicht noch schlimmer ginge. Wo wir gerade bei Goldfischen sind, besuch doch mal ein Aquaristikforum. Du wirst auf schlagartig erfreut sein, wie sehr die Diskussionen unter Hundehaltern doch von gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme geprägt sind.

Auch in Häkelforen soll es übrigens heiß her gehen, habe ich neulich erfahren.

Überall da, wo Menschen aufeinandertreffen kommt es auch zu Reibungen. Und da, wo es um so etwas hochemotionales wie Häkeln geht, da schlägt man auch mal über die Stränge.

Das ist menschlich und erstmal nicht weiter schlimm. Hauptsache, das Ergebnis stimmt und der Pulli sitzt.

Wenn nicht, dann sieht’s halt scheiße aus, egal ob es sich um den selbstgeklöppelten Anorak oder um den selbst versauten Hund handelt.

So wie neulich, als eine prominente Kynopädagogin im Regionalfernsehen zeigen durfte, wie man seine Hunde ausschließlich mittels positiver Verstärkung dazu bringt, einen vor der Kamera so richtig dämlich aussehen zu lassen.

Grenzen setzen ist sowas von out und Neunziger Jahre, genau das habe ich gerade letzte Woche meinem Sohn erzählt, als ich ihn in der JVA besucht habe.

Achtung Quotenargument: Dämlich aussehen funktioniert natürlich auch hervorragend mit ausschließlich aversiven Methoden! Der Unterschied liegt allerdings darin, dass es die positive Verstärkung ins Privatfernsehen schafft und die Prügelfraktion nur bis Youtube.

Ich bleibe dabei.

Jeder soll seinen Goldfisch so barfen, wie er es für richtig hält, seine Socken so stricken, wie es ihm passt und seinen Hund so erziehen, wie es ihm gefällt.

Wenn das Ergebnis stimmt, ist doch alles prima, wenn nicht, dann hilft Humor und Selbstreflexion.

Und wenn man keinen Humor hat und auch nicht selbstreflektiv ist, dann finden sich im Internet immer noch genügend Gleichgesinnte, mit denen man zum Clickern oder Klöppeln in den Keller gehen kann.

So ist das in einer freien Gesellschaft.

Empathie heißt das Zauberwort, das uns hilft, Mitgefühl für 17.500 Menschen zu empfinden, die sich von sage und schreibe drei salafistischen Straftätern bedroht fühlen und Forderungen stellen, die beinahe so krude und dämlich sind, wie die Umsetzung des §11 für Hundetrainer.

Gerade jetzt zu Weihnachten sollten wir den Gedanken der Nächstenliebe hegen und nicht nur an uns denken.

So könnte man zum Beispiel einen Troll im Dogs-Forum glücklich machen, in dem man mit ihm eine Diskussion startet. Oder eine Petition, in der man dem Weihnachtsmann verbietet, seine Rentiere mittels Peitsche anzutreiben. Man könnte seinem Hund die Nachbarskatze auch mal gönnen. Das ist doch der Gedanke von Weihnachten.

In diesem Sinne muss ich jetzt mal meine Hunde mit Keksen versorgen, denn die gucken schon wieder süß!

Euch wünsche ich ein friedliches und besinnliches Weihnachtsfest und möchte mich bei allen bedanken, die ich auf den Workshops, Lesungen und im Training kennenlernen durfte, die ich sonstwo kennenlernen durfte, die fleißig kommentiert haben und schließlich ganz besonders Dir – fürs Lesen!

 

Angstmäuse from Hell

Jetzt neu mit Hass-Mail-Live-Ticker:

(A) Präambel

Die gemeine „Angstmaus“ erkennt man daran, dass sie

  1. oft aus einem Land kommt, dessen Bewohner eine etwas andere Vorstellung von Hundehaltung haben als wir, weshalb diese Menschen alle samt und sonders „Schweine“, „Arschlöcher“ oder „Hurensöhne“ sind, die man „umbringen“, „besuchen“ oder deren „Familie man auslöschen“ sollte (vgl. Facebook 2014 et al.)
  2. auf Grund dessen eine schlimme Vergangenheit haben muss, auch wenn diese garnicht bekannt ist. In anderen Ländern landen Hunde nämlich grundsätzlich und immer an der kurzen Kette, in einem nicht rostfreien Zwinger oder auf der Straße.
  3. sie sich gerne mal wie offene Hose benimmt; ihrem Gegenüber gaaanz schüchtern zeigt, wo der ängstliche Frosch die Locken hat oder vor lauter Panik an der Leine pöbelt, als wenn’s kein morgen gäbe.
  4. oft einen Besitzer bzw. vielmehr eine Besitzerin hat, die etwas gutes tun wollte, als sie sich dafür entschieden hat einen Hund aus dem Tierschutz zu kaufen einem armen Notfell eine Chance zu geben und es zu adoptieren.

(Bis hier 5 Hass-Mails)

Wenn eine Angstmaus beißt, dann meist deshalb weil sie ein Problem mit großen Männern oder dicken Kindern oder gebrechlichen Frauen oder Menschen generell hat, was an den oben genannten Gründen liegen muss.

Dieses Verhalten war dann nicht etwa irgendwie aggressiv, sondern zumindest mal eine Übersprungshandlung.

So erklärte mir auch Sabine, warum „Tiffy“ den älteren Herrn im Park in Richtung Krankenhaus befördert hatte. Dieser nämlich hatte die Individualdistanz der Angstmaus deutlich unterschritten – und das trotz gelber Schleife, die an Tiffies Geschirr baumelte.

So ein Idiot, ist der nicht bei Facebook? Dann müsste er doch wissen, dass es die „gelbe Schleife“ ist, an der man Hunde erkennt, deren Besitzer lieber gelbe Schleifen kaufen als ihre Hunde zu erziehen oder ihre Umwelt vor dem Vieh zu schützen.

(20 Hass-Mails, nein, 19, die eine wird ironisch gemeint sein … )

Bei näherer Analyse des Beißvorfalls, ähm, ich meine natürlich der Übersprungshandlung, wurde klar, dass Tiffies Individualdistanz ungefähr 15 Meter beträgt und dass sie „normalerweise“, so Sabine auf dieser Distanz schon sehr gut gegenkonditioniert wäre.

Meine Frage, woher sie denn weiß, dass „normalerweise“ funktioniert, beantwortete sie mit dem Hinweis auf die vier anderen Menschen, denen Tiffy schon in der Hose gehangen hatte. Meine Frage, wozu sie eine Fünfzehnmeterleine hätte war nur noch rhetorischer Natur.

Denn natürlich ist Tiffy ein Hund. Und ein Hund ist ein Lauftier. Und Lauftiere müssen laufen.

Das ist schon richtig, erwiderte ich. Aber sollten sie nicht auch zurückkommen? Ja schon, so das Angstmausfrauchen, das Rankommen übe man ja mittels Angstpendeln – und nein, das habe rein garnichts mit Auspendeln zu tun.

Sie könne mir das auch demonstrieren, aber hier sei dann doch zu viel los. Ich schaute mich um, weit und breit nichts zu sehen. Aber Sabine hatte recht, hier mitten auf dem Feld könnte ja was unvorhersehbares passieren. Ein Flugzeug könnte z.B. ein Piano verlieren, das dann neben uns auf den Boden knallt.

Nein, aber es könnte ja sein, dass irgendwo ein Kaninchen auftaucht und dann wäre Tiffy weg. Denn trotz Würstchenbaum und Antijagd-Clickern hatte das Mäuschen noch nicht verstanden, dass es in Vollpension lebt und das selbstständige Erlegen von Beute nicht mehr notwendig sei. Naja, außer Suchmäuseln, denn das sieht total süß aus, wenn Tiffy – nicht die Maus – so einen Spaß hat.

Ich wiederholte das bis dahin Gehörte, nämlich dass Sabines Hund bisher fünf Leute, davon einen ziemlich heftig gebissen hatte und außerdem jagt wie die Sau. Und trotzdem ohne Leine durchs Leben geht. Alter Schwede. (Hemlik Svenska)

Jetzt gerade stand Tiffy jedoch neben ihrem Frauchen und fixierte mich – nur unterbrochen durch ständiges „Mach Sitz, Tiffy“ von Seiten Sabines, was die Angstmaus mit einem kurzen „Ich hab die Sau im Blick“ quittierte und sich noch ein bisschen größer machte.

Angst sieht anders aus, dachte ich mir.

Und außerdem fragte ich mich, ob irgendwo jemand mit einer versteckten Kamera unser Gespräch filmte. Sozusagen im Sekundentakt erklärte mir Sabine ihre Methoden, natürlich alle nur die neuesten und vor allem solche, bei denen ich Brechreiz kriege.

Vielleicht will die mich verarschen, dachte ich bei mir. Vielleicht gibt es jetzt ein neues Format namens „Grünschleifen-TV“ und ich bin das erste Opfer der Sendung „Irritieren statt trainieren“, in dem böse Menschen wie ich vor laufenden Kameras in den Wahnsinn getrieben werden, bis sie den Job an den Nagel hängen oder so.

(35 Hass-Mails, zwei Anrufe)

Nachdem ich mit Sabine und Tiffy ungefähr 20 Minuten spazieren gegangen war, uns in der Zeit drei Hunde entgegenkamen, die Tiffy allesamt killen wollte, während ich penibel auf die Individualdistanz achtete, damit mir das Notfell nicht gleich in Jacke hüpft, blieben wir schließlich stehen und ich sagte:

„Sabine, du musst jetzt ganz stark sein, aber ich glaube Tiffy ist gar kein Angsthund. Ich glaube sogar, dass sie ziemlich genau weiß was sie tut und ihre Zähne einsetzt, wenn ihr was nicht passt. Und wenn du mich fragst, ist das auch der Grund, warum sie in Spanien ins Tierheim gegeben wurde. Weil sie nämlich beißt. Davon abgesehen jagt sie wie die Sau, ist nicht abrufbar und wenn sie mal an der Leine hängt, dann pöbelt sie wie irre.“

In solchen Momenten kann man die Spannung in der Luft beinahe spüren.

Ich sah Sabine an und hörte quasi die Heavy Rotation in ihrem Kopf. Sie atmete tief ein und ich machte mich auf ein Donnerwetter gefasst. Doch dann sagte sie:

„Stimmt, das habe ich mir auch schon mal überlegt“.

In solchen Momenten kann man wiederum beinahe hören, wie meine Kinnlade auf den Asphalt scheppert. *klirr*

Was nicht sein darf, darf auch nicht sein.

Und wenn die freundliche Tierschützerin aus Spanien sagt, dass die favourisierte Notnase Angst hat, dann ist das so.

Kann ja schließlich keiner wissen, dass es mit dem Fachwissen bei ausländischen Tierschützern häufig genauso weit her ist, wie bei vielen von denen, die hierzulande aktiv sind.

Viele Emotionen, noch mehr Tierliebe, das gepaart mit dem guten Gefühl, etwas uneingennütziges zu tun und dem kynologischen Fachwissen aus einem „Was ist Was“-Hörbuch – und schon wird aus dem herzhaften Beißer ein ängstliches Herzchen.

(Ticker kaputt, müssen mittlerweile tausend Hass-Mails sein.)

Ungefähr Hundertundzwölf Prozent der beißenden Hunde, die in Hundeschulen vorgestellt werden, haben Angst. Der Grund dafür ist einfach.

Denn der Hund, der aus Angst beißt, ist emotional wesentlich einfacher zu verkraften, als der, der beißt, weil er ein unerzogenes Arschloch ist.

Der Kunde mit der Angstmaus zahlt gerne die eine oder andere Zehnerkarte mehr, weil er das Gefühl kennt. Angst hat jeder, sei es vor dem Verlust des Jobs, sei es vor dem älter werden oder vor Spinnen.

Außerdem will man ja was gutes tun. Und wenn einem plötzlich klar wird, dass man da nicht einer armen Seele das Leben gerettet hat, sondern einem hundgewordenen Charles Manson Unterschlupf gewährt, steht man unter Umständen plötzlich ziemlich dämlich dar vor den Freunden aus der Facebookgruppe.

Von der nächsten Kynopädagogin positiv bestärkt, tauscht man flux noch das Stachelhalsband gegen eine Einzelstunde und schon wird fleißig an einem nicht existierenden Verhaltensproblem gearbeitet – und zwar bitte recht freundlich.

Das Mittel der Wahl ist dann häufig die Gegenkonditionierung, salopp ausgedrückt also die hohe Kunst, exakt den Moment positiv zu besetzen, bevor das Tierchen in Stress gerät. Wirklich eine eine hohe Kunst, da es genügend Stresssymptome gibt, die der geneigte Positivbestärker garnicht oder erst bemerkt, wenn es zu spät ist – es sei denn, er hat seinen Hund zufälligerweise gerade am EKG und am Elektroenzephalografen angeschlossen.

Kostenloser Marketing-Tipp!

Für die wirtschaftlich denkenden Hundetrainer unter uns (wir machen das ja eigentlich alle nur aus Liebe zum Tier und weil wir helfen wollen) ist das eine wahre Goldgrube.

Rechtzeitig, bevor die nächste Leasingrate für das vollfolierte Firmenauto fällig wird, schnell noch ein „Oh Mist, das ist aber ein bisschen doof. Jetzt hast du genau in die Angst des Mäuschens reinkonditioniert“ eingeworfen und schon kann’s von vorne los gehen.

Super, der nächste Pauschalurlaub auf Malle ist gesichert. Und wenn man schonmal da ist, kann man grad noch eine Angstmaus mitbringen, die man dann der solventen Kundschaft gegen Zahlung einer entsprechenden Schutzgebühr aufs Auge drückt – zuzüglich Einzeltraining natürlich.

Marketing-Tipp Ende.

Nachdem wir nun alle gelacht haben, wird es ernst. Und zwar unter Umständen todernst.

Angst erkennt man an verschiedenen Symptomen, laut Feddersen-Petersen müssen drei davon identifizierbar sein, um auch ethologisch von einer Angst zu sprechen. Der gravierende Unterschied zwischen Angst und Unsicherheit ist der, dass der unsichere Hund noch in der Lage ist, sich mit dem auslösenden Reiz auseinanderzusetzen. Er verhält sich also ambivalent.

Der Angsthund jedoch kann sich nicht mehr auseinandersetzen, mit dem Ergebnis, dass er – je nachdem, wem man glauben möchte – drei bis vier „f“ zeigt: Flight, Freeze, Fight und neuerdings auch Fidget.

Einem Angsthund, der flüchtet wird man maximal mithilfe einer Lebendfalle oder einer Fangstange habhaft. Beides sehr hässlich und einmal hatte ich auch das „Vergnügen“, einen solchen Hund aus einer Wohnung zu holen. Von den Tierschützern als „ein bisschen schüchtern“ beschrieben, war die „Adoptantin“ etwas verwundert, als man ihr an der Autobahnraststätte eine Flugbox mit der Aufschrift „Nicht öffnen, Fluchtgefahr“ in die Hand drückte.

Als sie dann zuhause ankam und die Box öffnete, wusste sie dann auch, was gemeint war. Drei Wochen mit einem Schatten im Haus später hatte sie die Nase voll, rief mich an und ich musste den armen Hund mit einer Moxonleine aus dem Badezimmer rausoperieren, in das wir es vorher getrieben hatten.

Es ist wirklich kein Vergnügen, einen solchen Hund aus dem zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses ins Auto zu bugsieren und ich durfte mir von durch den Lärm aufgeschreckte Nachbarn entsprechende Wünsche für die Zukunft anhören.

Insofern war es mir dann ein kleiner innerer Reichsparteitag, als die empörten Tierschützer ihren Schützling wieder abholen wollten und stundenlang mit ihren Futterbeuteln vor der Hundehütte gammelten, bevor sie eingesehen hatten, dass die Hündin lieber verhungert, als sich ihnen auch nur einen Millimeter zu nähern.

Ein Hund, der in seiner Angst einfriert, der stellt grundlegende Körperfunktionen wie den Stoffwechsel, das Komfortverhalten und die Sexualität ein. Wenn man also versucht, dem Hund ein Steak anzudrehen hat man genauso gelitten wie wenn man dem Angstrüden mit einer attraktiven Hündin in der Standhitze vor der Nase rumwedelt. Wie eine Salzsäule hockt er da und verhält sich nicht mehr – trotz der Aussicht auf eine heiße Nacht und ein „Steak danach“.

Der Angsthund, der in den „Fight“ geht, sorgt oft für bleibende, schmerzhafte Erinnerungen. Kein Wunder, denn wer unter Todesangst agiert, der macht keine Gefangenen und wird so heftig wie irgendmöglich zubeissen.

Und die neue Besitzerin, die es auch nur gut meinte, musste sich schweren Herzen wieder vom frisch zugelegten Liebling trennen angesichts der zwanzig OPs, die nach dem Angstintermezzo noch auf sie zukamen,

Angst haben ist kein Spaß und erst recht kein Zustand, den man einem Hund mit Mitleid, netten Worten und irgendwelchen kynopädagogischen Spöckes entgegentreten könnte.

Ein solcher Hund braucht in erster Linie eines – nämlich einen Besitzer, der in der Gefühlslage ist zu ertragen, dass sein Vierbeiner Angst hat. Das klingt vielleicht herzlos, aber niemanden, und am wenigsten dem Hund ist damit geholfen, wenn man ihm die Situation noch gruseliger quatscht als sie eh schon für ihn ist.

Und der Alltag mit einem solchen Tier ist in erster Linie durch viele kleine und große Momente geprägt, in denen man nur auf dem zweiten Blick gutes tut – auf dem ersten sieht das oft scheiße aus und fühlt sich emotional auch so an.

Den Angstbegriff inflationär zu gebrauchen ist nicht nur fachlich nicht haltbar und oft genug nichts anderes als eine Ausrede für die eigene Verweigerung, den Hund zu erziehen oder moralische Masturbation auf das eigene Gutmenschen-Ego.

Nein, der inflationäre Gebrauch dieses Begriffs stellt auch eine Verharmlosung eines wirklich schwerwiegenden Verhaltensproblems dar, mit der fatalen Folge, dass sich tierliebe Menschen mit einem solchen Hund ins Unglück stürzen.

Das Leben ist ein gottverdammter Ponyhof!

„Ey Finn, tut mir echt leid, aber die meinen das wohl ernst“, sagte ich. Finn ist ausnahmsweise mal kein Hund, sondern ein Pferd. Vielmehr ein sogenanntes „Reitsofa“, wie mir Denise versicherte. Und in den nächsten zwei Stunden sollte ich auf ihm sitzen, denn die Damen des Hauses hatten einen Ausritt geplant und mich kurzerhand eingeplant.

Normalerweise würde ich dankend ablehnen, aber ich hatte es mal jemand wichtigem versprochen und wollte nicht als derjenige dastehen, der seine Versprechen nicht hält.

In meiner Fantasie würden wir gemeinsam dem Sonnenuntergang entgegen reiten. In der Realität musste ich in den nächsten Stunden feststellen, dass die Sonne längst untergegangen ist, bis ich den Gaul mal in Bewegung gesetzt habe.

Davon abgesehen, wir wohnen auf einem Ponyhof, wo kämen wir denn dahin, wenn ich nicht wenigsten ein bisschen reiten könnte.

Das größte Glück der Erde soll ja bekanntlich auf dem Rücken eines solchen Zossen zu finden sein. So ganz sicher war ich mir meiner Sache allerdings nicht. Nun standen wir da, Finn und ich. Er nicht mehr der jüngste, ich nicht nicht gerade der leichteste. Ob das wohl gut geht?

Meine Erfahrung mit Pferden im Nahbereich beschränkt sich weitestgehend auf eine unheilvolle Begegnung mit einem Shetlandpony. Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, machte nämlich ein Wanderzirkus bei uns im Dorf halt und hatte eben dieses Vieh im Schlepptau. Als ich es streicheln wollte, biss es mir herzhaft in den Oberschenkel.

Das war’s dann auch mit der Horse-Experience, ansonsten hatte ich als Jugendlicher mal hier, mal da mit irgendwelchen Mädchen zu tun, die Reitunterricht nahmen und die „Wendy“ lasen – meist nur so lange, bis sie das Pferd gegen einen Freund und die „Wendy“ gegen wertvolle Ratschläge vom Dr. Sommer-Team eintauschten.

Davon abgesehen habe ich als bekennender Kontrollfreak naturgemäß ein Riesenproblem damit, eben diese abzugeben und meine Vergangenheit als kleiner, dicker Junge auf dem Land hat sich ebenfalls als nicht besonders förderlich herausgestellt, wenn es darum geht, sich als absoluter Anfänger vor anderen Menschen sportlich zu betätigen.

Aber versprochen ist versprochen. Und so würde ich also ausreiten.

Glücklicherweise ist Finn nicht allzu groß, so dass ich es auch ohne hochnotpeinliche Aufstiegshilfe in den Sattel schaffte. Unglücklicherweise ist Finn wiederum groß genug, um mich daran zu erinnern, dass ich ziemlich höhenängstlich bin.

Als erfahrenes Reitpferd merkte mein getreuer Gaul natürlich sofort, dass ich überhaupt keine Ahnung cavon habe, was ich da tue und beschloss, meinen „Kommandos“ entsprechend exakt Folge zu leisten.

Und da sich die Einweisung von Denise auf „Rechts“, „Links“, „Vorwärts“ und „Stopp“ beschränkte, signalisierte ich wohl auch genau das: „Finn, lauf mal rechts, links, geradeaus und stopp – und zwar gleichzeitig“.

Finn tat wie geheißen, mit dem Ergebnis, dass wir nicht so richtig mit den anderen mithalten konnten und zunächst erstmal mehr oder weniger Slalomgehend hinter der Gruppe hertrotteten. Das Finn sich überhaupt bewegte lag wohl eher am Herdentrieb und nicht meinen souveränen Anweisungen.

Zwischendurch war ich etwas besorgt, ob der gute Finn vielleicht eine Pause bräuchte, ich jedenfalls brauchte eine.

So saß ich auf der Suche nach dem großen Glück auf dem Rücken des Pferdes, versuchte meine Unsicherheit mit dummen Sprüchen zu kaschieren und gleichzeitig mit den anderen Schritt zu halten, während ich mir von meiner Höhenangst getrieben beinahe in die Hosen machte.

Vor meinem inneren Auge stellte ich mir vor, wie ich gleich runterfallen und mir sämtliche Knochen brechen würde, wie ich regungslos auf meinem Krankenbett sitze, von Kopf bis Fuss eingegipst, und von einer schlechtgelaunten Krankenschwester gegen meinen Willen mit schwedischen Stockfisch gefüttert werde.

Selbstverständlich während meine Reitkumpanen immer noch am Ort des Geschehens auf dem Rücken liegen und sich vor Lachen die Bäuche halten.

Finn zeigte derweil viel Verständnis für meine Ängste und Sorgen, hin und wieder blieb er mal stehen und schüttelte mich samt Sattel wieder in eine aufrechte Sitzposition. Dann schaute er mich fragend an, ich vermute, unter einem echten Cowboy hat er sich auch was anderes vorgestellt.

Im Laufe der Zeit erlangte ich eine jedoch gewisse Souveränität und schaffte es tatsächlich kurzfristig meinem Wünschen die entsprechenden Taten folgen zu lassen – oder Finn hatte gelernt, meine kruden Kommandos zu lesen.

Telepathie sozusagen, immerhin hatte die Reitlehrerin ja auch gesagt, dass man ein Pferd nicht mit den Händen sondern mit dem Kopf führt …

Irgendwie ganz cool, so auf nem Pferd, dachte ich mir jedenfalls, machte es mir etwas bequemer und gab etwas mehr Zügel – so dass es Finn plötzlich ziemlich eilig hatte, lostrabte und ich mich just in der Sekunde schon wieder stockfischgefüttert im Krankenhaus sah.

Die Strecke, die die anderen ritten und die Finn und ich irgendwie zu überbrücken versuchten, nennt sich „Zauberwaldweg“. Klingt total romantisch.

Doch mit einem Mal stoppte Denise und sagte: „Das war der Zauberwald, nun kommen wir zum ‚Highway to Hell'“. Aha, ist ja saukomisch!

Die nächsten 300 Meter ging es querfeldein und meine Aufgabe war es, Finn elegant an den Hindernissen vorbei zu lotsen. Da das mit dem „vorbei“ nicht so recht klappen wollte, entschied sich das kluge Pferdchen dafür, einfach untendrunter durch zu gehen, während ich diverse Äste und Zweige aus nächster Nähe begrüßen durfte.

Mit der Lernerfahrung, dass Tanne überhaupt nicht nach Weihnachten schmeckt, verließ ich den „Highway to Hell“ weitestgehend heile und saß den Rest der Zeit sozusagen auf einer Arschbacke ab, weil ich nämlich einen Mordskrampf im Oberschenkel hatte und mich nicht traute, vom Pferd zu steigen.

Finn, der gnadenvolle alte Zosse, gab sich aber jede Mühe, es mir so bequem wie möglich zu machen – gaaaanz in Ruhe – und jemand wichtiges erbarmte sich, mich den Rest der Strecke auf meinem Geschwindigkeitsniveau zu begleiten.

„Vorwärts“ klappte nämlich immer noch nicht so richtig und ehrlicherweise hatte ich Angst, dass Finn gleich einfach umkippt und einschläft.

Reiten ist toll. Überhaupt ist mir ein Sport, bei dessen Ausübung man rauchen kann, sehr sympathisch.

Und es ist tatsächlich ein merkwürdig erhebendes Gefühl auf so einem Pferd. Und ich kann mir gut vorstellen, dass es tatsächlich das großes Glück sein kann – vorausgesetzt, man hat verstanden hat, was man tut.

Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, wurden mir dann auch zwei Dinge sofort klar:

1. Es gibt im Oberschenkel- und Beckenbereich Muskeln, von denen ich vorher noch nie etwas gehört hatte und die sauweh tun können.

2. Ich brauche Reitunterricht. Das bin ich Finn schuldig. Und ja, ich will den verdammten Sonnenuntergang einholen.

Das „Wendy“-Abo ist bestellt.

Ist in den Tisch beissen eigentlich ein Beißvorfall?

Es gibt so Momente, in denen immer wieder deutlich wird, dass das Gegenteil von gut gemacht häufig doch gut gemeint ist.

Als ich zum Beispiel heute morgen die Spülmaschine einräumte und auf das Schneidebrett mit den Bratenresten von Gestern abend stiess, meinte ich es gut, als ich es dem – unglaublich süß guckenden – Nookie feilbot und sagte: „Ach du süßer, hier, darfste sauber lecken“. Dafür benötigte der Nook ungefähr 25 Sekunden. Danach benötigte ich gut 25 Minuten, um das arme Schneidebrett wieder aus seinen Fängen zu befreien.

So ist das, eine Sekunde nicht nachgedacht und schon sieht man sich mit ungeahnten Herausforderungen konfrontiert. Man fasst sich an den Kopf und könnte in die Tischkante beißen.

Ein ganz ähnliches Phänomen schilderte mir kürzlich eine Bekannte, die ihr Geld unter anderem damit verdient, indem sie Artikel für ein großes deutsches Hundemagazin verfasst.

Ich outete mich nämlich dahingehend, dass ich die Zeitschrift dermaßen belanglos und einseitig finde, dass ich fast vergessen hätte, das Abo zu kündigen, weil das Heftchen mittlerweile immer ungeöffnet im Mülleimer landet. Früher war das einmal anders.

„Ach weißt du“, erwiderte sie. „Sobald wir irgendetwas von jemanden wie Dir veröffentlichen, hagelt es Leserbriefe, Abokündigungen und Protestschreiben an unsere Anzeigenkunden. So lange wir uns im Bereich Lob, Clicker und Spaß bewegen, bleibt es friedlich“.

Klar, in Zeiten von Verlagssterben und unterbesetzten und -bezahlten Redaktionen kann sich niemand leisten, hunderte E-Mails empörter Kynopädagoginnen zu beantworten und obendrein auch noch zahlende Kundschaft zu verlieren.

Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass ich nicht der einzige bin, der beginnt, sich auf dem Klo zu langweilen angesichts immer neuer Hundekeksbackrezepte und alter Tricks mit immer neuen Alltagsgegenständen.

Und so wette ich auf das Titelthema der nächsten Ausgabe: „Die schönsten Weihnachtsgeschenke für den besten Freund des Menschen“ (Diese Headline kann käuflich erworben werden.)

Wirkliche Zahlen konnte mir die Bekannte als freie Autorin natürlich nicht nennen, doch sind die Abozahlen in nahezu allen Printmedien rückläufig und Anzeigenkunden reißen sich auch nicht mehr darum, Werbung zu schalten, wenn es doch online viel schneller, zielgruppengenauer und günstiger geht.

Wenn die Strategie einer Redaktion jedoch die ist, sich möglichst Ärger vom Bein zu halten, dann muss sie sich quasi aus vorauseilender Rücksichtnahme selber zensieren. Mit dem Ergebnis, dass die Publikation zwangsläufig weichgespült wird und allzu kritische oder anderslautende Meinungen keinen Platz mehr haben.

Interessant wäre an dieser Stelle mal zu eruieren, wie viele Abos eigentlich gekündigt werden, weil die „falsche“ Philosophie oder der „falsche“ Hundeguru publiziert wurde und wie viele Kündigungen dem auf Grund von Langeweile ob der ewig gleichen Inhalte entgegenstehen.

Interlude

Trotzdem kann ich die Verlage gut verstehen, denn zum gekündigten Abo kommt ja noch der Leserbrief bzw. in der heutigen Zeit die E-Mail. Und die ist schnell getippt, auf jeden Fall hochemotional und ganz bestimmt nicht positiv bestärkend.

Das bedeutet, dass dem gestressten Magazinmacher nicht nur die dreißig Euro fürs Abo flöten gehen, sondern dass er auch noch jede Menge kostbare Zeit in eine freundlich formulierte, um den Leser buhlende Antwort investieren muss. Und im schlimmsten Falle wiederum darauf eine Antwort bekommt und sich plötzlich in einer Kommunikation mit einer nicht mehr zahlenden Leserin wiederfindet, die noch mehr Zeit und Energie verschlingt.

Ein typischer Anfängerfehler. Neulich, als ich gerade auf dem Ponyhof angekommen war und auch das Internet so langsam mitbekommen hatte, dass ich mich im Norden einrichte, bekam ich eine außerordentlich nette Nachricht mit dem Text:

„Wo haben Sie eigentlich die Qualifikation her, um über den Umgang mit Hütehunden zu referieren?“

Statt einfach „Aus dem Fernsehen.“ zu antworten oder die Nachricht schlicht zu ignorieren, kam ich auf die blöde Idee, ausführlich zu reagieren und schon hatte ich den Salat. Nachdem ich ausführlich darüber informiert wurde, dass mein Gegenüber „selber seit Hundert Jahren Hundetrainerin“ ist, alle anderen ahnungslos sind und ihre Familie den Hütehund als solchen erfunden hat, wurde ich dann doch neugierig und habe sie mal gegooglet.

Das Ergebnis war eher ernüchternd. Dafür war ein halber Nachmittag draufgegangen, an dem ich auch etwas interessantes hätte tun können. Dauerwerbesendungen gucken oder Fliesen im Flur zählen zum Beispiel.

Aber zurück zum Thema

Dem typischen Hundemagazinleser ist die Problematik vielleicht garnicht so bewusst.

Und der findet dann auf der Suche nach allgemeiner Unterhaltung und interessanten Anregungen die neuesten Tipps fürs Gassigehen im Winter (warme Kleidung), den Hinweis, dass der Audi Q7 ein super Auto für Hundehalter ist und dass es für Smartphones total lustige Apps gibt, bei denen Welpen den Bildschirm abschlecken. Wahnsinn.

Dazu ein Rasseportrait irgendeiner Hunderasse, die sich besser niemand anschaffen sollte, es sei denn man möchte ein Problem im Haus.

Der Erziehungsteil, der dann neudeutsch mit „Kynologie“ überschrieben ist erklärt, warum man dreimal „jabbajabbajabba“ quietschen muss, damit die neueste Rückrufmethode auch richtig funktioniert.

Für diejenigen, die noch ein richtiges Leben haben und nicht den ganzen Tag im Internet rumhängen, um ja nicht die neueste wissenschaftliche Methode zu verpassen, beschreibt das dann den Mikrokosmos Hund:

Wir backen Kekse, kaufen SUV mit dem CO2-Ausstoss eines chinesischen Kohlekraftwerks und dürfen das dritte „Jabba“ nicht vergessen.

100.000 Hater? Mir doch egal!

Ein Hundemagazin machte mal ein Interview mit mir, in dem ich mich dazu hinreissen ließ, ziemlich deutliche Worte zu finden, was unser Zusammenleben mit dem Hund betrifft.

Zuerst lief es dem Redakteur noch feucht das Bein runter angesichts meiner provokanten Aussagen und er hatte die wahnwitzige Idee, die Reaktionen für einen weiteren Artikel zu nutzen. Nach kurzer Rücksprache mit dem Chefredakteur änderte sich dies aber schlagartig. Der redigierte Text reduzierte das Ganze mehr oder weniger auf ein „wir sollten alle nett zueinander sein, alles andere ist ein bisschen doof“.

Da ich eigentlich etwas anderes aussagen wollte, schnappte ich mir den Text und fragte bei einem anderen Magazin an, das im Veröffentlichen meiner Texte etwas kampferprobter ist.

Als ich mich dort nämlich mal auf vier Seiten über Cesar Millan, seine Fans und Kritiker lustig gemacht hatte, formierte sich prompt eine Gruppe humorbefreiter Millangegner, die verhindern will, dass ich je nach Österreich einreise …

Leider durfte ich das Interview nicht verwenden, so dass es jetzt auf meiner Festplatte gammelt und nicht in Österreich für Empörung sorgen kann.

Mittlerweile kann ich persönlich ganz gut damit leben, wenn sich 1.000 oder 2.000 Leute in einer Gruppe zusammenfinden, um mich blöd zu finden. Und selbst wenn es 100.000 wären, wäre mir das noch relativ wurscht. Warum?

Schaut man sich mal ein paar Zahlen an, dann stellt man schnell fest, dass die Masse der Empörten eigentlich relativ überschaubar ist. So hat Facebook ca. 1 Milliarde Nutzer, von denen im Januar 2014 27,38 Millionen aus Deutschland kamen.

Die öffentliche Facebook-Gruppe „Trainieren statt Dominieren“, die als virtueller Muttersumpf der positiven Hundeerziehung angesehen werden kann, hat heute 7.815 Mitglieder. Das klingt erstmal nach ziemlich viel, aber allein der SV hat 60.000 – zahlende – nichtvirtuelle Mitglieder.

Die geschlossene Facebook-Gruppe „Häkeln für Anfänger und Fortgeschrittene“ hat heute zum Beispiel 26.686 Mitglieder.

Der Vergleich hinkt natürlich, schliesslich sind die Häkler nicht unbedingt für ihre internen Grabenkämpfe bekannt und ich kann mich nicht daran erinnern, jemals aufgefordert worden zu sein, eine Petition gegen jemanden zu zeichnen, der aversiv häkelt.

Dennoch. Laut dem Industrieverband Heimtierbedarf lebten 2013 6,9 Millionen Hunde in 14% der Haushalte, also 5,65 Millionen, in denen widerrum statistisch gesehen 2,02 Menschen leben.

Also haben ca. 11,4 Millionen Menschen in Deutschland Kontakt zu Hunden, die – natürlich statistisch betrachtet – in ihrem Haushalt leben. Und da gehören die, die unfreiwillig Kontakt mit den Viechern haben, noch garnicht dazu.

Gehen wir jetzt davon aus, dass sich der Prozentsatz der Hundehalter bei Facebook in etwa in dem Bereich bewegt wie im Rest der Bevölkerung, dann halten wir fest: Wenn von 81,1 Millionen Menschen 27,38 Millionen bei Facebook sind, dann entspricht das in etwa 34 % der Bevölkerung. Wenn von den 11,4 Millionen Hundemenschen ebenfalls 34% bei Facebook sind, dann entspricht die Zielgruppe einer öffentlichen Gruppe ca. 3,9 Millionen Menschen.

Wenn sich also bei Facebook 100.000 User finden, die eine Petition gegen den nächsten Hundetrainer ihrer Wahl unterzeichnen, ist das zugegebenermaßen mit viel Arbeit verbunden. Man muss nämlich entweder jede Mail löschen oder seinen Spam-Ordner entsprechend einstellen. Aber selbst 200.000 Empörte sind noch verschwindend wenig im Vergleich zu den möglichen Empörten.

Dazu kommt das Nutzerverhalten bei Facebook. Man empört sich, liked und geht sich nach kurzer Zeit woanders weiterempören.

Ein Experiment

Viele Tierschützer versuchen mithilfe des Internets, Hunden (oder Katzen oderoderoder) zu einem neuen Zuhause zu verhelfen. Das ist sooo nett.

Das Problem ist nur, dass X = (viele Tierschützer x viele Tiere x viele Seiten, Gruppen, Veranstaltungen) eine schier unendliche Masse an Hilferufe beschreibt. Möchte man einem solchen Notfall nun zu Bekanntheit verhelfen, entscheiden sich viele Nutzer dazu, den Hilferuf

  • a) zu teilen mit den Worten „Ach, wenn ich nicht schon zwei hätte“ oder so ähnlich
  • b) zu liken
  • c) zu ignorieren, weil es heute schon der tausendste Vermittlungsnotfall ist

Als ich mal einen Hund bei Facebook sah, den ich irgendwie niedlich fand (aber hab ja schon so viele), beschloss ich, ihm zu helfen.

Ich kommentierte den öffentlichen Hilferuf und das dazugehörige Foto mit den Worten „Gott, ist der hässlich“. Zu diesem Zeitpunkt standen drei Kommentare („Ich wünsche der Maus alles Gute“) unter dem Bild und es war gerade mal sechs mal geteilt.

Als ich einige Zeit später bei Facebook vorbeischaute, dachte ich mir: Erfolg!

Über 100 Kommentare, 70 mal geteilt! Dem Tierchen war die Aufmerksamkeit sicher.

Und das Überraschende: Für mich blieb der böse Spaß völlig folgenlos. Drei „Freunde“ weniger, dafür drei neue.

Wenn das größte Hundemagazin in Deutschland eine Reichweite von sage und schreibe 88.000 Exemplaren bei einer potentiellen Leserschaft von 14% der deutschen Haushalte hat, dann mag das natürlich an der großen Konkurrenz, an der selbstgewählten Kernzielgruppe oder am Untergang der deutschen Journalie liegen.

Es könnte aber auch sein, dass sich die Hundemagazine einfach zu sehr gleichen, völlig austauschbar sind und allesamt den selben Quark immer neu anrühren. Im Frühjahr gehts um überflüssige Pfunde, im Sommer um den Urlaub, im Herbst um das Herbstwetter und im Winter dreht sich alles um Weihnachten. Kennt man einen Jahrgang eines Magazins, kennt man alle.

Dabei gibt es da draussen jede Menge Konfliktstoff, jede Menge fachlicher, sachlicher aber auch pseudofachlicher und -wissenschaftlicher Gurus, die alle darauf warten, sauber und kontrovers in die Mangel genommen zu werden. Es gibt jede Woche neue Papers, die als der heilige Gral der Hundepsychologie abgefeiert werden und unzählige schöne und weniger schöne Geschichten rund um den Hund.

Und es gibt eine enorm große Zielgruppe, die all das lesen und dafür auch bezahlen würde – wenn sich denn jemand die Mühe machen würde, zu recherchieren und zu publizieren.

Gleichzeitig gibt es eine kleine, hysterische Minderheit, die sofort aufschreit, wenn ihre Heile Hundewelt in Frage gestellt wird, die vielleicht laut ist, aber bei weitem nicht so mächtig ist, wie einige Verlage oder auch Produktionsfirmen denken.

So lange sich die Hundemagazine darauf beschränken, Füllmaterial für die Lücken zwischen den Anzeigen zu produzieren, können die Leser/innen ihr Geld auch woanders ausgeben. Zum Beispiel auf dem Fischmarkt, denn da gibt’s olle Kamellen umsonst dazu.

 

Auf Reise

Als Tacker mich mit diesem für ihn typischen flehenden Blick anschaute und „Bittebittebitte, lass mich die dumme Weimaranersau umbringen“, dachte ich mir „Ok, aber nur, wenn ich die Halterin umbringen darf“.

Da stand ich nun mitten im Futterbeutelland, wie ich es ab sofort nenne. Vor mir eine junge, dynamische Frau mit einem „Weimi“, der dermaßen an der Leine zog, dass sie sich ganz schön strecken musste, um ihm ein Leckerchen ins Maul zu stopfen.

Das edle Tierchen wiederum fixierte frolic-kauend meinen schnöden Hüteköter, was von Frauchen mit einem „feeeeiiin“ quittiert wurde.

Tacker, dem solche Gepflogenheiten gänzlich fremd sind, wollte nicht länger auf mein Ok warten, ihm kam die Einladung zum Infight gerade recht.

Der arme Hund, was der in den letzten Tagen erleben musste.

Fangen wir in dem Zoofachgeschäft an, das ich aufsuchte, um für meine Bande möglichst billiges, getreide- und zuckerhaltiges Trockenfutter zu kaufen.

Zur Erklärung, das ist meine neue Strategie, um Zoofachgeschäftsmitarbeiterinnen von mir fernzuhalten.

Sobald mir eine von denen ein fröhliches „Kann ich Ihnen helfen?“ entgegenflötet, pflege ich zu antworten „Ja, ich suche ein möglichst schädliches Hundefutter, das die Lebenserwartung meiner Hunde drastisch reduziert und Allergien auslöst. Haben Sie etwas genmanipuliertes im Angebot?“

In 94% der Fälle kann ich anschließend den Einkauf in Ruhe fortsetzen, ohne dass mir jemand „Hundewasser“ zu 11,98 € das Sixpack aufschwätzen will.

So stand ich also in diesem Zoofachgeschäft und wollte gerade den Sack Tod auf Raten bezahlen, als eine dieser Mitarbeiterinnen ankam, sich überfallartig auf das Tackerchen stürzte und ihn „Och, bist du süß“-quietschend mal so richtig durchkuschelte.

In diesem Moment vernahm ich ein leises „Pock“. Das war meine Kinnlade, die gerade auf die Fliesen geklatscht war.

Ich fragte mich, ob die Dame wahnsinnig ist, kam aber nicht mehr dazu, sie zu fragen, denn just in dieser Sekunde steckte ein Labbi-Mix seine dicke Nase in den Hintern meines Rüden, was dieser in der selben Sekunde mit sofortiger Exekution beantworten wollte.

Ich zischte möglichst leise ein „Nein, Wag es dich“ in Richtung Tacker und spürte sofort die bohrenden Blicke der um ihren Trauernden in Spe im Kreuz. „Hat der etwa Nein gesagt?“ Ja, hat er.

Angesichts solch derber Aversion meinerseits hätte ich erwartet, dass die Labbi-Mix-Halterin vielleicht mal ihre Fellnase zurückpfeifen würde. Immerhin befanden wir uns in einem Zoofachgeschäft. Jede Menge Ware, die entsorgt werden müsste, wenn das Tackerchen den Labbi auf den Fliesen verteilt.

Aber nö, sie stand da, fand sich und ihren Hund offensichtlich witzig und ich hatte das Vergnügen, den Hüte-Rambo am Amoklauf zu hindern.

Als ich vor zwei Wochen im tiefsten Bayern auf einem Bauernhof zu Gast war, trafen wir auf Simba, den Hofhund.

Simba, 12 Monate alt, Howi-Berni-Irgendwas mit grazilen 40 Kilo, der meinte, in einem Akt gnadenloser Selbstüberschätzung über mein gemerltes Grauen herzufallen. Ungefähr drei Minuten später war Simba um eine Erfahrung reicher und die Besitzer immer noch gelassen.

Hier wären Tacker und ich auf der Stelle ausgewiesen worden. Achwas, hätte ich meinen Hund tun lassen, was Hunde so tun, hätten die mich vermutlich gefesselt und mit Fackeln und Forken zur nächsten Tierärztin mit Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie getrieben, wo das Tackerchen unter lautem Geclicker kastriert worden wäre.

Überhaupt scheinen die Menschen hier – natürlich nicht alle, aber die Ausnahme bestätigt ja die Regel – ein etwas anderes Verhältnis zur Hundeerziehung zu haben als andere Menschen.

Die örtlichen Hundetrainerinnen mit kynopädagigischem Positiv-Diplom zum Beispiel verschreiben samt und sonders Schleppleinentraining und beim Gassigehen aus der Hand füttern als Allheilmittel für jegliche Probleme.

Super Sache, denn erstens kann der geneigte Vierbeiner mit so einer Schleppleine sein Opfer fesseln, bevor er es killt und zweitens kann man seinen Hund prima am Jagen hindern, indem man ihm massives Übergewicht anfüttert.

Die Individualdistanz der hiesigen Hundehalter scheint irgendwo bei Minus 12 cm zu liegen, hier wird nicht gefragt, hier wird getestet. Und sollte es ein Köter auch nur wagen, etwas Distanz einzufordern, liegt das Problem natürlich bei ihm und nicht in der Rücksichtslosigkeit der Menschen.

Als ich dann abends noch mal unterwegs war, hörte ich plötzlich eine Frau quietschen. Sie stand etwas verloren auf dem Weg und machte stimmgewaltig und hochoktavig „Jabajabajaba“. Allein.

Gerade als ich ihr zu Hilfe eilen wollte, weil ich einen Anfall oder schlimmeres vermutete, nahm ich am Horizont einen schwarzen Punkt wahr, der sich hin und her bewegte. Als der Punkt ein wenig größer wurde, brüllte die alleinstehende „Feeeeeeiiiiiin“, worauf der Punkt wieder kleiner wurde.

Ich schaute mir das Spektakel an, guckte Tacker an und ich glaube, er schüttelte kurz den Kopf.

Elisabeths Tränen

Ich hatte beschissen geschlafen und deshalb entschieden, den Wecker auszuschalten und mich nochmal umzudrehen. Gerade als ich wieder einschlafen wollte, hörte ich plötzlich ein klopfen und ein leises „Hallo“. Verdammt.

Ich hasse es, wenn fremde Menschen unangemeldet vor der Tür erscheinen. Dafür vereinbare ich Termine. Und nun dieses „Hallo“.

Also zog ich mir etwas über und schaute nach.

Vor der Haustür stand eine Frau, vielleicht Mitte Dreißig, Sie wirkte tough, aber sie atmete schwer und kämpfte mit den Tränen. Ihr Name war Elisabeth.

Es war ungefähr zwei Stunden her, als ihr Leben schlagartig geändert hatte und ihre schlimmsten Befürchtungen wahr wurden. Um kurz nach Sieben war sie mit ihrem Hund spazieren gegangen, als sich dieser plötzlich losriss und ein siebenjähriges Kind schwer verletzt hatte.

Das Kind wurde mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht und seitdem war Elisabeth auf der Suche nach einer Lösung.

Sie hatte rumtelefoniert, bis sie um diese Uhrzeit schließlich jemanden erreicht hatte, der ihr geraten hatte, sich an mich zu wenden.

Vor ungefähr einer Stunden hatte ich einen Anruf in Abwesenheit, weil ich beschlossen hatte, mich wieder hinzulegen. Da Elisabeth nur meine Mailbox zu hören bekam, setzte sie sich in ihrer Verzweiflung ins Auto und fuhr die knapp Vierzig Kilometer, bis sie schließlich vor meiner Tür stand und mir schilderte, was geschehen war.

Sie versuchte sich zusammenzureißen und den Vorfall zu sachlich wie möglich zu schildern. Sie war sofort zu dem Kind gelaufen und wollte den Notruf wählen. Doch in der Schocksituation wollte ihr einfach die 112 nicht einfallen. Wie versteinert habe sie da gestanden, sagte sie, habe sich an ihrem Hund festgekrallt und war völlig hilflos.

Ein Passant, der zur Hilfe geeilt war, wählte schließlich den Notruf. „Warum ist mir diese Nummer entfallen?“ fragte sie mich verzweifelt und ihr lief eine Träne die rechte Wange hinunter.

Vor einigen Jahren bestand der Hauptteil meiner Kundschaft aus Menschen, deren Hunde an der Leine pöbelten oder jagten. Heute bin ich immer öfter mit richtigen Schicksalen konfrontiert, mit Menschen, die wirklich verzweifelt sind und sich in ausweglosen Situationen wägen.

Dem entsprechend habe ich gelernt, mit hochemotionalen Situationen umzugehen. Wenn mein Gegenüber anfängt zu weinen, fühle ich mit ihm, versuche dabei aber objektiv und sachlich zu bleiben.

Bei Elisabeth halfen all die Strategien, die ich im Laufe der Zeit erarbeitet habe, kein Stück weiter.

Anhand ihrer Schilderungen konnte ich jeden einzelnen abwertenden Blick der gaffenden Masse förmlich spüren, konnte das Wimmern des Mädchens hören und Elisabeths Verzweiflung und Sorge, diese Ausweglosigkeit konnte ich fast greifen.

Sie stand vor mir und weinte. Ich war wohl der letzte Halt, bevor sie den Weg zum Tierarzt antreten würde, um ihren Hund einschläfern zu lassen.

Das Problem sei ihr bewusst gewesen, sagte sie, sie habe förmlich aufgepasst wie ein Schießhund, und nun das.

Sie hatte in einem Forum ihre Sorgen geschildert und auch, dass sie jemanden suche, jemand sachkundiges, der ihrem Hund eine Chance geben würde. Die Reaktionen der anderen Nutzerinnen waren ernüchternd bis verletzend.

Ihr wurde durch die Internetgemeinde vor Augen geführt, dass sie ein schlechter Mensch sei, dass sie sich nicht wirklich bemühe.

Jemand hatte sie als verantwortungslos bezeichnet. Dabei wollte sie doch Verantwortung übernehmen. Für den Hund und vor allem für die Umwelt, für die er eine Gefahr darstellte.

Und sie hatte wirklich vieles probiert, angefangen von tierärztlichen Untersuchungen bis hin zu Futterumstellungen, hatte Kurse besucht und Workshops, Einzelstunden genommen und viel Geld und Zeit investiert, um die Probleme in den Griff zu kriegen.

Sie mochte ihren Hund wirklich und ich konnte spüren, wie enttäuscht sie war – von ihrem Hund, aber vor allem von sich selber –, dass es nun soweit gekommen war.

Elisabeth sagte, dass sie mal mit ihrem Hund auf dem Sofa gelegen und er sie traurig angesehen hatte. In dem Moment hat sie in angefleht, sie doch bitte zu verstehen.

Während sie mir das erzählte, mischte sich ihre Verzweiflung mit einem stockenden Lachen.

Ich stand vor ihr, sie hatte mich gefangen in ihrer traurigen Geschichte. Vielleicht lag es daran, dass ich schlecht geschlafen hatte, wer weiß. Doch hatte sie mich mit ihrer Trauer angesteckt. Und in diesem Moment hätte ich sie gerne in den Arm genommen und versprochen, dass alles gut wird.

Doch leider war mir das unmöglich. Mit belegte Stimme erklärte ich ihr, dass ich ihr leider nicht helfen könne und das ich keine Möglichkeit habe, ihn aufzunehmen.

Manchen Menschen neigen zur Theatralik und zu großen Gesten, um ihrer Gefühlslage Ausdruck zu verleihen. Doch dieser Zusammenbruch war echt. Elisabeth brach in diesem Moment innerlich wie äußerlich zusammen und ich stand vor ihr. Ratlos, fassungslos, hilflos.

Sie setzte sich auf das kleine Mäuerchen vorm Haus, kraulte ihren Hund und hatte jeden Versuch, die Fassung zu wahren, aufgegeben.

Es gibt nur wenige Momente, in denen ich wirklich sprachlos bin. Dieser gehörte dazu und wird mich noch einige Zeit verfolgen. Aber was hätte ich auch sagen sollen?

Man kann sie nicht alle retten, das ist mir klar. Es sind zu viele und man muss den Tieren, die einem anvertraut sind, auch irgendwie gerecht werden. Und vor allem sich selber. Niemanden ist damit geholfen, wenn man sich selber übernimmt, im Versuch zu helfen.

Ich stand mit Elisabeth fast eine Stunde auf dem Hof und hörte, fühlte und sah ihren Leidensweg.

Einen solchen Moment, in dem jemand anders einen so nah an sein Schicksal läßt, ist Belastung und Geschenk zugleich. Ihre Geschichte hat mich mitgenommen, aber auf der anderen Seite war ich dankbar. Dafür, dass sie sich mir anvertraut hat.

Und nein, ich weiß nicht, was Elisabeth getan hat, nachdem sie den Hof verlassen hat, leise „Trotzdem Danke“ schluchzend ins Auto gestiegen ist und losfuhr.

Aber ich weiss, das es das richtige war.

Glaube. Liebe. Hoffnung. Scheitern.

Glaube.

Kein Mensch kauft sich einen Hund mit dem Ziel, sich ein Problem zuzulegen.

Wir handeln in dem Glauben, dass alles gut wird.

Wir glauben daran, dass wir uns ein Familienmitglied ins Haus holen, einen Spielkameraden für die Kinder, eine Sportskanone, mit der wir Erfolge feiern werden oder jemanden, der uns motiviert, uns mehr zu bewegen.

Wir glauben der netten Tierschützerin, dass wir wirklich etwas gutes tun, wir glauben den freundlichen Menschen im Forum, die uns mit Erziehungstipps behilflich sind und wir glauben dem Züchter, dass die Rasse unserer Wahl perfekt zu uns passt.

Schließlich glauben wir, dass unsere Sehnsucht erfüllt wird, unsere Erinnerungen an den Hund unserer Kindheit, unser Bild vom treuen Freund, der mit uns durch dick und dünn geht oder unser Wunsch, einer geschundenen Kreatur ein schönes Leben zu ermöglichen.

All das ist menschlich, all das ist gut.

Liebe.

Kein Mensch verliebt sich, um unglücklich zu werden.

Wir lieben unsere Hunde. Auch das ist menschlich und nachvollziehbar.

Einige Soziologen vertreten die Ansicht, dass wir Menschen mit der Entwicklung einfach nicht Schritt halten konnten, dass wir evolutionär betrachtet nicht in der Lage sind, die Folgen der Industrialisierung und Globalisierung zu verarbeiten.

Der Mensch verinselt, vereinsamt und die Familie, wie sie noch vor Einhundert Jahren Normalzustand war, ist zusammengebrochen. Unsere sozialen Zellen sind mehr und mehr geschrumpft, bis nur noch jeder Einzelne für sich übrig blieb.

Viele von uns sind allein. Und so nehmen unsere Haustiere eine neue Position in unserer Gesellschaft ein. Sie befriedigen quasi unsere sozialen Bedürfnisse, denn eines haben Hund und Mensch gemeinsam. Wir leben sozial obligat.

Mit der Einsamkeit ist das so eine Sache. Sie wird zur effektivsten Methode des Überlebens hochstilisiert. In Vorstellungsgesprächen kommt die Frage nach dem Familienstand nicht von ungefähr. Eine Einzelperson ohne „Anhang“ ist flexibler, abends wartet niemand zuhause, dem man Rechenschaft schuldig wäre. Außer vielleicht dem Hund.

In unserer Liebe zum Hund sind wir bedingungslos. Auch wenn sie manchmal sehr einseitig zu sein scheint.

Wir tun sprichwörtlich alles für unsere große Liebe. Wir opfern uns bis zur völligen Selbstaufgabe auf, passen unser Leben an, geben unsere Hobbys auf und suchen Gleichgesinnte, Menschen, die uns verstehen und die genauso leiden wie wir.

Wagt es jemand, unsere Liebe in Frage zu stellen, dann reagieren wir hochemotional. „Du darfst den Mann, die Kinder und die ganze Familie beleidigen, aber wenn es um den Hund geht, darfst du nicht mal etwas gegen sein Futter sagen“ hat ein Kollege mal bitter zusammengefasst.

Unsere Art der Liebe ist die einzig wahre. Dessen müssen wir uns ständig vergegenwärtigen und vergewissern. Und diesen Umstand müssen wir wohl verteidigen – gegen alles. Denn alles ist das, was wir tun, damit unsere Liebe erwidert wird.

In den Momenten, in denen wir uns fragen, warum er oder sie so ist, obwohl wir doch alles tun, uns so große Mühe geben und uns so aufopfern, spüren wir Zweifel, die uns beinahe zerreißen, weil wir doch nur glücklich sein wollen und geliebt werden.

Hoffnung.

Kein Mensch hofft, dass es wirklich hoffnungslos ist.

Die Hoffnung nicht aufgeben, denn sie stirbt zuletzt. Jeden Strohhalm greifen, vielleicht bringt er ja die (Er-)Lösung. In unserer Hoffnung sind wir vereint, heisst es. Und warum fühlt sich der Mensch so verdammt allein, wenn er am Waldrand steht und – hofft.

Er hofft, dass nichts passiert. Verrückt, denn ständig passiert was, alles ist im Fluss. Vielmehr stehen wir da und hoffen, dass der Kelch an uns vorüber geht. Wir hoffen, dass es ausreicht. Wir hoffen, dass wir nicht scheitern.

Scheitern.

Kein Mensch beginnt, um zu scheitern.

Am Ende ist alles Scheitern. Und am Ende steht der Mensch allein da, mit all seinen Ängsten und Hoffnungen, seiner Liebe und seinem Glauben an das Gute.

Egal, ob es um den Hund, einen geliebten Menschen, den Job oder was auch immer geht. Menschen scheitern nunmal. Ein irrsinnig schmerzhaftes Gefühl voller erfüllter Selbstzweifel, voller sich erklärender Irrtümer und der Ungewissheit, wie es nun weitergehen soll.

Und dennoch ist Scheitern ein Teil des Lebens. Und häufig ist das Eingeständnis, gescheitert zu sein, sogar der Beginn etwas guten.

Denn die Erde dreht sich weiter, wir können sie weder anhalten noch die Zeit zurückdrehen. Und unsere Facebook-Freunde geben uns vielleicht ein „Like“ des Mitleids und ein paar aufmunternde Worte mit, doch dann wenden sie sich wieder um ihrem persönlichen Scheitern zu.

Wenn Hunde scheitern, dann meistens am Menschen. Sei es an einer gestellten Aufgabe, sei es an einer Form der Kommunikation, die sie nicht verstehen oder an Ansprüchen, die sie nicht erfüllen können.

Die Menschen wiederum, die scheitern zu allererst, an sich selber. An Aufgaben, die einfach nicht zu lösen sind, an Konflikten, denen sie nicht gewachsen sind und an Ansprüche, derer sie selber nicht gerecht werden.

Wir sind schnell dabei, ihnen ihr scheitern vorzuwerfen. Ihnen zu sagen, dass man es hat kommen sehen, dass man sich eh immer gewundert hat, wie der oder die scheiternde nur so blöd gewesen sein könne.

Das ist nicht fair, wir sollten uns darüber bewusst sein, dass es zutiefst menschlich ist, zu glauben, zu lieben und zu hoffen.

Menschen sind so wertvolle Lebewesen, unvollkommen klar, voller Fehler und voller Missverständnisse. Und doch so zerbrechlich, dass wir aufpassen müssen, ihnen nicht weh zu tun.

Ich wollte immer nur Dein bestes. Wir müssen aufhören, immer nur das Beste zu wollen, vielleicht will unser Gegenüber es ja behalten. Wir sollten dankbar sein, für die schönen Momente und nicht nur an die traurigen und ärgerlichen denken.

Wir sollten Respekt haben. Vor der Lebensleistung eines jeden, dem wir begegnen. Wenn jemand fällt, sollten wir nicht über den Sturz lachen, sondern Beifall klatschen, wenn er wieder aufsteht.

Wir sollten anfangen, in unseren Gegenübern das wertvolle, dass einzigartige zu sehen, das es ausmacht und all die Fähigkeiten anerkennen, die es mitbringt.

Wir sollten Respekt haben vor der Fähigkeit anderer, bedingungslos zu lieben, für jemanden zu leiden und für die Bereitschaft, sprichwörtlich vor die Hunde zu gehen.

Am Ende läuft alles auf diese sieben Buchstaben hinaus: RESPEKT.

Respekt vor dem anderen. Mit seiner Meinung, seinen Schwächen und seinen Entscheidungen, die uns vielleicht missfallen. Eine Haltung, die leider vielen Menschen – und insbesondere solchen mit Hund – zu fehlen scheint.