Paul, der Labbi-Mix (3)

zambo

Bis 3 Uhr morgens stöberte Sabine in verschiedenen Foren, auf Webseiten von Züchtern und Verbänden. So erfuhr sie viel über die Herkunft der Hunde, über ihre Verwendung und über ihren Charakter. Schliesslich fand sie sogar heraus, dass Paul ein Akbaş sein musste. Der Hund auf dem Bild sah ihm zum Verwechseln ähnlich. Im Herdenschutzhunde-Forum las Sabine viel über das Zusammenleben mit diesen Hunden und über die häufigsten Probleme. Was sie beunruhigte war die Tatsache, dass fast alle Nutzer des Forums eher ländlich lebten und die meisten ein Haus mit Garten hatten. Das sei wichtig, um diesen Hunden und ihrem Wesen gerecht zu werden, stand da.

Sabine und Michael konnten Paul keinen Garten bieten, den er bewachen könnte. Sie wohnten nun seit zwei Jahren in der 3-Zimmer-Eigentumswohnung. Den Balkon, den könnte Paul gerne bewachen, mehr war leider nicht drin.

Beim Frühstück berichtete Sabine ihrem Mann von den Erkenntnissen, die die nächtliche Internetrecherche ergeben hatte. Zum einen konnte sie nun einordnen, warum sich Paul so verhielt, warum er Fremden gegenüber so reserviert war. Ernsthaft, das beschrieb es ganz gut. Nun war Paul noch jung. Ihre wirklichen Eigenschaften zeigen Herdenschutzhunde erst, wenn sie älter sind, überhaupt brauchen sie im Vergleich zu anderen Hunden recht lange, um erwachsen zu werden. Das hatte Sabine recherchiert. Und bei dem Gedanken wurde ihr etwas mulmig, schliesslich begrüsste Paul schon jetzt Besucher nicht besonders freundlich und beäugte sie kritisch.

„Naja,“ sagte Michael, „bis jetzt ist ja garnichts passiert. Ich schlage vor, dass wir uns jemanden suchen, der uns hilft, Paul zu erziehen. Es gibt doch bestimmt Spezialisten für diese Hunde. Wir suchen uns so einen und arbeiten dran.“ Sabine nickte. Noch am selben Abend setzte sich Sabine wieder an den Computer und durchforstete die Foren und Webseiten auf der Suche nach einem Experten für Herdenschutzhunde. Schliesslich wurde sie auch fündig, musste jedoch feststellen, dass der nächste, der Hilfe versprach, Eineinhalb Stunden Autofahrt entfernt wohnte. Trotzdem wollte sie seine Einschätzung hören und rief ihn noch am Abend an.

Menschen, die sich auf bestimmte Hunderassen wie Herdenschutzhunde oder auch Wolfshunde spezialisiert haben, haben häufig eines gemeinsam. Sie wohnen zumeist etwas abgelegen. So auch der Experte, den Sabine im Internet gefunden hatte. Insgesamt zwei Stunden dauerte die Fahrt durch verschlafene Dörfchen, über langgezogene Hügel und verwinkelte Straßen, bis sie endlich mit Paul den Hof erreichten.

Die vielen Empfehlungen waren nicht übertrieben. Der Mann hatte viel Ahnung, beschrieb die verschiedenen Hundetypen und konnte bildhaft erklären, wie die Anatolischen Hirtenhunde arbeiteten und worauf es bei der Erziehung ankommt. Er machte auch keinen Hehl daraus, dass Sabine und Michael sich ein ordentliches Stück Arbeit aufgehalst hatten und referierte ausgiebig über klare und verläßliche Strukturen und ebenso klare Grenzen, die ein solcher Hund bräuchte.

Sein Urteil über Paul: „Ganz toller Hund, jetzt braucht Ihr nur noch eine Herde Schafe, die er bewachen kann.“ Michael musste grinsen, aber gleichzeitig hatte er das ungute Gefühl, dass der Experte das tatsächlich ernst meinte.

Auf dem Weg nach Hause waren sich Sabine und Michael einig. Die Tipps vom Experten waren hilfreich, aber leider war er zu weit weg. Also beschlossen sie, dass sie es doch noch mal mit einem Hundetrainer versuchen wollten, auch wenn die Erfahrung aus der Junghundegruppe in schmerzhafter Erfahrung geblieben war.

Dreiunddreißig Hundeschulen. Das war das Ergebnis im Branchenbuch. Sabine war erstaunt. So viele Hunde gibt es hier in der Gegend doch garnicht, dachte sie. Michael scherzte: „Super, für jeden Hund eine.“ Der Plan war, mit jeder Hundeschule zu telefonieren und sich dann für die zu entscheiden, die die meiste Expertise über Hunde wie Paul aufwies.

Soweit der Plan, doch musste Sabine schnell feststellen, dass das nicht so einfach ist. Die ersten Telefonate liefen immer gleich ab. Eine freundliche Begrüßung, eine kurze Vorstellung der Hundeschule und des Angebotes – bis das Gespräch dann auf Paul kam. Hier war dann der Punkt, an dem die Hundeschuleninhaber dankend ablehnten. Fünfzehn Telefonate, fünfzehn mal „Nein Danke.“ So lange Paul ein Labbi-Mix war, war er willkommen. Jetzt nicht mehr. Dabei war er doch noch der selbe Hund. Irgendwann gab Sabine frustriert auf. Das schaffen wir schon. Im Forum findet man viel Hilfe, dann eben ohne Hundetrainer.

Es mussten ungefähr sechs oder sieben Monate vergangen sein, seitdem Sabine und Michael Paul bei sich aufgenommen hatten. Aus dem melancholisch dreinblickenden Teddy wurde langsam aber sicher ein beeindruckender Rüde, der mittlerweile auch begann, zu zeigen, was in ihm steckte. Besuch bekam das Paar mittlerweile selten, sie waren in ihrem Freundeskreis die einzigen Hundehalter. Pauls Bellen, sobald jemand vor der Tür stand, war wenig vertrauenserweckend und auch, wenn er nichts unternahm, wenn jemand in die Wohnung kam, hielt sich das Verständnis des Besuches ob des finster dreinblickenden großen Hundes arg in Grenzen.

Also zogen die beiden es vor, Freunde besuchen zu gehen. Wenn sich doch mal jemand angekündigt hatte, so wurde Paul ins Schlafzimmer gesperrt, sobald es klingelte. Mit der Zeit zeigte Paul immer weniger Verständnis für diese Maßnahme und pöbelte ausgiebig hinter der verschlossenen Tür. Auch der Gassigang entpuppte sich mit der Zeit als Herausforderung. Paul, der mittlerweile 39 Kilo wog, hatte eine Menge Kraft und fand es überhaupt nicht komisch, wenn sich andere Hunde in der Nähe aufhielten. Wie auch? Michael hatte mal den Versuch unternommen, mit Paul auf der Hundewiese Kontakte zu Artgenossen zu knüpfen. Leider Fehlanzeige. Die netten Hundehalter wichen den beiden aus, die weniger netten sagten direkt, dass sie verschwinden sollten. Als wenn der Park ihnen gehören würde. So zogen Michael und Paul von dannen und gingen fortan im nahegelegenen Wald spazieren. Ohne fremde Hunde und vor allem ohne unfreundliche Hundehalter.

An dem Abend kam Sabine nach Hause und war seltsam aufgekratzt. Die letzten Tage war es ihr nicht so gut gegangen, weshalb sie heute einen Arzttermin hatte. Sie kam ins Wohnzimmer, begrüßte Paul und strahlte Michael an. „Ich bin schwanger“ flüsterte sie erst so leise, dass er es kaum verstand. „Bitte was?“ Sie wiederholte die frohe Kunde, er war ganz aus dem Häuschen, umarmte sie und war glücklich.

Der Traum würde wahr werden. Sabine und Michael waren überglücklich. Die romantische Vorstellung der glücklichen Familie, die sich beide so sehr wünschten. Eine Familie wie aus dem Bilderbuch: Die beiden Kinder, ein hübsches Mädchen und ein frecher Junge, und – Paul.

(Fortsetzung folgt)

Hier geht es zum vierten Teil von „Paul, der Labbi-Mix, hier zum ersten und hier zum zweiten.

Paul, der Labbi-Mix (2)

paul

Sabine brauchte einen Moment, um zu verwirklichen, dass es endlich soweit war. Endlich. Mit großen Augen schaute sich Paul unsicher um. Tatsächlich war er etwas größer als beschrieben. Aber er hatte den selben melancholischen Blick wie auf den Fotos. Dieser Ausdruck, der war es, in dem sich das Paar auf den ersten Blick verliebt hatten. Endlich griff sich Sabine ein Herz und kniete sich runter zu Paul. „Hallo Paul“ flüsterte sie leise. „Willkommen, jetzt wird alles gut.“

„Garnichts ist gut“ brüllte derweil Pablo zur gleichen Zeit etwa 2.500 Kilometer entfernt und knallte die Haustüre der kleinen Finka zu. Wütend stampfte er herunter zu den Stallungen, setzte sich in seinen Geländewagen und brauste davon. Ungefähr 15 Minuten dauerte die Fahrt zu seiner Herde. Normalerweise würde er jetzt die Ruhe nach einem harten Arbeitstag geniessen, aber seit dem Unbekannte vor einigen Tagen seine Hunde gestohlen hatten, fand er keine ruhige Minute mehr. Schon zu oft hatten irgendwelche Taugenixe die Abgeschiedenheit genutzt und Lämmer gestohlen oder seine Maschinen beschädigt. Außerdem gab es in der Gegend viele streunende Hunde, die einige Schafe gerissen hatten.

Pablo, den alle nur McEnroe nannten, weil er ein ähnlich aufbrausendes Gemüt wie der Tennisspieler hatte, war stinksauer. Ohne seine Hunde konnte er bei der Herde übernachten. Und vor allem waren es nicht irgendwelche Hunde. Lange hatte er gesucht, bis ihm ein Kollege den Tipp gegeben hatte und er endlich einen Züchter gefunden hatte, dessen Tiere fest im Wesen und zuverlässige Wächter waren.

Und viel Geld hatte er bezahlt. Aber das war nicht das Problem. Vielmehr hatte er sehr viel Zeit und Energie in die Ausbildung der Hunde investiert. Er schwor auf den Akbaş, schätzte die Zuverlässigkeit und die Selbstständigkeit, mit der diese Hunde nicht nur über die Herde wachten, sondern auch aktiv Eindringlinge bekämpfen. Besonders stolz war er auf den jungen Rüden, den er erst vor kurzem von einem Schäfer abgekauft hatte. Mit ihm hatte er große Pläne gehabt, er war begeistert von diesem treuen und dennoch ernsthaften Begleiter, der allein durch seine pure Anwesenheit jedem zu verstehen gab, dass er sich besser nicht nähert.

Pablo hatte schon Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, hatte eine Belohung ausgelobt und war stundenlang durch die Gegend gefahren. Nichts. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als bei seinen Schafen zu bleiben. Der Züchter hatte am Telefon gesagt, dass er in den nächsten Wochen einen Wurf erwarten würde. Aber bis die Hunde ihren Job machen könnten, würde mindestens ein Jahr vergehen. Ein Jahr. Verdammte Scheiße! Pablo machte es sich in seinem Land Rover so bequem, wie es in einem Land Rover möglich ist, warf einen letzten Blick auf sein Kleinkalibergewehr und legte sich schlafen. Am nächsten Morgen stellte er fest, dass drei Schafe fehlten.

An nichts fehlen sollte es derweil Paul. Die erste Nacht als Hundebesitzer war überstanden. Leider war Paul noch nicht stubenrein und hatte einige Pfützen und Haufen hinterlassen. Überhaupt schien Paul das Leben im Haus noch nicht zu kennen. Der arme Hund. Die Nacht über hatte er gewinselt und an der Tür gekratzt und bei jedem kleinen Ton gebellt. Dem entsprechend waren Sabine und Michael auch etwas übernächtigt, als sie am Küchentisch saßen und einen Kaffee mehr als sonst tranken.

Auf Anraten des Tierschutzverein hatte Michael sich zwei Wochen freigenommen. Eigentlich fand er das blödsinnig und hatte der Dame erklärt, dass er eh von Zuhause aus arbeiten würde. Aber bestimmt hatte sie recht, als sie sagte, dass es gerade zu Beginn wichtig wäre, sich viel Zeit für einen Hund mit einem dermaßen schlimmen Schicksal zu nehmen, wie Paul eines gehabt hatte.

Immerhin konnte Michael die Zeit nutzen und mit seinem neuen Mitbewohner ins  nahegelegene Zoofachgeschäft zu fahren. Denn Paul war tatsächlich etwas größer, als Sabine und er angenommen hatten.

Also packte Michael das Geschirr, das Halsband, das Hundebett, die Kuscheldecke für unterwegs, die Kuscheldecke für den Kofferraum, das weitere Hundebett für Michaels Büro und den Hundemantel auf die Rückbank und Paul in den Kofferraum des Auto und machte sich auf, die frisch erworbenen Utensilien gegen welche eine Nummer größer umzutauschen. Bzw. Zwei Nummern größer, denn der freundliche Verkäufer im Fachgeschäft erklärte Michael, dass „da noch was kommt“. Sieht man an den Pfoten, aha. Wird ein ganz schöner Brummer. Ok.

Als nächstes stand der Tierarztbesuch an. Paul durchblickte die Lage sofort und stellte sein Verhaltensrepertoire um auf „Andalusischer Esel“. Kein Bitten, kein Betteln, nichts half. Paul wollte nicht untersucht werden. Die anderen Besucher im Wartezimmer der Kleintierpraxis guckten sich das Schauspiel amüsiert an. Hilft ja nichts, dachte sich Michael, also trage ich ihn am besten rein.

Später konnte Michael nicht erklären, was der Grund dafür war, dass er mit Paul unverrichteter Dinge wieder nach Hause fuhr. Es war dieser Blick, der in ihm ein Gefühl ausgelöst hatte, dass er Paul besser nicht hochheben sollte. Ein diffuser bedrohlicher Blick. Plötzlich war ihm unwohl geworden. Sabine schüttelte mit dem Kopf. „Ist doch kein Wunder, der arme Kerl ist gerade erst angekommen. Er hat bestimmt Angst gehabt. Lass ihn sich doch erstmal eingewöhnen.“

Sanft streichelte sie Paul über seinen Kopf und Paul erwiderte die Geste, in dem er sich auf den Rücken legte und seinen Bauch zum Streicheln anbot. So ein toller Hund.

„So ein toller Hund“ dachte sich auch Pablo an diesem Abend. Aber 800 Euro? In der Gegend hatte sich natürlich rumgesprochen, was ihm passiert war. Und der Bauer, der ihm gegenüberstand wusste ganz genau, in welcher misslichen Lage er sich befand. Und nutzte das natürlich aus. In Pablo brodelte es, er spürte förmlich, wie seine Schläfen pochten und am liebsten hätte er seinem Gegenüber einen kräftigen Tritt verpasst. 800 Euro, das war ein Monatsgehalt. So ein Arsch. Aber er wusste, dass er keine Wahl hatte. In den letzten Wochen hatten Streunerköter Lämmer gerissen. Die waren so schnell, dass sie schon wieder verschwunden waren, als Pablo sich endlich aus seinem Schlafsack befreit hatte.

Nun hatte er endlich wieder einen Hund, leider keinen Akbaş, sondern einen Karabaş, ein sehr großer, ernsthafter Zeitgenosse, den sicherlich niemand so einfach stehlen würde. Er würde ihn Samsun nennen, so wie wie früher in der Türkei. Hunde so groß wie Löwen. Das passte. Nun musste Samsun nur noch lernen, die Herde zu bewachen und Pablo als seinen Herren akzeptieren.

Lernen stand am Samstag vormittag auch auf dem Programm von Paul. Ein Besuch in der Junghundestunde war angesagt. Etwas aufgeregt fuhren Sabine und Michael auf den Parkplatz des Geländes, auf dem sich die Hundeschule befand. Einige Hundebesitzer waren schon da, die Hunde tobten wild über den Platz, während sich die Besitzer angeregt unterhielten. Die Hundetrainerin kam zum Tor, begrüßte Sabine und Michael und schaute Paul freundlich an, was dieser mit Desinteresse erwiderte.

„Er ist sehr schüchtern.“ sagte Sabine, „er wurde von Tierschützern gerettet und lebt erst seit zwei Wochen bei uns.“ Die Hundetrainerin lächelte freundlich und sagte: „Naja, schüchtern finde ich ihn garnicht, er ist sehr reserviert, aber das ist für die Rasse typisch.“ Michael staunte und erwiderte, dass Paul doch ein Labrador-Mix sei und die doch eigentlich eher sehr gesellig wären. „Labbi-Mix? Nein, bestimmt nicht. Paul ist ein Herdenschutzhund, ich würde sagen, ein Kuvasz oder sowas. Naja, kommen Se erstmal rein, lassen Sie Paul an der Leine und wir gucken mal, wie er sich mit den anderen Hunden verträgt.“

Es wäre übertrieben zu sagen, dass Paul, der ja erst geschätzte 6 Monate war, unverträglich mit Artgenossen wäre. Vielmehr zeigte er keinerlei Interesse an dem Unfug, den die anderen Hunde so trieben. Eher gelangweilt schaute er sich das bunte Treiben an. Nur als ein Labbi (Michael fiel auf, dass die wirklich viel kleiner sind als ihr Paul) sich ihm etwas ungestüm näherte, zeigte Paul dem Jüngling sehr deutlich, dass er besser Abstand halten sollte. Für die Besitzerin des Aufdringlings reichte das jedoch völlig aus, um in hysterische Panik zu verfallen. Danach kamen sich Sabine, Michael und vermutlich auch Paul etwas ausgestossen vor, denn den Rest der Stunde mussten sie hinterm Wildzaun warten. Die Hundetrainerin entschuldigte sich noch etwas beschämt für die harrsche Reaktion ihrer Kundin, als die anderen Hundehalter den Platz mit geringschätzigen Blick in Richtung unseres Trios verliessen.

Beim Abendessen sprach Michael es aus: „So eine hysterische Kuh, ihr Hund hatte nicht einen Kratzer. Und hast du gesehen, wie die uns angeschaut haben? Das war das letzte Mal, dass wir in die Junghundegruppe gegangen sind.“ Sabine nickte nur mit dem Kopf und kraulte grübelnd ihren Paul hinterm Ohr.

Nach dem Essen setzte sie sich an den Rechner und begann zu recherchieren. Ein Herdenschutzhund hatte die Hundetrainerin gesagt …

(Fortsetzung folgt)

Hier geht es zum ersten Teil von „Paul, der Labbi-Mix“ und hier geht es zum dritten Teil von „Paul, der Labbi-Mix“.

Paul, der Labbi-Mix (1)

ronjaeyes

Es ist schon total erstaunlich. Wirft man einen Blick in die üblichen Tierschutzportale im Internet, könnte man den Eindruck bekommen, dass auf den Straßen Südeuropas ausschliesslich Rassehunde rumlaufen, die sich mit anderen Rassehunden vergnügen, um dann Welpen für den Tierschutz zu produzieren. Nur so lässt sich erklären, warum der niedliche Straßenhund-Welpe, den die „private Tierschutzinitiative Pfötchenfellnasennotfellewauzisinnot“ gerade zwecks Adoption via Internetshopping feilbietet, ein „Border Collie/Husky-Mix“ sein soll.

Vielmehr ist der kleine Pups, der mich da gerade auf dem Foto angrinst, eher ein rasseloser Hund, ein Mischmasch aus Generationen vererbter genetischer Vielseitigkeit. Was eigentlich etwas gutes hinsichtlich zu erwartender Krankheiten und Lebenserewartung des neuen Familienmitglieds wäre. Aber verkaufen tut sich sowas nicht. Und auch der moderne Tierschützer von heute muss natürlich Marketing betreiben, um in der Masse der Konkurrenz Abnehmer für seine Notfälle zu finden.

Beschreibung: Hund, eindeutig. Vier Pfoten, zwei Ohren, eine Nase und zwei Augen. Kläffen kann er auch. so Mittelgroß, Fell hat er auch, Schwarzweisswuschig.

Das wäre zwar ehrlich, aber irgendwie nicht verkaufsfördernd. Und so wird aus dem netten Wasauchimmer das spektakuläre Ergebnis einer Liäson zwischen einem potenten, reinrassigen Huskyrüden und einer eleganten Border Collie-Dame, vermutlich ganz romantisch bei Sonnenuntergang am Strand von Palma. Bevor die junge Hundemutter dann das schlimme Schicksal von Obdachlosigkeit ereilte. Alleine, mit den Acht kleinen Rackern im Bauch kämpfte sie sich mit schlechtbezahlten Aushilfsjobs durch, bis sie schliesslich gerettet wurde … Gottseidank aber auch.

Zum modernen Tierschutzmarketing gehören immer auch herzzereissende Geschichten. Das ist in Ordnung, wenn’s hilft, von mir aus. Hauptsache gerettet, den Hund hätte ein schlimmes Schicksal erwarten können.

Achja, zum Thema Schicksal: Etwas weniger in Ordnung fand ich das Schicksal des Hundes, der von Tierschützern in Budapest gerettet wurde. Als der – frisch zugewanderte – Vierbeiner beim Tierarzt vorstellig wurde, fand dieser etwas ungewöhnliches vor. Der Hund hatte nämlich zwei Mikrochips. Die Überprüfung ergab, dass seine Besitzer ihn in Ungarn suchten. Deutsche Tierschützer hatten „die arme Seele“ nämlich aus dem Vorgarten gepflückt und mal schnell „gerettet“. Viel hilft viel, und die Ungarn sind ja eh alle verkapte Tierquäler. Oder so.

Eine Mischung aus besonders gelungenem Marketing und einem – nunja – besonders tragischen Schicksal erzählt die Geschichte von Paul und seinen Menschen.

Paul wurde nicht etwa deshalb Paul genannt, weil jeder zweite Rüde Paul heisst, sondern weil der Schriftsteller Jean Paul und überhaupt die gesamte Literatur der Romantik die gemeinsame Leidenschaft von Michael und Sabine war. Die beiden waren das, was man wohl als Intellektuelle bezeichnen würden. Sie liebten die Debatte, den geistigen Austausch und lange Gespräche. An einem Abend, an dem Michael aus seiner Kindheit erzählte und sentimal wurde, als er vom Hund seines Großvaters sprach, da beschloss Sabine, das ein Hund das Leben der beiden komplettieren sollte.

Auch so eine romantische Vorstellung: Eine Familie wie aus dem Bilderbuch, vielleicht zwei Kinder, ein hübsches Mädchen und ein frecher Junge. Der Traum Sabines. Und ein Hund, nun der passt zum Bild, oder?

Also begann Sabine, die Abende damit zu verbringen, sich zu informieren, welcher Hund zu ihnen und vor allem zu den Kindern, die sicherlich bald kämen passen würde. Außerdem war sie absolute Anfängerin, was Hunde anging und Michael konnte auch nur auf die Erfahrung mit Großvaters Hund zurückgreifen. Sogar einen Hundetrainer suchte sie auf, um sich beraten zu lassen. So kam sie zu dem Schluss, dass ein Labrador der ideale Hund für Michael und sie sein würde. Aber kein schokofarbender oder gar schwarzer Labbi, nein ein blonder sollte es werden. Bei „Marley und ich“ hatte sie geweint, dass passierte ihr sonst nie bei Filmen. Und Michael war begeistert, vielmehr noch. Er fühlte sich verstanden und auf eine tiefe Art und Weise geliebt, nie wäre er von alleine auf die Idee gekommen, einen Hund anzuschaffen, auch wenn er diesen Wunsch schon so lange in sich trug.

Die Suche nach dem richtigen Hund gestaltete sich dann doch komplizierter als beide gedacht hätten. Ein Welpe sollte es sein, da waren sie sich einig. Sie besuchten einige Züchter, mussten aber schnell feststellen, wie schwierig es ist, zu unterscheiden, ob sie nun bei einem verantwortungsvollen oder unseriösen Vertreter dieser Zunft gelandet waren. Außerdem waren sie verwundert, dass man so lange warten musste, da der Labrador ein sehr beliebter Hund ist.

Sabines Freundin Anne konnte die Idee, einen Hund vom Züchter zu kaufen, eh nicht nachvollziehen. Die Tierheime sind voll und Hunde gibt es eh schon zu viele. So reifte in den beiden der Gedanke, dass sie einem armen Tropf aus dem Tierschutz adoptieren wollten. Einem armen Geschöpf etwas gutes zu tun, das gefiel ihnen. Und dann kam Paul, der zu dem Zeitpunkt noch Hope hieß, bzw, erstmal seine Geschichte:

Hope ist ein Labrador-Mix und hat in seinem kurzen Leben sicherlich nichts gutes erlebt. Tierquäler haben dem armen Kerl beide Ohren abgeschnitten und ihn vermutlich ausgesetzt. Esperanza, unser Tierschutzengel vor Ort, fand die traurige Seele abseits der Straße im Nirgendwo. Ganz auf sich allein gestellt. Bestimmt wurde Hope geschlagen, denn er ist Menschen gegenüber sehr ängstlich. Aber mit viel Liebe und Verständnis kann auch Hope lernen, dass es DEN Menschen gibt, der seine zerstörte Seele aufbaut und ihm Geborgenheit gibt. Sind Sie dieser Mensch? Wollen Sie Hope zeigen, dass es auch Freude im Leben gibt? Hope ist geimpft, gechippt und kastriert.

Die Fotos waren etwas undeutlich, aber es war deutlich zu erkennen, wie melancholisch der arme erst 6 Monate alte Hund dreinschaute. Sabine und Michael hatten sich verliebt. Also griff Sabine zum Telefon und rief sofort die unter Anzeige angegebene Telefonnummer an.

Die Dame am Telefon erklärte ihr, dass Hope sich noch im Tierheim befinden würde, aber schon bald ausreisen könne. Vorher müssten Sabine und Michael aber eine Vorkontrolle über sich ergehen lassen, um zu prüfen, ob sich Hope bei ihnen auch wohlfühlen würde. Kein Problem, sagte Sabine, schliesslich hatten sie ja nichts zu verbergen.

Schon zwei Tage später klingelte es an der Tür und eine weitere Dame stellte sich als Helferin des Vereins vor. Gemeinsam gingen Sabine, Michael und die Dame einen Fragebogen durch. Sabine fand das gut, immerhin kümmerten sich die Tierschützer darum, wo die Tiere schliesslich landen. Michael waren die Fragen ein wenig zu persönlich und außerdem konnte die Dame nichts zu Hope sagen.

Noch am selben Abend rief der Tierschutzverein an, toll, dass die Vorkontrolle so positiv war. Einer Adoption stand nichts mehr im Wege. Sabine überwies die fällige Schutzgebühr und schon am nächsten Samstag abend würde Hope, den sie nun in Paul umgetauft hatten, Teil ihrer Familie sein. Abends lagen beide im Bett und waren ein bisschen stolz auf sich. Bald wären sie Hundebesitzer und nach der Vorkontrolle waren sie sich sicher – er würde schön.

Den Tag vor Pauls Ankunft verbrachten Sabine und Michael in den Zoofachgeschäften im Umkreis. Allenthalben ernteten sie Bewunderung für diese gute Tat, einzig eine ältere Frau murmelte etwas von überfüllten deutschen Tierheimen und von Krankheiten.

Damit sich Paul von Anfang an wohlfühlen würde, kauften sie alles, was ein Hund benötigt:

Eine 2m-Leine, eine 3-Meter-Leine, eine Flexi-Leine, eine Schleppleine, ein Geschirr, ein Button für das Geschirr mit der Aufschrift „Der tut nix“, ein Button für das Geschirr mit der Aufschrift „Blondenführhund“ (Michael fand das unglaublich witzig), ein Halsband, zwei Näpfe, ein Hundebett, ein Gitter fürs Auto, einen Reisenapf, eine Kuscheldecke für unterwegs, eine Kuscheldecke für den Kofferraum, ein weiteres Hundebett für Michaels Büro, einen Hundekamm, eine Hundezahnbürste, ein Plüschtier (genauer gesagt zwei, weil Sabine dieses eine so toll fand), ein Quietschie, einen Ball, eine Ballschleuder zum Ball, ein Buch “ Clickern“, einen Clicker, Ein Buch „Apportieren“, ein Apportel, einen Futterbeutel, ein Buch „Welpenerziehung“, einen Sack Junghunde-Futter, 12 Dosen Dosenfutter, vier Tüten Leckerchen, Kauspielzeug, Zwei Tüten Zahnreinigungskaustangen, Kaustangen, einen Hundemantel (schliesslich war es ja kalt in Deutschland), einen Halsbandanhänger mit einem eingravierten „Paul“, einen Kotbeutelbeutel und drei Rollen Kotbeutel.

Den Abend vor Pauls Ankunft verbrachten Sabine und Michael damit, im Telefonbuch und im Internet nach Hundeschulen, Tierärzten, Hundepensionen und Hundesitter zu recherchieren. Man weiss ja nie, besser man ist vorbereitet.

Dann war es Samstag, der große Tag: Wie verabredet waren Sabine und Michael pünktlich um 22:30 Uhr am Treffpunkt, einer Autobahnraststätte. Neben ihnen waren noch einige andere Leute da. Außerdem noch eine Dame, die wohl vom TIerschutzverein war und ständig mit irgendwem telefonierte. Es war kalt an diesem Abend, es hatte geregnet und auf dem Parkplatz spiegelten sich die Schatten der Wartenden im Laternenlicht.

„Es wird etwas später“ teilte die Helferin des Vereins mit. Der Transporter stünde im Stau und sei gerade erst in Dingenskirchen losgefahren. Also setzen sich Sabine und Michael in die Raststätte, gemeinsam mit einem Pärchen, das sie eben kennengelernt hatten. „Oh, wie süß, ein Labbi-Mix.“ „Und Ihrer? Oh, ein kleiner Boxer, der ist ja niedlich.“

Eine gute halbe Stunde später war es dann soweit. Ein großer Transporter fuhr auf den Parkplatz, hielt an und zwei sichtlich übermüdete Damen stiegen aus. Kurzer Smalltalk, wie war die Fahrt, ach doch so lange? Dann sind’se jetzt bestimmt froh, wenn Sie nach Hause kommen.

Die beiden Transporterfahrerinnen nestelten in einem Beutel mit Impfausweisen und jeder der Wartenden erhielt den Ausweis zum Hund. Dann öffneten sie die Seitentüre des Busses und Sabine konnte einen ersten Blick auf Paul werfen. „Hope“ stand da auf einem Blatt Papier, dass an die große Transportbox geheftet war. Und im Schein der Taschenlampe konnte sie einen Blick auf seine bernsteinfarbenen Augen werfen. Sabine war aufgeregt, griff nach Michaels Hand und spürte ein Kribbeln im Bauch, das sich ein wenig wie die erste Liebe anfühlte.

Eine der beiden Fahrerinnen nahm Sabine das Geschirr aus der Hand und öffnete die Transportbox. „Oh, das ist aber ein bisschen eng“ kicherte die Dame, als sie Paul aus dem Bus hievte.

Da stand er also. Willkommen Paul.

Hier geht es zum zweiten Teil von „Paul, der Labbi-Mix“