Einer geht noch: „Vollhorst“

Bevor ich mich in die Osterfeiertage verabschiede, noch eine kleine „Anekdote“ aus dem Tierschutzalltag …

Da gab es mal eine Schäferhündin, die bei uns abgegeben wurde, nachdem sie

  1. ein Kind heftig gebissen hatte
  2. sich die Besitzer nicht um Wesenstest und Sachkunde gekümmert hatten
  3. die Behörden irgendwann die Schnauze voll hatten und die Fortnahme des Hundes verordnet hatten.

Die Klischee-Vorbesitzerin fuhr an dem Vormittag samt nicht minder klischeebehafteten Lebensgefährten am Tierheim vor, in der einen Hand die Leine mit Hund, in der anderen Hand eine kleine PET-Flasche, gefüllt mit Wein. Sie schilderte den Beißvorfall, empörte sich noch über die bösen Menschen, deren Kind gebissen wurde und schnell war uns klar, dass es besser war, dass der Hund nun im Tierheim sitzt. So landete die Hündin also bei uns.

Nun verhält es sich mit Schäferhunden im Tierheim so, dass sie bei Interessenten ungefähr so begehrt sind wie die Zeitung von gestern. Dafür gibt es sehr viele davon. Wenn sie dann auch noch auffällig geworden sind, kann man das Thema Vermittlung nahezu abhaken. Immerhin muss der Hund und damit der neue Besitzer mit dem Stigma „gefährlich“ ein Leben lang klarkommen und ich kann verstehen, dass sich kaum jemand freiwillig so etwas antut.

Umso erfreuter war ich, als dann eines Abends das Telefon klingelte und ein Herr sich nach Maya erkundigte. Er hätte schon einen Rüden, einen echten Prachtkerl. Schon seit 25 Jahren würde er Schäferhunde halten und man könne mit Fug und Recht behaupten, dass er Ahnung hat. Das klang erstmal nicht schlecht.

„Wie sieht es denn mit Kindern in Ihrer Familie aus? fragte ich. „Oder leben Kinder in ihrem unmittelbaren Umfeld? Die Hündin darf auf keinen Fall zu Kindern vermittelt werden, da sie diese angeht und ein Kind bereits heftig gebissen hat.“

Nein, nein, versicherte mir der Herr, Keine Kinder in der Familie oder im engen Freundeskreis. Auch in der Nachbarschaft eher wenige Kinder. Außerdem sei das Grundstück gut umzäunt, das hätte er im Griff. Gut, dachte ich und vereinbarte mit dem Herrn, dass ich jemanden suche, der bei ihm eine Vorkontrolle machen würde. Immerhin wohnte er 300 Kilometer weit weg, aber so ein Platz ist Gold wert, im Zweifel hätte ich den Hund dahin getragen!

Einige Telefonate später erklärte sich meine gute Bekannte Gabi bereit, den Besuch zu machen. Der Herr wohnte zwar auch nicht gerade in ihrer Nachbarschaft, aber 90 km einfache Strecke waren zu verschmerzen. Alles für den Hund, alles für den Klub! Und wie beschrieben, eine sachkundige Endstelle für einen als gefährlich eingestuften Schäferhund, das ist wie ein Sechser im Lotto!

Was dann folgte habe ich bis zu dem Zeitpunkt und auch danach nie wieder erlebt. Am Abend nach dem Hausbesuch rief Gabi mich noch an und eröffnete das Telefonat mit den Worten: „So ein Vollhorst!“.

Der Termin hatte zunächst ganz gut angefangen, der bereits im Haushalt lebende Rüde zeigte sich von seiner netten Seite und machte einen propperen Eindruck. Der Herr erzählte von seiner Erfahrung mit Schäferhunden, dass schon sein Großvater welche gehabt hätte und das sein Rüde ein echtes Prachtexemplar wäre.

Auf die Frage nach Kindern wiederholte er das am Telefon gesagte, keine Kinder im Haus, keine Kinder in der Nachbarschaft, alles tutto paletti. Auf die Frage nach dem Sandkasten im Garten, wusste er zu berichten, dass früher, die Vorbesitzer wohl Kinder gehabt hätten, er müsse im Garten noch was machen, der Sandkasten kommt noch weg.

Eigentlich alles in Ordnung, dachte sich Gabi und wollte gerade wieder los, als plötzlich oben am Treppenansatz ein kleines Mädchen neugierig auf sie runterschaute. „Datt glaubbich getz ja nich“ rutschte es Gabi im feinsten Ruhrpottslang raus, bevor sie sich noch verabschiedete und nach Hause fuhr.

„Der hat tatsächlich seine Tochter versteckt, sach mal, hat der ne Macke?“ fragte Gabi und ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich ruf ihn mal an und hör mir an, was er dazu zu sagen hat“ erwiderte ich und war froh, dass dieser Schwindel aufgefallen war.

Am Telefon zeigte sich der Herr sehr erbost, als ich ihm mitteilte, dass er die Hündin nicht bekommen würde. Was mir einfallen würde, er hätte Fünfundzwanzig Jahre Erfahrung, er hätte bisher noch jeden Hund erzogen und überhaupt, es wäre doch sein Risiko. „So eine Frechheit“ brüllte er noch und legte auf. Uff, dachte ich mir und habe zum ersten Mal einen Interessenten in der „Schwarzen Liste“ eingetragen.

Ich habe etwas gebraucht, um zu verstehen, was in dem Schädel von dem Typen vorgeht und wie man ihm hätte klarmachen können, dass es wirklich keine gute Idee ist, diesen Hund mit einem Kind zusammenzubringen. Vielleicht vortanzen, oder in ein Gedicht verpacken … Vielleicht hätte man das auch aufmalen können. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er dermaßen davon überzeugt war, dass er die Schäferhundeerziehung erfunden hat, dass im Falle eines Bisses der Hündin bestimmt die Tochter schuld gewesen wäre.

In dem Sinne hatte Gabi recht: Vollhorst!

„Plörg“

Eine der großen Frage in Sachen Hundeerziehung ist die nach dem perfekten Beifuss.

Als ich letzten Sommer mal einige Mitglieder eines Hundevereins unter fachlkundiger Aufsicht beim Trainieren beobachten durfte, konnte ich endlich mal sehen, wie es die Profis machen. Eigentlich ganz einfach:

Eine Handvoll Leckerchen in den – eigenen – Mund gestopft, ein freundliches „BeiFuff“ und – plörg – dem Hund ein Leckerchen ins Maul gespukt.

Hund frisst, Hund guckt, weiter geht’s. Plörg – feiner Hund! So liefen die Protagonisten des Erziehungskurses einige Zeit über den Platz, sagten „BeiFuff“ und plörkten vor sich hin. Die Hunde fingen den Keks, frassen und guckten. Plörg, ein seltsames Schauspiel.

Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir vor, wie die stolzen Halter eines Deutschen Schäferhundes diese Übung nach draussen transportierten. Hunde lernen ja ortsverknüpft und so. Und ein perfektes Beifuss macht erst richtig Eindruck, wenn es auch andere mitbekommen. Also wird geübt. Spaziergang durch die Innenstadt: Beifuss in der Fussgängerzone, den Mund voller Leckerlie – plörg – Hasso fängt, frisst und himmelt seinen Besitzer an. „BeiFuff“ – plörg – toller Hasso. Tolles Frauchen. So ne Art lebender Futterspender.

Man sollte die Übung idealerweise in einer fremden Stadt machen, denn wenn man mit vollem Mund gerade mitten Training von jemanden angesprochen wird, könnte das für einige Irritationen sorgen.

Übrigens, die Profis nehmen für diese Übung Fleischwurst, Anfänger nehmen Frolic …

Paul, der Labbi-Mix (5)

drohen

Heinz war ein Handwerker, wie er im Buche steht. Einer, der anpacken konnte, erdig war und stolz auf sein kleines Unternehmen. Die Gründung seiner Firma, die sich auf Renovierungen und Innenausbau konzentrierte, war vor 10 Jahren aus der Not heraus geboren. Mittlerweile hatte er zwei Arbeiter angestellt und konnte ganz gut mit dem auskommen, was die Firma so abwarf.

Er nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und schaute auf die Uhr. Viertelnachsieben. Um Acht Uhr hatte er den Termin bei diesem jungen Paar. Tapezieren, Streichen, Fussboden verlegen. Nichts besonderes. Heinz zog sich seine Arbeitsjacke an und stieg in seinen Bulli. Er war etwas früh dran und würde die Zeit vertrödeln, in dem er sich beim Bäcker noch ein Brötchen und die Tageszeitung holen würde. Außerdem dachte er sich, besser zu früh als zu spät.

„Oh, ist es schon spät?“ dachte Sabine, als sie im Halbschlaf auf den Wecker schaute. Schlagartig saß sie aufrecht im Bett. „Mist, wir haben verschlafen.“ Sofort weckte sie Michael, der sich verwundert die Augen rieb. Zwanzigvoracht, bald käme der Handwerker. Ausgerechnet heute, das letzte Mal, als sie verschlafen hatte, hatte sie noch studiert und abends zuvor ein bisschen zu viel getrunken.

Schnell zog Sabine sich ein paar Sachen über, die in greifbarer Nähe waren, wusch sich kurz das Gesicht und schnappte sich Paul, der noch dösend auf dem Sofa lag und sie gelangweilt ansah. In zehn Minuten kommt der Handwerker und Paul soll doch im Schlafzimmer bleiben. Also, schnell vor die Tür, der Morgengassigang würde heute sehr kurz ausfallen müssen.

Heinz war derweil froh, dass er direkt vor der Tür des Mehrfamilienhauses einen Parkplatz gefunden hatte. Er kramte seinen Werkzeugkoffer aus dem Bulli. „Niemals mit leeren Händen eine Treppe gehen“ waren die Worte seines Meisters gewesen, als er noch in der Ausbildung war. Er musste schmunzeln.

Es gibt Zufälle im Leben, die könnte man als Schicksal bezeichnen. Wäre Heinz an dem Morgen nicht so früh dran gewesen, wäre er beim Bäcker nicht sofort bedient worden, hätte auf den Straßen mehr Verkehr geherrscht und hätte er nicht einen Parkplatz direkt vorm Haus gefunden, dann stünde er nicht genau in diesem Moment vor der Haustür und klingelte.

Hätte Sabine nicht verschlafen, hätte sie sich nicht das Gesicht gewaschen, ein paar Klamotten übergezogen, die gerade in Reichweite waren und hätte sie Paul noch im Flur angeleint, dann wäre sie nicht genau in diesem Moment mit ihrem Hund im Treppenhaus unterwegs.

Und hätte Michael nicht direkt im Flur gestanden, als es klingelte, wäre er etwas wacher und aufnahmefähiger gewesen und einen Blick auf den verwaisten Korb von Paul geworfen, dann hätte er bestimmt nicht den Türsummer betätigt.

Später würde Sabine sagen, dass alles so schnell gegangen ist, dass sie erst später realisiert hatte, was da eigentlich passiert ist. Heinz würde sagen, dass er eigentlich keine Angst vor Hunden hätte, schliesslich wären viele seiner Kunden Hundebesitzer und man müsse sich damit arrangieren. In dem Moment aber, da hatter er Angst. Angst um sein Leben. Wie es jetzt weiter gehen würde? Erstmal abwarten, was die Ärzte sagen und hoffen, dass die Versicherung für den Verdienstausfall aufkommen würde. Der Hund könne ja nichts dafür, war halt dummer Zufall.

Der Nachbar, der durch den Lärm aufgeschreckt wurde und das Szenario beobachtete, der würde sagen, dass er es immer gewusst hätte. Das es unverantwortlich ist, dass eine solche Bestie in dem doch sonst so friedlichen Haus leben würde. Schliesslich wohnten hier auch alte Leute und Kinder. Und überhaupt, die Frau erwartet doch selber Nachwuchs. Das geht so nicht. Die anderen Nachbarn, denen er in den folgenden Tagen von Paul berichtete, sahen das ähnlich. So geht das nicht, der Hund stellt eine Gefahr für die Menschen hier dar. Man muss mal doch was tun.

Am Abend des selben Tages hatte Esperanza sehr viel zu tun. Sie kam mit ihrer Arbeit nicht voran. Es mussten passende Transportboxen gefunden, aufgebaut und so stabil wie möglich im Mietbus festgzurrt werden, sie musste Impfausweise überprüfen und ggf. nachstempeln, jeder Hund benötigte ein Halsband und so weiter und so fort.

Spätestens um Zwölf Uhr wollten die Tierschützer aus Deutschland losfahren. Vor ihnen lagen knapp Zweitausend Kilometer. Laut Wetter-App würde sich die Hitze heute in Grenzen halten, der Plan war, möglichst schnell durchzufahren. Am nächsten Vormittag warteten die Adoptanten an der Autobahnraststätte auf ihre Schützlinge. Die Route würde sie die Autopista 7 bis Barcelona, dann durch Frankreich durch, über den Grenzübergang bei Mühlhausen bis in den Süden Deutschlands. Sie würden sich mit dem Schlafen abwechseln, möglichst wenig Pausen machen und größere Raststätten nur zum Tanken anfahren.

Nun war es schon Viertelnachzwölf und endlich konnten die zweiundzwanzig Hunde verladen werden. Der Laderaum war für die Boxen zu eng, so dass diese gestapelt werden mussten. Für die Welpen musste noch eine „Leihmutter“ gefunden werden, da sie noch keine zwölf Wochen alt waren und deshalb nicht ohne Muttertier reisen durften. Mangels passender Hündin wurde kurzerhand ein Rüde, der eine gewisse Ähnlichkeit zu den Kleinen aufwies, zum Muttertier ernannt.

Mit einer Dreiviertelstunde Verspätung startete der Transport in Richtung besseres Leben. Das laute Gebell vestummte nach wenigen Minuten. Nur ein Welpe kläffte in einer Tour weiter. Die Tierschützerinnen mussten schmunzeln. „Einer ist immer dabei, der keine Ruhe gibt.“

Schon nach einer Stunde musste der Transport eine Pause einlegen. Die Wetterinformationen aus dem Smartphone stimmten nicht mit der Realität überein. Es war sehr heiß, die Mittagssonne strahlte erbarmungslos auf den Sprinter und so mussten die beiden Damen anhalten, die Hunde mit frischen Wasser versorgen und den Innenraum lüften. Die meisten Hunde waren wohlauf, lediglich den Welpen machte die Hitze zu schaffen und sie lagen apathisch hecheln in ihrer Box.

Die Tierschützerinnen überlegten, was zu tun sei. Umdrehen unmöglich, immerhin warteten die neuen Besitzer bereits in einigen Stunden auf ihre Hunde. So tränkten sie einige Handtücher in kaltes Wasser, um den noch jungen Hunden etwas Kühlung zu verschaffen. „Wir müssen schnell aus der Hitze raus.“ Nun war es Halb Drei, noch mindestens vier Stunden, bis die Temperaturen sinken würden.

Als wenn es eine kühlende Wirkung hätte und die Temperaturen dadurch schneller erträglich würden, trat die Fahrerin aufs Gas. Schnell nach Deutschland.

Zwei Tage später wurde eine süddeutsche Regionalzeitung über eine gemeinse Aktion des Veterinär- und Ordnungsamtes berichten. „Illegaler Welpentransport gestoppt“ würde die lauten und der Redakteur würde beschreiben, dass zwei Frauen mittleren Alters ohne Genehmigung Hunde zum Verkauf nach Deutschland transportiert hatten. Die Tiere wären in einem schlechten Gesundheitszustand gewesen und es gäbe Ungereimtheiten bei den Unterlagen. Der Zugriff erfolgte auf einer Autobahnraststätte. Die Hunde seien beschlagnahmt worden und befänden sich nun im örtlichen Tierheim, in dem sich „die Mitarbeiter um die teilweise kranken und verstörten Hunde kümmern“ würden, wie es hieß.

Jemand hatte die Behörden informiert. Gegen die beiden Damen wurde Anzeige wegen Verstosses gegen gleich mehrerer Paragraphen des Tierschutzgesetzes erstattet und sie müssten jetzt mit einer Geldstrafe von bis zu 25.000 € oder sogar einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Auch von den Adoptanten wurden die Personalien festgestellt. Später würde eine sagen, dass sie sich wie eine Kriminelle vorgekommen sei.

Wie Kriminelle kamen sich auch Sabine und Michael vor. In den Tagen, nachdem Paul den Handwerker Heinz gebissen hatte, spürten sie, dass sie nicht mehr willkommen waren. Die Nachbarn sahen die beiden verständnislos an und sie merkten förmlich, wie hinter ihnen getuschelt wurde. Sabine hatte Heinz im Krankenhaus besucht, glücklicherweise hatte dieser seinen Humor nicht verloren und sagte zu, dass er von einer Anzeige absehen würde.

Sein Arm war eingegipst und pochte ganz schön. Das Krankenhaus nervte ihn gewaltig, den ganzen Tag nur rumsitzen, zwei Infusionen, den Rest der Zeit verbrachte er damit, fernzusehen oder in der Cafeteria rumzusitzen und eine nach der anderen zu rauchen. Die Ärzte hatten ihm gesagt, dass er am Wochenende vielleicht nach Hause könne. Das Infektionsrisiko sei bei Hundebissen nunmal enorm, deshalb müsse er noch etwas ausharren. Ungefär vier Wochen würde er nicht arbeiten können. Schöne Scheisse, zumal seine Arbeitsunfähigkeitsversicherung erst ab dem 40. Tag zahlt.

„Ach komm schon, das kriegen wir irgend auch so gedeichselt.“ Heinz‘ Schwager sah das anders. „Du hast gar keine andere Wahl, was willst du denn der Versicherung erzählen? Das Du in das Maul von dem Hund gefallen bist? Du hast mindestens vier Wochen kein Einkommen. Wenn Du nicht pleite gehen möchtest, musst du das zur Anzeige bringen und Schadensersatz einfordern.“ Heinz leuchtete das ein, aber er hatte ein ungutes Gefühl dabei. Die junge Frau hatte sich vielmals entschuldigt und so schlimm war die Verletzung jetzt auch nicht. Sicher, sie hätte besser aufpassen müssen. Aber jeder macht mal was falsch.

Außerdem waren ihm diese ganzen Behörden zu wider. Seitdem er mit dem Bauamt Ärger wegen seiner Lagerhalle gehabt hatte, konnte er diese Sesselpubser nicht mehr ausstehen. Aber sein Schwager hatte recht, wenn er nicht pleite gehen wollte, musste er was unternehmen.

(Fortsetzung folgt)

Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 6.

 

 

 

Für Ostern

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Bald ist ja Ostern, langes Wochenende und Zeitumstellung gleichzeitig, Wem das noch nicht reicht, dem möchte ich ein bisschen was zum Lesen empfehlen. Für die viele freie Zeit, die so ein Feiertag mit sich bringt. Kleiner Tipp an alle Eltern, einfach die Eier etwas besser verstecken und die Ruhe geniessen, während die lieben Kleinen ganz automatisch eine Lektion in Sachen Frusttoleranz erlernen dürfen … Gleichzeitig natürlich motivierend auftreten: „Kevin und Jaqueline, ihr schafft das! Ihr könnt Bundeskanzlerin und Austronaut werden, wenn Ihr es nur wollt!“ Tschaka.

Aber zurück zum eigentlichen Thema:

Dank der Deutschen Digitalen Bibliothek und Scholar Google steht es jetzt ja sogar selbst gescheiterten Sozialpädagogen wie mir zu, über meinen Fachbereich hinaus in Dissertationen, Forschungsergebnissen und Studien zu blättern. Für Menschen, die es gewohnt sind wissenschaftliche Texte zu lesen, bietet sich viel spannendes rund um den Hund und seinen Vorfahren, für Leute wie mich empfielt sich, immer www.duden.de geöffnet zu halten.

Auf der Webseite der Uni Kiel findet sich zum Beispiel die Dissertation von Eva-Maria Meyer zum Thema „Untersuchungen zum Lautäußerungsverhalten von Wölfen (Canis lupus L.) und Haushunden (Canis lupus f. fam.) unter den Bedingungen der Gruppenhaltung“. Ich will nicht zu viel verraten, aber keines der Tiere hat auch nur einmal „Feinfeinfein“ geäußert, aber das ist bestimmt nur in der Untersuchung untergegangen …

Wirklich großartig fand ich die Dissertation von Silke Plagmann (ebenfalls Uni Kiel) zum Thema „Experimentelle Untersuchungen zu kognitiven und sozialen Mechanismen der Kooperation an je einer Gruppe Europäischer Wölfe (Canis l. lupus L.) und Deutscher Schäferhunde (C. lupus familiaris) unter Gehegebedingungen – Eine Fallstudie“.

Gleich zwei Untersuchungen zu Border Collies finden sich mittel Scholar Google in der elektronischen Bibliothek der TiHo Hannover:

  1. Vergleichende Verhaltensentwicklung von Junghunden (3.-10. Lebensmonat) der Rasse Border Collie unter verschiedenen Nutzungsbedingungen von M.Lambrich
  2. Umweltbedingte und genetische Einflüsse auf Merkmale der Leistungsprüfung beim Koppelgebrauchshund Border Collie von U. Hoffmann

Isabell Gutmann studierte in Mainz und legte folgende Arbeit zur Erlangung ihrer Dissertation vor: Verhaltensphysiologische Experimente zur Erkennung und Unterscheidung menschlicher Gesichter beim Haushund (Canis familiaris).

Eine Frau Rabe mit gleich vier Vornamen hat zu folgendem Thema dissertiert: „Katalogisierung von Phänotypen, Genotypen und Gentests molekulargenetisch charakterisierter Erbfehler beim Haushund (Canis familiaris).“ Und zwar an der LMU München.

Wer es weniger wissenschaftlich, aber dafür mehr im gesellschaftlichen Kontext der jeweiligen Zeit mag, dem empfehle ich das Archiv des Spiegels, in dem sich Perlen wie diese finden: „Der Kumpel, der in mir lebt“ aus der Ausgabe 5/1976, hier der Textlink.

Wie dem auch sei, zu Lesen gibt es eine Menge: Also los – Dienstag wird abgefragt 😉

Ps.: Wer einen tollen Link findet, darf ihn gerne der Gemeinde mitteilen …

Paul, der Labbi-Mix (4)

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„Nachwuchs. Schon wieder.“ Esperanza lebte in einem kleinen Ort im Norden von Spanien und betrieb, seit dem sie sich zur Ruhe gesetzt hatte, ein kleines Tierheim. Die 62-jährige seufste, nahm das Bündel neugeborener Welpen in den Arm und brachte es erst mal ins Warme. Heute nacht war es empfindlich kalt gewesen und die kleinen waren unterkühlt. Sie würde die Welpen mit der Flasche großziehen müssen.

In jüngeren Jahren hatte Esperanza einige Zeit in Deutschland studiert und schliesslich als Deutschlehrerin in Barcelona gearbeitet, bis sie mit ihrem Mann in den Norden gezogen war. Die Idee mit dem Tierheim war eher zufällig entstanden, Esperanza war schon immer tierlieb und als sie aus dem Beruf ausgestiegen war, fing sie irgendwann gemeinsam mit einer Freundin an, die Straßenhunde der Umgebung anzufüttern, einzufangen, zu kastrieren und wieder auszusetzen.

Schon bald hatte sich rumgesprochen, dass die beiden Damen sich um herrenlose Hunde kümmerten und mit der Zeit brachten immer mehr Anwohner Hunde und Katzen zu Esperanza. Glücklicherweise verfügte die Finka über ein großes Grundstück. So lebte seit einigen Tagen eine verletzte Hündin in den Hecken hinter dem Pool. Jeden morgen fütterte Esperanza das scheue Tier an und war sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis sie sich dem Hund soweit nähern könnte, dass eine tierärztliche Untersuchung möglich wäre.

Nach kurzer Zeit jedoch stiegen die Kosten in so schwindelerregende Höhen, dass sich die beiden Tierschützerinnen etwas überlegen mussten. Über ein Internetforum traten sie in Kontakt zu einer privaten Tierschutzgruppe, die sich seit dem um die Vermittlung der Hunde kümmerte und ein- bis zweimal im Monat mit einem großen Transporter vorfuhr, um die Hunde, die ein Zuhause gefunden hatten, abzuholen. Mit den 40 Euro, die sie von den Deutschen für jeden Hund bekam, konnte sie zwar nicht die Kosten für Versorgung, Impfungen, Kastrationen usw. decken, aber immerhin, besser als nichts.

Einmal hatte Esperanza nachgefragt, ob es möglich wäre, den Preis etwas zu erhöhen. Doch ihre Ansprechpartnerin hatte ihr glaubhaft versichert, dass die Tierschützer dermaßen hohe Kosten zu bewältigen hätte, dass das nicht möglich wäre. Außerdem gäbe es viele Tierheime in Spanien und anderswo, die gar kein Geld für die Hunde bekämen. Die Chancen, einen Hund in ihrer Nachbarschaft zu vermitteln, waren eher gering und so war Esperanza auf die Hilfe der Gruppe angewiesen.

In den letzten Jahren hatten sich in der Gegend einige deutsche Ruheständler niedergelassen. Die waren hier nicht besonders gern gesehen. Kein Wunder, viele von ihnen hatten das Platzen der Immobilienblase in Spanien genutzt, um günstig Eigentum zu erwerben. Unter Androhung einer Zwangsvollstreckung hatten viele der ehemaligen Besitzer lieber schnell verkauft, um so wenigstens einen Teil der Schulden zahlen zu können und den Verlust in Grenzen zu halten.

Eine dieser Ruheständlerinnen war Roswita, Ehefrau eines ehemaligen Kaufmannes aus Düsseldorf. Vor etwa einem Jahr stand sie morgens vorm Tor von Esperanzas Anwesen und hatte gefragt, ob sie Hilfe gebrauchen könnte. Natürlich, gerne. Und so verstärkte Roswita das Team um Esperanza.

Roswita fuhr oft die Gegend ab und sammelte Straßenhunde ein, die sie fand. Leider manchmal auch Hunde, die eigentlich jemanden gehörten, aber nach dem Dafürhalten der Deutschen unter inakzeptablen Umständen lebten.

Esperanza wusste, dass Roswita es nur gut meinte, doch war sie es, die mit den Anfeindungen der Nachbarn leben musste. Sie hatte versucht, ihrer Helferin zu erklären, dass sich die Hundehaltung in diesem Teil von Spanien deutlich von dem unterschied, wie Hunde in Deutschland lebten. Und das sie nicht möchte, dass es Streit mit den Bauern der Umgebung gäbe. Und natürlich, dass es Diebstal ist, einfach einen Hund mitzunehmen.

Erst vor einigen Monaten stand ein zorniger Mann vor Ihrem Haus und wollte in das Grundstück eindringen. Er war außer sich vor Wut, brüllte Esperanza an, dass sie seine Hunde rausrücken solle. Das sie eine Diebin sei und das sie was erleben könne. Die Spanierin sagte, dass sie die Hunde nicht hätte und eigentlich war das nichtmal gelogen. Sie hatte die Hunde nicht mehr, denn sie waren kurz vorher nach Deutschland transportiert worden.

Wutschnaubend war der Mann schliesslich abgezogen und hatte noch gedroht, dass sie sich ja niemals seinem Grundstück auch nur nähern sollte …

Sich Paul zu nähern stellte sich in diesen Tagen wiederrum etwas schwierig dar, insbesondere in Verbindung mit Sabine. Michael hatte das Gefühl, dass der mittlerweile 45 Kilo schwere Rüde ganz genau durchschaut hatte, dass sie schwanger war und seine Aufgabe darin gefunden hatte, sie vor allem Unglück dieser Erde zu schützen. Wenn Sie mit dem Hund unterwegs war, musste er sich wenigstens keine Sorgen machen. Zumindest nicht um Sabine. Fremde durften sich ihr nicht nähern, aber das hatte auch keiner vor. Paul zeigte durch seine Haltung und seinen Blick ganz klar, dass man besser auf Abstand blieb.

Auch in der Wohnung akzeptierte Paul nur solche Besucher, die er kannte. Sabine und Michael hatten sich damit arrangiert. Denn seinen Besitzern gegenüber war Paulchen einfach nur nett und zeigte sich als ruhiger und verschmuster Hund. Sogar die Sache mit dem Sofa hatten Sabine und Michael aufgeweicht. Hatte Paul auf Anraten des Herdenschutzhund-Experten bis Dato Sofaverbot, so konnte sich der Rüde mittlerweile eine Ecke mit eigener Decke auf der Wohnlandschaft sichern.

Überhaupt verlief das Leben der werdenden Eltern einigermaßen reibungslos.

Nur eine Sache bereitete ihnen Sorgen. In der nächsten Woche würden die Handwerker anrücken und das zukünftige Kinderzimmer renovieren. Die große Frage war, was Paul davon halten würde, wenn fremde Menschen zwei Tage lang ein und aus gehen. Einmal war es bisher passiert, dass sie nicht aufgepasst hatten. Sabine hatte dem Paketboten noch zugerufen, dass er warten sollte, doch da stand er schon im Flur. Beziehungsweise an der Wand, vor ihm Paul, der ihn mit einem kräftigen Schubser dahin verfrachtet hatte und ihn nun bedrohlich anknurrte. Sabine wunderte sich heute noch, wie laut sie „Aus!!!“ brüllen konnte.

Der Versuch, den Hund vorübergehend in einer Hundepension unterzubringen, war an dem Versuch gescheitert, Paul der Pensionsinhaberin vorzustellen. Sie war nett fanden Sabine und Michael, Paul jedoch nicht. Und so beschlossen sie, dass Paul im Schlafzimmer bleiben würde, so lange die Handwerker im Haus sind.

(Fortsetzung folgt)

Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3 und zu Teil 5 von „Paul, der Labbi-Mix“.

Nichts als die halbe Wahrheit

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„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ So steht’s geschrieben, gleich im 1. Paragraphen des TierSchG, wie das Tierschutzgesetz so lustig abgekürzt wird. Worüber noch keine Einigkeit herrscht, sind die Fragen, was Schmerzen, Leiden und Schäden sind und vor allem, was ein vernünftiger Grund ist. Da gehen die Meinungen weit auseinander.

So gibt es einen vernünftigen Grund für Schmerz, Leid und Schäden, wenn der geneigte kostenbewusste Konsument im Gegenzug besonders preiswerte Hühnerbrustfilets für nur Einsneunundneunzig bei Aldi bekommt.

Die Hühner 20 Stunden lang quer durch Europa zum Schlachthof zu fahren, weil die Lohnnebenkosten da so niedrig sind, stellt wiederrum keinen vernünftigen Grund dar, dass die armen Tiere leiden müssen. Deshalb unterschreibt der tierliebe Mensch auch die 8Hours-Kampagne.

Anders verhält es sich wiederrum, wenn es Hunde sind, die 20 Stunden quer durch Europa gefahren werden. Dafür gibt es schliesslich einen guten Grund. Die Hundies werden ja gerettet. Und selbstredend weiss der moderne Straßenhund von Welt, dass er in das Land, in dem Milch und Honig fliessen befördert wird, während das dumme Huhn den nahenden Tod direkt vor Augen wähnt.

Ein weiterer vernünftiger Grund, Schmerzen, Leiden und Schäden insbesondere beim Hund in Kauf zu nehmen, ist die Eitelkeit modebewusster Hundefreunde. So eine schicke krummbeinige Qualzucht macht sich einfach prima, sieht witzig aus, ist teuer und auffälliger als das neueste Smartphone. So ein kleiner Kurznasiger zum Beispiel hat den riesen Vorteil, dass jeder selbst bei absoluter Dunkelheit mitbekommt, dass man so ein Accesoire sein Eigen nennt. Er schnorchelt so witzig vor sich hin.

Das so ein Racker kaum in der Lage ist zu atmen, gerne mal nach dem Fressen umfällt nimmt man gern in Kauf. Dafür gibt es Spezialfutter und OPs. Und die moderne Veterinärmedizin macht möglich, dass sich die Tierchen  trotz viel zu schmaler Becken, zu kurzer Beine und zu großen Köpfen sogar fortpflanzen können. Naja, künstliche Befruchtung und späterer Kaiserschnitt vorausgesetzt. Aber immerhin.

Der größte Stolz des Bulldogbesitzers? Der Hund kann atmen! Was für eine Errungenschaft.

Genauso kompliziert wie die Sache mit dem vernünftigen Grund ist die Definition von Schmerzen, Leiden und Schäden.

Das jegliche Form wie auch immer gearteter Körperlichkeit ganz klar einen Verstoß gegen §1 TierSchG darstellt, haben wir ja inzwischen gelernt und haken das Thema ab.

Nun gibt es aber eine Menge Menschen, die schon den direkten Blickkontakt als Gewalteinwirkung ansehen, ein „Nein“ als inakzeptables Bedrohungsszenario ansehen und sich dem entsprechend erheiternde Methoden haben einfallen lassen, mittels virtuellen Erdbeertee und Flickendecke die absolute Harmonie in die Mensch-Hund-Beziehung zu säuseln. So wird aus dem Kommando ein Wunsch, weil Kommando schon so klingt, als würden gleich die Stachelwürger ausgepackt.

Jetzt bin ich ja ein lernfähiges Kerlchen und möchte nicht in den Verdacht geraten, ich wäre einer dieser Tierquäler. Also habe ich mit meinen Hunden den Selbstversuch gemacht, habe mich ernsthaft eingelesen in die verschiedenen heilsbringenden Methoden und habe es ausprobiert.

Hat nicht geklappt, aber war wohl klar. Wie eine junge Frau bei Facebook schrieb, man muss sich darauf einlassen können. Ich persönlich vermute ja eher, dass mein Versuch, mit hoher Fistelstimme ein einigermaßen sauberes „Hiiiiiiieeeeeea, feiiiiiiiin“ hinzubekommen, auf meine Hunde wirkte, wie ein Axtmörder, der gerade sein nächstes Opfer in den weissen VW-Bus locken will. Aber es lag bestimmt an diesen inneren Konflikt und meine Unfähigkeit, mich auf neues, besseres einzulassen.

Ich glaube, meine Hunde mögen’s eher direkt. Alttestamentarisch! Betrittst du mein Grundstück, bist Du fällig. Auge um Auge. Legst Du deinen Kopf auf, gibt’s einen auf die Mütze. Markierst Du in mein Revier. BÄM. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse friedliebenden Miteinanders sind ihnen augenscheinlich fremd, Regeln der Gastfreundschaft auch. Und Teilen erst recht. Sie sind halt Hunde und so behandeln sie ihr Gegenüber. Hart aber herzlich, so sind meine lieben Kleinen. Gerade noch wild geprügelt, jetzt schon wieder Kontaktliegen auf dem Sofa.

Und damit komme ich wieder zu der Frage nach den Schmerzen, Leiden und Schäden. Und nach dem vernünftigen Grund.

Denn, wenn man sich die Mühe macht, dieses Gesetz weiter als bis §1 zu lesen, stösst man gleich in §2 auf folgende bemerkenswerte Formulierung.

Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,

  1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
  2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden,
  3. muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.

Verhaltensgerecht heisst das Zauberwort. Und artgemäß.

Wo zum Teufel hat dieses ganze Rumgekasper, dieses „Lalala“ und „kommkommkomm“ etwas mit Verhaltensgerechtigkeit dem Hund gegenüber zu tun? Gibt es einen vernünftigen Grund dafür, Hunde wie kleine Kinder zu behandeln, die sie nicht sind? Was mittlerweile sogar soweit führt, dass sich Befürworter der gewaltfreien Erziehung genötigt sehen, sich von diesem Dummquatsch öffentlich distanzieren.

Ist es keine dauerhafte Qual für einen Hund, wenn man nicht verhaltensgerecht mit ihm kommuniziert? Wenn man ihn nicht wie einen Hund behandelt? Wenn man ihm Probleme unterstellt, die er garnicht hat und Lösungen bastelt, die er nicht versteht? Ist es nicht unfair, wenn man zum Zwecke des eigenen Wohlgefühls den Hund an schwierige Situationen vorbeitrickst anstatt ihm die Chance zu geben, daran zu wachsen? Verursacht es nicht dauerhafte Schäden, wenn man dem Hund sein Wesen und seine Art verbietet, nur damit es immer schön harmonisch bleibt? Und, ist es nicht tierschutzrelevant, den Hund mit Leckerchen vollzustopfen, anstatt sich selber in die Beziehung einzubringen?

„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ So steht es im Tierschutzgesetz.

Paul, der Labbi-Mix (3)

zambo

Bis 3 Uhr morgens stöberte Sabine in verschiedenen Foren, auf Webseiten von Züchtern und Verbänden. So erfuhr sie viel über die Herkunft der Hunde, über ihre Verwendung und über ihren Charakter. Schliesslich fand sie sogar heraus, dass Paul ein Akbaş sein musste. Der Hund auf dem Bild sah ihm zum Verwechseln ähnlich. Im Herdenschutzhunde-Forum las Sabine viel über das Zusammenleben mit diesen Hunden und über die häufigsten Probleme. Was sie beunruhigte war die Tatsache, dass fast alle Nutzer des Forums eher ländlich lebten und die meisten ein Haus mit Garten hatten. Das sei wichtig, um diesen Hunden und ihrem Wesen gerecht zu werden, stand da.

Sabine und Michael konnten Paul keinen Garten bieten, den er bewachen könnte. Sie wohnten nun seit zwei Jahren in der 3-Zimmer-Eigentumswohnung. Den Balkon, den könnte Paul gerne bewachen, mehr war leider nicht drin.

Beim Frühstück berichtete Sabine ihrem Mann von den Erkenntnissen, die die nächtliche Internetrecherche ergeben hatte. Zum einen konnte sie nun einordnen, warum sich Paul so verhielt, warum er Fremden gegenüber so reserviert war. Ernsthaft, das beschrieb es ganz gut. Nun war Paul noch jung. Ihre wirklichen Eigenschaften zeigen Herdenschutzhunde erst, wenn sie älter sind, überhaupt brauchen sie im Vergleich zu anderen Hunden recht lange, um erwachsen zu werden. Das hatte Sabine recherchiert. Und bei dem Gedanken wurde ihr etwas mulmig, schliesslich begrüsste Paul schon jetzt Besucher nicht besonders freundlich und beäugte sie kritisch.

„Naja,“ sagte Michael, „bis jetzt ist ja garnichts passiert. Ich schlage vor, dass wir uns jemanden suchen, der uns hilft, Paul zu erziehen. Es gibt doch bestimmt Spezialisten für diese Hunde. Wir suchen uns so einen und arbeiten dran.“ Sabine nickte. Noch am selben Abend setzte sich Sabine wieder an den Computer und durchforstete die Foren und Webseiten auf der Suche nach einem Experten für Herdenschutzhunde. Schliesslich wurde sie auch fündig, musste jedoch feststellen, dass der nächste, der Hilfe versprach, Eineinhalb Stunden Autofahrt entfernt wohnte. Trotzdem wollte sie seine Einschätzung hören und rief ihn noch am Abend an.

Menschen, die sich auf bestimmte Hunderassen wie Herdenschutzhunde oder auch Wolfshunde spezialisiert haben, haben häufig eines gemeinsam. Sie wohnen zumeist etwas abgelegen. So auch der Experte, den Sabine im Internet gefunden hatte. Insgesamt zwei Stunden dauerte die Fahrt durch verschlafene Dörfchen, über langgezogene Hügel und verwinkelte Straßen, bis sie endlich mit Paul den Hof erreichten.

Die vielen Empfehlungen waren nicht übertrieben. Der Mann hatte viel Ahnung, beschrieb die verschiedenen Hundetypen und konnte bildhaft erklären, wie die Anatolischen Hirtenhunde arbeiteten und worauf es bei der Erziehung ankommt. Er machte auch keinen Hehl daraus, dass Sabine und Michael sich ein ordentliches Stück Arbeit aufgehalst hatten und referierte ausgiebig über klare und verläßliche Strukturen und ebenso klare Grenzen, die ein solcher Hund bräuchte.

Sein Urteil über Paul: „Ganz toller Hund, jetzt braucht Ihr nur noch eine Herde Schafe, die er bewachen kann.“ Michael musste grinsen, aber gleichzeitig hatte er das ungute Gefühl, dass der Experte das tatsächlich ernst meinte.

Auf dem Weg nach Hause waren sich Sabine und Michael einig. Die Tipps vom Experten waren hilfreich, aber leider war er zu weit weg. Also beschlossen sie, dass sie es doch noch mal mit einem Hundetrainer versuchen wollten, auch wenn die Erfahrung aus der Junghundegruppe in schmerzhafter Erfahrung geblieben war.

Dreiunddreißig Hundeschulen. Das war das Ergebnis im Branchenbuch. Sabine war erstaunt. So viele Hunde gibt es hier in der Gegend doch garnicht, dachte sie. Michael scherzte: „Super, für jeden Hund eine.“ Der Plan war, mit jeder Hundeschule zu telefonieren und sich dann für die zu entscheiden, die die meiste Expertise über Hunde wie Paul aufwies.

Soweit der Plan, doch musste Sabine schnell feststellen, dass das nicht so einfach ist. Die ersten Telefonate liefen immer gleich ab. Eine freundliche Begrüßung, eine kurze Vorstellung der Hundeschule und des Angebotes – bis das Gespräch dann auf Paul kam. Hier war dann der Punkt, an dem die Hundeschuleninhaber dankend ablehnten. Fünfzehn Telefonate, fünfzehn mal „Nein Danke.“ So lange Paul ein Labbi-Mix war, war er willkommen. Jetzt nicht mehr. Dabei war er doch noch der selbe Hund. Irgendwann gab Sabine frustriert auf. Das schaffen wir schon. Im Forum findet man viel Hilfe, dann eben ohne Hundetrainer.

Es mussten ungefähr sechs oder sieben Monate vergangen sein, seitdem Sabine und Michael Paul bei sich aufgenommen hatten. Aus dem melancholisch dreinblickenden Teddy wurde langsam aber sicher ein beeindruckender Rüde, der mittlerweile auch begann, zu zeigen, was in ihm steckte. Besuch bekam das Paar mittlerweile selten, sie waren in ihrem Freundeskreis die einzigen Hundehalter. Pauls Bellen, sobald jemand vor der Tür stand, war wenig vertrauenserweckend und auch, wenn er nichts unternahm, wenn jemand in die Wohnung kam, hielt sich das Verständnis des Besuches ob des finster dreinblickenden großen Hundes arg in Grenzen.

Also zogen die beiden es vor, Freunde besuchen zu gehen. Wenn sich doch mal jemand angekündigt hatte, so wurde Paul ins Schlafzimmer gesperrt, sobald es klingelte. Mit der Zeit zeigte Paul immer weniger Verständnis für diese Maßnahme und pöbelte ausgiebig hinter der verschlossenen Tür. Auch der Gassigang entpuppte sich mit der Zeit als Herausforderung. Paul, der mittlerweile 39 Kilo wog, hatte eine Menge Kraft und fand es überhaupt nicht komisch, wenn sich andere Hunde in der Nähe aufhielten. Wie auch? Michael hatte mal den Versuch unternommen, mit Paul auf der Hundewiese Kontakte zu Artgenossen zu knüpfen. Leider Fehlanzeige. Die netten Hundehalter wichen den beiden aus, die weniger netten sagten direkt, dass sie verschwinden sollten. Als wenn der Park ihnen gehören würde. So zogen Michael und Paul von dannen und gingen fortan im nahegelegenen Wald spazieren. Ohne fremde Hunde und vor allem ohne unfreundliche Hundehalter.

An dem Abend kam Sabine nach Hause und war seltsam aufgekratzt. Die letzten Tage war es ihr nicht so gut gegangen, weshalb sie heute einen Arzttermin hatte. Sie kam ins Wohnzimmer, begrüßte Paul und strahlte Michael an. „Ich bin schwanger“ flüsterte sie erst so leise, dass er es kaum verstand. „Bitte was?“ Sie wiederholte die frohe Kunde, er war ganz aus dem Häuschen, umarmte sie und war glücklich.

Der Traum würde wahr werden. Sabine und Michael waren überglücklich. Die romantische Vorstellung der glücklichen Familie, die sich beide so sehr wünschten. Eine Familie wie aus dem Bilderbuch: Die beiden Kinder, ein hübsches Mädchen und ein frecher Junge, und – Paul.

(Fortsetzung folgt)

Hier geht es zum vierten Teil von „Paul, der Labbi-Mix, hier zum ersten und hier zum zweiten.

Sauköter, verfluchter!

marvel

Frau Dingens hat mir eine ziemlich empörte Mail geschickt und sich darüber echauffiert, wie ich die armen Hunde nur als Köter u.ä. bezeichnen könnte. Immerhin würden die armen Kreaturen meine ablehnende Einstellung ihnen gegenüber spüren … Und überhaupt hätte ich nicht verstanden, dass ich eine artgerechte Persönlichkeitsentwicklung der armen Tiere verhindere …

Ich bin aber auch ein Ochs. Sollte ich es mal wieder wagen, meine lieben Schnuffelwuffels tierschutzrelevanterweise eine halbe Stunde alleine zu lassen und die armen Hundchen die freie Zeit dafür nutzen, das Wohnzimmer umzudekorieren, ist das natürlich als Akt der freien Entfaltung und individuellen persönlichen Entwicklung der Fellnasen zu betrachten.

Selbiges gilt natürlich für jegliche Form jagdlicher Aktivitäten, die ja artgerecht sind und dem entsprechend in keinster Weise unterbunden werden dürfen. Sonst spüren die Lieben noch meine ablehnende Einstellung. Überhaupt, was bildet sich der blöde Mountainbiker ein, gerade da entlang zu flüchten, wo sich meine Hütehunde, oh Pardon, ich meinte natürlich „Hüties“ gerade entfalten. So ein Blödmann.

Also werde ich tief in mich ruhend mit der Aura eines Gänseblümchens am Wiesenrand stehen und meinen Hundies selbstredend ein motivierendes „Schnappt ihn Euch“ ins Ohr flöten. Sonst tragen die armen Seelen noch einen Schaden davon.

Endlich habe ich verstanden. Fremder Rüde? Hau rein, Tacker! Katze auf dem Grundstück? Gibt’s eh genug von. Vierzehnstündiges Dauerbellen? So sind sie halt. Pottdreckig die Nachbarskinder anspringen? Die kleinen brauchen Dreck, sonst werden sie später Allergiker. Mülltüte zerfetzen und den Inhalt auf dem Grundstück verteilen? Modernes Recycling. Den Nachbarn auf die Einfahrt kacken? Ist ja bio.

Nunja, die Versicherung wird uns wohl kündigen, die Nachbarn werden mit Fackeln und Forken vorm Haus stehen und unsere sofortige Auswanderung fordern. Aber die lieben kleinen sind es ja wert.

Hörn’se mal, Frau Dingens,

einer der Gründe, wenn nicht sogar DER Grund, warum wir uns hierzulande mit dämlichen Gesetzen, hundeunfreundlichen Verordnungen, piefigen Nachbarn und skrupellosen Hundehassern rumschlagen dürfen, ist die Tatsache, DASS sich so viele Hunde frei entfalten dürfen.

Das Leben ist kein Pfötchenhotel! Will ich die Akzeptanz anderer Menschen, dann muss ich Rücksicht nehmen. Das nervt, aber so ist das. Und dazu gehört eben auch, dass ich meine Köter im Griff habe.

Wenn ich das schon höre: „Der tut doch nichts.“, „Der will nur mal Hallo sagen“ und das grandiose „Jetzt stelln’se sich mal nicht so an“. Da wird mir anders, da krieg ich Ganzkörperherpes. Der Irrglaube, andere Menschen müssten total begeistert sein wenn 3o Kilo Labrador auf sie zustürmen, ist zwar weit verbreitet, aber deshalb nicht weniger falsch.

Hunde, die unkontrolliert durch die Wälder rennen, die überall hinkacken und völlig distanzlos irgendwelche fremden Menschen anspringen nerven sogar mich – was ist dann erst mit um ihre Kinder besorgte Eltern oder Leuten, die Angst vor Hunden haben? Das, was Sie als artgerecht bezeichnen, bezeichnet der größte Teil der Bevölkerung als störend! Und das zu Recht! Die Folge werden noch strengere Gesetze, noch striktere Regeln und noch piefigere Nachbarn sein.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Sie, Frau Dingens mit Ihrem sich frei entfaltenden Hund durch die Gegend laufen. Und dann kommt Ihnen wieder so ein Ahnungsloser entgegen, der seinen Köter tatsächlich maßregelt, damit der Ihre Luna nicht killt. So ein mieser Tierquäler: „Geht ja gaaaarnicht, wie könnse nur, der arme Huuuund“ höre ich Sie sagen und habe gleichzeitig die Phantasie, dass Ihnen irgendwann mal einer begegnet, der sagt „Mensch, Frau Dingens, Sie haben so recht.“ und dann seinen Hunde von der Leine lässt.

Schade um Luna, aber es geht hier um wichtigeres. Sie wissen schon, Persönlichkeitsentwicklung und so. Aber so war das vermutlich nicht gemeint.

 

Paul, der Labbi-Mix (2)

paul

Sabine brauchte einen Moment, um zu verwirklichen, dass es endlich soweit war. Endlich. Mit großen Augen schaute sich Paul unsicher um. Tatsächlich war er etwas größer als beschrieben. Aber er hatte den selben melancholischen Blick wie auf den Fotos. Dieser Ausdruck, der war es, in dem sich das Paar auf den ersten Blick verliebt hatten. Endlich griff sich Sabine ein Herz und kniete sich runter zu Paul. „Hallo Paul“ flüsterte sie leise. „Willkommen, jetzt wird alles gut.“

„Garnichts ist gut“ brüllte derweil Pablo zur gleichen Zeit etwa 2.500 Kilometer entfernt und knallte die Haustüre der kleinen Finka zu. Wütend stampfte er herunter zu den Stallungen, setzte sich in seinen Geländewagen und brauste davon. Ungefähr 15 Minuten dauerte die Fahrt zu seiner Herde. Normalerweise würde er jetzt die Ruhe nach einem harten Arbeitstag geniessen, aber seit dem Unbekannte vor einigen Tagen seine Hunde gestohlen hatten, fand er keine ruhige Minute mehr. Schon zu oft hatten irgendwelche Taugenixe die Abgeschiedenheit genutzt und Lämmer gestohlen oder seine Maschinen beschädigt. Außerdem gab es in der Gegend viele streunende Hunde, die einige Schafe gerissen hatten.

Pablo, den alle nur McEnroe nannten, weil er ein ähnlich aufbrausendes Gemüt wie der Tennisspieler hatte, war stinksauer. Ohne seine Hunde konnte er bei der Herde übernachten. Und vor allem waren es nicht irgendwelche Hunde. Lange hatte er gesucht, bis ihm ein Kollege den Tipp gegeben hatte und er endlich einen Züchter gefunden hatte, dessen Tiere fest im Wesen und zuverlässige Wächter waren.

Und viel Geld hatte er bezahlt. Aber das war nicht das Problem. Vielmehr hatte er sehr viel Zeit und Energie in die Ausbildung der Hunde investiert. Er schwor auf den Akbaş, schätzte die Zuverlässigkeit und die Selbstständigkeit, mit der diese Hunde nicht nur über die Herde wachten, sondern auch aktiv Eindringlinge bekämpfen. Besonders stolz war er auf den jungen Rüden, den er erst vor kurzem von einem Schäfer abgekauft hatte. Mit ihm hatte er große Pläne gehabt, er war begeistert von diesem treuen und dennoch ernsthaften Begleiter, der allein durch seine pure Anwesenheit jedem zu verstehen gab, dass er sich besser nicht nähert.

Pablo hatte schon Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, hatte eine Belohung ausgelobt und war stundenlang durch die Gegend gefahren. Nichts. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als bei seinen Schafen zu bleiben. Der Züchter hatte am Telefon gesagt, dass er in den nächsten Wochen einen Wurf erwarten würde. Aber bis die Hunde ihren Job machen könnten, würde mindestens ein Jahr vergehen. Ein Jahr. Verdammte Scheiße! Pablo machte es sich in seinem Land Rover so bequem, wie es in einem Land Rover möglich ist, warf einen letzten Blick auf sein Kleinkalibergewehr und legte sich schlafen. Am nächsten Morgen stellte er fest, dass drei Schafe fehlten.

An nichts fehlen sollte es derweil Paul. Die erste Nacht als Hundebesitzer war überstanden. Leider war Paul noch nicht stubenrein und hatte einige Pfützen und Haufen hinterlassen. Überhaupt schien Paul das Leben im Haus noch nicht zu kennen. Der arme Hund. Die Nacht über hatte er gewinselt und an der Tür gekratzt und bei jedem kleinen Ton gebellt. Dem entsprechend waren Sabine und Michael auch etwas übernächtigt, als sie am Küchentisch saßen und einen Kaffee mehr als sonst tranken.

Auf Anraten des Tierschutzverein hatte Michael sich zwei Wochen freigenommen. Eigentlich fand er das blödsinnig und hatte der Dame erklärt, dass er eh von Zuhause aus arbeiten würde. Aber bestimmt hatte sie recht, als sie sagte, dass es gerade zu Beginn wichtig wäre, sich viel Zeit für einen Hund mit einem dermaßen schlimmen Schicksal zu nehmen, wie Paul eines gehabt hatte.

Immerhin konnte Michael die Zeit nutzen und mit seinem neuen Mitbewohner ins  nahegelegene Zoofachgeschäft zu fahren. Denn Paul war tatsächlich etwas größer, als Sabine und er angenommen hatten.

Also packte Michael das Geschirr, das Halsband, das Hundebett, die Kuscheldecke für unterwegs, die Kuscheldecke für den Kofferraum, das weitere Hundebett für Michaels Büro und den Hundemantel auf die Rückbank und Paul in den Kofferraum des Auto und machte sich auf, die frisch erworbenen Utensilien gegen welche eine Nummer größer umzutauschen. Bzw. Zwei Nummern größer, denn der freundliche Verkäufer im Fachgeschäft erklärte Michael, dass „da noch was kommt“. Sieht man an den Pfoten, aha. Wird ein ganz schöner Brummer. Ok.

Als nächstes stand der Tierarztbesuch an. Paul durchblickte die Lage sofort und stellte sein Verhaltensrepertoire um auf „Andalusischer Esel“. Kein Bitten, kein Betteln, nichts half. Paul wollte nicht untersucht werden. Die anderen Besucher im Wartezimmer der Kleintierpraxis guckten sich das Schauspiel amüsiert an. Hilft ja nichts, dachte sich Michael, also trage ich ihn am besten rein.

Später konnte Michael nicht erklären, was der Grund dafür war, dass er mit Paul unverrichteter Dinge wieder nach Hause fuhr. Es war dieser Blick, der in ihm ein Gefühl ausgelöst hatte, dass er Paul besser nicht hochheben sollte. Ein diffuser bedrohlicher Blick. Plötzlich war ihm unwohl geworden. Sabine schüttelte mit dem Kopf. „Ist doch kein Wunder, der arme Kerl ist gerade erst angekommen. Er hat bestimmt Angst gehabt. Lass ihn sich doch erstmal eingewöhnen.“

Sanft streichelte sie Paul über seinen Kopf und Paul erwiderte die Geste, in dem er sich auf den Rücken legte und seinen Bauch zum Streicheln anbot. So ein toller Hund.

„So ein toller Hund“ dachte sich auch Pablo an diesem Abend. Aber 800 Euro? In der Gegend hatte sich natürlich rumgesprochen, was ihm passiert war. Und der Bauer, der ihm gegenüberstand wusste ganz genau, in welcher misslichen Lage er sich befand. Und nutzte das natürlich aus. In Pablo brodelte es, er spürte förmlich, wie seine Schläfen pochten und am liebsten hätte er seinem Gegenüber einen kräftigen Tritt verpasst. 800 Euro, das war ein Monatsgehalt. So ein Arsch. Aber er wusste, dass er keine Wahl hatte. In den letzten Wochen hatten Streunerköter Lämmer gerissen. Die waren so schnell, dass sie schon wieder verschwunden waren, als Pablo sich endlich aus seinem Schlafsack befreit hatte.

Nun hatte er endlich wieder einen Hund, leider keinen Akbaş, sondern einen Karabaş, ein sehr großer, ernsthafter Zeitgenosse, den sicherlich niemand so einfach stehlen würde. Er würde ihn Samsun nennen, so wie wie früher in der Türkei. Hunde so groß wie Löwen. Das passte. Nun musste Samsun nur noch lernen, die Herde zu bewachen und Pablo als seinen Herren akzeptieren.

Lernen stand am Samstag vormittag auch auf dem Programm von Paul. Ein Besuch in der Junghundestunde war angesagt. Etwas aufgeregt fuhren Sabine und Michael auf den Parkplatz des Geländes, auf dem sich die Hundeschule befand. Einige Hundebesitzer waren schon da, die Hunde tobten wild über den Platz, während sich die Besitzer angeregt unterhielten. Die Hundetrainerin kam zum Tor, begrüßte Sabine und Michael und schaute Paul freundlich an, was dieser mit Desinteresse erwiderte.

„Er ist sehr schüchtern.“ sagte Sabine, „er wurde von Tierschützern gerettet und lebt erst seit zwei Wochen bei uns.“ Die Hundetrainerin lächelte freundlich und sagte: „Naja, schüchtern finde ich ihn garnicht, er ist sehr reserviert, aber das ist für die Rasse typisch.“ Michael staunte und erwiderte, dass Paul doch ein Labrador-Mix sei und die doch eigentlich eher sehr gesellig wären. „Labbi-Mix? Nein, bestimmt nicht. Paul ist ein Herdenschutzhund, ich würde sagen, ein Kuvasz oder sowas. Naja, kommen Se erstmal rein, lassen Sie Paul an der Leine und wir gucken mal, wie er sich mit den anderen Hunden verträgt.“

Es wäre übertrieben zu sagen, dass Paul, der ja erst geschätzte 6 Monate war, unverträglich mit Artgenossen wäre. Vielmehr zeigte er keinerlei Interesse an dem Unfug, den die anderen Hunde so trieben. Eher gelangweilt schaute er sich das bunte Treiben an. Nur als ein Labbi (Michael fiel auf, dass die wirklich viel kleiner sind als ihr Paul) sich ihm etwas ungestüm näherte, zeigte Paul dem Jüngling sehr deutlich, dass er besser Abstand halten sollte. Für die Besitzerin des Aufdringlings reichte das jedoch völlig aus, um in hysterische Panik zu verfallen. Danach kamen sich Sabine, Michael und vermutlich auch Paul etwas ausgestossen vor, denn den Rest der Stunde mussten sie hinterm Wildzaun warten. Die Hundetrainerin entschuldigte sich noch etwas beschämt für die harrsche Reaktion ihrer Kundin, als die anderen Hundehalter den Platz mit geringschätzigen Blick in Richtung unseres Trios verliessen.

Beim Abendessen sprach Michael es aus: „So eine hysterische Kuh, ihr Hund hatte nicht einen Kratzer. Und hast du gesehen, wie die uns angeschaut haben? Das war das letzte Mal, dass wir in die Junghundegruppe gegangen sind.“ Sabine nickte nur mit dem Kopf und kraulte grübelnd ihren Paul hinterm Ohr.

Nach dem Essen setzte sie sich an den Rechner und begann zu recherchieren. Ein Herdenschutzhund hatte die Hundetrainerin gesagt …

(Fortsetzung folgt)

Hier geht es zum ersten Teil von „Paul, der Labbi-Mix“ und hier geht es zum dritten Teil von „Paul, der Labbi-Mix“.

Paul, der Labbi-Mix (1)

ronjaeyes

Es ist schon total erstaunlich. Wirft man einen Blick in die üblichen Tierschutzportale im Internet, könnte man den Eindruck bekommen, dass auf den Straßen Südeuropas ausschliesslich Rassehunde rumlaufen, die sich mit anderen Rassehunden vergnügen, um dann Welpen für den Tierschutz zu produzieren. Nur so lässt sich erklären, warum der niedliche Straßenhund-Welpe, den die „private Tierschutzinitiative Pfötchenfellnasennotfellewauzisinnot“ gerade zwecks Adoption via Internetshopping feilbietet, ein „Border Collie/Husky-Mix“ sein soll.

Vielmehr ist der kleine Pups, der mich da gerade auf dem Foto angrinst, eher ein rasseloser Hund, ein Mischmasch aus Generationen vererbter genetischer Vielseitigkeit. Was eigentlich etwas gutes hinsichtlich zu erwartender Krankheiten und Lebenserewartung des neuen Familienmitglieds wäre. Aber verkaufen tut sich sowas nicht. Und auch der moderne Tierschützer von heute muss natürlich Marketing betreiben, um in der Masse der Konkurrenz Abnehmer für seine Notfälle zu finden.

Beschreibung: Hund, eindeutig. Vier Pfoten, zwei Ohren, eine Nase und zwei Augen. Kläffen kann er auch. so Mittelgroß, Fell hat er auch, Schwarzweisswuschig.

Das wäre zwar ehrlich, aber irgendwie nicht verkaufsfördernd. Und so wird aus dem netten Wasauchimmer das spektakuläre Ergebnis einer Liäson zwischen einem potenten, reinrassigen Huskyrüden und einer eleganten Border Collie-Dame, vermutlich ganz romantisch bei Sonnenuntergang am Strand von Palma. Bevor die junge Hundemutter dann das schlimme Schicksal von Obdachlosigkeit ereilte. Alleine, mit den Acht kleinen Rackern im Bauch kämpfte sie sich mit schlechtbezahlten Aushilfsjobs durch, bis sie schliesslich gerettet wurde … Gottseidank aber auch.

Zum modernen Tierschutzmarketing gehören immer auch herzzereissende Geschichten. Das ist in Ordnung, wenn’s hilft, von mir aus. Hauptsache gerettet, den Hund hätte ein schlimmes Schicksal erwarten können.

Achja, zum Thema Schicksal: Etwas weniger in Ordnung fand ich das Schicksal des Hundes, der von Tierschützern in Budapest gerettet wurde. Als der – frisch zugewanderte – Vierbeiner beim Tierarzt vorstellig wurde, fand dieser etwas ungewöhnliches vor. Der Hund hatte nämlich zwei Mikrochips. Die Überprüfung ergab, dass seine Besitzer ihn in Ungarn suchten. Deutsche Tierschützer hatten „die arme Seele“ nämlich aus dem Vorgarten gepflückt und mal schnell „gerettet“. Viel hilft viel, und die Ungarn sind ja eh alle verkapte Tierquäler. Oder so.

Eine Mischung aus besonders gelungenem Marketing und einem – nunja – besonders tragischen Schicksal erzählt die Geschichte von Paul und seinen Menschen.

Paul wurde nicht etwa deshalb Paul genannt, weil jeder zweite Rüde Paul heisst, sondern weil der Schriftsteller Jean Paul und überhaupt die gesamte Literatur der Romantik die gemeinsame Leidenschaft von Michael und Sabine war. Die beiden waren das, was man wohl als Intellektuelle bezeichnen würden. Sie liebten die Debatte, den geistigen Austausch und lange Gespräche. An einem Abend, an dem Michael aus seiner Kindheit erzählte und sentimal wurde, als er vom Hund seines Großvaters sprach, da beschloss Sabine, das ein Hund das Leben der beiden komplettieren sollte.

Auch so eine romantische Vorstellung: Eine Familie wie aus dem Bilderbuch, vielleicht zwei Kinder, ein hübsches Mädchen und ein frecher Junge. Der Traum Sabines. Und ein Hund, nun der passt zum Bild, oder?

Also begann Sabine, die Abende damit zu verbringen, sich zu informieren, welcher Hund zu ihnen und vor allem zu den Kindern, die sicherlich bald kämen passen würde. Außerdem war sie absolute Anfängerin, was Hunde anging und Michael konnte auch nur auf die Erfahrung mit Großvaters Hund zurückgreifen. Sogar einen Hundetrainer suchte sie auf, um sich beraten zu lassen. So kam sie zu dem Schluss, dass ein Labrador der ideale Hund für Michael und sie sein würde. Aber kein schokofarbender oder gar schwarzer Labbi, nein ein blonder sollte es werden. Bei „Marley und ich“ hatte sie geweint, dass passierte ihr sonst nie bei Filmen. Und Michael war begeistert, vielmehr noch. Er fühlte sich verstanden und auf eine tiefe Art und Weise geliebt, nie wäre er von alleine auf die Idee gekommen, einen Hund anzuschaffen, auch wenn er diesen Wunsch schon so lange in sich trug.

Die Suche nach dem richtigen Hund gestaltete sich dann doch komplizierter als beide gedacht hätten. Ein Welpe sollte es sein, da waren sie sich einig. Sie besuchten einige Züchter, mussten aber schnell feststellen, wie schwierig es ist, zu unterscheiden, ob sie nun bei einem verantwortungsvollen oder unseriösen Vertreter dieser Zunft gelandet waren. Außerdem waren sie verwundert, dass man so lange warten musste, da der Labrador ein sehr beliebter Hund ist.

Sabines Freundin Anne konnte die Idee, einen Hund vom Züchter zu kaufen, eh nicht nachvollziehen. Die Tierheime sind voll und Hunde gibt es eh schon zu viele. So reifte in den beiden der Gedanke, dass sie einem armen Tropf aus dem Tierschutz adoptieren wollten. Einem armen Geschöpf etwas gutes zu tun, das gefiel ihnen. Und dann kam Paul, der zu dem Zeitpunkt noch Hope hieß, bzw, erstmal seine Geschichte:

Hope ist ein Labrador-Mix und hat in seinem kurzen Leben sicherlich nichts gutes erlebt. Tierquäler haben dem armen Kerl beide Ohren abgeschnitten und ihn vermutlich ausgesetzt. Esperanza, unser Tierschutzengel vor Ort, fand die traurige Seele abseits der Straße im Nirgendwo. Ganz auf sich allein gestellt. Bestimmt wurde Hope geschlagen, denn er ist Menschen gegenüber sehr ängstlich. Aber mit viel Liebe und Verständnis kann auch Hope lernen, dass es DEN Menschen gibt, der seine zerstörte Seele aufbaut und ihm Geborgenheit gibt. Sind Sie dieser Mensch? Wollen Sie Hope zeigen, dass es auch Freude im Leben gibt? Hope ist geimpft, gechippt und kastriert.

Die Fotos waren etwas undeutlich, aber es war deutlich zu erkennen, wie melancholisch der arme erst 6 Monate alte Hund dreinschaute. Sabine und Michael hatten sich verliebt. Also griff Sabine zum Telefon und rief sofort die unter Anzeige angegebene Telefonnummer an.

Die Dame am Telefon erklärte ihr, dass Hope sich noch im Tierheim befinden würde, aber schon bald ausreisen könne. Vorher müssten Sabine und Michael aber eine Vorkontrolle über sich ergehen lassen, um zu prüfen, ob sich Hope bei ihnen auch wohlfühlen würde. Kein Problem, sagte Sabine, schliesslich hatten sie ja nichts zu verbergen.

Schon zwei Tage später klingelte es an der Tür und eine weitere Dame stellte sich als Helferin des Vereins vor. Gemeinsam gingen Sabine, Michael und die Dame einen Fragebogen durch. Sabine fand das gut, immerhin kümmerten sich die Tierschützer darum, wo die Tiere schliesslich landen. Michael waren die Fragen ein wenig zu persönlich und außerdem konnte die Dame nichts zu Hope sagen.

Noch am selben Abend rief der Tierschutzverein an, toll, dass die Vorkontrolle so positiv war. Einer Adoption stand nichts mehr im Wege. Sabine überwies die fällige Schutzgebühr und schon am nächsten Samstag abend würde Hope, den sie nun in Paul umgetauft hatten, Teil ihrer Familie sein. Abends lagen beide im Bett und waren ein bisschen stolz auf sich. Bald wären sie Hundebesitzer und nach der Vorkontrolle waren sie sich sicher – er würde schön.

Den Tag vor Pauls Ankunft verbrachten Sabine und Michael in den Zoofachgeschäften im Umkreis. Allenthalben ernteten sie Bewunderung für diese gute Tat, einzig eine ältere Frau murmelte etwas von überfüllten deutschen Tierheimen und von Krankheiten.

Damit sich Paul von Anfang an wohlfühlen würde, kauften sie alles, was ein Hund benötigt:

Eine 2m-Leine, eine 3-Meter-Leine, eine Flexi-Leine, eine Schleppleine, ein Geschirr, ein Button für das Geschirr mit der Aufschrift „Der tut nix“, ein Button für das Geschirr mit der Aufschrift „Blondenführhund“ (Michael fand das unglaublich witzig), ein Halsband, zwei Näpfe, ein Hundebett, ein Gitter fürs Auto, einen Reisenapf, eine Kuscheldecke für unterwegs, eine Kuscheldecke für den Kofferraum, ein weiteres Hundebett für Michaels Büro, einen Hundekamm, eine Hundezahnbürste, ein Plüschtier (genauer gesagt zwei, weil Sabine dieses eine so toll fand), ein Quietschie, einen Ball, eine Ballschleuder zum Ball, ein Buch “ Clickern“, einen Clicker, Ein Buch „Apportieren“, ein Apportel, einen Futterbeutel, ein Buch „Welpenerziehung“, einen Sack Junghunde-Futter, 12 Dosen Dosenfutter, vier Tüten Leckerchen, Kauspielzeug, Zwei Tüten Zahnreinigungskaustangen, Kaustangen, einen Hundemantel (schliesslich war es ja kalt in Deutschland), einen Halsbandanhänger mit einem eingravierten „Paul“, einen Kotbeutelbeutel und drei Rollen Kotbeutel.

Den Abend vor Pauls Ankunft verbrachten Sabine und Michael damit, im Telefonbuch und im Internet nach Hundeschulen, Tierärzten, Hundepensionen und Hundesitter zu recherchieren. Man weiss ja nie, besser man ist vorbereitet.

Dann war es Samstag, der große Tag: Wie verabredet waren Sabine und Michael pünktlich um 22:30 Uhr am Treffpunkt, einer Autobahnraststätte. Neben ihnen waren noch einige andere Leute da. Außerdem noch eine Dame, die wohl vom TIerschutzverein war und ständig mit irgendwem telefonierte. Es war kalt an diesem Abend, es hatte geregnet und auf dem Parkplatz spiegelten sich die Schatten der Wartenden im Laternenlicht.

„Es wird etwas später“ teilte die Helferin des Vereins mit. Der Transporter stünde im Stau und sei gerade erst in Dingenskirchen losgefahren. Also setzen sich Sabine und Michael in die Raststätte, gemeinsam mit einem Pärchen, das sie eben kennengelernt hatten. „Oh, wie süß, ein Labbi-Mix.“ „Und Ihrer? Oh, ein kleiner Boxer, der ist ja niedlich.“

Eine gute halbe Stunde später war es dann soweit. Ein großer Transporter fuhr auf den Parkplatz, hielt an und zwei sichtlich übermüdete Damen stiegen aus. Kurzer Smalltalk, wie war die Fahrt, ach doch so lange? Dann sind’se jetzt bestimmt froh, wenn Sie nach Hause kommen.

Die beiden Transporterfahrerinnen nestelten in einem Beutel mit Impfausweisen und jeder der Wartenden erhielt den Ausweis zum Hund. Dann öffneten sie die Seitentüre des Busses und Sabine konnte einen ersten Blick auf Paul werfen. „Hope“ stand da auf einem Blatt Papier, dass an die große Transportbox geheftet war. Und im Schein der Taschenlampe konnte sie einen Blick auf seine bernsteinfarbenen Augen werfen. Sabine war aufgeregt, griff nach Michaels Hand und spürte ein Kribbeln im Bauch, das sich ein wenig wie die erste Liebe anfühlte.

Eine der beiden Fahrerinnen nahm Sabine das Geschirr aus der Hand und öffnete die Transportbox. „Oh, das ist aber ein bisschen eng“ kicherte die Dame, als sie Paul aus dem Bus hievte.

Da stand er also. Willkommen Paul.

Hier geht es zum zweiten Teil von „Paul, der Labbi-Mix“