Von Hundeahnungshabern, Shitstorms und Behindertenausweisen

anka-diego

Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass die Hunde, mit denen ich im Tierschutz konfrontiert bin, eher speziell sind und in den allermeisten Fällen herzaft zubeissen bzw. zugebissen haben. Während solche Fälle bis vor einigen Jahren relativ selten waren, könnte ich mittlerweile – ein Millionenvermögen vorausgesetzt – ganze Hundertschaften bissiger Hunde beherbergen.

Nunja, könnte ich – würde ich aber nicht.

Im Moment bekomme ich, ich habe es schonmal erwähnt, nahezu täglich Anfragen, ob ich einen auffällig gewordenen Hund aufnehmen könnte. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sich durch das Internet recht schnell verbreitet, wer so wahnsinnig ist bereit ist, sich einem solchen Hund anzunehmen. Aber irgendwie habe ich schon länger das Gefühl, dass mit der Zahl der Hundeahnunghaber auch die Zahl der unerzogenen und vor allem bissigen Hunde wächst.

Wobei Hundeahnunghaben heutzutage garnicht so einfach scheint, angesichts der immer neuer werdenen Methoden und wissenschaftlichen Erkenntnisse, die zwar irgendwie alle nix mit Hunden zu tun haben, aber dafür ganz schön wichtig und modern daherkommen. Dazu kommen natürlich die ganzen anderen Hundeahnunghaber, die sich im favourisierten Forum, in den sozialen Netzwerken, im Fernsehen oder – irgendwie garnicht modern – in Zeitschriften und Büchern verewigen.

Die einzigen, die ob all dieser neuen Erkenntnisse staunen und den Kopf schütteln, sind die, die es am besten wissen – die Forscher selber.

Natürlich haben all diese Experten ihre eigene Philosophie, meistens mit einem schmissigen Namen und einem ® oder © versehen, und sind ganz weit vorne in Sachen Hundeahnunghaben. Vor kurzem habe ich für die grandiose DogTalking eine Umfrage unter Hundetrainern gemacht und festgestellt, dass die neueste und meiste Methode die ist, dass man vorgibt keine zu haben. Nur um dann eine Zeile weiter unten die Methode von Oberhundeahnunghaber XY zu rezitieren – aber bitte mit einem „©“.

Nun ist mir das alles in allem ziemlich wumpe, wie oder warum jemand diese oder jene Methode für sich nutzt, um sein Ziel zu erreichen. Wäre da nicht die Sache mit den vielen, vielen, wirklich vielen Anfragen, die ich jeden Tag bekomme.

Denn eigentlich hat das, was wir hier oder unsere Kollegen und Freunde in den kommunalen Tierheimen tun, mit Tierschutz im eigentlichen Sinne nichts mehr zu tun. Die ursprüngliche Idee des Tierschutzes war es, gequälten und leidenen Tieren zu helfen.

Doch hat sich die Tierschutzarbeit im Laufe der letzten Jahrzehnte gewandelt. In den nunmehr 15 Jahren, in denen ich mich mit dem Thema beschäftige, habe ich vielleicht eine Hand voll Hunde untergebracht, die echte Tierschutznotfälle im oben beschriebenen Sinne waren.

Der Mammutanteil der Hunde, die heute in Tierheimen sitzen, ist seinen Menschen schlicht und ergreifend lästig geworden – sei es, weil vor der Anschaffung des Tieres nicht nachgedacht wurde oder weil die Hunde mangels Erziehung irgendwelche Verhaltensweisen an den Tag legen, die nicht ins Leben des Besitzers passen.

Während es vielen Ex-Hundebesitzern in Spe herzlich egal zu sein scheint, dass sie da gerade ein Lebewesen in eine ungewisse Zukunft abschieben, gibt es nicht wenige Menschen, die ihren Hund wirklich mögen und eine schier endlose Odyssee durch die Welt der Hundeahnunghaber hinter sich gebracht haben, bevor sie sich schweren Herzens und oft tränenreich von ihrem Hund trennen.

Solche Menschen haben sich wirklich Mühe gegeben. Schon beim Züchter haben sie sich rückversichert, dass der niedliche Weimaraner oder Border Collie der perfekte Familienhund ist. Irgendwie ist es komisch.

Niemand würde auf die Idee kommen, im Mercedes-Autohaus den Verkäufer zu fragen, welche Automarke die richtige für ihn sei. Was wäre wohl die Antwort? Machen wir uns nichts vor. Einer der Gründe, warum es so viele Probleme zwischen Hund und Halter gibt, ist doch die Tatsache, dass wir uns unsere Hunde nach dem Äußeren aussuchen und nicht danach, ob sie in unser Leben passen.

Um bei dem Beispiel mit dem Autohändler zu bleiben – ein einigermaßen vernunftbegabter Vater dreier Kinder würde immer den praktischen Kombi kaufen, auch wenn das kleine Cabrio ihm äußerlich mehr zusagen würde. Aber Vernunft und Hundehaltung hat seit gefühlten Hundert Jahren nichts mehr miteinander zu tun.

Die hundelieben und ambitionierten Neuhundehalter haben nun also ihren Welpen, dass dazugehörige Starterpaket vom Schrottfuttermittelhersteller und einen dreistelligen Betrag in einem Zoofachgeschäft für die „Welpen-Erstausstattung“ gelassen.

Was kommt jetzt? Richtig, es geht in die Welpengruppe. Aber bitte in eine, die auch hält, was sie verspricht. Und eine gute Welpengruppe erkennt man daran, dass sie genauso gut ausgestattet ist, wie das Småland, in das man den Nachwuchs sperrt, um in Ruhe Möbel mit Männernamen shoppen zu können.

Zwischen Bällebad, Wippe, Rutsche und natürlich quietschvergnügten Erwachsenen, die sich einen Oktav-Wettstreit in den Disziplinen „Feinfeinfein“ und „Hiiiiiiaaaaa“ liefern, lernt der junge Hund den ersten Blödsinn – super! Naja, zumindest für den kommerziell arbeitenden Hundeahnunghaber (zu denen ich übrigens auch gehöre). Denn nach dem Welpenkurs ist vor dem Junghundekurs – und dann gibt es ja noch den Fortgeschrittenen-, Erwachsenen-, Klein-, Groß- und Mittelgroße Hundekurs.  Und wenn das nicht reicht, dann gibt es ja noch die Einzelberatung …

Eines ist sicher – die finanzielle Zukunft des Hundeahnunghabers.

Versteht mich nicht falsch, all das ist völlig in Ordnung, wir leben in einer Marktwirtschaft und jeder soll sein Auskommen haben. Harald Schmidt hat mal gesagt: „Auch Behinderte haben ein Recht, verarscht zu werden.“ Selbiges gilt für Hundehalter. Weltoffen wie ich bin, würde ich sogar soweit gehen, dass jeder Hundebesitzer das Recht hat, sich auszusuchen, vom welchem Hundetrainer er sich ausnehmen lässt.

Meiner Meinung nach gibt es drei Sorten von Hundeverstehern:

  1. Diejenigen, die ein gutes Bauchgefühl und/oder viel Ahnung haben, mit Menschen können (sic! die sind unsere Kunden) und bei Problemen wirklich weiterhelfen können.
  2. Diejenigen, die zwar weder Ahnung haben noch über ein gutes Bauchgefühl verfügen, aber mit Menschen gut können und auch niemanden schaden
  3. Betrüger – meistens Menschen, die nicht nur ihren ihnen anvertrauten Kunden schaden, sondern häufig fest davon überzeugt sind, dass sie zu Gruppe 1 gehören oder besser noch diese erfunden haben.

Das schöne an Hunden ist aber, dass man auch mit Bällebad und Kinderrutsche in den meisten Fällen nicht viel kaputt machen kann. In den ca. 15.000 Jahren, die Hunde jetzt schon domestiziert sind, haben sie durchaus begriffen, dass wir Menschen einen Knall haben. Und den meisten Blödsinn, den wir mit ihnen anstellen, verzeihen sie uns für einen Keks.

Doch gibt es Fälle, in denen es eben nicht so einfach ist. Wenn wir von richtigen Problemen sprechen, dann sprechen wir von echten Dramen, von verzweifelten Menschen und ausser Kontrolle geratenen Hunden.

Und von Hundeahnunghabern, die mit dem Leid der ihnen anvertrauten Menschen und deren Hunden Geld machen – häufig ohne schlechtes Gewissen oder gar Reue, sehr oft aber auch aus wirtschaftlichen Zwängen heraus. Das vollfolierte Hundeschulauto will schliesslich finanziert werden.

Denn es gibt bei der ganzen Geschäftsidee mit Hund einen klitzekleinen Haken – und der nennt sich auf Neusprech Mitbewerber, im Falle von Hundeahnunghabern eher Konkurrenz oder besser noch Feinde. Und hier sind wir ausnahmsweise mal ganz nah beim Hund. Begriffe wie „Recourcenbedingte Aggression“ bekommen eine völlig neue Bedeutung, wenn man sich die Hundeahnungshaberszene mal so anschaut.

Jeder hat eine bis zehn Meinungen, in jedem Falle aber eine andere als der Guru von Gegenüber. Und wenn man ausnahmsweise mal deckungsgleich ist, hat man das natürlich völlig anders gemeint, da der Konkurrent das Prinzip falsch versteht und auch ansonsten keine Ahnung hat. Das eigene Hemd ist immer das nächste und wenn es ums Geld um den Hund geht, hört der Spaß auf.

Wie weit so etwas geht, konnte man als Facebook-Nutzer kurz vor Weihnachten trefflich beobachten. Bekanntermaßen hat zu diesem Zeitpunkt ein Video auf Youtube den Hundetrainer Michael Grewe über Nacht zum Internetphänomen gemacht, gefolgt von einem Shitstorm, in dem jede Menge Hundeahnunghaber bewiesen haben, dass Tierliebe nicht automatisch mit guter Kinderstube oder gewählter Ausdrucksweise einhergehen muss.

Über den Inhalt wurde bereits ausführlich diskutiert, kurz zusammengefasst bekommt in dem Video ein Schäferhund recht unsanft einen Napf über den Schädel gezogen. Sieht scheisse aus, ist nicht nett, lässt sich bestimmt auch eleganter lösen und läßt Herrn Grewe auch nicht besonders gut da stehen.

Aber darum soll es jetzt nicht gehen. Viel interessanter ist nämlich, dass die Feinde die Mitbewerber, also Wirtschaftsunternehmen, die ebenso wie Michael Grewe bzw. sein Unternehmen Canis eine Ausbildung für Hundetrainer anbieten, die Gelegenheit nutzten, sich gleich mal in Stellung zu bringen und sich von solch tierschutzrelevanten Methoden zu distanzieren.

Wenn man die üblichen Verdächtigen der Hundeszene etwas kennt, reibt man sich verwundert die Augen, da der eine oder andere, der sich nun besonders weit distanzierte, bekannterweise selber kein Kind von Traurigkeit ist, wenn es darum geht, Hunden mal so richtig tierschutzrelevant eins auf die Mütze zu geben. Nur halt eben (noch) nicht auf Youtube.

Genauso interessant waren die Reaktionen der Verbände, wenn man sie denn so nennen will. Denn – rein fiskalisch betrachtet – handelt es sich dabei um gewinnorientiert arbeitende Unternehmen, aber das nur so am Rande als kleiner Tipp an unsere Leserinnen und Leser vom Finanzamt.

Zurück zum Thema: Also schlossen sich die Mitbewerber zusammen, um sich von Herrn Grewe und „seiner“ Zertifizierung von Hundetrainern zu distanzieren. Ein Blick in die Vergangenheit lässt jedoch nochmal staunen. So wurden zwei der drei Verbände von wem? Genau, von Michael Grewe mitbegründet. Und was den dritten Verband angeht, gibt es zumindest persönliche Verflechtungen.

Überhaupt lässt sich mit etwas Mühe nachvollziehen, dass die Oberhundeahnunghaber sich auf ein paar Gestalten reduzieren lassen, die immer wieder Berührungspunkte miteinander haben, sich dann zertreiten, wahlweise gegenseitig verklagen und in anderer Konstellation weitermachen.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt dann, dass der im Moment so angesagte Ahnunghaber Bücher über Fusspflege geschrieben hat, der nächste mal ein Schlagersänger war und der übernächste Gewaltfreiheit propagiert, obwohl er wegen eines Gewaltdeliktes vorbestraft ist. On Top kommen dann noch hysterisch daherkommende Gewaltverneiner und Hundeversteher, deren Namen man schon mal gehört hat – allerdings nicht im Zusammenhang mit Hunden, sondern mit psychiatrischen Einrichtungen und pathologischen Befunden.

Es ist erstaunlich – mit einer dermassenen Macke würde man in jedem anderen Berufszweig eine Pflegestufe und einen Behindertenausweis bekommen – in der Hundeahnunghaberszene bekommt man einen Buchvertrag und eine eigene Facebookgruppe …

Meine Wenigkeit hat zur allgemeinen Empörung gewagt, relativ früh (das Video hatte so ca. 150 Klicks) einen Kommentar auf Facebook zu hinterlassen und damit komme ich auch wieder zurück zum eingangs erwähnten Thema. Damals schrieb ich:

Eine Person stellt unter falschen Namen einen Filmausschnitt ins Netz, auf dem zu sehen ist, wie ein Hund, der gerade noch Menschen attackiert hat, unnett gemaßregelt wird und im Anschluss ein Alternativerhalten zeigt. Ganz Hundedeutschland muss sich darüber aufregen und Mord und Totschlag schreien.
Aber, die 5-10 HundetrainerInnen, die daran beteiligt waren, das Tier so zu versauen, können sich in Ruhe wegducken und mit dem Finger auf den „Übeltäter“ zeigen … Verkehrte Welt.

Was darauf folgte waren gefühlte 1.000 Kommentare, einige Damen, die mir unbekannterweise vorwarfen, ihre Hunde wahlweise aufgegessen, missbraucht oder verprügelt zu haben und einige E-Mails, die so ganz und garnicht gewaltfrei gemeint waren.

Mein absolutes Highlight war ein Kommentar von einer Facebook-Userin, die mir erst gestern vorwarf, ich würde meine Hunde „psychisch misshandeln“ (vermutlich mit 3xtäglich das neue „Heino“-Album hören). Bist Du nicht meiner Meinung, bist Du ein Tierquäler. So einfach ist das.

In der allgemeinen Empörungswelle wurde meine Kernaussage einfach mal ignoriert und mir automatisch unterstellt, dass wir ein vom Veterinäramt geduldetes Guantanamo betreiben würden und den ganzen Tag Hunde foltern, wenn uns gerade mal die Taliban ausgehen.

Der Grund, warum wir mit so vielen Hunden mit Beißvorfall konfrontiert sind, liegt darin, dass der größte Teil von ihnen schlicht und ergreifend nie gelernt hat, dass Beissen verboten ist.

Immer wieder erleben wir Menschen, die mit ihrem Hund bei zig Hundetrainern waren, ohne dass sich was am Verhalten des Tieres geändert hätte. Sogenannte Profis, und ich spreche nicht von denen, die offen gesagt hätten, dass sie nicht helfen können, denn die haben meinen größten Respekt!

Ich meine die „Profis“ die wider besseren Wissens nicht geholfen haben. Ich meine die 5 bis 10 Hundetrainer, die diesen Schäferhund und seine Besitzerin so lange alleine gelassen haben, bis die Frau soweit war, dass sie in Kauf genommen hat, dass der Hund den Napf an den Schädel bekommt. Ob der Napf tierschutzrelevant ist, weiss ich nicht, einen Menschen in einer solchen Situation alleine zu lassen ist in jedem Falle menschenverachtend!

Und ich bin mir hundertprozentig sicher, dass zumindest ein Teil dieser „Profis“ die Gelegenheit des Shitstorms genutzt hat, um sich zu profilieren anstatt darüber nachzudenken, dass es vielleicht sinnvoller wäre, sein Geld damit zu verdienen, bei H&M Jeans zu falten.