Paul, der Labbi-Mix (17)

Des Einen Leid ist bekanntermaßen des Anderen Freud.

Und so stürzte Gertrud an einem Abend zur Freude von Erika in ihrer kleinen Küche zu Boden und brach sich den Oberschenkelhals. Es war Erikas Glück, dass die alte, verwirte Dame um Hilfe rief und Nachbarn die Feuerwehr gerufen hatten. Und zum Glück fanden die Helfer, nachdem sie in das kleine Haus von Gertrud eingedrungen waren, den Hund in dem völlig zugekoteten Wohnzimmer. Und Dank Sabine erkannte die Mitarbeiterin des Tierheims den Hund sofort auf dem Plakat, als er von der Polizei gebracht wurde.

Und so konnte Erika ihr Glück kaum fassen, als sie ihre Maya wieder in die Arme schliessen konnte. Vier Monate waren vergangen, seit dem der Hund verschwunden war. Vier Monate, in denen sich ihr Leben um 180 Grad gewendet hatte. Demnächst würden sie ihr Haus verlassen müssen. Insgesamt belief sich der Schaden auf beinahe Einhunderttausend Euro. Erika war ruiniert, so viel stand fest. Und ihre Ehe gleich mit.

Immer wieder hatten sie den selben Streit. Warum hatte sie keine Versicherung für Maya abgeschlossen. Die kostete vielleicht Fünfzig Euro im Jahr. Warum? Ja, warum. Vielleicht, weil sie gedacht hatte, dass schon nichts passieren würde. Vielleicht, weil Maya so gut gehorchte und keiner Fliege was zu Leide tun würde. Sie wusste selber keine Antwort und sie konnte ihren Mann verstehen. Der Hund war immer ihr Hobby gewesen. Sie hatte Unmengen Geld für Futter, Leinen, Halsbänder und anderen Kram ausgegeben. Nur bei der Versicherung hatte sie geschludert.

An dem Abend, an dem ihr Mann ihr mitgeteilt hatte, dass er nicht mehr könne, dass er einen Neustart suche und erstmal ausziehen würde, war Erika ruhig und gefasst. Ja, sie wisse, dass die letzten Monate nur noch von Streit gerpägt waren. Ja, sie könne verstehen, dass er ihr das einfach nicht verzeihen könnte. Ja, es wäre wohl besser so, wenn beide erstmal getrennte Wege gehen würden. Und wegen der Kinder, die wären alt genug und würden das verstehen.

An dem Abend, an dem die Frau vom Tierheim angerufen hatte, war der ganze Ärger erstmal vergessen. Als Erika ihren Hund in Empfang nahm, fühlte sie sich kurz wieder so, als wenn das Alles nie passiert wäre. Als man ihr die Umstände schilderte, unter denen ihr Hund gefunden würde, tat ihr die alte Frau ein wenig leid. Es ist ein Drama, wenn Menschen im Alter vereinsamen. In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich, in der so etwas möglich ist? Bei dem Gedanken, dass Maya der Frau wenigstens Gesellschaft geleistet hatte, verflog Erikas Wut ein wenig. Vielleicht würde sie die Frau mal in dem Pflegeheim besuchen gehen, in dass sie eingewiesen würde, sobald ihre Verletzungen verheilt seien.

Mit Sabine hatte sie schon seit fast zwei Monaten keinen Kontakt mehr gehabt. Einmal hatte sie sie gesehen. Mit Paul, der alt geworden war und Paula, die sich mittlerweile zu einer properen und ungestühmen Junghündin entwickelt hatte. Erika war nicht wirklich böse auf Sabine, es war eher eine unterbewusste Wut und sie konnte ihr einfach nicht mehr in die Augen sehen, ohne das diese hochkam. Klar, solche Dinge passieren und es war bestimmt keine Absicht gewesen. Aber trotzdem konnte Erika einfach nicht vergessen, dass es Sabine war, die nicht aufgepasst hatte. Das es Sabine war, die ihr Leben ruiniert hatte. Ihre Existenz, ihre Ehe, ihr ganzes Leben. Und das es Sabine sei, die in ihrer kleinen glücklichen Welt lebte, die keine Ahnung davon hatte, wie es ist, jeden Tag aufs Neue um die eigene Existenz zu kämpfen. Sabine, die es einfach nicht verdient hatte, ungeschoren davon zu kommen, während Erika erledigt sei.

Sabine vermisste die gemeinsamen Spaziergänge mit Erika. Sie vermisste Erika, ihre Freundin, die mit ihrer eloquenten und direkten Art ihr Leben so bereichert hatte. Sie plagte sich mit Schuldgefühlen rum und schlief schlecht. In der Regionalzeitung hatte sie von der alten Dame gelesen, die vier Tage verletzt in ihrem Haus gelegen hatte, bevor jemand zur Hilfe kam. Und von dem Hund, der im Tierheim gelandet war und seiner rechtmäßigen Besitzerin übergeben werden konnte. Sie musste lächeln, doch das Gefühl der Erleichterung, auf das sie so gehofft hatte, blieb aus.

Michael hatte versucht, ihr Trost zu spenden, doch tat er sich sehr schwer damit, an Sabine ranzukommen. Einzig ihre Hunde waren in diesem Moment ihr einziger Anker. Der Fels in der Brandung, der verhinderte, dass sie abtrieb.

Als sie an diesem Nachmittag mit ihren Hunden spazieren war, traf sie auf Erika, die mit Maya unterwegs war. Der Hund humpelte noch, schliesslich hatte Gertrud Mayas Verletzung nicht behandeln lassen. Zuerst freute sich Sabine und rief noch „Hallo ihr, schön Euch zu sehen.“, doch als sie sich den beiden näherte, spürte sie den bedrohlichen Blick Erikas auf sich haften und drehte wieder ab. In diesem Moment hatte sie plötzlich Angst und das diffuse Gefühl, dass Gefahr in der Luft lag. Den Rest des Tages hatte sie das Gefühl, dass Erika sie überall hin verfolgte. Sabine versuchte sich zu beruhigen, dass bilde sie sich ein, Erika sei nicht so ein Mensch.

Michael gegenüber erwähnte sie nichts und als sie schliesslich im Bett lag, kriegte sie zunächst kein Auge zu. Es muss am frühen Morgen gewesen sein, als Sabine dann aus dem Schlaf gerissen wurde. Sie hatte ein Geräusch gehört, es kam von unten. Jemand war ins Haus eingedrungen, doch die Hunde waren still. Sabine wollte das Licht ihrer Nachttischlampe einschalten, doch sie funktionierte nicht. Ein Blick auf den Radiowecker, auch er still. Jemand hatte den Strom abgeschaltet.

Sie zog sich ihren Morgenmantel über und schlich so leise, wie es die alten Dielen des Hauses zuliessen, zur Treppe. Plötzlich tat es einen Schlag. Als Sabine zu sich kam, hatte sie heftige Kopfschmerzen und Blut tropfte auf ihr Nachthemd.  „Du hast mein Leben zerstört“ hörte sie noch wie durch einen Nebel. Dann tat es noch einen Schlag.

Noch 8 Stunden.

Sabine fuhr hoch. Sie keuchte vor Erschöpfung und war schweißgebadet. Ihre Hände zitterten und sie brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Michael drehte sich zu ihr und nuschelte „Was ist los, Schatz?“

Noch ganz ausser Atem, den Tränen nahe, flüsterte sie „Ich glaub, ich hatte einen Albtraum.“ Sie sprang aus dem Bett, rannte runter ins Wohnzimmer. Paula hatte das CD-Regal umgeworfen und schaute sein Frauchen mit einem „Ich war’s nicht“-Blick an. Aber das war jetzt egal. Paul und Maya lagen in ihren Körbchen und guckten Sabine  verständnislos an.

Mit zittrigen Fingern griff Sabine zum Telefon.

„Wer stört?“ klang es müde auf der anderen Seite. „Ich bin’s, Sabine.“ „Sabine? Was ist passiert, weisst du, wie spät es ist?“ „Erika, halte mich jetzt nicht für bescheuert, aber ist alles gut bei Dir?“ „Abgesehen davon, dass ich heute hätte auschlafen können, ja. Was ist denn los?“ Erika gähnte. „Sag mal, ist Maya versichert?“ „Ja natürlich. Wieso, hat sie was kaputtgemacht?“ „Nein, alles ist gut. Bis später, ich freu mich.“

(Fortsetzung folgt)

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5 Kommentare
  1. C. Kluge
    C. Kluge sagte:

    Also bislang habe ich die Geschichte mit großer Begeisterung gelesen. Doch nun wirkt alles wie an den Haaren herbeigezogen.
    Ich glaube die Seite hat einen Fan verloren.

    Antworten

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