Paul, der Labbi-Mix (15)

Noch 8 Stunden.

Sabine hatte verschlafen. Glücklicherweise war es Paula gelungen, die Schlafzimmertür aufzuschieben, mit einem Hops ins Bett zu springen und Frauchen unter massiven Einsatz der Zunge gerade noch rechtzeitig zu wecken. Denn nur fünf Minuten später und die Morgenfütterung hätte verschoben werden müssen. Ein Umstand, den die kleine Hündin nicht akzeptieren konnte.

Sabine stand auf, reckte sich und gähnte. Michael hatte heute eh früh einen Termin gehabt, so dass die Kinder schon in der Schule waren. Sie ging ins Bad, setzte einen Kaffee auf und entliess die Hunde in den Garten.

Noch 7 Stunden.

Erika war am Telefon und berichtete darüber, dass sie gerade im Supermarkt ein Schnäppchen ergattert hatte. „Rotkäppchen“ war im Angebot gewesen und in Erwartung eines lustigen Abends hatte sie gleich zwei Flaschen gekauft. Und Käsecracker. „Ich freu‘ mich drauf, endlich die alte Krawallliesl wieder zu haben.“ sagte sie.

Man konnte es Erika wirklich anhören, dass sie sich auf Maya freute. Fast sieben Wochen hatte die Hündin bei Michael und Sabine gelebt und endlich fühlte sich Erika wieder in der Lage, den Hund alleine zu versorgen und vor allem mit ihr spazieren zu gehen. In der letzten Zeit fiel ihr nämlich die Decke auf den Kopf. Ihr einziger Lichtblick war der tägliche Streit mit ihrer Tochter, die einen neuen Freund hatte, den Erika auf den Tod nicht ausstehen konnte.

Noch 6 Stunden.

Als Michael am Telefon erfuhr, dass Maya heute abend wieder ausziehen würde, war er etwas erleichtert. Zwei Hunde waren häufig schon anstrengend, aber zu dritt hatten sie es geschafft, ihn beinahe in den Wahnsinn zu treiben.

Klar, viele Momente waren auch witzig und man konnte mit Maya, Paula und Paul viel Spaß haben. Aber irgendwann war auch gut. Zwei Hunde reichten eindeutig aus. Heute abend würde er die Ruhe geniessen und sich endlich mal wieder einen Krimi ansehen. Ein Sixpack Bier wartete im Kühlschrank darauf, getrunken zu werden.

Noch 5 Stunden.

Gertie freute sich darauf, dass Marie und Felix den heutigen Abend bei ihr verbringen würden. Sie hatte für die Kinder einige Gesellschaftsspiele vom Speicher geholt, musste dann aber erfahren, dass die Jugen von heute lieber mit dem iPad spielt als mit der Großmutter. Naja, wenigstens Felix könnte sie zu einem Spiel überreden. Der war noch jung, der konnte sich gegen seine energische Oma nicht wehren.

Sabines Mutter stand in der Küche und bereitete schonmal das Abendessen vor. Die Kinder hatten sich Kartoffelgratin gewünscht. Ausgerechnet. Sie war später noch verabredet und musste sich deshalb ins Zeug legen, damit das Essen dann auch pünktlich fertig war.

Noch 4 Stunden.

Die Hunde tobten durch die Felder. Sabine wusste, dass die Bauern das nicht so gerne sahen, aber das war ihr gerade egal. Soviel Spaß wie die Biester hatten. Klar, sie konnte schon nachvollziehen, dass die Landwirte aus der Nachbarschaft genervt waren. Aber Paula und Paul, darauf achtete sie, durften eigentlich nicht einfach so über die Weiden rennen.

Das Naturgebiet war ein beliebtes Ziel für Hundehalter und einige von ihnen waren wirklich rücksichtslos. Die ließen ihre Hunde einfach in die Felder koten und machten die Hinterlassenschaften nicht weg. Manchmal lagen auf dem Wegesrand auch gefüllte Kotbeutel, die einfach achtlos weggeworfen wurden. Sabine hatte sich irgendwann angewöhnt, diese mitzunehmen und zuhause zu entsorgen.

Noch 3 Stunden.

Michael war gerade nach Hause gekommen, als ihm einfiel, dass er versprochen hatte, Marie nach der Sportstunde zu Gertie zu bringen. Felix war schon bei seiner Großmutter und beschwerte sich, dass er sie noch begleiten musste.

Marie stünde jetzt vor der Sporthalle und würde auf ihren Vater warten. Verdammter Mist. Michael nahm schnell einen Schluck Wasser und setzte sich wieder in den Bulli.

Noch 2 Stunden.

Paula hatte sich Pauls heiligem Kauseil bemächtigt und versuchte nun, den Rüden zu einem Spiel zu überreden. Dieser fand das garnicht lustig, dass die freche Kuh sein einziges und liebstes Spielzeug geklaut hatte, überrumpelte sie und gab ihr schmerzhaft zu verstehen, dass sie das gefälligst zu unterlassen habe.

Noch 60 Minuten.

Der junge Mann musste sich beeilen. Er war in eineinhalb Stunden verabredet und kam gerade erst von der Arbeit. Endlich Wochenende! Die letzten Tage waren hart gewesen. In der Firma war viel los und er musste einige Überstunden machen. Jetzt aber hatte er endlich Freitag und freute sich auf seine alten Schulfreunde, die er lange nicht mehr gesehen hatte. Sie wollten mal wieder richtig einen drauf machen und um in die Disko überhaupt reinzukommen, musste man sich schon in Schale werfen. Er suchte seine beste Kleidung raus und verschwand im Bad. Wenn er sich noch rasieren, duschen und stylen wollte, musste er sich wirklich sputen.

Noch 30 Minuten.

Sabine rief die Hunde gerade ins Haus, als Michael endlich vorfuhr. Marie war stinksauer und Michael kam sich vor wie ein Rabenvater. Zu allem Unglück hatte es angefangen zu regnen und er musste noch tanken. So stand seine Tochter eine Dreiviertelstunde im Regen.

„Du bist so gemein!“ schimpfte Marie noch und rannte hoch in ihr Zimmer. Sabine guckte Michael mitleidig an und sagte: „Naja, dann hast du heute abend ja was zu tun. Entschuldige Dich mal schön bei dem Kind.“ Sie lächelte, gab ihm einen Kuß auf die Stirn und ging aus dem Haus. „Maya, komm. Wir fahren zurück zu Frauchen.“

Noch 15 Minuten.

Draussen goss es wie aus Kübeln. Schwarze Wolken verdunkelten die Sonne, der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe des Bullis und ließ keinen klaren Blick zu. Obwohl es noch recht früh war, kam es Sabine vor, als wenn es später Abend wäre.

Noch 5 Minuten.

„Was für ein Scheisswetter!“ fluchte der junge Mann vor sich hin. Er wollte in 35 Minuten bei seinen Freunden sein. Unmöglich, man konnte maximal 50 fahren.

Noch 3 Minuten.

Endlich war Sabine vor Erikas Haus angekommen. Sie kramte in ihrer Tasche auf der Suche nach dem Regenschirm. Sie freute sich auf Erikas warmes Wohnzimmer und auf einen lustigen Abend. Aber bis sie die vielleicht Fünfzehn Meter zur Haustür überbrückt hätte, wäre sie pitschnaß. Maya war sehr unruhig, wollte sie doch endlich ihr Frauchen wieder in Empfang nehmen.

Noch 60 Sekunden.

Michael legte die DVD mit dem Krimi in den Player und machte es sich auf dem Sofa bequem.

Noch 30 Sekunden.

Endlich hatte Sabine den Regenschirm gefunden. Sie ging um den Bulli rum und öffnete den Kofferraum „Willkommen zuhause, Maya.“ sagte sie, nahm Maya an die Leine und überquerte die Straße.

Noch 15 Sekunden.

Der Regen liess ein wenig nach, so dass der junge Mann endlich Gas konnte. Mit etwas Glück wäre er noch halbwegs pünktlich

Jetzt.

Pablo fütterte gerade die Schafe, es hatte lange nicht geregnet und jetzt musste er die Tiere mit Kraftfutter satt kriegen.

Heinz ärgerte sich maßlos, dass sein Lieblingsverein in der letzten Minute doch noch verloren hatte.

Experanza kümmerte sich gerade um die verletzte Hündin, die sie heute morgen eingefangen hatte.

Frau Gutmensch saß auf ihrem Fernsehsessel und freute sich auf die Sendung, die sie jeden Abend ansah.

Michael versuchte, sich bei Marie für seine Verspätung zu entschuldigen.

Marie hatte dafür überhaupt kein Verständnis.

Herr Jedermann hatte sich Arbeit mit nach Hause genommen und grübelte noch über ein paar Unterlagen.

Felix hatte gegen Gertie im „Menschärgerdichnicht“ verloren. Blödes Spiel.

Erika hörte einen Knall.

Roswita inserierte gerade einige Welpen im Internet, die nun nach Deutschland ausreisen konnten.

Der Herdenschutzhundexperte fütterte gerade diesen stattlichen Rüden, den er aus einem Tierheim übernommen hatte.

Beate hatte an diesem Wochenende frei und freute sich auf zwei erholsame Tage.

Herr Dr. Müller hatte Dienst und versuchte gerade, die ältere Dame davon zu überzeugen, dass sie den Dackel besser festhalten müsse.

Der Sohn von Herrn Gutmut hatte sich gerade mit seiner Frau gestritten und kaufte jetzt Blumen, weil es ihm leid tat.

Jemand hatte seine Enkel zu Besuch.

Sabine hatte einen Moment lang nicht aufgepasst. Maximal eine Zehntel Sekunde. Regen war ihr ins Auge getropft und sie musste kurz zwinkern. Das hatte schon gereicht. Maya riess sich los und rannte über die Straße Richtung Erikas Haus. Als sie das Aufjaulen des Hundes hörte, wurde ihr kurz schwarz vor Augen. Als sie den lauten Knall hörte, war sie blitzschnell wieder hellwach. Das Auto qualmte und es roch plötzlich nach Öl und Benzin. Aus dem Innern des Fahrzeugs vernahm sie ein leises Jammern. Dann hörte sie Erika. „Was ist passiert? Oh mein Gott!“

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (14)

Das Zusammenleben mit einem Junghund ist spannend. Besonders spannend ist das Zusammenleben mit einem Junghund, der unglaublich schnell wächst und in kürzester Zeit sein Gewicht verdoppelt hat. In Verbindung mit Allradantrieb und dem unbändigen Drang, immer schnell zu sein aber niemals, wirklich niemals auszuweichen, entwickelt sich das Leben stellenweise sogar extrem spannend.

Wenn sich dann noch ein alternder 45-Kilo-Hund dazu berufen fühlt, mitzuhalten und sämtliche Lektionen im Bereich „Leute nicht umnieten“ über Bord geworfen hat, dann wird das Leben unter Umständen sogar gefährlich. Wenn sich die nicht minder stürmische Rottweilerdame dann noch beteiligt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis etwas passiert.

„Es war nur eine Frage, bis etwas passiert“, sagte dann auch Erika etwas erschöpft, als sie auf dem Parkplatz bei Sabines und ihrem „Stammsee“ von den netten Sanitätern verarztet wurde.

Einen lauten Knall und ein „Autsch“ hatte Sabine bemerkt und dann im Augenwinkel gesehen, wie Erika im hohen Bogen durch die Luft flog und sehr unsanft auf dem Steißbein landete.

Die Hunde schauten noch etwas irritiert, hatten sie doch im Spiel garnicht mitbekommen, dass sie die Frau übern Haufen gerannt hatten.

Jetzt wo sie da so lag konnte man die Einladung ja annehmen und sie mal so richtig herzen. Sabine hatte einige Mühe, die Hunde von Erika wieder runterzuziehen, die mit schmerzverzerrten Gesicht versuchte, ihren Humor zu wahren.

„Immerhin haben sie mich noch sauber gemacht.“ lachte sie gequält und versuchte aufzustehen. „Autsch“ wiederholte sie und konnte kaum gerade stehen.

Nun lag sie bauchlinks auf der Trage und der junge Mann, der sich als Notarzt vorgestellt hatte, sagte ihr, dass sie jetzt ins Krankhaus gefahren würde. Vermutlich wäre das Steißbein durch, aber das würde das Röntgenbild zeigen. Doch auch wenn es nur angeknackst sei, hätte sie jetzt erstmal Zwangspause.

Selbstverständlich würde sich Sabine so lange um Maya kümmern, Michaels Laune hatte sich in den letzten Tagen etwas gebessert und er würde es bestimmt verstehen, dass nun drei Hunde vorübergehend bei ihnen leben würden.

Das Zusammenleben mit drei Hunden ist spannend. Vor allem, wenn die drei jeden einzelnen Moment des Tages in ein gemeinsames Spiel verwandeln. Und das überall. Im Garten, auf der Gassirunde und im Haus.

Immer, wenn einer der Hunde endlich mal müde war, tobten die beiden anderen wie wild durch die Gegend. „Die spielen im Schichtdienst“, dachte Sabine, seufste und rieb sich die Schläfen.

Nachmittags besuchte sie Erika im Krankenhaus. Ihre Freundin hatte sich tatsächlich das Steißbein gebrochen, als sie zwischen die Hunde gelangt war. Sie könne das Krankenhaus zwar bald verlassen, aber sich um Maya kümmern, dass ging wirklich nicht.

Natürlich sagte Sabine zu, dass Maya so lange bleiben könnte. Zumal sie sich nicht sicher war, ob es nicht Paul gewesen war, der Erika den finalen Stoss gegeben hatte.

Als sie erfuhr, dass es sich um etwa sechs Wochen handeln würde grinste sie etwas schief bei dem Gedanken, dieses Chaos noch eineinhalb Monate im Haus zu haben.

Das Schöne an Hunden ist, dass sie viel voneinander lernen können. Nicht ganz so shcön ist die Tatsache, dass sie auch viel Mist voneinander lernen können.

Maya hatte zum Beispiel die unangenehme Angewohnheit, sobald man die Türe öffnete direkt ins Haus zu rennen und auf das Sofa zu springen. Vornehmlich dann, wenn es draussen regnete. Es dauerte ungefähr drei Tage, bis auch Paula sich an Michael und Sabine vorbeiquetschte, um das Sofa einzusauen. Nach fünf Tagen sagte Michael resigniert zu Paul: „Na los, geh durch.“ Was Paul sich nicht zweimal sagen lies.

Zu dieser Zeit hatte Michael das Regiment über den Haushalt übernommen, da Sabine mittags unterwegs war, um Erika zu unterstützen, die auf dem Sofa lag und sich mit ihren pubertierenden Kindern stritt.

Die meiste Zeit verbrachte er damit, zu putzen und Gegenstände aufzusammeln, die einer der Hunde umgeworfen hatte. Er kam sich etwas vor wie ein Tierpfleger im Zoo. Allerdings einer, der keine Ahnung hatte, was zu tun sei. Noch vier Wochen, dann wäre Erika wieder fit und könnte ihren Hund zurück zu sich nehmen. Vier Wochen. Irgendwie kam ihm das verdammt lang vor, als genau in diesem Moment irgendetwas im Flur laut schepperte. Paula hatte eine Lampe umgeworfen. Schade, die fand Michael immer sehr schön und er hatte sie sich damals für seine erste Studentenbude gekauft. Die Lampe hatte viel ausgehalten. Mehrere Umzüge, kleine Kinder, nur Paula, die war stärker als die Lampe. „Power-Paula“, dachte Michael, als er die Scherben zusammen fegte.

Währenddessen saß Sabine an Erikas Sofa und die beiden unterhielten sich. „Ganz schön leer, so eine Wohnung, wenn kein Hund da ist.“ sagte Erika. „Naja, bei uns tobt im Moment der Bär, kannst du dir vorstellen. Die Kleine zusammen mit den Großen, das ist das Trio Infernale.“ erwiderte Sabine. „Oh ja“ lachte Erika, „das kann ich mir gut vorstellen. Aber mittlerweile bin ich schon beinahe wieder fit und bald kann ich Maya zurücknehmen.“ Sabine beruhigten diese Worte ein wenig. „Du weisst ja, ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos!“

Wahre Worte, dachte Sabine noch bei sich, als sie an diesem Abend viel zu spät nach Hause kam und die drei Hunde sie stürmisch begrüßten.

Sabine freute sich auf den morgigen Abend. „Frauenabend“ war die Idee von Erika gewesen. Sie wollte ihre Kinder und ihren Mann ausquartieren, eine Kömodie ausleihen und eine oder zwei Flaschen Sekt einkaufen „und mal wieder in Ruhe über Kerle lästern.“

Zu dem Zeitpunkt wusste Erika noch nicht, dass der nächste Abend ihr noch lange in sehr trauriger und schmerzhafter Erinnerung bleiben würde. Auch als Michael Sabine auf die Stirn küsste und „Gute Nacht“ flüsterte, bevor er todmüde ins Schlafzimmer verschwand, hatte er keinen blassen Schimmer, dass morgen kein schöner Tag werden würde. Und Marie, die ihrer Mutter noch gute Nacht sagen wollte und Felix, der auf eine Geschichte, „nur eine ganz kurze“, bestand, konnten nicht wissen, was morgen geschehen würde.

Der junge Mann, der sich gerade am Telefon mit seinen Freunden verabredet hatte, um endlich mal wieder „richtig einen zu saufen“, freute sich derweil auf morgen. Das würde so geil werden!

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (13)

An diesem Abend diskutierten Michael und Sabine bis weit nach Mitternacht. Michaels Argumente waren gut, fand er. Um genau zu sein brachte er genau die Argumente vor, die bis heute mittag noch von Sabine gestammt hätten, wenn man sie nach der Anschaffung eines zweiten Hundes gefragt hätte. Doch jetzt hatte sie für jedes seiner Argumente eine passende Antwort – und wenn nicht, dann verwies sie darauf, wie süß die kleine gewesen sei.

Am Tag drauf probierte Michael es mit einem Machtwort, scheiterte aber kläglich. Am Dienstag drohte er mit Scheidung, am Mittwoch flehte er Sabine an, am Donnerstag simulierte er eine Haustierhaarallergie, am Freitag versuchte er mittels großer Versprechen die Kinder auf seine Seite zu ziehen, am Freitag sprach er kein Wort mehr mit Sabine, am Samstag appellierte er an ihre Vernunft und am Sonntag holten die beiden schliesslich den Welpen ab.

„Pfff“. Paul schnupperte skeptisch an dem kleinen Welpen, der darauf versuchte, mit den Pfoten an ihm hochzuklettern. „Pfff.“ Paul schubste diesen gescheckte Plüschtier um und inspizierte in Ruhe den nackten Bauch der kleinen Hündin. Sabine war entzückt. „Pfff.“ sagte auch Michael auf die Festellung, dass die Kleine ja sooooo süß sei. Ihn hatte eh keiner gefragt und so tat er ein bisschen so, als wenn er beleidigt wäre. Aber das glaubte ihn keiner. Schon alleine die Tatsache, dass er den Fellball kurz gestreichelt hatte, brachte ihm die unumstößliche Tatsachenbehauptung ein, dass er mit der Entscheidung doch einverstanden wäre.

Das Paula, wie Sabine den Nachwuchs getauft hatte, auf dem Weg nach Hause in Michaels heiligen Bulli gekotzt hatte, konnte er noch verschmerzen. Dass Paula seine Hausschuhe zerlegt hatte, ging auch noch in Ordnung. Als Michael sein Notebook in hohen Bogen durch das Wohnzimmer fliegen sah, weil Paul sich im Spiel mit Paula im Kabel verfangen hatte, bekam er leichtes Kopfweh. Als ihm kurz darauf einfiel, dass er schon seit Wochen kein Backup mehr gemacht hatte, ereilte ihn dieser stechende Schmerz direkt an den Schläfen. Und an dem Tag, an dem Michael den hellen Teppich aus Felix‘ Kinderzimmer rausreissen musste, weil Paula sich drauf verewigt hatte, wiederholte er leise aber stetig, um sich zu beruhigen „Es wird alles gut, es wird alles gut …“

An dem Abend, an dem Michael kurz nach Mitternacht nach Hause kam, weil er gedacht hatte, so ein kleiner Hund haut schon nicht ab, legte er sich aufs Sofa und hätte am liebsten geheult. Dann kam Paula, kletterte an ihm hoch und leckte im das Gesicht ab. Er musste lächeln. „Du bist schon eine süße.“ sagte er sanft und schaute den Welpen an. An Paulas Lefzen hing ein Fitzelchen Papier. Michael inspizierte es und sprang auf: „Äöörgs.“ Klopapier.

Ein Welpe will erzogen werden und die ersten beiden Dinge, die Paula lernen sollte, waren Stubenreinheit und das Akzeptieren der Leine. Beides gestaltete sich etwas, nunja, schwierig. Zwar verrichtete der kleine Hund brav draussen sein Geschäft, aber nur wenn es nicht regnete, nicht zu windig war, nicht zu kalt, zu warm, zu feucht oder zu trocken. Dann nämlich sah Paula überhaupt nicht ein, warum sie nach draussen müsse, wenn man doch genauso gut auf den Teppich im Flur pinkeln könne.

Sabines Versuche, Paula mit Locken, Loben und später auch verzweifelten Bitten beim Anflug eines – in Paulas Augen – Unwetters vor die Tür zu bewegen, sorgten bei Erika für heftige Lachattacken. Von wegen, trotz dieser Probleme wurden die Pfützen im Haus weniger und im Garten mehr. Und irgendwann war Paula stubenrein. Zumindest dachte das Sabine bis zu dem Tag, an dem sie unten im Keller links neben der Tiefkühltruhe Paulas Toilette vorfand. „So ein Mistvieh“ fluchte Sabine und sorgte ab dem Moment dafür, dass die Kellertür verschlossen bleibt. Nach Drei Wochen schliesslich war das Ziel erreicht und nur wenige Wochen später hatte Paulas Bauch genügend Fell, um sich den Witterungen freiwillig zu stellen.

Ganz ähnlich verhielt es sich mit der Gewöhnung an der Leine. Ohne klappte es super, die junge Hündin tapperte ihren Menschen oder Paul hinterher. MIT Leine verwandelte sie sich in den störrischen Esel, den sie von ihrem Vater geerbt haben musste. Wenn man sie dann von der Leine befreite, erlebte man sein blaues Wunder und Klein-Paula machte sich, die Freiheit geniessend, auf und davon.

Um dem Schicksal eines jeden angeleinten Hundes zu entgehen, entwickelte die Hündin die Strategie der Prävention. Wenn es nämlich keine Leine mehr gäbe, dann könne sie auch keiner anleinen, dachte sich Paula wohl und schaffte es, jede noch so raffiniert versteckte Welpenleine ausfindig zu machen und zu zerstören.

Ansonsten verlief das Leben der Familie einigermaßen normal. Die Eltern brachten alles in Sicherheit, was der kleine Hund kaputtmachen könnte und die Kinder ließen jeden Gegenstand, den der kleine Hund kaputtmachen könnte, irgendwo liegen. Im Laufe der ersten Wochen fielen Paula drei Leinen, zwei Geschirre, fünf Kuscheldecken, zwei Hundebetten, die Fernbedienung vom Fernseher, noch eine Fernbedienung vom Fernseher, drei einzelne Schuhe, vier ganze Paar Schuhe, Maries Teddybär, Pauls Kauseil, Michaels Handy, Sabines Cardigan, ein Schlüsselanhänger, dessen Schlüssel nie wieder gefunden wurden, ein Sofakissen und alles, was essbar ist zum Opfer. Alles in allem also eine ganz normale Welpenbilanz

„Nie wieder wird es so schlimm wie heute.“ versuchte Sabine Michael zu beruhigen, während dieser versuchte, das Teleobjektiv seiner Kamera zu reparieren. „Und schau mal, jetzt ist sie ganz ruhig und schläft.“ Das war der Abend, an dem Michael auffiel, dass Paula genauso laut schnarchen konnte, wie ihr Vater.

Um dem „Monster“, wie Paula liebevoll genannt wurde, Herr zu werden, besuchte Sabine einen Welpenkurs, der versprach, den jungen Tieren und natürlich ihren Besitzern das „Einmaleins der Erziehung“ beizubringen. Und Sabine war beeindruckt, wie gut die Hunde „Sitz“ konnten und wie sie sich – gutes Timing vorausgesetzt – auch schon abrufen ließen. Naja, alle außer Paula.

Im Laufe der Zeit hatte sich nicht nur Sabine, sondern auch die anderen Teilnehmer daran gewöhnt, dass Paulinchen sich als Rampensau der Welpengruppe entpuppte. Während die anderen Hunde bereits erwartungsschwanger vor ihren Besitzern hockten, krabbelte Sabine noch durch den Agility-Tunnel, um Paula einzufangen. Sagte sie „Sitz“, antwortete Paula „Nö.“ Rief Sabine „Hiiiier!“, dann fasste Paula dies als Aufforderung auf, wegzurennen. Und während alle anderen über die Wiese tobten, benahm sich Paula wie eine lebende Bowlingkugel. Der Sheltie da? Kein Hindernis! Dong, und der Sheltie war aus dem Weg geräumt. Auch Schäferhundwelpen waren für Paula besonders dann interessant, wenn sie wie Kegel auseinander plumpsten.

Sabine war sich sicher. Hätten Hunde einen Mittelfinger, Paula würde ihn ihr zeigen. Glücklicherweise waren alle sehr verständnisvoll.

Völlig anders verhielt es sich bei Michael. Sagte Michael „Komm her“ stand der Paula sofort parat, Sagte Michael „Sitz“, Buff, der dicke Hintern schleuderte zu Boden, dass alle auf dem Hundeplatz neidisch wären. Sabine ärgerte das ein wenig. Michael beachtete den Welpen kaum und beschäftigte sich nur mit ihm, wenn er gerade Zeit und Muße hatte. Sie jedoch gab sich alle Mühe, machte sich für Paula in der Hundeschule zum Affen und schliesslich war sie es auch, die meistens mit der Kleinen und Paul rausging.

„Undankbares Biest.“ dachte sie sich, während Michael ihr stolz verkündete, dass Paula jetzt „Pfötchen geben“ konnte.

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (12)

„Langsam wirst Du grau!“ sagte Sabine zu Paul, als sie mit ihm das Haus verliess. Sie war mit Erika verabredet, ihr täglicher Gassigang hatte sich fest etabliert, vor allem seit dem Marie eingeschult wurde und Felix in die KiTa ging. Seitdem hatte Sabine Freizeit und konnte sich wieder mehr um sich kümmern. Und so trafen sich die beiden Frauen jeden Tag auf dem Wanderparkplatz am See, gingen die große Runde und Paul konnte sich mit Rotti-Dame Maya vergnügen.

An diesem Tag hatte es morgens geregnet und durch den Wald, den sie zum See durchqueren mussten zogen Nebelschwaden. „Fast wie in einem Sherlock-Holmes-Film“ kicherte Erika. Die beiden mochten ihr tägliches Treffen. Um diese Uhrzeit war kaum jemand am See unterwegs, lediglich hin und wieder ein paar ältere Leute in Leggings, die sich im Nordic Walking probierten. Als sie auf der Bank am See, an dem Paul damals verschwunden war, Platz nahmen, kam Erika auf den Punkt. Schon vorher war Sabine aufgefallen, dass ihrer Freundin irgendwas auf der Seele brannte. Nun rückte Erika raus mit der Sprache.

„Stell Dir vor“, sagte sie. „bald sind Ferien und der Klaus und ich haben beschlossen, dass wir unsere Brut dieses Jahr in ein Jugendcamp abschieben. Drei Wochen frei. Das erste mal seit Ewigkeiten. Da haben wir uns überlegt, dass wir mal eine Woche Urlaub nur für uns haben wollen. Meinst du, du kannst Maya in der Zeit zu Euch nehmen?“ Erika wusste, dass Sabine ihr diesen Gefallen nicht ausschlagen würde. Außerdem verstanden sich Maya und Paul prächtig. „Natürlich, ich spreche heute abend mal mit Michael.“

Michael war in sein Buch vertieft und murmelte nur „jaja, schon gut“, als Sabine ihn über ihren zukünftigen Gast informierte. Und so kam es, dass Maya Anfang Juli bei ihnen einzog.

Der Unterschied zwischen einem und zwei Hunden im Haus war, dass nun kein Platz mehr für einen Menschen auf dem Sofa war. Dass der Postbote nun die doppelte Leckerchenration über den Zaun werfen musste, um ein Paket abstellen zu können und dass zwei Hunde mit Blähungen ungefähr fünf Mal so schlimm stinken, wie einer allein. Tagesüber tobten Paul und Maya durch den Garten, abends gingen Michael und Sabine gemeinsam mit ihnen spazieren und nachts hallte ein deutliches und für jeden gut vernehmbares Schnarchen durchs Haus. Ein 15-Kilo-Sack Hundefutter reichte nur noch für etwa eine Woche, es sei denn, Sabine oder Michael hatten den Schrank nicht richtig abgeschlossen, dann reichte ein Sack nur für etwa dreißig Minuten. Einmal war Marie sehr empört, als sie die beiden Hunde beim Spielen mit ihrer Lieblingspuppe erwischt hatte. Beinahe wäre es ihr gelungen, die Fassung zu wahren, aber in dem Moment, in dem Paul ihr den Kopf der Puppe vor die Füße kotzte, liefen dann doch die Tränen. Und einmal wurde Felix einfach über den Haufen gerannt, als Sabine die Hunde ins Haus rief. Der kleine fiel auf seinen Hintern und blickte sich verwundert um. Dann fing er an zu lachen und rie „Nochmaaaal“. Das ist der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen, Mädchen greifen einmal auf die Herdplatte, Jungs einmal im Monat.

Wenn Paul und Maya zusammen im Kofferraum des Kombis saßen, sah es von außen in etwa so aus, als wenn jemand schwarze und blonde Flockatis in den Kombi gestopft hätte. Und wenn man die beiden aus dem Kofferraum entliess und sie Richtung Wald rannten, hatte das etwas von einer Büffelherde, die vor Indianern flüchtete. Wenn es regnete, trug Sabine Regenponcho und Gummistiefel, schien die Sonne ging sie Barfuss. Das die Hunde ihre selbstangeflanzten Tomaten zum Nachtisch verspeist hatten war ihr egal, dass Maya die Tomaten auf dem weißen Wohnzimmersofa wieder rausgewürgt hatte, war ihr nicht ganz so egal.

Dennoch, die zwei Wochen vergingen wie im Fuge und an dem Samstag Abend, nachdem Erika, braungebrannt und frisch erholt,  ihre Maya wieder abgeholt hatte, fand sie, dass es im Haus irgendwie still sei.

Es war der Abend, an dem Michael plötzlich vor ihr stand und wie ein kleiner Junge von einem Bein auf das andere tänzelte. Er grinste. „Was ist los?“ fragte Sabine. „Wir haben morgen einen Termin,“ sagte Michael geheimnisvoll und zeigte ihr dann die Anzeige auf dem Notebook. Drei Jahre alt, erst Zwölftausend Kilometer gelaufen. Und preislich akzetabel. Sabine wusste, dass Michael schon länger nach einem Bulli suchte. Der Kombi war mittlerweile in die Jahre gekommen und außerdem für die Familie samt Hund etwas eng. Das früher oder später die Anschaffung eines neuen Gebrauchten anstand, war auch klar. Und so fuhren die beiden samt Kind und Kegel am nächsten Tag die Fünzig Kilometer, um sich das Auto anzuschauen.

An diesem Sonntag fuhren sie auf den Hof des großen Grundstücks und eine junge Frau kam ihnen schon entgegen. „Ach, Sie kommen wegen dem Bus?“ fragte sie und fuhr fort, ohne eine Antwort abzuwarten und sagte „Mein Mann ist noch nicht da, aber ich hole meinen Schwager, der weiss auch bescheid.“

Aus dem Haus kam ein südländisch aussehender Mann, der sich als Pablo vorstellte und sich für sein schlechtes Deutsch entschuldigte. Er war Spanier und seine Schwester hatte vor einigen Jahren diesen Deutschen geheiratet. Und nun sei er auf Familienbesuch, da seine Schwester Geburtstag habe. Kommt selten genug vor, er betreibt in Spanien eine Landwirtschaft und hat lange gesucht, bis er jemanden gefunden hat, der seine Tiere für die Zeit seiner Abwesenheit betreut.

Der Bus stand in der Garage, Pablo nahm den Autoschlüssel und fuhr den Bulli auf den Hof. Gut in Schuss, Scheckheftgeflegt, sehen Sie ihn sich in Ruhe an. „Darf der Hund hier rumlaufen?“ fragte Sabine den Spanier. „Warum nicht“ erwiderte dieser, also öffnete Sabine den Kofferraum. Paul sprang heraus, schnüffelte etwas distanziert an Pablos Hose und trottete in Richtung Marie.

„Einen sehr schönen Hund haben Sie da. Ist das ein Ahbash?“ „Ja“ sagte Sabine etwas überrascht. Woher wissen Sie das?“ Pablo erzählte ihr, dass er früher selber einen solchen Hund gehabt habe, bis irgendwelche Taugenixe ihm das Tier getohlen hatten. Heute hätte er Kangals, die seine Herde gegen Diebe, Streunerhunde und Wölfe verteidigten. Er schaute sich Paul genau an und murmelte: „Genau so einen Hund“.

In diesem Moment fuhr ein Geländewagen auf den Hof und der Verkäufer des Bullis stieg aus. Das Verkaufsgespräch dauerte etwa eine Dreiviertelstunde, dann waren sich Michael und Pablos Schwager handelseinig. Der Bulli würde den Besitzer wechseln und Paul hätte endlich einen größeren Kofferraum für sich.

„Paul? Wer ist eigentlich Paul?“ fragte der Ex-Bulli-Besitzer. „Das ist unser Hund“ sagte Michael. „Stimmt. Wo ist er eigentlich?“ Der Mann musste lachen. „Ich hoffe mal, der ist kastriert.“ Pablo wurde blaß. „Verdammt, das hab ich vergessen.“

In diesem Moment tauchte Paul wieder auf, im Schlepptau eine große Hündin, beide mit einem Gesichtsausdruck, als wenn sie eine Zigarrette bräuchten. Heiliger Bimbam.

Die Trächtigkeit einer Hündin dauert etwa 63 Tage. Und genau nach 65 Tagen klingelte Michaels Handy. Am anderen Ende der Leitung war Klaus, der Mann, der ihm den Bulli verkauft hatte. Seine Hündin hätte gestern geworfen und wenn die Familie Lust hat, könnten sie gerne mal vorbeikommen und den Nachwuchs ihres Rüden begutachten. Acht Welpen, fünf Rüden und drei Hündinnen, alle wohl auf. Am besten so in vier bis sechs Wochen, dann sind die Kleinen aus dem Gröbsten raus.

Doch bevor Pauls Kinder besucht werden konnten, stand erstmal ein Tierarztbesuch auf dem Plan. Paul war etwas ruhiger geworden in den letzten Monaten und manchmal schien er morgens nicht so recht auf die Beine zu kommen. Seit dem Sabine Paul das erste mal in seine Bernsteinfarbenden Augen geblickt hatte, waren mittlerweile fast Acht Jahre vergangen.

Der Tierarzt Dr. Müller stellte Paul an diesem Morgen auf den Kopf, hörte das Herz ab, knetete den Hund durch, entnahm Blut und Sabine hatte eine Kotprobe mitgebracht. Das Fazit des Veterinärmediziners war eindeutig. „Ihr Hund wird langsam alt.“ sagte er. Außerdem vermutete er, dass Paul eine leichte Athrose hätte. In dem Gespräch klärte er Sabine auf, dass große Hunderassen keine so hohe Lebenserwartung hätten wie zum Beispiel ein kleiner Terrier. Aber Paul wäre seinem Alter entsprechend fit, man müsse ihn halt wie einen älteren Menschen betrachten. Und Höchstleistungen dürfte man von Paul nicht mehr erwarten.

Alles ist endlich. Auch Paul. Sabine hatte nie darüber nachgedacht. Gut, als es Paul mal richtig schlecht ging, hatte sie Angst, dass er sterben würde. Aber alt? Alt war Paul noch lange nicht, fand sie. Und als der Tierarzt gesagt hatte, dass sie bestimmt noch drei, vier schöne Jahre mit ihrem Hund zu erwarten hätte, kam ihr das ziemlich kurz vor.

Der Sommer verging dieses Jahr viel zu schnell und es war bereits anfang September als Sabine, Michael und Paul zu Klaus fuhren. Paul Kinder waren mittlerweile sieben Wochen alt und das Paar wollte sehen, was Paul da angerichtet hatte. Sicherheitshalber hatten sie die Kinder bei Gertie untergebracht. Die würden eh nur qunegeln und unbedingt einen der Welpen mitnehmen wollen. Aber ein zweiter Hund, nein, wirklich nicht. Und außerdem sind die Welpen noch zu jung, um die Mutter zu verlassen.

Sie fuhren auf den Hof und Klaus erwartete sie bereits. Als die den Garten betraten, rannten ihnen schon Acht blond-braun-weisse Welpen entgegen. Pauls One-Night-Stand war ebenfalls ein Herdenschutzhund und sah in etwa aus wie ein Owtscharka. Dem entsprechend waren die Nachkömmlinge auch kleine Wuchtbrummen, die hier wild durcheinander tobten. Klaus‘ Frau hatte ziemliche Augenringe, als sie mit Kaffee auf die Terrasse trat. Die Kleinen wären putzmunter und sie dem entsprechend ziemlich in Hektik. Aber sie musste lachen.

Michael schaute sich das Spektakel an und war froh, dass die Kinder bei Gertie waren. Er warf einen Blick auf Sabine. Die hatte sich auf den Rasen gesetzt und kuschelte mit einem der Welpen. Michael erschrak und wurde etwas nervös. Er kannte diesen Gesichtsausdruck. Sie war verliebt.

(Fortsetzung folgt)

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Marketing, Baby!

Wenn es eines gibt, über das der geneigte Hundehalter die totale und absolute Kontrolle im Zusammenleben mit seinem Hund hat, dann ist es die Fütterung. Trotzdem sind ungefähr die Hälfte der in Deutschland lebenden Haushunde zu fett. Ich persönlich finde, dass dieser Zustand viel über unsere Beziehung zu unseren Hunden aussagt und da ich ein Freund offener Worte bin, spreche ich das Thema auch meistens gleich im ersten Termin mit einem neuen Kunden an, wenn mich an der Tür mal wieder eine vierbeine Regentonne begrüßt.

Mittlerweile scheint sich das rumgesprochen zu haben, denn in letzter Zeit kommt es vor, dass ich den Hund noch garnicht zu Gesicht bekommen habe und mir schon die ersten Erklärungen für das Gewichtsproblem des Hundes entgegengebracht werden. „Der muss so sein, das ist ‚amerikanische Leistungslinie'“ oder „Wir passen mit dem Futter ja auf, aber die Oma, die …“.

Na toll, der Mrozinski ist also der Tierquäler, der sich über alles und jeden lustig macht und den armen Hunden jetzt auch noch das Futter madig machen will. Das ist also mein Ruf, hm.

Neeneee, so wird das nichts. Kein Wunder, dass die Hundeschule immer noch nicht genügend für die Villa und den Firmenporsche abwirft. Was her muss, ist ein Marketingkonzept, aber eines, dass so richtig Catchy ist. Und natürlich schnellstmöglich den Break Even erreicht. Und ganz, wichtig, eine USP, Unique Selling Proposition, oder ein Alleinstellungsmerkmal, wie die Ewiggestrigen sagen würden.

Nun gibt es in Deutschland ungefähr 50.000 Hundeschulen. Das sind also ungefähr halb so viele Hundetrainer wie es Meinungen zur Frage „Geschirr oder Halsband?“ gibt. Und ich bin einer von ihnen. Uff, um da herauszustechen, muss man sich schon was einfallen lassen.

Sehr gut bewährt hat sich, wenn man nicht einfach nur Hundetrainer ist, sondern gleich ein ganzes System entwickelt hat, welches in einem schmissigen Wort alles wesentliche zusammenfasst. „Dog Oriented Guiding System“, kurz D.O.G.S. von Herrn Rütter ist so ein marketingtechnisches Meisterstück, das zu Recht als die Mutter aller Systembezeichnungen im Hundebereich gilt. Dem Creative Director, dem das eingefallen ist, ein großes „Horay“ für diesen Volltreffer.

So etwas würde mir vielleicht auch die erhofften Millionenumsätze einbringen. Meine erste Idee „Natürlich, artgerecht, profund und fair“, kurz „N.a.p.f.“, verprach zwar jede Menge Publicity, aber ich befürchte, nicht unbedingt die beste. Also habe ich weiter überlegt und bin schliesslich auf „Richtig toll, allumfassend und interaktiv“ gekommen, kurz „Ri.T.al.in“. Passt ja auch irgendwie gut zu den Hütehunden, mit denen ich jeden Tag zu tun habe. Das Kürzel „Artgerecht schulen“, kurz „Ar.sch“ war’s dann auch nicht. Ich stelle mir vor, wie ich irgendwo auftauche und irgendjemand sagt. „Der Ar.sch. ist auch da.“ Wobei das eh schon einige sagen …

Mannmannmann, ganz schön schwer das Ganze. Am besten verschiebe ich das System nach hinten und konzentriere mich auf einen anderen Aspekt.

Wenn es mit der Alleinstellung nicht so ganz klappt, bleibt immer noch die Möglichkeit, sich durch vergleichende Werbung von der Konkurrenz abzuheben. Pepsi Cola und Coca Cola machen das bereits seit Jahrzehnten. Ein schmissiger Claim ála „Normen. Alle anderen sind nur Hundeschulen.“, wobei das nicht wirklich griffig ist. Vielleicht mehr sowas: „Normen. Alle anderen sind doof und haben Schweissfüsse.“ Oder der Klassiker: „Normen. Alle anderen sind Tierquäler.“ Wobei ich glaube, dass dieser Slogan schon durch Trichia von Pöbel besetzt ist.

Nach einiger Zeit hatte ich mich dann für eine Kombination aus pfiffigen Wortspiel und cooler Abkürzung entschieden: „S.H.i.T: Hundetraining für Arme. Und Beine.“ Voller Erfolg! „Super Hundeschule im Taunus!, Yeahh!

Viel wichtiger als der Name ist natürlich das Konzept. Da muss einfach etwas neues her, etwas bahnbrechendes. Und wissenschaftlich natürlich. Denn wenn man als Hundetrainer nicht ganz weit vorn ist, hat man gelitten und gilt schnell als ewiggestriger und Stachelwürgerschwingender Blödmann, der garnichts, aber auch garnicht begriffen hat.

Da es allerdings nicht genügend Neues für all die vielen Hundetrainer gibt, haben sich zwei Methoden etabliert.

Methode 1: Man nehme eine – halbwegs aktuelle – wissenschaftliche Studie und lokalisiere den einen Absatz, der irgendetwas neues suggeriert (oder den kein Schwein versteht) und reiße ihn aus dem Zusammenhang. Den Rest der Studie verschweigt man geflissentlich, sollen die Idioten doch selber nachlesen, was da drin steht. Tadaaa (Mann denke sich hier einen Tusch!): Dr. Schlagmichtod hat in einer Studie festgestellt, dass 35 Prozent er jungen Rüden beim Pinkeln umfallen – ergo, Deprivationsschäden entstehen, wenn die armen Tiere Artgenossen ausgesetzt sind! Deshalb werden sie ab sofort mit Hamstern vergesellschaftet! Bäm, eine neueste wissenschaftliche Erkenntnis mehr.

Methode 2: Man nehme etwas, das eh jeder Hundehalter mehr oder weniger unbewusst tut, gebe ihm einen wichtigen Namen, untermauere das Ganze mit Erkenntnissen aus der neueren Metaphysik, etwas esoterischen Geschwurbel und zack – die neueste und beste Erziehungsmethode ist fertig. Eigentlich so alt, dass vermutlich schon die Höhlenmenschen ihre Säbelzahntiger so erzogen haben, aber jetzt mit „®“ und „©“ wissenschaftlich belegt.

Ich habe mich für eine Mischung aus Methode 1 und Methode 2 entschieden und den intertelepathischen Unterstützer® entwickelt. Hundehalter nennen diesen Vorgang eigentlich „sich zum Horst machen.“ Damit sie aber nicht merken, dass meine Methode genau das selbe ist, war bei der Entwicklung meiner Methode wichtig zu beachten, dass wirklich jede Begrifflichkeit neu und irgendwie therapeutisch klingt.

Also hier – weltexklusiv – mein selbst entwickeltes „S.H.i.T.-System©“ mit intertelepathischen Unterstützer®:

  1. Man bringe den Hund durch einladenes, leicht beschwingtes Kreisen der Arme in eine den Menschen beachtene Position. Das ist der sogenannte „Neuronale Verstärker“ und hat seinen Urspung in einer Studie von Notfallmedizinern, die den Zusammenhang zwischen heftigen Armbewegungen in Verbindung mit ungünstig im Schutzdienst geführten Malinoisrüden untersucht haben. Ganz klare Erkenntnis, die Aufmerksamkeit der Hunde war den Probanten sicher.
  2. Nun forme man seine Beine sanft zu einem „O“ und führe seine Arme mit einer sanften Bewegung nach vorne. Dies ist der „Performer“, das heisst, das wir dem Hund durch unsere Körpersprache signalen, dass wir gleich mit dem telepathischen Unterstützer beginnen. Forscher haben rausgefunden, dass die „O-Beine“ dem Hund das „funktionale U“ der Mutterhündin signalisieren, während andere Forscher rausgefunden haben, dass Hunde augenscheinlich ein „U“ nicht von einem „O“ unterscheiden können. (Außer Rico, aber ist auch ein Border Collie.)
  3. Nun sagen wir ruhig und säuselnd den Namen des Vaters des Hundes, schauen weg und sagen „Ding Dong“. Das ist der „Kontakter“. Und hier beginnt der eigentlich intertelepathische Unterstützer. Dadurch das wir da stehen wie ein Depp, einen fremden Namen flüstern und uns „Ding Dong Ding Dong“-säuselnd von unserem Hund abwenden, wird dieser uns für bescheuert halten und sorgevoll nachsehen, ob er sich nicht besser einen neuen Dosenöffner suchen sollte.
  4. Experten sagen, dass sich ein Verhalten generalisieren muss. Das Bahnbrechende an meiner Methode ist, dass der Hund uns von vorneherein für bescheuert hält und eine Generalisierung nur auf Seiten des Hundehalters stattfinden muss. Noch bahnbrechender ist, dass diese intrartliche Kontaktaufnahme auch innerartlich super funktioniert. Einfach mal im Büro in die neuronale Verstärker-Position bringen und den Arbeitskollegen mittels Performer und Kontakter intertelepathisch unterstützen. Der wird einen für bescheuert halten.

Wahnsinn, oder?

Nachdem ich mir mein wissenschaftliche Wundermethode so betrachtet habe, ist mir in den Sinn gekommen, dass mein „S.H.i.T-System©“ zwar catchy und funky ist, aber das Marmorbad, das ich mir schon ausgesucht hatte, dadurch immer noch nicht finanziert ist. Und da fielen mir die Worte meines alten Freundes Manfred ein: „Das einzige, was schneller reich macht als selber zu arbeiten, ist anderen das für Geld zu erzählen.“ Weise Worte für jemanden, der wegen Betrugs in Haft sitzt …

Aber er hatte recht, und abgesehen davon, dass bei jedem Scheiss-Wetter auf irgendwelchen Hundewiesen rumstehen eh was Blöde ist, habe ich entschieden, dass ich ab sofort interessierten Hundefans anbiete, sie in der hohen Kunst der intertelepathischen Unterstützung auszubilden.

Nach erfolgreich überwiesenden 199,90 € darf sich jeder, der sich öffentlich vor seinem Hund zum Horst macht „Certified S.H.i.T.-Guide©“, außerdem biete ich die Fortbildung zur Zusatzbezeichnung „Star of Richtig Mistbauen“ an, so dass erfolgreiche Absolventen sich „Certified S.H.i.T.St.o.R.M.“ nennen dürfen.

Mein einzigartiges Ausbildungssystem ist absichtlich niederschwellig angelegt, so dass möglichst vielen Interessierten ein Abschluss ermöglicht wird. Zudem werden erfolgreiche Absolventen von „Samt Köter volle Pulle in dem Schlamm fallen“ (S.K.v.P.i.d.S.f) und „Sorry, die Rechnung für die Reinigung übernehme ich selbstverständlich“ (S.d.R.f.d.R.ü.i.s) mit einem Rabatt von 2 Prozent bedacht (zzgl. 5 Prozent Anerkennungsgebühr versteht sich!).

Da natürlich jeder daherkommen kann und Zertifikate ausstellen darf, habe ich mein Zertifikat nochmal mit anderen Zertifikaten untermauert. Quasi habe ich mein Zertifikat zertifiziert: So ist z.B. das Auto, mit dem ich durch die Gegend fahre TüV-zertifiziert, mein T-Shirt fairtrade-zertifiziert, meine Zahnpasta antibakteriell und das Klopapier ist bio!

Ich glaube ganz fest, dass meine „S.H.i.T-Guides“ die Hundeszene umkrempeln werden. Denn wir sind viele, Und wir haben Clubjacken!

Paul, der Labbi-Mix (11a)

„Das kann ja wohl nicht wahr sein“ rief Sabine und war ausser sich. „Paul, du böser, böser Hund!“

Paul, der sich keiner Schuld bewusst zu sein schien, kaute auf einem Teil von irgendeinem Tier rum und hatte sich wohl auch in den Überresten seines persönlichen „Geburtstags-Festmahls“ gewälzt. Missmutig und ohne jedes Verständnis dafür, dass er nicht in Ruhe zu Ende essen durften, kam Paul angetrottet und Sabine stellte fest. Der stinkt nach Verwesung. Ekelhaft.

Als sie mit ihrem Hund zurück zu Erika kam, konnte die sich vor lachen kaum auf der Bank halten. Sogar Maya, die Rotti-Dame schien etwas angewidert von dem Aroma. Mit spitzen Fingern fummelte Sabine die Leine an ihren Hund und die Quartett verliess den Ort des Geschehens. Sabine verabschiedete sich noch von ihrer neuen Bekanntschaft und man verabredete sich für irgendwann in der Zukunft, in der man Paul wieder begegnen konnte, ohne beinahe ohnmächtig zu werden.

Während der Fahrt zurück nach Hause hatte die im Moment nicht ganz so glückliche Hundebesitzerin alle Fenster des Kombis runtergekurbelt. Trotzdem drang ein schier unbeschreiblicher Gestank nach vorne zur Fahrerin. „Ich hoffe, du hattest Deinen Spass“ sagte Sabine, als sie auf die Auffahrt des Hauses fuhr. „Denn ohne vorher gebadet zu haben, kommst du mir nicht ins Haus.“ Paul war da ganz anderer Meinung und fand es überhaupt nicht witzig, dass ein gestandener Rüde wie er in diese rutschige Wanne sollte, um sich von einer Frau, die kaum mehr als 5 Kilo schwerer war als er selber, waschen zu lassen.

Später hatte sich Sabine trockene Sachen angezogen und setzte sich zu Michael auf das Sofa, der immer noch ein Grinsen im Gesicht hatte. „Na immerhin hattet Ihr Euren Spass“ sagte Sabine. Tatsächlich war ihre „Bade-Erfahrung“ mit Paul ein Happening für die ganze Familie. Die beiden Kinder waren quietschvergnügt, als Sabine kopfüber in die Badewanne fiel und Paul pitschnass durchs ganze Haus geflüchtet war. Und erst jetzt fiel ihr auf, dass sich auch Michael vor lachen kaum halten konnte. Die Situation hatte zugegebenermaßen auch etwas urkomisches.

Paul lag nun in seinem Körbchen uns schlief. Was für ein Tag, dachte sich Sabine, als sie im Wohnzimmer das Licht ausmachte und schlafen ging.

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (11b)

Paul lag zwischen den Bäumen und atmete schwer. Aus seinem Maul quoll Blut und er konnte sich augenscheinlich nicht bewegen. Sabine könnte schwören, dass sie das „Oh Gott“ nur geflüstert hätte, doch augenscheinlich hatte sie es in ihrer Verzweiflung geschrien.

Erika kam in das Waldstück gerannt, warf einen kurzen Blick auf Paul und rief: „Sabine, geh das Auto holen, wir müssen ihn sofort zum Tierarzt bringen.“ Sabine rannte so schnell wie sie nur konnte. Und hatte das Gefühl, dass sie nicht vorwärts kam. Nein, nicht das, nicht jetzt, Nein, Nein. Der Weg zum Parkplatz kam ihr unendlich lang vor und jeder Schritt fühlte sich an, als wenn sie im Sand versinken würde. Nervös fingerte sie an ihrem Schlüsselbund rum. Wo ist der verdammte Autoschlüssel? Mit Vollgas fuhr sie den Wanderweg hoch, dass ein paar Spaziergänger sie noch beschimpfen, weil sie zur Seite springen mussten. Kurz vor dem See kam ihr Erika entgegen. Sie hatte den nun leblosen Paul wie einen Sack Zement geschultert. Später könnte Erika sich auch nicht mehr erklären, wie sie den 45-Kilo-Hund soweit hätte tragen können. Maya, die Rotti-Dame lief aufgeregt neben ihrem Frauchen her.

Sabine bremste, sprang aus dem Auto und riss die Heckklappe auf. Tränen liefen ihr das Gesicht runter und sie zitterte bei jeder Bewegung. Die beiden Frauen hievten den Hund in den Kofferraum, Erika rief Sabine zu, dass sie fahre und Maya nahm auf der Rückbank Platz. Erika zückte ihr Handy, während sie den Wanderweg runter raste und sagte ins Telefon „Hallo Herr Dr. Müller, wir sind in 10 Minuten da, der Hund hat wohl Gift gefressen und atmet nicht mehr.“ Er atmet nicht mehr. Er atmet nicht mehr. Dieser Satz kreist in Sabines Kopf rum, sie fragte sich, wie sie das den Kindern erklären sollte. Und wie Michael. Warum hatte sie nicht aufgepasst? Hätte sie Paul doch nur an der Leine gelassen.

Plötzlich drang in ihre Gedanken die Stimme von Erika. Sie musste sich konzentrieren, um wahr zu nehmen, was sie sagte. „Wir sind da“ …

Dr. Müller kam mit einer Tierarzthelferin auf den Parkplatz gerannt. Sie bugsierten Paul mit einem Satz auf eine Trage, die auf einem Wagen stand und rannten mit dem Hund in das Klinikgebäude. Als Sabine einen Blick in den Kofferraum warf, sah sie, dass alles voller Blut war. Noch bevor sie sich richtig gesammelt hatte, kam schon Dr. Müller an und erklärte ihr, dass ihr Hund vermutlich einen scharfen Gegenstand gefressen hätte, der mehrere Schnittwunden in der Speiseröhre verursacht hätte. Er müsste den Hund sofort operieren, da ansonsten die Gefahr bestehe, dass Paul in kurzer Zeit stirbt.

Jaja, machen Sie, bitte. Sabine konnte ihre eigene Stimme kaum hören. Wie in Trance stand sie daneben und nahm nur verschwommen wahr, was da gerade passierte. Nur Erika gab ihr Halt. Erika, die ruhig und souverän geblieben war und ohne die Sabine vermutlich immer noch regungslos vor ihrem Hund in diesem Waldstück am See stehen würde.

Zwischenzeitlich war ein Taxi vorgefahren und Michael war dazu gekommen. Er hatte extra im Sportstudio angerufen und Gertie aus ihrem Yogakurs holen lassen, damit er bei Sabine sein konnte.

Nach fast drei Stunden kam ein sichtlich erschöpfter Dr. Müller aus dem OP-Saal raus und sagte mit sorgevoller Stimme: „Er ist soweit stabil, aber wir behalten ihn erstmal hier. Ihr Hund hat wirklich Glück gehabt. Nur kurze Zeit später und es wäre zu spät gewesen.“

In dieser Nacht bekamen Sabine und Michael kein Auge zu. Sie waren mit ihren Gedanken bei Paul, der nun in dem kleinen Zwinger in der Tierklinik an Infusionen hing. Wer macht sowas? Wer legt mit böser Absicht Köder mit Rasierklingen aus, um Hunde zu töten? Das wollte nicht in ihren Kopf.

Am nächsten Morgen fuhren Michael und Sabine direkt in die Klinik. Ausnahmsweise durften sie Paul auf der Station besuchen, aber nur, weil zur Zeit kein anderes Tier stationär aufgenomen war. Paul sah müde aus, lag flach auf dem Bauch und schnaufte ein wenig. So ein großer Hund und jetzt so ein Häufchen Elend. Die Tierarzthelferin erklärte Michael, dass Paul Schmerzmittel bekommen habe und noch etwas erschöpft von der OP war. In den nächsten Tagen dürfe er nichts zu sich nehmen, nur ein bisschen Spezialnahrung und etwas Wasser. Die Wunden müssten verheilen, das wäre jetzt wichtig. Außerdem müssten sie regelmäßig zur Nachbehandlung kommen, Antibiotikum und etwas gegen die Schmerzen.

Morgen schon könnte Paul wieder nach Hause, der Doktor will ihn noch eine Nacht da behalten.

Eine weitere schlaflose Nacht später holte Sabine Paul gleich morgens aus der Tierklinik ab und es dauerte noch einige Zeit bis Paul wieder der Alte war.

Auch Sabine brauchte einige Zeit, bis sie wieder die Alte war, der Schock über das Erlebte hatte ihr doch stark zugesetzt.

Nun lag Paul in seinem Körbchen uns schlief. „Ach Paulchen“, flüsterte Sabine, als sie im Wohnzimmer das Licht ausmachte und schlafen ging.

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (11)

Da lag er nun, der Paul. An seinem Geburtstag. Sabine war entsetzt und stand wie geschockt vor ihrem Hund …

Hier geht es zu Teil 11a – die Version für Leute mit schwachen Nerven.

Hier geht es zum Teil 11b – die Version für alle, die sich in den Schlaf weinen wollen.

Und hier geht es zu den anderen Teilen von Paul.

Paul, der Labbi-Mix (10) Wochenend-Spezial

Als Michael am Abend nach Hause kam, fiel ihm als erstes diese häßliche Porzellanfigur auf, die im Flaur auf dem Telefonschränkchen stand. „Wo hast du das denn her?“ fragte er und zweifelte ein bisschen am Geschmack seiner Frau. Gut, dass man mit Kleinkind und Kampfhundesteuer keine Bo-Concept-Einrichtung mehr zahlen könnte, war ihm ja klar. Aber wenn sich das Leben der beiden mittlerweile derart armselig gestalten würde, dass sie sich so einen Kitsch ins Haus stellen müsste, würde er sich Paul schnappen un mit ihm einen Kiosk ausrauben. Ein Blick auf diese Figur und jeder Richter hätte Mitgefühl.

Sabine erklärte ihm, was sie an dem Tag erlebt hatte. Sie erzählte von Herrn Gutmuts Sohn, von dem alten Haus und davon, dass es nun leerstünde. Und sie erklärte, dass Gutmut Junior ihr diese Figur geschenkt hatte. Außerdem erklärte sie Michael, warum sie in letzter Zeit emotional so angespannt war. Der Test aus dem Drogeriemarkt hatte es ergeben. Sie war schwanger. Und nun musste sie lächeln. Das erste Mal seit Wochen.

Es muss irgendwann im Frühling gewesen sein, jedenfalls war es endlich etwas wärmer geworden, als Sabine in einem der Kartons den Impfausweis von Paul fand. „Mensch Paul“, sagte sie zu ihrem Hund. „Heute hast du Geburtstag“. Sie musste lachen. „Aber glaub nicht, dass Du eine Torte kriegst“. Sie ging runter ins Erdgeschoss, in dem Michael gerade versuchte, den neuen Herd anzuschliessen. Die Betonung lag auf „Versuch“, denn bereits seit zwei Stunden waren alle Sicherungen ausgeschaltet.

Als die beiden das Haus gekauft hatten, hatte Michael gewusst, dass hier viel zu tun sei.  Aber hatte sich gedacht, dass man viel Geld sparen könnte, wenn man vieles selber macht. Naja, das hatte er jedenfalls gedacht. Sein erster Versuch, eine Wand zu verputzen endete darin, dass der Handwerker, den er schliesslich bestellen musste, erst Michaels „Kunstwerk“ von der Wand entfernen musste. Aber Heinz war schliesslich einiges gewöhnt. Schliesslich kannte er das Paar noch aus der Zeit, in der Sabine mit Marie schwanger war. Und Michael war hat ein Denker und kein Macher. Auch diesmal musste Heinz zur Hilfe eilen. Nachdem Sabine gesehen hatte, dass es trotz angeblich rausgezogener Sicherungen bedenklich funkte, bestand sie darauf.

Sie lebten nun schon zwei Jahre in diesem Haus und die neue Küche war die letzte der großen Anschaffungen gewesen, die dringend notwendig waren. Und sie wollte weder den teuren Herd noch ihren handwerklich ungeschickten Mann verlieren. Nicht jetzt, wo es so gut lief.

In diesem Sommer würde Marie in den Kindergarten kommen und Felix, wie ihr Sohn hieß, entwickelte sich prächtig. Seitdem sie ihre piefigen Nachbarn losgeworden waren, fühlte sich das Paar freier. Michael sagte mal „Endlich kann ich wieder durchatmen.“ Sabine hatte die Gartenarbeit für sich entdeckt, auch wenn sie zugeben musste, dass sie in diesem Bereich ungefähr so begabt war wie Michael in Sachen Renovierung.

Und heute hatte Paul Geburtstag. Mit zwei Kindern und der niemals endenden Baustelle im Haus kam er in den letzten Monaten immer etwas zu kurz. Aber Paul ertrug sein Schichsal tapfer. Überhaupt war er in seiner stoischen Gelassenheit seinen Menschen gegenüber der perfekte Familienhund. Ruhig und gelassen – egal, ob er gerade als Hüpfburg für die kleinen herhalten musste oder als Joggingpartner für Sabine, die sich fest vorgenommen hatte, die Pfunde, die der Nachwuchs hinterlassen hatte, wieder loszuwerden.

Lediglich der Postbote konnte sich nicht so recht mit Paul anfreunden. Und Paul nicht mit ihm. Die beiden hatten so etwas wie eine Übereinkunft getroffen. Wenn der Bote ein Paket lieferte, stellte er  es direkt hinterm Gartentor ab. Das bedeutete, dass er die Türe aufmachen, das Paket ablegen und die Türe wieder schliessen musste. Der erfahrene Postler hatte errechnet, dass er dafür ungefähr zehn Sekunden brauchte. Paul hatte errechnet, dass er in zehn Sekunden ungefähr 15 Leckerchen fressen konnte. Und so kam der Postbote, sagte: „Hol’s Dir“, Paul holte sich das Futter und der Postbote hatte das Paket abgelegt, bevor Paulchen wieder am Tor war.

Der heutige Tag, der sollte Paul gehören, dachte sich Sabine und öffnete den Kofferraum des Kombis. „Komm Paul“ sagte sie und der Hund sprang in den Kofferraum.

Mit dem Auto fuhr Sabine zu dem etwa 15 Minuten entfernt gelegenen See, den sie im letzten Winter entdeckt hatte. Paul war eine wahre Wasserratte und liebte es, im See zu planschen. „Ein bisschen wie ein Rentner auf Kneipp-Kur“ sagte Sabine mal, als sie ihren Hund dabei beobachtete, wie er gemächlich seine Runden zog. Schon am Parkplatz stellte sie fest, dass hier doch ganz schön was los war, sobald es etwas wärmer wurde. Also musste Paul erstmal an die Leine.

Nach ungefähr einem Kilometer gemütlichen Spaziergangs tauchte am Horizont der erste Hundebesitzer auf. Glücklicherweise einer der vernünftigen Sorte, der seinen Hund gleich an die Leine nahm. „Ist Ihrer verträglich?“ fragte die Frauenstimme. Sabine antwortete „Rüde oder Hündin?“ Hündin, gut, das klappte meistens. Die Hundehalterin stellte sich als Erika vor und ihre Hündin als „Maya“. Maya war eine große und nicht minder beeindruckende Rotti-Hündin und Paul machte den Anschein, als sei er verliebt.

Nach kurzem Überlegen leinte Sabine ihren Paul ab und die beiden Hunde tobten durch den Wald. Die beiden Frauen entschlossen sich dazu, die Runde am See gemeinsam zu gehen.

Erika war nett und Sabine verstand sich auf Anhieb mit ihr. Sie war etwas älter und ihre Kinder, die sie scherzhaft als „Brut“ bezeichnete, gingen zur Schule. Ihre Tochter sei in der Pubertät, ein Kotzbrocken, wie er im Buche steht, lachte Erika. Und „Jungsverrückt“. Aber, wenn das Kind irgendwann einen mit nach Hause bringen würde, hatte sie da schon einen Plan. „Maya darf dann mit ins Kinderzimmer, dann packt er die Jenny schon nicht an.“

Am See angekommen setzen sich die beiden auf eine Bank unterhielten sich angeregt, während die Hunde durch die Büsche, durchs Wasser, über die kleine Wiese und wieder durch die Büsche tobten. Das war ein schöner Geburtstag für Paul, dachte Sabine. Übrigens, wo ist er überhaupt?

Erika rief ihre Maya zu sich, die auch irgendwann widerwillig auftauchte. Nur Paul lies sich nicht blicken. Sabine ging am See auf und ab, suchte in den Büschen, rief nach Paul, doch nichts tat sich. Also ging sie in das Waldstück rein und rief nach Paul. Keine Reaktion. „Paaaauuuul!!! Der war doch gerade noch hier! Dieser blöde Hund“ fluchte sie vor sich hin, als sie einen Blick zwische eine Gruppe junger Bäume warf und ihn schliesslich fand.

(Fortsetzung folgt)

Hier geht es zu den anderen Teilen von Paul.

Paul, der Labbi-Mix (9)

An diesem Morgen waren Sabine und Gertie mit Marie und Paul im mittlerweile fünften Geschäft, um eine neue Pfeife für Herrn Gutmut zu finden. Sabine bekam immer noch einen kleinen Schweißausbruch, wenn sie daran dachte, wie Paul den älteren Herrn mit geballten 45 Kilo Allradantrieb und ordentlich Schwung umgeworfen hatte. Glücklicherweise hatte Gutmut verständnisvoll reagiert. Eines war auf jeden Fall sicher, ab sofort gab es für Paul nur noch Freilauf, wenn Sabine auch wirklich den Überblick hatte.

Als sie Michael am Abend davon erzählt hatte, konnte er sich ein Lachen nicht verkneifen. Früher wäre er besorgt gewesen, aber zwei Jahre Paul hatten ihn verändert. Mittlerweile machte er sich jeden Morgen einen Spass daraus, laut im Treppenhaus „So, Paul, jetzt geht’s zur Jagd“ zu rufen, nur um sich dann beim Frühstück über die verärgerten Blicke der Nachbarn lustig zu machen. Und während er noch vor einigen Monaten bemüht war, den Frieden aufrecht zu erhalten, nutze er nun jede Gelegenheit, um mit den Anwohnern zu diskutieren. Ironie war nie seine Stärke gewesen, mittlerweile beherrschte er die komplette Palette, wenn es darum ging die verbitterten alten Leute aus der Wohnung gegenüber in den Wahnsinn zu treiben.

„Sollen wir das jetzt bis ans Ende unseres Lebens ertragen?“ rief zum Beispiel einmal die Nachbarin, die sich mal wieder über den Kinderwagen im Flur beschwerte. „Is‘ ja nicht mehr lang.“, konterte Michael trocken und musste grinsen, als er den verdatterten Blick dieser alten Schachtel zur Kenntnis nahm. Sabine hatte den Eindruck, dass ihr Mann langsam Spass an dieser Outsider-Rolle hatte.

„Die hier ist doch gut“ sagte Gertie und zeigt Sabine eine geschwungene Pfeife aus Holz. „Keine Ahnung, ich hab noch nie Pfeife geraucht. Aber schön aussehen tut sie.“ Blöderweise hatte Sabine die kaputte Pfeife von Herrn Gutmut nicht mehr in Erinnerung, aber Gertie machte einen überzeugten Eindruck, also sollte dieses Modell der versprochene Ersatz werden.

Manche Momente im Leben vergisst man nie. Das wussten auch Sabine und Gertie. Die Geburt von Marie zum Beispiel oder als Gerties Mann starb und sie die letzten Wochen seines Lebens an seiner Seite verbrachte, bis er schliesslich seinem Leiden erlag. Oder der Tag, an dem Sabine Michael kennengelernt hatte – obwohl die Erinnerungen der beiden hier etwas auseinandergingen. Während Sabine stundenlang alle Details ihrer ersten Begegnung zu erzählen wusste, antwortete Michael auf die Frage, wie er seine Frau kennengelernt hatte, mit einem knappen „An der Uni“. Typisch Mann.

Das der heutige Vormittag zu einem solchen Moment für die beiden Frauen werden sollte, ahnten sie noch nicht, als sie mit dem Kombi den geteerten Feldweg zu Herrn Gutmut hochfuhren. Sabine hatte vorher bei ihm angerufen, um sich zu versichern, dass er auch zuhause sei. Am Telefon klang er etwas komisch und sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich willkommen waren. Als sie an dem etwas vergammelten Gartentörchen stand und klingelte, tat sich erst mal nichts. Sie klingelte erneut – nichts.

„Bist du sicher, dass Ihr 12 Uhr verabredet habt?“ fragte Gertie. „Ja, ganz bestimmt, ich habe ihn ja heute morgen extra noch mal angerufen.“ erwiderte Sabine. „Hm, komisch“. Gertie öffnete das Tor und ging in den Vorgarten. Sabina war nicht so ganz wohl dabei und so zog sie es vor, lieber vor dem Grundstück zu warten. „Ich schau mal hinterm Haus, aber es scheint niemand da zu sein.“ sagte Gertie.

Christian und Marco hatten gerade ihren Bereitschaftsdienst angetreten, als der Notruf eintraf. In eiliger, aber präziser und routinierter Vorgehensweise hatte es keine fünf Minuten gedauert, bis sie ihren Rettungswagen auf die Straße gebracht hatten und weniger als zehn Minuten, bis sie am Einsatzort eingetroffen waren. Fast zeitgleich war Herr Dr. Schnelle vor Ort, der als zuständiger Notarzt gerade aus dem Klinikum gekommen war. Der etwa 70-jährige Patient war jedoch bereits tot, als die Einsatzkräfte zur Hilfe geeilt waren.

Eine ältere Dame und ihre Tochter hatten den Notruf ausgelöst. Die Dame, die sich als die Mutter der jungen Frau herausstellte, hatte den Toten hinterm Haus gefunden. Später würde ein Schlaganfall als Ursache für den Tod des Mannes festgestellt werden und Christian und Marco würden unisono sagen, dass sie froh seien, dass der Mann gefunden wurde, bevor die Natur sich seines Körpers bemächtigte. Ältere Leute, die einsam versterben und oft erst wochenlang später gefunden wurden, waren so ziemlich das Schlimmste an dem Job.

In den folgenden Wochen fühlte sich Sabine irgendwie bleiern, wenn man sie ansprach, erreichten sie die Worte wie durch einen Schleier und wenn sie unterwegs war, dann wie mit Scheuklappen. Dieser Mittag ließ sie nicht mehr los, sie musste an Herrn Gutmut denken, und wie der darüber gesprochen hatte, wie einsam er sich manchmal fühlte. Das seine Frau gestorben waren und seine Kinder lange aus dem Haus. Es war weniger der Anblick der Leiche, der ihr zu schaffen machte. Vielmehr beschäftigte sie die Tatsache, dass dieser nette Mensch alleine gestorben, dass niemand bei ihm war und seine Hand gehalten hatte, dass seine Kinder über das Telefon vom Tod ihres Vaters erfahren hatte.

In diesem Wochen stand sie oft am Bett von Marie und dachte darüber nach, wie wohl ihr Leben im Alter aussehen würde. Was sie tun würde, wenn sie irgendwann allein sei. Und ob Marie sich wohl um ihre Eltern kümmern könnte, wenn diese Pflege bedürften. Michael fühlte sich etwas hilflos, er beobachtete Sabine, hatte aber das Gefühl, dass er keinen echten Zugang zu ihr bekam. Was sollte er tun. Ein Freund von ihm rat ihm, einfach da zu sein. Sabine würde schon darüber hinwegkommen und es kämen auch wieder bessere Zeiten.

Gertie wiederrum hatte sich recht schnell von dem Schock erholt, schliesslich hatte sie den Mann ja nie kennengelernt. Sie verfolgte die Devise, dass „Etwas unternehmen“ das beste Mittel war, um Sabine aus ihrem emotionalen Tief herauszuholen. Und so stand sie jeden Tag vor der Tür, packte ihre Tochter, ihre Enkeltochter und das Zweitkind, wie sie Paul liebevoll nannte, ein und es wurde etwas unternommen. Kaffee trinken gehen, ins Einkaufszentrum oder spazieren im nahegelegenen Naturschutzgebiet.

Vielleicht war es Zufall, vielleicht führte auch irgendetwas unterbewusstes Gertie und Sabine genau an diesen Tag in die Nähe von Herrn Gutmuts Haus. Sabine war zunächst wie starr vor Schreck, als sie die Giebel des Hauses zwischen den Laubbäumen wieder erkannte. Aber irgendwas zog sie dahin. Vielleicht brauchte sie einen Abschluss, einen finalen Schlussstrich, wer wusste das schon.

Gemeinsam mit Gertie ging sie den Weg runter zu dem Gartentörchen, an dem sie an dem Tag gestanden und vergeblich geklingelt hatte. Im Vorgarten stand ein großer Container, in dem jede Menge Sperrmüll und Gerümpel lag. Ein ganzes Leben in einem Container. Ein etwas pummeliger Mann trug gerade einen alten Beistelltisch aus Buchenholz aus dem Haus, als er bemerkte, dass da jemand vor dem Grundstück steht.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte er sichtlich aus der Puste. „Nein“, stammelte Sabine etwas unsicher, „es ist nur …“. Sie erzählte dem Arbeiter, wie sie Herrn Gutmut gefunden hatten und dass sie einfach nochmal hierher kommen wollte, um einen Schlussstrich zu ziehen. Und sie erzählte ihm von Gutmuts unheilvollen Begegnung mit Paul und von der zerbrochenen Pfeife.

Der Mann hörte zu und drehte sich derweil eine Zigarette. „Ich erinnere mich,“ nuschelte er etwas, während er sich den Glimmstengel anzündete. „Mein Vater hat mir davon erzählt. Paul, wie mein Uropa, ein harter Hund“, grinste er und guckte Paul freundlich an. „Komm’se doch rein, hier isses viel zu kalt.“ Sabine, Gertie und Paul folgten Gutmuts Sohn ins Haus. Fast alle Räume waren bereits leergeräumt. Nur ein paar helle Stellen an den Wänden zeugten von den Möbeln, die hier mal gestanden hatten.

Gutmut Junior ezählte von seinem Vater, von dem nicht immer ganz einfachen Verhältnis zu ihm und dass Herr Gutmut sich bis zum Ende geweigert hatte, das Haus aufzugeben. Nun stand es da, ohne Besitzer. Juniors Schwester hatte gleich klargestellt, dass sie kein Interesse an der Immobilie hatte, ihr Lebensmittelpunkt war im Süden und sie liebte München. Außerdem, das Haus war alt, es gab viel zu renovieren und wer wollte schon soweit abseits leben. Der nächste Nachbar 200 Meter weit weg, kein Supermarkt und kein Bahnhof in dem Kaff.

Gutmut Junior hatte das Haus vor einiger Zeit zum Verkauf angeboten und schnell die Erfahrung gemacht, dass die Immobilienpreise tatsächlich ziemlich im Keller sind. „Wenn Sie jemanden kennen, der das Haus haben will, geben’Se mir bescheid“ sagte er nachdenklich, während er einige Porzellanfiguren in einen Müllsack bugsierte. Er musste schmunzeln. „Mein Vater hat diesen Tinnef gehasst, aber Mutter hat ständig diesen Kram angeschleppt und das Haus bis unters Dach mit Kitsch vollgestellt. Vater hätte sich nie getraut, die Figuren wegzuwerfen. Mutter war schon zehn Jahre tot und er hat sie immer noch hier stehen gehabt.“ Er nahm eine der Figuren, einen gold-weißen Porzellan-Engel mit einer Harfe. „Wollen Sie die vielleicht haben?“

(Fortsetzung folgt)

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