Paul, der Labbi-Mix (8)

“Sabine, mein Kind”, sagte sie. “Das kriegen wir hin. Das lassen wir uns nicht gefallen.”

Die Worte ihrer Mutter waren Sabine im Ohr geblieben, als sie am nächsten Morgen mit Paul auf dem Weg nach draussen war. Ihr kam eine Nachbarin entgegen und rümpfte die Nase. „Ist das Vieh immer noch da?“ kam es Sabine unfreundlich entgegen. „Ja, und bleibt auch“ grinste sie die ältere Dame an, die sichtlich beeindruckt war ob Sabines Frechheit. Das tat gut!

Gertie hatte morgens mit einem Rechtsanwalt telefoniert, der ihr mitgeteilt hatte, dass es keinen Grund zur Sorge geben würde, da die anderen Eigentümer kein Recht hätten, die Hundehaltung „einfach so“ zu untersagen. Aber vermutlich würden sie einen Versuch unternehmen und auf die Gefahr hinweisen, die vom Paul ausgehe. Aber dem könne man gelassen entgegen sehen. Größere Sorgen machten Gertie auch die Nachbarn selber. „Es kann der frömmste nicht in Frieden leben, wenn’s dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Da war was wahres dran. Und Gertie hatte schon gemerkt, wie angespannt ihre Tochter und ihr Schwiegersohn in der letzten Zeit gewesen waren. Wenn das mal gut geht.

Gut bzw. viel besser als erwartet verlief einige Wochen später die Geburt des Kindes. Marie. Michaels Prinzessin. Die kleine hatte es eilig gehabt, kam einige Tage zu früh und auch der Geburtsvorgang ging schneller von Statten als erwartet. Michael war froh, dass Sabine noch einige Tage im Krankenhaus bleiben sollte, da er zum Geburtsttermin hin ein wenig aus den Augen verloren hatte, was so ein Kind alles an Erstausstattung benötigte.

Als er in dem Geschäft stand und die schier endlose Auswahl an Zubehör, Accesoires und Babykleidung sah, musste er grinsen und an den Tag denken, an dem Sabine und er die Erstausstattung für Paul gekauft hatten. Tatsächlich stellte er an der Kasse fest, dass er bei Marie sogar etwas günstiger weg gekommen war als damals bei Paul. Sowas.

Derweil hatte sich Sabine bereits etwas von den Strapazen der Geburt erholt. Ihr Tagesablauf begann mit der Versorgung des Säuglings unter Mithilfe einer Hebamme. In den Pausen unterhielt sie sich mit ihrer Zimmernachbarin. Nicht nur, dass beide gerade Mutter geworden waren, sie hatten auch ein ähnliches Schicksal. Die junge Frau im Bett neben ihr hatte ihren Hund jedoch einschläfern lassen, nachdem er gebissen hatte. Eine Sache, die sie zutiefst bereute. Doch die Nachbarn hatten dermaßen Druck gemacht, und sie hatte niemanden gefunden, der ihren „Paul“ übernehmen wollte. Sabine merkte, wie schwer es ihrem Gegenüber fiel darüber zu sprechen und hielt sich deshalb ein wenig zurück, wenn es auf das Thema Hund kam. Einmal jedoch sagte die junge Frau wie aus dem Nichts: „Es hätte eine andere Lösung gegeben, es gibt immer eine andere Lösung.“

Eine Lösung brauchten auch Sabine und Michael. Morgen würde sie mit der Kleinen nach Hause kommen und sie hatte etwas Angst, wie Paul wohl auf den Zuwachs reagieren würde. In verschiedenen Foren hatte sie eine Vielzahl an Tipps gelesen, wie man Hund und Kind aneinander gewöhnt. Und sie hatte sich Notizen gemacht. Doch jetzt war sie einfach nur nervös. Paul wog 45 Kilo, Marie nicht viel mehr als 4,5 Kilo. Insgeheim jedoch vertraute sie ihrem Paul, vielmehr setzte sie voraus, dass es mit dem Kind gut geht. „Wir haben so viel Ärger gehabt, wenn es jetzt daran scheitert, bring ich ihn persönlich zurück nach Spanien.“ hatte sie mal im Scherz gesagt und dabei gehofft, dass Paul ihre Worte verinnerlicht.

Am Tag von Sabines Entlassung musste Michael feststellen, dass es unmöglich war, den Kinderwagen UND Paul im Kofferraum des Kombis unterzubringen. Also musste Paul zuhause warten. Heimlich fand Michael diesen Umstand gut, war er doch das Argument, sich nach einem neuen, größeren Auto umzuschauen. Sabine würde das schon verstehen. Schliesslich sollte der Hund immer dabei sein.

Zwei Stunden später, Sabine war noch mal alle Notizen durchgegangen und Michael hatte zur Sicherheit einen Regenschirm in der Hand, warum wusste er auch nicht. Würde Paul wider Erwarten die Kleine im Kinderwagen angehen, würde der Schirm auch nicht helfen. Und außerdem traute er Paul auch nicht zu, dass er so böse auf das Neugeborene reagieren würde. Aber, für den Fall, dass es in der Wohnung regnet, wäre er gewappnet. Und er kam sich einen kurzen Moment auch ziemlich männlich vor.

Wochenlang hatten die Nachbarn sie gewarnt, Gertie hatte ihre Bedenken geäußert und auch der Herr vom Ordnungsamt sah die Sache skeptisch. Sabine und Michael hatten das Internet nach Informationen durchforstet, mit jemanden und mit dem Experten telefoniert und nun standen sie vor der Wohnungstür. Die Kleine im Arm, der Hund auf der anderen Seite.

Vorsichtig schloss Michael die Türe auf und Sabine kam mit Marie rein. Paul schaute neugierig nach dem Bündel und Sabine liess ihn die kleine kurz beschnuppern. Paul schnupperte, musste niessen, hechelte kurz aufgeregt und legte sich wieder in seinen Korb. Das war’s. Dafür der ganze Aufriss. Problem erledigt.

In den folgenden Monaten machten Sabine und Michael die Erfahrung, dass sich die Nachbarn nun nicht mehr wegen des Hundes sondern wegen des Hundes und Marie beschwerten. Das Geschrei wäre nicht auszuhalten und der Kinderwagen im Treppenhaus wäre eine Zumutung. Und dann die Windeln in der Restmülltonne. Schliesslich lebten hier auch alte Leute und Menschen, die nachts ihren Schlaf brauchen. „Die Kinder haben die wohl mittlerweile vergrault“, sagte Michael irgendwann.

Die nörgelnden Nachbarn und die Tatsache, dass nicht nur der Kofferraum des Autos sondern auch die drei Zimmer für Sabine, Michael, Marie und Paul auf Dauer zu eng würden, veranlasste Michael dazu, abends im Internet nach „was anderem“ zu suchen. Das Budget der kleinen Familie war Dank Marie und einer 560 Euro teuren Tierarztrechnung für so eine vermalledeite, distanzlose Hundewiesenbegegnung ziemlich geschröpft. Aber so, das war kein Leben. In dieser verpesteten Atmosphäre sollte Marie nicht aufwachsen. Auch wenn der Verkauf der Wohnung sicherlich mit einem Verlust für ihn enden würde. Michael war bereit, das in Kauf zu nehmen.

Herr Gutmut musste in letzter Zeit auch einiges in Kauf nehmen. Seit einem Schlaganfall konnte er nicht mehr so wie er gerne wollte. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Seine Frau war schon vor einigen Jahren gestorben und der nun lebte er alleine in dem großen alten Haus. Zu seinen Kindern hatte er nicht besonders viel Kontakt, seine Tochter war nach dem Studium nach München gezogen und sein Sohn arbeitete viel im Ausland auf Montage.

Das letzte, was er von seinen Kindern mitbekommen hatte, war der Rat, doch in ein Altenheim zu ziehen. Dort würde man ihn versorgen und er hätte nicht mehr so viel Arbeit auf dem Grundstück. Er fand das frech, er war zwar nicht mehr der Rüstigste, aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, in so einem „Rentnerknast“, wie er es nannte, zu leben.

Herr Gutmut nahm seinen Stock, den er zum Aufstützen brauchte und beschloss, ein paar Meter durch die Landschaft zu laufen und sich eine Pfeife zu gönnen. Er kam gerade zu der Bank neben dem alten Wasserwerk und wollte Platz nehmen, als er am Horizont eine Person wahrnahm, die irgendetwas rief. Auf dem zweiten Blick sah er, dass der Grund für die Rufe geradewegs auf ihn zurannte. Es musste ein Grizzlybär oder so etwas sein, dachte er noch, als er nochmal genau hinschaute und genau in diesem Moment – Rumms – zu Boden ging. So lag er da erstmal einige Sekunden wie eine Schildkröte auf dem Rücken.

Als er die Augen aufmachte, stand da dieser riesengroße hechelnde Hund über ihn und schaute Herrn Gutmut ernst an. Von hinten kam eine Frau mit einem Kinderwagen angespurtet, die so etwas wie „ohmeingottohmeingottohmeingottohmeingott“ vor sich hinstammelte und etwas hysterisch wirkte.

„Nun beruhigen Se sich mal, junge Frau“ sagte Gutmut und versuchte, sich aufzurichten. Das würde einen schönen blauen Fleck geben. Als er es endlich geschafft hatte, wieder auf eigenen Beinen zu stehen, klopfte er sich den Dreck von den Hosen und suchte nach seiner Pfeife. Die junge Frau hob sie auf und streckte sie ihm hin, während unzählige Entschuldigungen aus ihrem Mund sprudelten. Die Pfeife war hin, genau am Aufsatz abgebrochen, Mist. Herr Gutmut setzte sich auf die Bank und rief lauter als er wollte: „Is‘ ja gut, is ja nichts passiert.“

Die junge Frau stellte sich ihm als Sabine vor, die Kleine in dem Kinderwagen wäre Marie und der große Hund, der Herrn Gutmut beinahe entschuldigend anschaute, das war Paul. „Paul,“ sagte der Rentner, „wie mein Opa, der hiess auch Paul und war genauso ein harter Hund.“ Sabine beteuerte noch circa fünfzig Mal, dass ihr das fürchterlich peinlich sei und das sie die Pfeife natürlich ersetzen würde.

Sie begleitete ihn noch nach Hause und Herr Gutmut kam sich etwas wie einer dieser alten Leute vor, mit denen er Mitleid hatte. Aber die junge Frau hatte es nur gut gemeint und der Hund war mittlerweile auch freundlicher gesinnt. Und das Kind war wirklich entzückend. Gutmut war immer ein Familienmensch gewesen und genoss das Gespräch mit Sabine. Am Abend saß er in seinem alten Fernsehsessel mit dem dunkelgrünen Cordbezug und fühlte sich einsam. Er wollte sich eine Pfeife stopfen, aber die war kaputt. Glücklicherweise hatte er noch ein paar Cigarrillos gefunden. Die waren bestimmt schon Zwanzig Jahre alt. „Da bin ich mal gespannt,“ dachte er bei sich und schaute aus dem Fenster raus auf das Naturschutzgebiet, in dem er lebte. „ob die mir wirklich die Pfeife ersetzt.“

(Fortsetzung folgt)

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Yapp Yapp

Ein Hund, der stark hechelt, von innerer Unruhe geplagt ist und hysterisch kläfft, zeigt Symptome von Stress, sagen Tierärzte. Es sei denn, er ein Hütitüti und sitzt im Kofferraum kurz vorm Training. Da nennt man das Vorfreude, sagte mir zumindest die Besitzerin des Hundes. So einfach ist das.

Der Hund, der da im Kofferraum des SUV vor Freude beinahe kollabierte, hieß „Pepper“ und war ein reinrassiger Aussie in der lustigbunten Farbe „Gen-Defekt*“. Nicht nur ein pfiffiger Lausbub, mit dem die ganze Familie Spaß haben sollte, sondern auch ein senisbler Freund für einsame Stunden. So stand es auf der Internetseite der Züchterin, die die Tierchen „liebevoll und familiär“ so als Hobby züchtete. Und ohne Papiere übers Internet verhökerte. Peppers Vater war der König unter den Showlinien-Aussies und sah ein bisschen aus wie ein explodiertes Sofakissen. Peppers Mutter wiederrum war das Ergebnis einer Liaison zweier Aussies aus dem Freundeskreis der Züchterin und war nicht minder plüschig.

Peppers Frauchen hiess Petra und hatte sich akribisch an das gehalten, was sie so über Hütehunde gelesen hatte. Auslastung körperlicher und geistiger Natür, Frühförderung und Aktivität. Kurz, Pepper hatte einen Tagesablauf wie ein 12-jähriges Mädchen mit größenwahnsinnigen Eltern.

Montags und mittwochs war „Aggi“ angesagt, samstags wurde für die Begleithundeprüfung gebüffelt und sonntags ging’s zum Flyball, weil Pepper so viel Spass an der Action hatte. Außerdem war Petra auf die Idee mit dem Dog Dancing gekommen, aber das machte sie mit Hilfe einer DVD zwischendurch zuhause. Damit der Hund auch geistig gefördert wurde, besaß Pepper sieben unterschiedliche Intelligenzspiele, von denen er drei nahezu perfekt beherrschte. Dazu dann noch die „Basics“ beim Gassigehen, ein bisschen Apportieren, Futter suchen, Fährte lesen und fertig war der Hundealltag.

Das sei nämlich alles wichtig, versicherte mir Frauchen, denn so ein Hütehund sei ein Arbeitstier und müsse entsprechend beschäftigt werden. Und Pepper macht das auch alles prima, ok, das Gekläffe nervt ein bisschen, aber im Forum hat sie gelesen, dass die Aussies so sind. Na dann. Und so stand ich da am Rand des Hundeplatzes und Pepper rannte um mich rum, sprang mich an, kläffte, rannte weiter, kläffte, sprang Frauchen an und kläffte.

Frauchen wiederrum erwiderte Peppers Verhalten mit einem „Sitz“, was Pepper mit einem „Sitz“ quittierte, nur um dann gleich wieder auf Achse zu sein. „Er ist ein bisschen unruhig, findest Du nicht?“ fragte ich Petra vorsichtig und sie erwiderte „Das ist die Vorfreude, weil es gleich los geht.“ Ok, das hatten wir schon.

Nun war Peppers Problem laut seiner Besitzerin, dass er sich nicht ganz so supergut abrufen liess, wenn z.B. Autos, Radfahrer, Jogger, Rehe oder Weinbergschnecken am Horizont auftauchten. Vermutlich, so dachte sie, wäre er nicht ausgelastet. Deshalb wäre er so ein klitzkleines bisschen nervös. Ich schaute Pepper 5 Minuten zu und hatte Kopfschmerzen.

Petras Idee war, dass Pepper ja Schafe hüten könnte, schliesslich wäre er ja ein Hütehund. Und da ich doch ein paar Schäfer kennen würde, hatte sie die Hoffnung, dass ich ihr da „jemanden vermitteln“ könnte, bei dem Pepper an den Schafen arbeiten könnte. Am besten vormittags, da wär sie in der Schule.

Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir vor, wie Schäfer Franz einen halben Tag mit seinen Schafen plus Pepper unterwegs wäre und wie lange es wohl dauerte, bis Franz den Hund erschlagen würde. Ich vermutete so in etwa Zwanzig Minuten. Das Problem bei einer Erkenntnis wie dieser ist immer, dass Besitzer solcher Hunde relativ wenig Verständnis dafür haben, wenn man versucht, ihnen zu verstehen zu geben, dass ihr Arbeitstier ein hypernervöses Wrack und kein talentierter Hüte-Profi ist.

Also nutzte ich den gewünschten Vormittagstermin als Vorwand, Petra den vermeindlichen Zweitjob für ihren Hund wieder auszureden. „Vormittags ist der Schäfer am Stall, da langweilt sich der Hund doch nur.“ Wobei etwas Langeweile Pepper nicht schaden würde, aber das stand auf einem anderen Blatt Papier.

Irgendwie tat Petra mir leid. Eine Stunde mit diesem Hund und ich brauchte Beta-Blocker, sie hatte Pepper den ganzen Tag um sich rum, kläffend, fiepend, nervös und ruhelos. Auch tat mir Pepper leid, auch wenn er nervte. Immer unter Strom, immer in Aktion. Armer Hund!

Das Gegenteil von gut gemacht ist häufig gut gemeint. Und gemeint hatte Petra es bestimmt gut, als sie ihren Pepper gleich vom ersten Tag als Welpe förderte und förderte. Und vor lauter Förderung nicht mitbekam, dass sie sich einen kleinen Psycho heranzüchtete, der nie gelernt hatte, wie wichtig Ruhe und Gelassenheit gerade für einen Multitasking-fähigen Hund wie ihn sind.

Aber woher hätte sie es auch wissen sollen? Aus einem der vielen Bücher? Aus dem Forum? Von der Züchterin?

Es hält sich hartnäckig das Märchen von der unbedingten Pflicht, einen Hütehund ständig beschäftigen zu müssen, weil er sonst Neurosen oder dumme Ideen entwickelt. Das man genau diese Neurosen und dummen Ideen mit 24-Stunden-Bespassungsprogramm und undifferenzierter Förderung begünstigt, steht eher im Kleingedruckten. Nein, hast Du einen Hütitüti, dann hast du einen Vollzeitjob!

Mal ganz abgesehen davon, dass auch ein Molosser ein Recht auf artgemäße Beschäftigung hat – sollte Auslastung nicht an Spaß an der Freude stattfinden anstatt zum Selbstzweck?

Wieder stelle ich mir Schäfer Franz vor, wie er bei den acht Wochen alten Welpen seiner Hündin den „Spieltrieb“ fördert und den Schafstall in einen Welpenspielplatz mit Rutsche und Bällebad verwandelt … Öhm, am Arsch die Räuber mit Verlaub! Franz‘ Hunde lernen im ersten Jahr konsequent, Langeweile zu ertragen. Man ist nett zueinander, sonst nix. Frustrationstoleranz heisst das Zauberwort, das haben wir als Kinder automatisch gelernt, wenn wir am Tisch warten mussten, bis Papa in Seelenruhe zuende gegessen hat.

„Wer gelassen bleibt, wenn andere rennen, hat mehr vom Leben und spart sich den Weg zurück!“ So sieht’s aus, Franz!

„Schnell sind die automatisch.“ sagt denn auch der Schäfermeister, der es eher gemütlich mag. Genau wie seine Hunde eher ein „chilliges“ Leben haben. Gut, Zwei bis drei Mal in der Woche wird gehütet. Den Rest der Woche sind die anderen dran. An der Herde sind die Hunde hellwach und voll bei der Sache. Aber nur dann, wenn Franz es will. Die Schafe werden schliesslich nicht vom Laufen fett. Und jemanden beim Essen stören geht schonmal garnicht, der gute Hund schweigt und wartet, während das Schaf frisst und „Mäh“ sagt. Wieder nichts mit der erhofften Action.

Vollzeitbeschäftigung, wie Pepper sie erlebt, sieht anders aus. Und Franz wäre auch verrückt, einen seiner Hunde jeden Tag ohne Pause hüten zu lassen. Schliesslich sind die Tiere seine wichtigsten Arbeitskollegen. „Hast du keinen guten Hund, dann musst Du den Schafen selber hinterher rennen.“ Und da so ein Hund auch nicht jünger wird, muss auch er sich hin und wieder schonen. Die Berufsgenossenschaft nennt sowas Prävention.

Jemand wie Franz versteht die ganze Aufregung um die Hunde nicht. Erzählt man ihm, wie viel Aufwand Petra betreibt, um ihren Pepper glücklich zu machen, zuckt er nur mit den Schultern und sagt etwas sexistisches.

Warum Hütehunde die perfekten Hunde für jeden Zweck sein sollen, ist mir schleierhaft. Egal ob Familie oder Single, ob als sensibler Therapiehund, strahlender Turniersieger oder pfiffiger Begleiter – wenn sonst nix passt, ein Hütehund geht immer, ist immer leichtführig und, achja, natürlich intelligent und lernwillig. So lange er ausgelastet wird, nicht zu vergessen.

Ich habe mich mal in einem Forum geoutet und zugegeben, dass meine Hütehunde hin und wieder mit zu den Schafen kommen dürfen und ansonsten die Aufgabe haben, mich zu begleiten. Jeden Tag, ins Büro, in die Mittagspause, in den Urlaub und abends ins Schlafzimmer. Aber nicht ins Bett.

Ein Sturm der Entrüstung. Mir egal. Meinen Hunden gefällt’s.

 

*Das Merle-Gen ist für die gemerlte Fellfarbe (also Blue Merle, Red Merle oder bei den Altdeutschen Hütehunden „Tiger“ genannt) verantwortlich. Die Verpaarung zweier Tiere, die das Gen in sich tragen, führt häufig zu Behinderungen wie Taubheit, Blindheit oder zu anderen Erbschäden. In Deutschland fällt eine solche Verpaarung unter den Qualzuchtparagraphen, in anderen Ländern ist sie erlaubt, hat aber die selben Auswirkungen.

Paul, der Labbi-Mix (7)

An diesem Abend war Frau Gutmensch sehr müde, als das Telefon klingelte und sie mit gequälter Stimme ihren Namen ausformulierte. Frechheit, sie nach 20 Uhr noch zu belästigen. Wer das wohl wieder sei.

Am anderen Ende war eine junge Frau, die ihr mit tränengetränkter Stimme von ihren Problemen mit dem Hund berichtete, den sie vor eineinhalb Jahren von Frau Gutmensch adoptiert hatte. Der Hund hatte gebissen, doch das sei nicht das eigentliche Problem. Vielmehr seien sie jetzt in der Nachbarschaft geächtet, würden gemieden und könnten einfach nicht mehr. Der Hund sei ihnen so ans Herz gewachsen, aber dieser stetige Druck und die Verdächtigungen würden sie fertig machen. Außerdem bekäme die junge Frau bald ein Baby. Sie und ihr Mann hätten lange überlegt und seien zu dem Schluss gekommen, dass sie ihren geliebten Vierbeiner leider abgeben müssten.

Frau Gutmensch hörte sich die Geschichte an und war etwas genervt. So ist das, sobald es das kleinste Problem gibt, geben die Leute auf. Das ist diese Wegwerfmentalität, schlimm ist das. Und wenn sie ehrlich sei, glaubte sie der Anruferin kein Wort. Die will sich doch nur schnell eines Problems entledigen. Dem entsprechend fiel auch ihre Antwort aus.

„Und was soll ich jetzt machen?“ fragte Frau Gutmensch die über diese pfiffige Reaktion sichtlich verwunderte junge Dame. „Naja“, erwiderte diese, „im Schutzvertrag steht ja drin, dass Sie unseren Hund zurücknehmen würden, wenn uns die Haltung nicht mehr möglich sei. Und deshalb habe ich gedacht …“ Frau Gutmensch unterbrach ihr Gegenüber.

„Nun hörn’Se mal. Erstens geht das nicht so einfach. Wir haben auch nur begrenzte Kapazitäten und im Moment habe ich auch gar keine Pflegestelle, die so einen Hund nehmen könnte. Außerdem haben Sie den Hund damals von Frau Kannix adoptiert, mit der arbeiten wir schon lange nicht mehr zusammen. Abgesehen davon, wie stellen Sie sich das vor? Der Hund hat jetzt jemanden gebissen, den kriegen wir ja auch nicht so vermittelt. Wenn er dringend weg muss, dann bringen Sie ihn halt in eine Hundepension oder fragen Sie im nächsten Tierheim.“

Das hatte gesessen. Die junge Dame am Telefon war sprachlos und stammelte nur noch ein knappes „Vielen Dank für Ihre Mühe!“, bevor sie auflegte. Frau Gutmensch fühlte sich erleichtert, dieser Kelch war also an ihr vorrüber gegangen. Was sich diese Leute immer einbilden. Als wenn sie sofort springen müsste, nur weil irgendwo ein kleines Problem auftauchte. Und überhaupt, wenn sie das höre, gebissen, die Leute übertrieben immer maßlos. Bestimmt hatte diese inkompetete dumme Kuh den Hund bedrängt und er hat mal kurz geschnappt. Frau Gutmensch brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen. Sie setzte sich wieder in ihren Fernsehsessel und schaltete um: Rosamunde Pilcher.

Am selben Abend war auch Beate sehr müde, als das Telefon klingelte und sie mit gequälter Stimme ihren Namen ausformulierte. Am anderen Ende war eine junge Frau, die weinte und ihr von ihrem Problem mit ihrem Hund berichtete und davon, dass der Verein, der ihr das Tier vermittelt hatte, ihn nicht zurücknehmen wolle. „Entschuldigen’Se, wenn ich das so sage, aber da könnte ich kotzen.“ erwiderte Beate, nachdem sie sich die Geschichte angehört hatte. Sie war Leiterin eines kleinen Tierheims und hatte schon oft erlebt, dass Hunde zwar vermittelt, aber dann im Fall des Falles von den „Orgas“ nicht wieder zurückgenommen wurden. So etwas ärgerte sie. Einige schwarze Schafe ruinierten den Ruf aller Tierschützer. Kein Wunder, dass alle anderen, die gute Arbeit machten und seriös waren, darunter litten. Und solche Geschichten sind natürlich Wasser auf den Mühlen der Tierschutzgegner.

Gerade jetzt hatte sie wieder drei solcher Hunde in der Anlage untergebracht. Immer dieselbe Geschichte. Die Tiere werden als liebe, nette und verträgliche Traumhunde angepriesen und wenn sich herausstellt, dass doch nicht alles Gold ist, was glänzt, werden die Menschen im Stich gelassen. Gerne hätte sie der jungen Frau geholfen, aber in dem kleinen Tierheim konnte sie den Hund nicht unterbringen. Kein Platz. Vor allem, weil die Anruferin geschildert hatte, dass der Hund nicht so besonders verträglich sei. Sonst hätte Beate ihn in eine Gruppe setzen können. Sie bot der jungen Frau an, dass sie sich schlau machen würde, vielleicht fände sie ja eine Möglichkeit.

Am selben Abend war Herr Dr. Müller bereits eingeschlafen, als das Telefon klingelte und er mit gequälter Stimme noch seine Begrüßung „Tierklinik Dingenskirchen, Müller mein Name.“ ausformulierte. Am anderen Ende war eine junge Frau, die mit stockender Stimme von ihrem Problem mit ihrem Hund berichtete, dass der Tierschutzverein ihn nicht zurücknehmen würde und auch das Tierheim überfüllt sei. Der Hund habe gebissen, ja, schon sehr heftig, der Mann hätte eine Woche im Krankenhaus verbracht und sei noch immer arbeitsunfähig. Ja, das sei ihr auch klar, dass eine kleine Wohnung nicht der richtige Ort sei, um einen solchen Hund zu halten. Ja, die Nachbarn würden ihr und ihrem Mann das Leben zur Hölle machen. Und dann sei da noch das Kind, das sie erwarte.

Herr Dr. Müller war selber Familienvater und hatte eine strikte Meinung, was bissige Hunde angeht. Der Schutz der Umwelt geht vor. Und der Hund hatte den Mann ja ernsthaft verletzt. Und dann auch noch diese Rasse. Der Tierarzt war sich sicher. Anhand der Schilderungen und des Umfeldes, wäre es am besten, wenn man die Welt von diesem Hund befreit. Und die junge Frau zeigte sich verantwortungsbewusst und hatte eingesehen, dass es so am besten wäre.

In Fünfzehn Minuten wäre sie da. Als er die Türe öffnete, stand da diese junge schwangere Frau und weinte. Ihr Lebensgefährte, oder war es ihr Mann, hielt ihre Hand. Der Hunde war sehr ruhig und schaute etwas skeptisch. Sicherheitshalber bestand Dr. Müller darauf, dass ihm ein Maukorb übergestülpt würde. Der Hund wurde in Anbetracht der engen Maulschlinge nervös und Dr. Müller und die Besitzer brauchten einige Kraft, um das Tier auf den Behandlungstisch zu hieven.

Der Tierarzt schor mit einem kleinen Apparat ein bisschen Fell am rechten Vorderbein des Hundes weg und staute mittels einer Gummischlinge das Blut. Nun musste er eine Vene finden und die Braunüle setzen. Das war garnicht so einfach, der Hund war deutlich gestresst, versuchte dem Nadelstich auszuweichen und stemmte sich mit aller Kraft gegen das nahende Schicksal. Das Tier schnaufte und fiepte und die Besitzer waren Müller keine große Hilfe. Endlich konnte der Tierarzt das Braunüle fixieren. Nun spritzte Dr. Müller ein Betäubungsmittel, langsam gab der Hund nach und fiel in einen tiefen Schlaf. Müller griff zum Eutha 77 und spritzte dem nun ruhigen Hund, dem die Zunge schlaff seitlich aus dem Maul hing, das Mittel.

In dem Moment, in dem ein Lebewesen stirbt, erschlaffen seine Muskeln. Und so machte sich in dem kleinen Behandlungsraum ein unangenehmer Geruch breit, da die Schliessmuskeln nachgaben und sich Enddarm und Blase entleerten. Die junge Frau weinte und ihr Lebensgefährte stand mit versteinerter Miene und aschfahlen Gesicht neben ihr. Dr. Müller schob den leblosen Körper des Tieres so sanft wie möglich auf einen Wagen und schob diesen in einen hinteren Raum. Nun packte er das tote Tier in einen schwarzen Plastiksack und wuchtete es in die Tiefkühltruhe. „Hoffentlich kommt heute keine Einschläferung mehr rein“, dachte Müller bei sich. Die Truhe war voll und erst morgen würden die Kadaver abgeholt werden.

Ebenfalls an diesem Abend kam Gertrude gerade vom Sport, als ihr Telefon klingelte und ihre Tochter Sabine am anderen Ende der Leitung war. „Hallo, na wie geht’s Euch?“ fragte Gertrude, ganz besorgte Mutter, die sie war. „Wir sind stinksauer“, erwiderte Sabine ungewohnt patzig und erzählte ihrer Mutter von den Nachbarn, von der Versammlung, die sie abgehalten hätten und von dem Brief, den sie erhalten hatten. Und von Paul, der heute seinen Wesenstest bestanden hatte.

„So eine Frechheit“, sagte Gertrude, die alle nur Gertie nannten. „Aber jetzt, wo Paul den Wesenstest bestanden hat, ist doch alles gut. Er ist nicht gefährlich, das habt ihr ja jetzt nachgewiesen“. „Naja, so einfach ist das nicht“, sagte Sabine. „Er hat zwar den Wesenstest bestanden, aber er wird immer als gefährlich gelten. Und die Nachbarn werden immer drauf rumreiten.“ Gertrude fragte sich in dem Moment mal wieder, wofür dieser Test eigentlich gut sei.

In den letzten Wochen hatte sie sich zu einer wahren Expertin in Sachen Hundegesetze entwickelt. Natürlich in aller erster Linie aus Sorge um ihren zukünftigen Enkel. Das, was sie gelesen hatte, beruhigte sie jedoch in keinster Weise. Und als Hausfrau und Mutter dreier Kinder war sie eine Freundin einfacher Lösungen. Aber diese Hundegesetze waren weder einfach noch logisch. In einem Bundesland war eine Rasse gefährlich, im nächsten wieder nicht. Im dritten Bundesland waren Hunde über 40 cm per se gefährlich, aber bei einigen Hunden dann wohl nur die Rüden, denn Hündinnen sind ja häufig kleiner. Das wusste sogar sie, die nie einen Hund gehabt hatte. Gertrude war in Sorge um ihr Enkelkind, doch das, was sie da las, war lediglich ein Wulst an Verordnungen und Gesetzen. Schutz versprachen diese alle nicht.

Und Paul? Paul war eigentlich ein ganz lieber. Manchmal etwas stürmisch, wenn er sie begrüßte, aber eigentlich ein lieber Kerl. „Sabine, mein Kind“, sagte sie. „Das kriegen wir hin. Das lassen wir uns nicht gefallen.“

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (6)

Michael hatte Kopfschmerzen und massierte sich die Schläfen. Vor ihm lag das Schreiben vom Ordnungsamt. „Muss von einer Gefährlichkeit ausgegangen werden“ stand da. „Gefährlich“, dachte Michael und schaute auf Paul, der in seinem Körbchen lag und schnarchte. Nunja, besonders freundlich war Paul ja wirklich nicht, aber gefährlich? Michael musste an das gemeinsame Kind denken, das in vier Monaten zur Welt kommen würde. „Gefährlich“, murmelte er und streichelte Paul über den Kopf.

In dem Schreiben stand, dass Sabine, Michael und jeder andere, der Paul ausführen würde, eine Sachkunde nachweisen müsse und das Paul einen Wesenstest absolvieren sollte. Michael beschloss, dass er am nächsten Tag zum Ordnungsamt fahren würde, um sich zu erkundigen, wie das von Statten gehen würde und an wen er sich wenden müsse.

Alles ist für irgendetwas gut. Der Morgen hatte miserabel angefangen. Sabine war beruflich unterwegs und Michael war im Treppenhaus mit einem Nachbarn aneinandergeraten, weil Paul ihn angebellt hatte. Der Nachbar hatte sich furchbar aufgeführt, geschimpft und getobt. Und Michael als Asozialen bezeichnet. So ein Idiot. Mit jeder Menge Wut im Bauch setzte sich Michael ins Auto, knallte die Tür zu und fuhr schwungvoll rückwärts aus der Einfahrt. Geradewegs in ein parkendes Auto. „So ein verfluchter Mist“ schimpfte Michael über sich selber, als er ausstieg, um den Schaden zu begutachten.

Der Fahrer des anderen Autos war etwas baff, aber blieb entspannt und erwiderte nur, dass es ja nur Blech sei und Michael bestimmt versichert. Er warf einen Blick auf das kaputte Rücklicht von Michaels Kombi und warf dann einen Blick auf Paul, der ihn missmutig anblickte. „Einen schönen Hund haben Sie da“, sagte der Mann und Michael könnte bis heute nicht sagen, warum er dem Fremden die Geschichte von Paul erzählt hat.

„Oh, er muss also einen Wesenstest machen?“ fragte der Mann, der sich als Herr Maier vorstellte und fuhr fort. „Ich hatte mit meinem Hund auch das Problem, aber das ist eine andere Geschichte. Wissense, ich kenn da jemanden, die kennt sich aus. Rufen Se da mal an, bevor Sie noch den selben Rattenschwanz mit machen müssen wie wir damals.“

Am Abend tat Michael wie ihm geheissen und rief jemanden an. Er schilderte sein Problem und die Person am anderen Ende lachte herzlich und sagte: „Ich liebe solche Hunde. Kommse mal vorbei!“

Einige Wochen später konnten sich Sabine und Michael ein Grinsen nicht verkneifen, als sie mit Paul die Praxis der Tierärztin und Sachverständigen wieder verliessen. Bestanden. Mit Sternchen sozusagen. Paul ist ein intelligenter Hund. Das wussten sie schon immer. Nichts konnte ihn an dem Tag aus der Ruhe bringen. Weder die bedrohliche Annäherung durch die Prüferin, noch der viele Verkehr beim Stadtgang und selbst die kläffenden Hunde hatte Paul heute komplett ignoriert. Er hatte sofort begriffen, was hier lief. Und so schnell läßt sich ein gestandener Herdenschutzhund nicht aus der Ruhe bringen.

In den letzten Wochen waren sie öfter zu jemanden hingefahren und hatten für den Wesenstest geübt. Es war erstaunlich gewesen. Paul verhielt sich so wie immer, nur Sabine und Michael hatten gelernt, sich so darzustellen, dass Paul keine Veranlassung mehr hatte, die Konfrontation mit fremden Menschen in seinem Sinne zu regeln.

Das Paar fühlte sich erleichtert und auch ein bisschen beschwingt. Jeden Abend hatten sie im Internet die Testfragen für die Sachkunde durchgebüffelt, tagsüber hatten sie mit Paul geübt. Bestanden! Yeeeees!

Diese Erleichterung hielt bis in den Abend, und selbst als Sabine den Brief von der Hausverwaltung aus dem Briefkasten fischte, dauerte es noch etwas, bis sich ihre Laune wieder eintrübte.

Einige Nachbarn hatten so etwas wie eine Eigentümerversammlung einberufen, allerdings ohne Sabine und Michael einzuladen. Alle waren sich einig. Der Hund muss weg. Und alle hatten sie unterschrieben. Schliesslich ging es um die Sicherheit in der Nachbarschaft. Gegen Hunde hätten sie ja nichts. Aber so ein gefährliches Tier stelle ein Risiko für die Kinder und die alten Leute dar, die ja hier lebten.

Und gemäss der Versammlung vom Zwölften hätten sich alle darauf geeinigt, dass die Haltung eines solch gefährlichen Hundes hier nicht erwünscht sei und Michael und Sabine ihren Paul deswegen abgeben müssten.

„Recht haben und Recht bekommen sind zwei unterschiedliche Dinge“ murmelte Michael vor sich hin. „Die können uns den Paul nicht verbieten, immerhin sind wir auch Eigentümer.“ Er war sauer, stinksauer. Er, der Feingeist, der überzeugte Pazifist, verspürte in diesem Moment Gewaltphantasien sondergleichen.

Seit Paul im Treppenhaus auf Heinz gestossen war, konnte man förmlich spüren, wie sich das Klima in der Nachbarschaft verschlechtert hatte. Diese Blicke, dieses Getuschel, dieses verlogende bigotte Pack, das freundlich grüßte, um sich dann im nächsten Moment das Maul zu zerreissen. Sabine und Michael hatten schon extra darauf geachtet, dass sie niemanden im Treppenhaus begegneten, dass Paul ja keinen Mucks von sich gab, wenn jemand an der Wohnungstür vorbei lief und das es ja keinen Grund zur Beschwerde gab.

Sie hatten sich solche Mühe gegeben und alles getan, was man von ihnen verlangt hatte.

Nun waren die beiden müde, sie hatten es satt. Wenn irgendein Hund in der Nachbarschft bellte, war es Paul, wenn irgendein Hund irgendwo iregndwen gebissen hatte, dann musste es Paul gewesen sein und wenn irgendjemand die Hinterlassenschaften seines Hundes hat liegen lassen, dann waren es natürlich Michael und Sabine. Und dann das ungeborene Kind. Wie ein Damoklesschwert verfolgte Sabine der immerwährende Verdacht, dass sie eine Rabenmutter sein müsse, wenn sie ihr Kind mit so einer Bestie aufwachsen liesse.

Sabine streichelte Paul, der seinen Kopf auf ihren Schoß legte und sie mit seinen melancholischen Bernsteinaugen anblickte. Sie atmete tief durch und griff zum Telefon.

(Fortsetzung folgt)

Hier geht’s zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 5.

Einer geht noch: „Vollhorst“

Bevor ich mich in die Osterfeiertage verabschiede, noch eine kleine „Anekdote“ aus dem Tierschutzalltag …

Da gab es mal eine Schäferhündin, die bei uns abgegeben wurde, nachdem sie

  1. ein Kind heftig gebissen hatte
  2. sich die Besitzer nicht um Wesenstest und Sachkunde gekümmert hatten
  3. die Behörden irgendwann die Schnauze voll hatten und die Fortnahme des Hundes verordnet hatten.

Die Klischee-Vorbesitzerin fuhr an dem Vormittag samt nicht minder klischeebehafteten Lebensgefährten am Tierheim vor, in der einen Hand die Leine mit Hund, in der anderen Hand eine kleine PET-Flasche, gefüllt mit Wein. Sie schilderte den Beißvorfall, empörte sich noch über die bösen Menschen, deren Kind gebissen wurde und schnell war uns klar, dass es besser war, dass der Hund nun im Tierheim sitzt. So landete die Hündin also bei uns.

Nun verhält es sich mit Schäferhunden im Tierheim so, dass sie bei Interessenten ungefähr so begehrt sind wie die Zeitung von gestern. Dafür gibt es sehr viele davon. Wenn sie dann auch noch auffällig geworden sind, kann man das Thema Vermittlung nahezu abhaken. Immerhin muss der Hund und damit der neue Besitzer mit dem Stigma „gefährlich“ ein Leben lang klarkommen und ich kann verstehen, dass sich kaum jemand freiwillig so etwas antut.

Umso erfreuter war ich, als dann eines Abends das Telefon klingelte und ein Herr sich nach Maya erkundigte. Er hätte schon einen Rüden, einen echten Prachtkerl. Schon seit 25 Jahren würde er Schäferhunde halten und man könne mit Fug und Recht behaupten, dass er Ahnung hat. Das klang erstmal nicht schlecht.

„Wie sieht es denn mit Kindern in Ihrer Familie aus? fragte ich. „Oder leben Kinder in ihrem unmittelbaren Umfeld? Die Hündin darf auf keinen Fall zu Kindern vermittelt werden, da sie diese angeht und ein Kind bereits heftig gebissen hat.“

Nein, nein, versicherte mir der Herr, Keine Kinder in der Familie oder im engen Freundeskreis. Auch in der Nachbarschaft eher wenige Kinder. Außerdem sei das Grundstück gut umzäunt, das hätte er im Griff. Gut, dachte ich und vereinbarte mit dem Herrn, dass ich jemanden suche, der bei ihm eine Vorkontrolle machen würde. Immerhin wohnte er 300 Kilometer weit weg, aber so ein Platz ist Gold wert, im Zweifel hätte ich den Hund dahin getragen!

Einige Telefonate später erklärte sich meine gute Bekannte Gabi bereit, den Besuch zu machen. Der Herr wohnte zwar auch nicht gerade in ihrer Nachbarschaft, aber 90 km einfache Strecke waren zu verschmerzen. Alles für den Hund, alles für den Klub! Und wie beschrieben, eine sachkundige Endstelle für einen als gefährlich eingestuften Schäferhund, das ist wie ein Sechser im Lotto!

Was dann folgte habe ich bis zu dem Zeitpunkt und auch danach nie wieder erlebt. Am Abend nach dem Hausbesuch rief Gabi mich noch an und eröffnete das Telefonat mit den Worten: „So ein Vollhorst!“.

Der Termin hatte zunächst ganz gut angefangen, der bereits im Haushalt lebende Rüde zeigte sich von seiner netten Seite und machte einen propperen Eindruck. Der Herr erzählte von seiner Erfahrung mit Schäferhunden, dass schon sein Großvater welche gehabt hätte und das sein Rüde ein echtes Prachtexemplar wäre.

Auf die Frage nach Kindern wiederholte er das am Telefon gesagte, keine Kinder im Haus, keine Kinder in der Nachbarschaft, alles tutto paletti. Auf die Frage nach dem Sandkasten im Garten, wusste er zu berichten, dass früher, die Vorbesitzer wohl Kinder gehabt hätten, er müsse im Garten noch was machen, der Sandkasten kommt noch weg.

Eigentlich alles in Ordnung, dachte sich Gabi und wollte gerade wieder los, als plötzlich oben am Treppenansatz ein kleines Mädchen neugierig auf sie runterschaute. „Datt glaubbich getz ja nich“ rutschte es Gabi im feinsten Ruhrpottslang raus, bevor sie sich noch verabschiedete und nach Hause fuhr.

„Der hat tatsächlich seine Tochter versteckt, sach mal, hat der ne Macke?“ fragte Gabi und ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich ruf ihn mal an und hör mir an, was er dazu zu sagen hat“ erwiderte ich und war froh, dass dieser Schwindel aufgefallen war.

Am Telefon zeigte sich der Herr sehr erbost, als ich ihm mitteilte, dass er die Hündin nicht bekommen würde. Was mir einfallen würde, er hätte Fünfundzwanzig Jahre Erfahrung, er hätte bisher noch jeden Hund erzogen und überhaupt, es wäre doch sein Risiko. „So eine Frechheit“ brüllte er noch und legte auf. Uff, dachte ich mir und habe zum ersten Mal einen Interessenten in der „Schwarzen Liste“ eingetragen.

Ich habe etwas gebraucht, um zu verstehen, was in dem Schädel von dem Typen vorgeht und wie man ihm hätte klarmachen können, dass es wirklich keine gute Idee ist, diesen Hund mit einem Kind zusammenzubringen. Vielleicht vortanzen, oder in ein Gedicht verpacken … Vielleicht hätte man das auch aufmalen können. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er dermaßen davon überzeugt war, dass er die Schäferhundeerziehung erfunden hat, dass im Falle eines Bisses der Hündin bestimmt die Tochter schuld gewesen wäre.

In dem Sinne hatte Gabi recht: Vollhorst!

„Plörg“

Eine der großen Frage in Sachen Hundeerziehung ist die nach dem perfekten Beifuss.

Als ich letzten Sommer mal einige Mitglieder eines Hundevereins unter fachlkundiger Aufsicht beim Trainieren beobachten durfte, konnte ich endlich mal sehen, wie es die Profis machen. Eigentlich ganz einfach:

Eine Handvoll Leckerchen in den – eigenen – Mund gestopft, ein freundliches „BeiFuff“ und – plörg – dem Hund ein Leckerchen ins Maul gespukt.

Hund frisst, Hund guckt, weiter geht’s. Plörg – feiner Hund! So liefen die Protagonisten des Erziehungskurses einige Zeit über den Platz, sagten „BeiFuff“ und plörkten vor sich hin. Die Hunde fingen den Keks, frassen und guckten. Plörg, ein seltsames Schauspiel.

Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir vor, wie die stolzen Halter eines Deutschen Schäferhundes diese Übung nach draussen transportierten. Hunde lernen ja ortsverknüpft und so. Und ein perfektes Beifuss macht erst richtig Eindruck, wenn es auch andere mitbekommen. Also wird geübt. Spaziergang durch die Innenstadt: Beifuss in der Fussgängerzone, den Mund voller Leckerlie – plörg – Hasso fängt, frisst und himmelt seinen Besitzer an. „BeiFuff“ – plörg – toller Hasso. Tolles Frauchen. So ne Art lebender Futterspender.

Man sollte die Übung idealerweise in einer fremden Stadt machen, denn wenn man mit vollem Mund gerade mitten Training von jemanden angesprochen wird, könnte das für einige Irritationen sorgen.

Übrigens, die Profis nehmen für diese Übung Fleischwurst, Anfänger nehmen Frolic …

Paul, der Labbi-Mix (5)

drohen

Heinz war ein Handwerker, wie er im Buche steht. Einer, der anpacken konnte, erdig war und stolz auf sein kleines Unternehmen. Die Gründung seiner Firma, die sich auf Renovierungen und Innenausbau konzentrierte, war vor 10 Jahren aus der Not heraus geboren. Mittlerweile hatte er zwei Arbeiter angestellt und konnte ganz gut mit dem auskommen, was die Firma so abwarf.

Er nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und schaute auf die Uhr. Viertelnachsieben. Um Acht Uhr hatte er den Termin bei diesem jungen Paar. Tapezieren, Streichen, Fussboden verlegen. Nichts besonderes. Heinz zog sich seine Arbeitsjacke an und stieg in seinen Bulli. Er war etwas früh dran und würde die Zeit vertrödeln, in dem er sich beim Bäcker noch ein Brötchen und die Tageszeitung holen würde. Außerdem dachte er sich, besser zu früh als zu spät.

„Oh, ist es schon spät?“ dachte Sabine, als sie im Halbschlaf auf den Wecker schaute. Schlagartig saß sie aufrecht im Bett. „Mist, wir haben verschlafen.“ Sofort weckte sie Michael, der sich verwundert die Augen rieb. Zwanzigvoracht, bald käme der Handwerker. Ausgerechnet heute, das letzte Mal, als sie verschlafen hatte, hatte sie noch studiert und abends zuvor ein bisschen zu viel getrunken.

Schnell zog Sabine sich ein paar Sachen über, die in greifbarer Nähe waren, wusch sich kurz das Gesicht und schnappte sich Paul, der noch dösend auf dem Sofa lag und sie gelangweilt ansah. In zehn Minuten kommt der Handwerker und Paul soll doch im Schlafzimmer bleiben. Also, schnell vor die Tür, der Morgengassigang würde heute sehr kurz ausfallen müssen.

Heinz war derweil froh, dass er direkt vor der Tür des Mehrfamilienhauses einen Parkplatz gefunden hatte. Er kramte seinen Werkzeugkoffer aus dem Bulli. „Niemals mit leeren Händen eine Treppe gehen“ waren die Worte seines Meisters gewesen, als er noch in der Ausbildung war. Er musste schmunzeln.

Es gibt Zufälle im Leben, die könnte man als Schicksal bezeichnen. Wäre Heinz an dem Morgen nicht so früh dran gewesen, wäre er beim Bäcker nicht sofort bedient worden, hätte auf den Straßen mehr Verkehr geherrscht und hätte er nicht einen Parkplatz direkt vorm Haus gefunden, dann stünde er nicht genau in diesem Moment vor der Haustür und klingelte.

Hätte Sabine nicht verschlafen, hätte sie sich nicht das Gesicht gewaschen, ein paar Klamotten übergezogen, die gerade in Reichweite waren und hätte sie Paul noch im Flur angeleint, dann wäre sie nicht genau in diesem Moment mit ihrem Hund im Treppenhaus unterwegs.

Und hätte Michael nicht direkt im Flur gestanden, als es klingelte, wäre er etwas wacher und aufnahmefähiger gewesen und einen Blick auf den verwaisten Korb von Paul geworfen, dann hätte er bestimmt nicht den Türsummer betätigt.

Später würde Sabine sagen, dass alles so schnell gegangen ist, dass sie erst später realisiert hatte, was da eigentlich passiert ist. Heinz würde sagen, dass er eigentlich keine Angst vor Hunden hätte, schliesslich wären viele seiner Kunden Hundebesitzer und man müsse sich damit arrangieren. In dem Moment aber, da hatter er Angst. Angst um sein Leben. Wie es jetzt weiter gehen würde? Erstmal abwarten, was die Ärzte sagen und hoffen, dass die Versicherung für den Verdienstausfall aufkommen würde. Der Hund könne ja nichts dafür, war halt dummer Zufall.

Der Nachbar, der durch den Lärm aufgeschreckt wurde und das Szenario beobachtete, der würde sagen, dass er es immer gewusst hätte. Das es unverantwortlich ist, dass eine solche Bestie in dem doch sonst so friedlichen Haus leben würde. Schliesslich wohnten hier auch alte Leute und Kinder. Und überhaupt, die Frau erwartet doch selber Nachwuchs. Das geht so nicht. Die anderen Nachbarn, denen er in den folgenden Tagen von Paul berichtete, sahen das ähnlich. So geht das nicht, der Hund stellt eine Gefahr für die Menschen hier dar. Man muss mal doch was tun.

Am Abend des selben Tages hatte Esperanza sehr viel zu tun. Sie kam mit ihrer Arbeit nicht voran. Es mussten passende Transportboxen gefunden, aufgebaut und so stabil wie möglich im Mietbus festgzurrt werden, sie musste Impfausweise überprüfen und ggf. nachstempeln, jeder Hund benötigte ein Halsband und so weiter und so fort.

Spätestens um Zwölf Uhr wollten die Tierschützer aus Deutschland losfahren. Vor ihnen lagen knapp Zweitausend Kilometer. Laut Wetter-App würde sich die Hitze heute in Grenzen halten, der Plan war, möglichst schnell durchzufahren. Am nächsten Vormittag warteten die Adoptanten an der Autobahnraststätte auf ihre Schützlinge. Die Route würde sie die Autopista 7 bis Barcelona, dann durch Frankreich durch, über den Grenzübergang bei Mühlhausen bis in den Süden Deutschlands. Sie würden sich mit dem Schlafen abwechseln, möglichst wenig Pausen machen und größere Raststätten nur zum Tanken anfahren.

Nun war es schon Viertelnachzwölf und endlich konnten die zweiundzwanzig Hunde verladen werden. Der Laderaum war für die Boxen zu eng, so dass diese gestapelt werden mussten. Für die Welpen musste noch eine „Leihmutter“ gefunden werden, da sie noch keine zwölf Wochen alt waren und deshalb nicht ohne Muttertier reisen durften. Mangels passender Hündin wurde kurzerhand ein Rüde, der eine gewisse Ähnlichkeit zu den Kleinen aufwies, zum Muttertier ernannt.

Mit einer Dreiviertelstunde Verspätung startete der Transport in Richtung besseres Leben. Das laute Gebell vestummte nach wenigen Minuten. Nur ein Welpe kläffte in einer Tour weiter. Die Tierschützerinnen mussten schmunzeln. „Einer ist immer dabei, der keine Ruhe gibt.“

Schon nach einer Stunde musste der Transport eine Pause einlegen. Die Wetterinformationen aus dem Smartphone stimmten nicht mit der Realität überein. Es war sehr heiß, die Mittagssonne strahlte erbarmungslos auf den Sprinter und so mussten die beiden Damen anhalten, die Hunde mit frischen Wasser versorgen und den Innenraum lüften. Die meisten Hunde waren wohlauf, lediglich den Welpen machte die Hitze zu schaffen und sie lagen apathisch hecheln in ihrer Box.

Die Tierschützerinnen überlegten, was zu tun sei. Umdrehen unmöglich, immerhin warteten die neuen Besitzer bereits in einigen Stunden auf ihre Hunde. So tränkten sie einige Handtücher in kaltes Wasser, um den noch jungen Hunden etwas Kühlung zu verschaffen. „Wir müssen schnell aus der Hitze raus.“ Nun war es Halb Drei, noch mindestens vier Stunden, bis die Temperaturen sinken würden.

Als wenn es eine kühlende Wirkung hätte und die Temperaturen dadurch schneller erträglich würden, trat die Fahrerin aufs Gas. Schnell nach Deutschland.

Zwei Tage später wurde eine süddeutsche Regionalzeitung über eine gemeinse Aktion des Veterinär- und Ordnungsamtes berichten. „Illegaler Welpentransport gestoppt“ würde die lauten und der Redakteur würde beschreiben, dass zwei Frauen mittleren Alters ohne Genehmigung Hunde zum Verkauf nach Deutschland transportiert hatten. Die Tiere wären in einem schlechten Gesundheitszustand gewesen und es gäbe Ungereimtheiten bei den Unterlagen. Der Zugriff erfolgte auf einer Autobahnraststätte. Die Hunde seien beschlagnahmt worden und befänden sich nun im örtlichen Tierheim, in dem sich „die Mitarbeiter um die teilweise kranken und verstörten Hunde kümmern“ würden, wie es hieß.

Jemand hatte die Behörden informiert. Gegen die beiden Damen wurde Anzeige wegen Verstosses gegen gleich mehrerer Paragraphen des Tierschutzgesetzes erstattet und sie müssten jetzt mit einer Geldstrafe von bis zu 25.000 € oder sogar einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Auch von den Adoptanten wurden die Personalien festgestellt. Später würde eine sagen, dass sie sich wie eine Kriminelle vorgekommen sei.

Wie Kriminelle kamen sich auch Sabine und Michael vor. In den Tagen, nachdem Paul den Handwerker Heinz gebissen hatte, spürten sie, dass sie nicht mehr willkommen waren. Die Nachbarn sahen die beiden verständnislos an und sie merkten förmlich, wie hinter ihnen getuschelt wurde. Sabine hatte Heinz im Krankenhaus besucht, glücklicherweise hatte dieser seinen Humor nicht verloren und sagte zu, dass er von einer Anzeige absehen würde.

Sein Arm war eingegipst und pochte ganz schön. Das Krankenhaus nervte ihn gewaltig, den ganzen Tag nur rumsitzen, zwei Infusionen, den Rest der Zeit verbrachte er damit, fernzusehen oder in der Cafeteria rumzusitzen und eine nach der anderen zu rauchen. Die Ärzte hatten ihm gesagt, dass er am Wochenende vielleicht nach Hause könne. Das Infektionsrisiko sei bei Hundebissen nunmal enorm, deshalb müsse er noch etwas ausharren. Ungefär vier Wochen würde er nicht arbeiten können. Schöne Scheisse, zumal seine Arbeitsunfähigkeitsversicherung erst ab dem 40. Tag zahlt.

„Ach komm schon, das kriegen wir irgend auch so gedeichselt.“ Heinz‘ Schwager sah das anders. „Du hast gar keine andere Wahl, was willst du denn der Versicherung erzählen? Das Du in das Maul von dem Hund gefallen bist? Du hast mindestens vier Wochen kein Einkommen. Wenn Du nicht pleite gehen möchtest, musst du das zur Anzeige bringen und Schadensersatz einfordern.“ Heinz leuchtete das ein, aber er hatte ein ungutes Gefühl dabei. Die junge Frau hatte sich vielmals entschuldigt und so schlimm war die Verletzung jetzt auch nicht. Sicher, sie hätte besser aufpassen müssen. Aber jeder macht mal was falsch.

Außerdem waren ihm diese ganzen Behörden zu wider. Seitdem er mit dem Bauamt Ärger wegen seiner Lagerhalle gehabt hatte, konnte er diese Sesselpubser nicht mehr ausstehen. Aber sein Schwager hatte recht, wenn er nicht pleite gehen wollte, musste er was unternehmen.

(Fortsetzung folgt)

Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 6.

 

 

 

Für Ostern

lesen

Bald ist ja Ostern, langes Wochenende und Zeitumstellung gleichzeitig, Wem das noch nicht reicht, dem möchte ich ein bisschen was zum Lesen empfehlen. Für die viele freie Zeit, die so ein Feiertag mit sich bringt. Kleiner Tipp an alle Eltern, einfach die Eier etwas besser verstecken und die Ruhe geniessen, während die lieben Kleinen ganz automatisch eine Lektion in Sachen Frusttoleranz erlernen dürfen … Gleichzeitig natürlich motivierend auftreten: „Kevin und Jaqueline, ihr schafft das! Ihr könnt Bundeskanzlerin und Austronaut werden, wenn Ihr es nur wollt!“ Tschaka.

Aber zurück zum eigentlichen Thema:

Dank der Deutschen Digitalen Bibliothek und Scholar Google steht es jetzt ja sogar selbst gescheiterten Sozialpädagogen wie mir zu, über meinen Fachbereich hinaus in Dissertationen, Forschungsergebnissen und Studien zu blättern. Für Menschen, die es gewohnt sind wissenschaftliche Texte zu lesen, bietet sich viel spannendes rund um den Hund und seinen Vorfahren, für Leute wie mich empfielt sich, immer www.duden.de geöffnet zu halten.

Auf der Webseite der Uni Kiel findet sich zum Beispiel die Dissertation von Eva-Maria Meyer zum Thema „Untersuchungen zum Lautäußerungsverhalten von Wölfen (Canis lupus L.) und Haushunden (Canis lupus f. fam.) unter den Bedingungen der Gruppenhaltung“. Ich will nicht zu viel verraten, aber keines der Tiere hat auch nur einmal „Feinfeinfein“ geäußert, aber das ist bestimmt nur in der Untersuchung untergegangen …

Wirklich großartig fand ich die Dissertation von Silke Plagmann (ebenfalls Uni Kiel) zum Thema „Experimentelle Untersuchungen zu kognitiven und sozialen Mechanismen der Kooperation an je einer Gruppe Europäischer Wölfe (Canis l. lupus L.) und Deutscher Schäferhunde (C. lupus familiaris) unter Gehegebedingungen – Eine Fallstudie“.

Gleich zwei Untersuchungen zu Border Collies finden sich mittel Scholar Google in der elektronischen Bibliothek der TiHo Hannover:

  1. Vergleichende Verhaltensentwicklung von Junghunden (3.-10. Lebensmonat) der Rasse Border Collie unter verschiedenen Nutzungsbedingungen von M.Lambrich
  2. Umweltbedingte und genetische Einflüsse auf Merkmale der Leistungsprüfung beim Koppelgebrauchshund Border Collie von U. Hoffmann

Isabell Gutmann studierte in Mainz und legte folgende Arbeit zur Erlangung ihrer Dissertation vor: Verhaltensphysiologische Experimente zur Erkennung und Unterscheidung menschlicher Gesichter beim Haushund (Canis familiaris).

Eine Frau Rabe mit gleich vier Vornamen hat zu folgendem Thema dissertiert: „Katalogisierung von Phänotypen, Genotypen und Gentests molekulargenetisch charakterisierter Erbfehler beim Haushund (Canis familiaris).“ Und zwar an der LMU München.

Wer es weniger wissenschaftlich, aber dafür mehr im gesellschaftlichen Kontext der jeweiligen Zeit mag, dem empfehle ich das Archiv des Spiegels, in dem sich Perlen wie diese finden: „Der Kumpel, der in mir lebt“ aus der Ausgabe 5/1976, hier der Textlink.

Wie dem auch sei, zu Lesen gibt es eine Menge: Also los – Dienstag wird abgefragt 😉

Ps.: Wer einen tollen Link findet, darf ihn gerne der Gemeinde mitteilen …

Paul, der Labbi-Mix (4)

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„Nachwuchs. Schon wieder.“ Esperanza lebte in einem kleinen Ort im Norden von Spanien und betrieb, seit dem sie sich zur Ruhe gesetzt hatte, ein kleines Tierheim. Die 62-jährige seufste, nahm das Bündel neugeborener Welpen in den Arm und brachte es erst mal ins Warme. Heute nacht war es empfindlich kalt gewesen und die kleinen waren unterkühlt. Sie würde die Welpen mit der Flasche großziehen müssen.

In jüngeren Jahren hatte Esperanza einige Zeit in Deutschland studiert und schliesslich als Deutschlehrerin in Barcelona gearbeitet, bis sie mit ihrem Mann in den Norden gezogen war. Die Idee mit dem Tierheim war eher zufällig entstanden, Esperanza war schon immer tierlieb und als sie aus dem Beruf ausgestiegen war, fing sie irgendwann gemeinsam mit einer Freundin an, die Straßenhunde der Umgebung anzufüttern, einzufangen, zu kastrieren und wieder auszusetzen.

Schon bald hatte sich rumgesprochen, dass die beiden Damen sich um herrenlose Hunde kümmerten und mit der Zeit brachten immer mehr Anwohner Hunde und Katzen zu Esperanza. Glücklicherweise verfügte die Finka über ein großes Grundstück. So lebte seit einigen Tagen eine verletzte Hündin in den Hecken hinter dem Pool. Jeden morgen fütterte Esperanza das scheue Tier an und war sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis sie sich dem Hund soweit nähern könnte, dass eine tierärztliche Untersuchung möglich wäre.

Nach kurzer Zeit jedoch stiegen die Kosten in so schwindelerregende Höhen, dass sich die beiden Tierschützerinnen etwas überlegen mussten. Über ein Internetforum traten sie in Kontakt zu einer privaten Tierschutzgruppe, die sich seit dem um die Vermittlung der Hunde kümmerte und ein- bis zweimal im Monat mit einem großen Transporter vorfuhr, um die Hunde, die ein Zuhause gefunden hatten, abzuholen. Mit den 40 Euro, die sie von den Deutschen für jeden Hund bekam, konnte sie zwar nicht die Kosten für Versorgung, Impfungen, Kastrationen usw. decken, aber immerhin, besser als nichts.

Einmal hatte Esperanza nachgefragt, ob es möglich wäre, den Preis etwas zu erhöhen. Doch ihre Ansprechpartnerin hatte ihr glaubhaft versichert, dass die Tierschützer dermaßen hohe Kosten zu bewältigen hätte, dass das nicht möglich wäre. Außerdem gäbe es viele Tierheime in Spanien und anderswo, die gar kein Geld für die Hunde bekämen. Die Chancen, einen Hund in ihrer Nachbarschaft zu vermitteln, waren eher gering und so war Esperanza auf die Hilfe der Gruppe angewiesen.

In den letzten Jahren hatten sich in der Gegend einige deutsche Ruheständler niedergelassen. Die waren hier nicht besonders gern gesehen. Kein Wunder, viele von ihnen hatten das Platzen der Immobilienblase in Spanien genutzt, um günstig Eigentum zu erwerben. Unter Androhung einer Zwangsvollstreckung hatten viele der ehemaligen Besitzer lieber schnell verkauft, um so wenigstens einen Teil der Schulden zahlen zu können und den Verlust in Grenzen zu halten.

Eine dieser Ruheständlerinnen war Roswita, Ehefrau eines ehemaligen Kaufmannes aus Düsseldorf. Vor etwa einem Jahr stand sie morgens vorm Tor von Esperanzas Anwesen und hatte gefragt, ob sie Hilfe gebrauchen könnte. Natürlich, gerne. Und so verstärkte Roswita das Team um Esperanza.

Roswita fuhr oft die Gegend ab und sammelte Straßenhunde ein, die sie fand. Leider manchmal auch Hunde, die eigentlich jemanden gehörten, aber nach dem Dafürhalten der Deutschen unter inakzeptablen Umständen lebten.

Esperanza wusste, dass Roswita es nur gut meinte, doch war sie es, die mit den Anfeindungen der Nachbarn leben musste. Sie hatte versucht, ihrer Helferin zu erklären, dass sich die Hundehaltung in diesem Teil von Spanien deutlich von dem unterschied, wie Hunde in Deutschland lebten. Und das sie nicht möchte, dass es Streit mit den Bauern der Umgebung gäbe. Und natürlich, dass es Diebstal ist, einfach einen Hund mitzunehmen.

Erst vor einigen Monaten stand ein zorniger Mann vor Ihrem Haus und wollte in das Grundstück eindringen. Er war außer sich vor Wut, brüllte Esperanza an, dass sie seine Hunde rausrücken solle. Das sie eine Diebin sei und das sie was erleben könne. Die Spanierin sagte, dass sie die Hunde nicht hätte und eigentlich war das nichtmal gelogen. Sie hatte die Hunde nicht mehr, denn sie waren kurz vorher nach Deutschland transportiert worden.

Wutschnaubend war der Mann schliesslich abgezogen und hatte noch gedroht, dass sie sich ja niemals seinem Grundstück auch nur nähern sollte …

Sich Paul zu nähern stellte sich in diesen Tagen wiederrum etwas schwierig dar, insbesondere in Verbindung mit Sabine. Michael hatte das Gefühl, dass der mittlerweile 45 Kilo schwere Rüde ganz genau durchschaut hatte, dass sie schwanger war und seine Aufgabe darin gefunden hatte, sie vor allem Unglück dieser Erde zu schützen. Wenn Sie mit dem Hund unterwegs war, musste er sich wenigstens keine Sorgen machen. Zumindest nicht um Sabine. Fremde durften sich ihr nicht nähern, aber das hatte auch keiner vor. Paul zeigte durch seine Haltung und seinen Blick ganz klar, dass man besser auf Abstand blieb.

Auch in der Wohnung akzeptierte Paul nur solche Besucher, die er kannte. Sabine und Michael hatten sich damit arrangiert. Denn seinen Besitzern gegenüber war Paulchen einfach nur nett und zeigte sich als ruhiger und verschmuster Hund. Sogar die Sache mit dem Sofa hatten Sabine und Michael aufgeweicht. Hatte Paul auf Anraten des Herdenschutzhund-Experten bis Dato Sofaverbot, so konnte sich der Rüde mittlerweile eine Ecke mit eigener Decke auf der Wohnlandschaft sichern.

Überhaupt verlief das Leben der werdenden Eltern einigermaßen reibungslos.

Nur eine Sache bereitete ihnen Sorgen. In der nächsten Woche würden die Handwerker anrücken und das zukünftige Kinderzimmer renovieren. Die große Frage war, was Paul davon halten würde, wenn fremde Menschen zwei Tage lang ein und aus gehen. Einmal war es bisher passiert, dass sie nicht aufgepasst hatten. Sabine hatte dem Paketboten noch zugerufen, dass er warten sollte, doch da stand er schon im Flur. Beziehungsweise an der Wand, vor ihm Paul, der ihn mit einem kräftigen Schubser dahin verfrachtet hatte und ihn nun bedrohlich anknurrte. Sabine wunderte sich heute noch, wie laut sie „Aus!!!“ brüllen konnte.

Der Versuch, den Hund vorübergehend in einer Hundepension unterzubringen, war an dem Versuch gescheitert, Paul der Pensionsinhaberin vorzustellen. Sie war nett fanden Sabine und Michael, Paul jedoch nicht. Und so beschlossen sie, dass Paul im Schlafzimmer bleiben würde, so lange die Handwerker im Haus sind.

(Fortsetzung folgt)

Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3 und zu Teil 5 von „Paul, der Labbi-Mix“.

Nichts als die halbe Wahrheit

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„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ So steht’s geschrieben, gleich im 1. Paragraphen des TierSchG, wie das Tierschutzgesetz so lustig abgekürzt wird. Worüber noch keine Einigkeit herrscht, sind die Fragen, was Schmerzen, Leiden und Schäden sind und vor allem, was ein vernünftiger Grund ist. Da gehen die Meinungen weit auseinander.

So gibt es einen vernünftigen Grund für Schmerz, Leid und Schäden, wenn der geneigte kostenbewusste Konsument im Gegenzug besonders preiswerte Hühnerbrustfilets für nur Einsneunundneunzig bei Aldi bekommt.

Die Hühner 20 Stunden lang quer durch Europa zum Schlachthof zu fahren, weil die Lohnnebenkosten da so niedrig sind, stellt wiederrum keinen vernünftigen Grund dar, dass die armen Tiere leiden müssen. Deshalb unterschreibt der tierliebe Mensch auch die 8Hours-Kampagne.

Anders verhält es sich wiederrum, wenn es Hunde sind, die 20 Stunden quer durch Europa gefahren werden. Dafür gibt es schliesslich einen guten Grund. Die Hundies werden ja gerettet. Und selbstredend weiss der moderne Straßenhund von Welt, dass er in das Land, in dem Milch und Honig fliessen befördert wird, während das dumme Huhn den nahenden Tod direkt vor Augen wähnt.

Ein weiterer vernünftiger Grund, Schmerzen, Leiden und Schäden insbesondere beim Hund in Kauf zu nehmen, ist die Eitelkeit modebewusster Hundefreunde. So eine schicke krummbeinige Qualzucht macht sich einfach prima, sieht witzig aus, ist teuer und auffälliger als das neueste Smartphone. So ein kleiner Kurznasiger zum Beispiel hat den riesen Vorteil, dass jeder selbst bei absoluter Dunkelheit mitbekommt, dass man so ein Accesoire sein Eigen nennt. Er schnorchelt so witzig vor sich hin.

Das so ein Racker kaum in der Lage ist zu atmen, gerne mal nach dem Fressen umfällt nimmt man gern in Kauf. Dafür gibt es Spezialfutter und OPs. Und die moderne Veterinärmedizin macht möglich, dass sich die Tierchen  trotz viel zu schmaler Becken, zu kurzer Beine und zu großen Köpfen sogar fortpflanzen können. Naja, künstliche Befruchtung und späterer Kaiserschnitt vorausgesetzt. Aber immerhin.

Der größte Stolz des Bulldogbesitzers? Der Hund kann atmen! Was für eine Errungenschaft.

Genauso kompliziert wie die Sache mit dem vernünftigen Grund ist die Definition von Schmerzen, Leiden und Schäden.

Das jegliche Form wie auch immer gearteter Körperlichkeit ganz klar einen Verstoß gegen §1 TierSchG darstellt, haben wir ja inzwischen gelernt und haken das Thema ab.

Nun gibt es aber eine Menge Menschen, die schon den direkten Blickkontakt als Gewalteinwirkung ansehen, ein „Nein“ als inakzeptables Bedrohungsszenario ansehen und sich dem entsprechend erheiternde Methoden haben einfallen lassen, mittels virtuellen Erdbeertee und Flickendecke die absolute Harmonie in die Mensch-Hund-Beziehung zu säuseln. So wird aus dem Kommando ein Wunsch, weil Kommando schon so klingt, als würden gleich die Stachelwürger ausgepackt.

Jetzt bin ich ja ein lernfähiges Kerlchen und möchte nicht in den Verdacht geraten, ich wäre einer dieser Tierquäler. Also habe ich mit meinen Hunden den Selbstversuch gemacht, habe mich ernsthaft eingelesen in die verschiedenen heilsbringenden Methoden und habe es ausprobiert.

Hat nicht geklappt, aber war wohl klar. Wie eine junge Frau bei Facebook schrieb, man muss sich darauf einlassen können. Ich persönlich vermute ja eher, dass mein Versuch, mit hoher Fistelstimme ein einigermaßen sauberes „Hiiiiiiieeeeeea, feiiiiiiiin“ hinzubekommen, auf meine Hunde wirkte, wie ein Axtmörder, der gerade sein nächstes Opfer in den weissen VW-Bus locken will. Aber es lag bestimmt an diesen inneren Konflikt und meine Unfähigkeit, mich auf neues, besseres einzulassen.

Ich glaube, meine Hunde mögen’s eher direkt. Alttestamentarisch! Betrittst du mein Grundstück, bist Du fällig. Auge um Auge. Legst Du deinen Kopf auf, gibt’s einen auf die Mütze. Markierst Du in mein Revier. BÄM. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse friedliebenden Miteinanders sind ihnen augenscheinlich fremd, Regeln der Gastfreundschaft auch. Und Teilen erst recht. Sie sind halt Hunde und so behandeln sie ihr Gegenüber. Hart aber herzlich, so sind meine lieben Kleinen. Gerade noch wild geprügelt, jetzt schon wieder Kontaktliegen auf dem Sofa.

Und damit komme ich wieder zu der Frage nach den Schmerzen, Leiden und Schäden. Und nach dem vernünftigen Grund.

Denn, wenn man sich die Mühe macht, dieses Gesetz weiter als bis §1 zu lesen, stösst man gleich in §2 auf folgende bemerkenswerte Formulierung.

Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,

  1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
  2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden,
  3. muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.

Verhaltensgerecht heisst das Zauberwort. Und artgemäß.

Wo zum Teufel hat dieses ganze Rumgekasper, dieses „Lalala“ und „kommkommkomm“ etwas mit Verhaltensgerechtigkeit dem Hund gegenüber zu tun? Gibt es einen vernünftigen Grund dafür, Hunde wie kleine Kinder zu behandeln, die sie nicht sind? Was mittlerweile sogar soweit führt, dass sich Befürworter der gewaltfreien Erziehung genötigt sehen, sich von diesem Dummquatsch öffentlich distanzieren.

Ist es keine dauerhafte Qual für einen Hund, wenn man nicht verhaltensgerecht mit ihm kommuniziert? Wenn man ihn nicht wie einen Hund behandelt? Wenn man ihm Probleme unterstellt, die er garnicht hat und Lösungen bastelt, die er nicht versteht? Ist es nicht unfair, wenn man zum Zwecke des eigenen Wohlgefühls den Hund an schwierige Situationen vorbeitrickst anstatt ihm die Chance zu geben, daran zu wachsen? Verursacht es nicht dauerhafte Schäden, wenn man dem Hund sein Wesen und seine Art verbietet, nur damit es immer schön harmonisch bleibt? Und, ist es nicht tierschutzrelevant, den Hund mit Leckerchen vollzustopfen, anstatt sich selber in die Beziehung einzubringen?

„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ So steht es im Tierschutzgesetz.