Fataler Doppelbesatz (1)

Update 12. März 2014: Vielen Dank an den Polar-Chat für diesen Link. Hier nahm das Ganze seinen virtuellen Anfang.

Zur Zeit geht es heiß her auf den Hundewiesen der Republik. Grund hierfür sind die sogenannten vererbten Rudelstellungen. Frau Nowak ist es nämlich, die – vermutlich petitionsgebeutelt – seit neuestem medienwirksam darauf schwört.

Verständlicherweise fragen sich nun viele Hundebesitzer, was ihrer denn nun für einer ist, welche Position der geliebte Vierbeiner im „Rudel“ inne hat und ob es – im Falle einer Mehrhundehaltung – nicht vielleicht zu einem fatalen „Doppelbesatz“ komme, der unweigerlich dazu führt, dass es früher oder später knallt.

Gerade finden im Internet vor allem zwei kritische Artikel zur Thematik weite Verbreitung, die unterschiedlicher nicht sein könnten und gerade kreuz und quer durch Facebook & Co. geteilt werden.

In einem Artikel setzt sich Thomas Baumann sehr sachlich mit der Frage nach dem Doppel- bzw. Fehlbesatz auseinander, in einem anderen Artikel beschreibt eine Gastautorin der Webseite „An der Leine – Hundeleben in Hannover“ sehr emotional ihre persönlichen Erfahrungen.

Was ist also dran an der Theorie, dass anhand von Welpenliegebildern auf eine spätere Position innerhalb eines Sozialverbandes geschlossen werden kann? Was hat es mit dem „Doppelbesatz“ auf sich und handelt es sich bei den Verfechtern der vererbten Rudelstellungen tatsächlich um „Lakaien“, die einen „Guru“ anbeten oder ist das eine interessante „andere Sicht“ auf unser Zusammenleben mit dem Hund?

Fragen über Fragen, denen ich mich mal in Ruhe widmen möchte. Und anfangen möchte ich mit der Geschichte, die dahinter steckt.

Laut der Rudelstellungs-Expertin Frau Ertel liegen die Ursprünge ihrer Erkenntnisse schon einige Zeit zurück. So findet sich im Dog Forum eine Information mit Datum 27.12.2011:

Das Wissen über die vererbte Rudelstellung habe ich vor 42 Jahren von einem alten Mann gelehrt bekommen, anhand von neugeborenen Welpenwürfen zahlreicher Züchter die dieser Mann betreute.

Der „alte Mann“ hat zwischenzeitlich auch einen Namen, nämlich „Karl Werner“, der wiederum hat sein Wissen „1968-1969 weitergegeben an Barbara Ertel, die ausschließlich mit diesem Wissen ihre Hunde seit 1970 in strukturierten Rudeln und Teilrudeln gehalten hat“, wie man auf ihrer Internetseite nachlesen kann.

Nachweislich anhand von Dokumenten lebte seit 1844 die männliche Linie dieser Familie ausschließlich vom Verkauf arbeitsfähiger Rudel, die in ganz Europa an Adelhäuser verkauft wurden. Mit einem Teilwissen davon bauen bis heute spanische Meuteführer ihre Rudel auf.

Auf der Internetseite finden sich zwar allerhand Bilder von Familie Werner, zumeist mit Eurasiern und Chow Chows, die ich persönlich nicht unbedingt als „arbeitsfähige Rudel“ bezeichnen würde, die Dokumente, die den wirtschaftlichen Erfolg der Familie mit dem Verkauf eben dieser Rudel belegen sollen, bleibt Frau Ertel leider schuldig.

Aber vielleicht gibt es ja die „spanischen Meuteführer“, auf die Frau Ertel verweist. Da ich keinen persönlich kenne, habe ich zum Telefon gegriffen und meinen Freund Gerd Leder angerufen, der als Kynologe über ein schier unglaubliches Wissen verfügt und die Hundewelt wie kaum ein zweiter kennt.

Gerade mit Blick auf die Rehaleros, also die spanischen Meuteführer, musste Gerd schmunzeln und erklärte mir, dass Rudelstellungen oder ähnliches den Spaniern reichlich egal wären …

In Deutschland allerdings findet man in der Jägerschaft den Begriff des „Kopfhundes“, der grob zusammengefasst einen Hund beschreibt, der schon als Welpe im Vergleich zu seinen Wurfgeschwistern sehr „dominant“ auftritt. Vielleicht ein Hinweis, dass die Rudelstellungen unter Jägern bekannt sind? Im Forum von „Wild & Hund“ wurde mal darüber gestritten, ob es einen solchen Hund überhaupt gibt. Den Begriff Rudelstellungen sucht man jedoch vergeblich.

Aber wenn doch über Jahrzehnte hinweg arbeitsfähige Rudel in ganz Europa verkauft wurden, dann muss das doch irgendjemand mitbekommen haben. Da meine Suche im Internet erfolglos geblieben ist, habe ich mir gedacht, ich frage mal bei der Redaktion von „Wild & Hund“ nach. Immerhin erscheint das Magazin bereits im 120. Jahr und bedient ja die Zielgruppe der Familie Werner. Vielleicht hat Herr Werner ja mal eine Anzeige geschaltet, wer weiß.

Die erste Redakteurin konnte mir nicht weiterhelfen und hatte noch nie von Rudelstellungen gehört, mein zweiter Ansprechpartner war auch ratlos, gab mir aber die Kontaktdaten von einem Kollegen, der ein ausgewiesender Spezialist für das Jagdhundewesen sei. Dem wiederum habe ich eine E-Mail geschickt und bin mal gespannt wie seine Antwort lauten wird …

Mit ein bisschen Mühe finden sich im Internet ja noch weitere Anhaltspunkte über die Geschichte der Rudelstellungen. Auf der Internetseite von Helgas Hundeteam zum Beispiel findet sich das „Rudelstellungen-Infoheft“ im handlichen PDF-Format

Dort steht auf Seite 18 geschrieben:

Es ist leider nicht bekannt, woher das Rudelstellungswissen urspünglich stammt, wann und wie es entstand und wie weit verbreitet es einmal war. In der moderneren wissenschaftlichen Literatur ist es jedenfalls nicht vorhanden.

Vermutlich handelt es sich um rein praktisch angewandtes (Züchter-)Wissen. Sicher ist, dass das Wissen in der Familie von Karl Werner (1902-1977, ein Eurasierzüchter der ersten Stunde, Zuchtstätte „Pflänzerland“ im hessischen Niederwalluf) mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurde.

Mündlich also. Wenn man sich anschaut, wie komplex das Ganze ist, stellt man sich schon die Frage, wer sich das alles merken soll. Die dazugehörige Fußnote Numero 57 weist dann doch noch darauf hin, dass „es mindestens von Karl Werner handschriftliche Aufzeichnungen“ gegeben habe, die „aber leider verschollen sind“.

In Fussnote 58 findet sich erneut der Hinweis, dass

„(…) das Rudelstellungswissen erstmals von Familie Werner so detailliert beobachtet, beschrieben und angewandt, dass die Werners dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Berufszüchtern bzw. Hundeverkäufern hatten?
Teile des Rudelstellungswissen finden sich aber auch immer wieder bei anderen alteingesessenen Züchterfamilien oder z.B. bei traditionellen Meutehundführern in Spanien“

Das mit den spanischen Meuteführern hatten wir bereits. Aber was alteingesessene Züchterfamilien angeht, so kenne ich tatsächlich die eine oder andere. Die Familie unseres Futtergroßhändlers zum Beispiel, die züchtet bereits in der dritten Generation Deutsche Schäferhunde. Und als Kaufleute kennen die sich mit Wettbewerb aus. Und da ich eh Futter bestellen wollte, habe ich bei der Gelegenheit gleich mal nachgehakt.

Der Futterhändler konnte mit dem Begriff nichts anfangen, auch der Großvater der Familie hatte noch nie davon gehört, sagte mir aber zu, sich mal umzuhören. Zumal er jemanden kennt, der Eurasier gezüchtet hat. Eine heiße Spur? Auch hier darf man gespannt sein.

Vorausgesetzt, dass sich die Geschichte von Familie Werner tatsächlich so zugetragen hat und diese sehr erfolgreich „arbeitsfähige Rudel“ verkauft hat, so drängt sich mir eher der Gedanke auf, dass es sich hierbei vielleicht auch einfach um eine frühe Form des Marketings gehandelt haben könnte, mit dem Ziel möglichst viele Tiere an den Mann zu bringen.

Mitte des 19. Jahrhunderts kamen mit der aufkeimenden Industrialisierung auch erste kapitalisitische Ideen auf, und das Konzept, perfekt aufeinander abgestimmte Rudel quasi en Gros zu verkaufen, klingt erstmal schlüssig.

Weniger schlüssig erscheint die Tatsache, dass keiner der Mitbewerber von Herrn Werner mitbekommen haben soll, was sein Erfolgsrezept war. Dass die Rudelstellungen in den nunmehr über 150 Jahren, die seit 1844 vergangen sind Familiengeheimnis geblieben sein sollen klingt nicht sehr glaubwürdig.

Auch stellt sich die Frage, warum ausgerechnet Frau Ertel die Auserwählte war. Die Erklärung hierfür findet sich ebenfalls auf Seite 18 des Rudelstellungen-Infoheftes und klingt beinahe putzig.

Denn

eigentlich wollte Barbara Ertel damals nur einen Welpen von Herrn Werner kaufen – der wollte ihr aber nur dann einen geben, wenn sie sich bereiterklärte, von ihm (der keine eigenen Nachkommen und auch in der weiteren Familie niemanden mit Interesse an Hunden hatte) alles über Hunde zu lernen – Barbara Ertel war einverstanden

Das war also 1968. Herr Werner war damals schon etwas älter, nämlich 66 Jahre alt. Für die damalige Zeit muss der Gärtnermeister ein nahezu revolutionär liberaler Mensch gewesen sein. Trotz der Studentenproteste galten Frauen zu der Zeit nicht unbedingt als emanzipiert, gerade die Hundeszene war in den 1960er Jahren in erster Linie von Männern, und zwar von stockkonservativen Männern, geprägt.

Nun möchte ich Frau Ertel garnicht absprechen, dass sie Herrn Werner nicht mit Fachwissen und Charme derart beeindruckt hätte, dass er in ihr die einzig wahre Auserwählte für sein bis dato wie einen Schatz gehütetes Wissen erkannt hätte. Aber in den zeitgeschichtlichen Kontext passt die Geschichte vom jungen Mädchen und dem – immerhin sehr erfolgreichen – Züchter nicht.

Ein großes Problem der Rudelstellungen ist, dass es bis dato keine ernstzunehmende und objektive wissenschaftliche Untersuchung zu dem Thema gibt, obwohl sich vor einiger Zeit mal eine Ethologin sehr interessiert gezeigt hat. Auf Nachfrage sagte sie mir, dass sich die Gespräche im Vorfeld allerdings recht schwierig gestaltet hätten, so dass sie von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Abstand genommen habe. Schade.

Wenn man sich vor Augen führt, dass Herr Werner sein Wissen von 1968 bis 1969, also vor 45 Jahren, an Frau Ertel weitergegeben hat und die (hand-)schriftlichen Unterlagen leider verschollen sind, ist natürlich eh fraglich, inwieweit das Wissen einfach schon auf Grund der langen Zeit und der von Frau Ertel gemachten vielen Erfahrungen (Zitat aus dem Dog Forum: „Habe viele Bestätigungen in meinem Leben erhalten, durch die Beobachtung von verwilderten Streunerrudeln in Spanien, Rumänien, Bulgarien und der Türkei“) verwässert wurde und sich ihre Theorien mit dem Ursprünglichen noch decken. Überprüfen kann das keiner …

Aber das ist nicht weiter schlimm. Denn gute Hundeerziehung ist die, die funktioniert. Deshalb geht es im nächsten Teil auch nicht um die Geschichte der Rudelstellungen, sondern darum, ob die Theorie haltbar ist.

Hier gehts weiter zu Teil 2.

 

16 Kommentare
  1. mike
    mike sagte:

    Heureka! Oder so……
    Der Wauz ist mal wieder neu erfunden!
    Nachdem Karate-Kid….. äh….. Ertel vom uralten Meister in den Mysterien unterwiesen wurde und etliche qm Zaun gestrichen hat….Verdammt! Ich meine natürlich Generationen von Welpen studiert hat……Und dann noch bei uralten Mönchen….Nein…Hundemeuten Führeren in Spanien die 13 Kammern der Shaolin absolviert hat…..
    Ich gebs auf…… 8(

    Ganz ehrlich Normen. Ich bin aus leidvoller Erfahrung nach zwei Versuchen nicht mehr in Hundeforen angemeldet.
    Lese aber zu meiner Belustigung immer noch in selbigen.
    Und immer wenn ich meine es gibt keine Steigerung mehr,
    zeigst du mir das es doch noch eine Steigerung gibt.
    Danke Normen!
    Mein Tagespensum an Ironie ist wieder gerettet!

    Antworten
  2. mike
    mike sagte:

    Ich frage mich natürlich auch ob die Dame in ihren Seminaren weitergibt das gute Züchter in den 60ern ein Gewehr im Zwinger hatten oder nen Fluss hinterm‘ Haus…..
    Und ach ja…Alpha Hunde verstecken sich und gehen als letztes an die Futterquelle…..
    Natürlich wird dieses Wissen in kostenpflichtigen Seminaren und Büchern vermittelt ….natürlich uneigennützig und nur zum Wohl der Hunde…

    Antworten
  3. Danny
    Danny sagte:

    Nun ist also Frau Nowak auf den Zug aufgresprungen? Um Gottes willen….
    Wo soll man denn dann noch in Frieden spazieren gehen können? Nach Wasserflaschen, Wurfketten und Discs, nach „Die machen das unter sich aus“ und weiterem Gedöns hat man nun also auch noch die Rudelsteller am Hals…

    Ne, ich glaub ich geh mal Lotto spielen. Ich brauch Geld, so 5 Hektar Land mit nem guten Zaun drumrum sind teuer.
    Aber immer noch besser als sich jetzt auch noch „Meiner ist mittlerer Verweilhund und ihrer?“ und sowas anhören zu müssen!
    Wobei.. *Hunde betrachtet* Ich hätte ein vorderes Dummchen und einen hinteren Arschkeks. Aber ob mir das die Leute abkaufen?

    Antworten
  4. Katharina Liechti
    Katharina Liechti sagte:

    Mensch,Mensch,Mensch….wo führst du uns (Zwei- und Vierbein) noch hin??? Bin weit davon entfehrt zu denken oder zu glauben, dass früher alles bestens war. Nein war es nicht. Es gibt viele echt fortschrittliche Erkenntisse was das Wesen „Hund“ betrifft! Aber…was mir zu denken gibt, ist die Feststellung, dass es noch mehr Menschen „Gurus“ gibt, welche glauben zu wissen, diesen Glauben als Tatsache verkaufen wollen und können und Hund und Mensch bezahlen den grossen Preis!!! (Rede nicht von Geld!)

    Antworten
  5. Dakota
    Dakota sagte:

    Hallo Normen, schade dass Du nicht bei mir damit angefangen hast dich über das Thema zu informieren (auch wenn ich zugegebenermaßen nicht ganz so viel Material für medienwirksame Lacher hergebe wie Frau ertel) , da ich zum einen meine Hunde selbst erfolgreich nach den Rudelstellungen halte und mein Verein entsprechende Veranstaltungen anbietet und ich mich zum anderen seit etwa 1,5 Jahren von Frau ertel als Person sowie ihrer persönlichen Anhänger ausdrücklich distanziere!
    Wenn dir mal danach ist, Weisst du ja wo du mich findest!
    Du wärst einer der ersten Kritiker die sich das erstmal anschauen bevor sie etwas in den Dreck ziehen von dem sie keine Ahnung haben…

    Antworten
    • normen
      normen sagte:

      Liebe Dakota,
      ich hatte ja bereits das Vergnügen, auch „Eure“ Sicht der Dinge kennenzulernen. Auch wenn das Kind nun anders heisst, bleibt es doch der selbe Balg. Ob man sich nun von Frau Ertel distanziert oder nicht, am Ende bleibt eine wissenschaftlich nicht zu belegende Theorie.
      LG Normen

      Antworten
  6. Uli Hoffmann
    Uli Hoffmann sagte:

    Ich war beim Beginn der RS mit „on board“ im Polar und habe damals schon staunend mit dem Kopf geschüttelt, was man alles aus der Vergangenheit heraus kramen kann, gut verpackt und einem staunenden Publikum serviert.
    Ich bin seit viele Jahren Chow.Chow-Mensch und was mir ein Rudler (so nennt man die Anhänger der RS) über meine beiden Hunde mitgeteilt hat, ist rassetypisch.
    Mittlerweile staune ich selber, mit welchem Schmarrn (Frau Ertel und ich wohnen beide im Raum Bamberg, deshalb mein fränkischer Ausdruck) ein Mensch dicke Kohle verdienen kann.
    Kopfschüttelnde Grüße
    Uli Hoffmann

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