Auf dem Gipfel der Verzweiflung gibt es Live-Tennis! (Teil 1)

Erster Akt: Der Höllenschnauzer

Es gibt so Tage, an denen ich ernsthaft darüber nachdenke, das Mobiltelefon in den Müll zu werfen und den Festnetzapparat gleich mit zu entsorgen. Habe ich aber bisher nicht getan. Und so hab ich das davon. „Das“ heißt „Butterfly“ ist eine reizende Mittelschnauzerhündin. „Reizend“ wie CS-Gas, denn im Zusammenleben mit ihr hat man des Öfteren Tränen in den Augen. Mal vor Schmerz, mal vor Wut, mal vor Verzweiflung. Aber von Anfang an.

Letzte Woche war es, als ich es mal wieder getan habe. Ich ging ans Telefon, als es läutete. Am anderen Ende war eine nette Dame, die mir berichtete, dass ihr Nachbar einen Unfall hatte und nun dringend eine Unterkunft für seinen Hund gesucht würde.

Kurzerhand sagte ich zu, denn der Mann tat mir leid. Und der Hund auch. Und man hilft ja gerne.

Also fuhr ich kurzerhand nach Tupfingen im Taunus und holte „Butterfly“ ab. Abholen wiederum bedeutete, dass Madam mich am Gartentor erstmal mit aller Empörung begrüßte, die so ein Hund an den Tag legen kann. Spontan entschied ich, dass die Moxonleine das Mittel der Wahl wäre, um sich dem Tierchen zu nähern. Als ich sie dann „eingefangen“ hatte, stellte sie sich jedoch erstmal als freundlich aber reserviert heraus.

Und nun ist sie bei uns.

Auf dem ersten Blick ist Butterfly ein Zuckerstück. Zum zweiten Blick kommt es meist nicht, weil Butterfly dann schon weg ist. Zuerst dachten wir, sie sei taub, denn sämtliche freundschaftlichen Versuche, sie davon zu überzeugen, uns auch nur eines Blickes zu würdigen, schlugen gänzlich fehl.

Ich glaube, in Butterfly steckt so eine Identitäts-Problematik für Hunde. Butterfly muss ein Chow Chow oder ein Akita gefangen im Körper eines Mittelschnauzers sein. Im Gegensatz zu ihr sind Labbis hochsensible Seelen und Owtscharkas hochkooperativ. In meinem Leben habe ich noch nie einen Hund kennengelernt, der dermaßen eigenständig, stur und ignorant ist.

Das gilt jedoch nur, wenn man etwas von ihr möchte. Wenn sie etwas möchte, sieht das etwas anders aus. Dann wird sie nämlich nachdrücklich, wenn man es denn so nennen möchte. Im Laufe ihrer Jahre als Prinzessin hat sie diverse Strategien entwickelt, wie man auf sich aufmerksam machen kann.

Schritt 1: Fiepen
Schritt 2: Heulen
Schritt 3: Alle anderen Hunde zum Heulen animieren.
Schritt 4: Das Chorheulen durch lautes Gebell übertönen.
Schritt 5: Eine maximale Wirkung erzielt diese Vorgehensweise zwischen zwei und drei Uhr morgens.

Dafür ist sie verträglich mit Artgenossen. Nunja, vielmehr war es für sie wohl ein Schock zu sehen, dass es noch andere von ihrer Sorte zu geben scheint. Also hat sie für sich entschieden, dass wenn es schon andere Hunde auf der Welt gibt, dann muss sie logischerweise die Königin über das Hundevolk sein.

Artgenossen werden maximal geduldet. Und wenn irgendeiner unseres vierbeinigen Fußvolks meint, in die königliche Aura einzudringen, schaut sie ihn empört an, macht „Pfft“ und schwebt von dannen.

Madam zeigt nicht mal den Hauch eines Ansatzes, zu kommen, wenn man sie ruft. Stattdessen lässt sie sich lieber abholen, so wie es sich gehört. Aber bitte auch erst dann, wenn es ihr beliebt.

Also habe ich irgendwann beschlossen, dass ich sie einfach anleine, um sie ins Haus zu holen. Irgendwann will man ja auch ins Bett. Diese Gräueltat meinerseits quittierte das Schnauzerchen seelenruhig mit einem beherzten Griff in mein Handgelenk und einem Lächeln im Gesicht bei dem Hinweis „Ich bin zehn Jahre alt und habe schlechte Zähne.“

Vier Löcher und eine eitrige Entzündung später bin ich wieder bei der anfangs erwähnten Moxonleine, wenn es darum geht, das Hündchen ins Haus zu holen.

Als ich dann Freitag nacht von einem langen Vortragsabend nach Hause kam, berichtete mir F., dass Butterfly einen Weg gefunden hat, irgendwie auszubüxen. Glücklicherweise hatte sie das rechtzeitig gemerkt und Madam wieder eingefangen.

Und so rätselten wir noch, wie der Hund das wohl geschafft hatte, als wir uns plötzlich anschauten und uns fragten: „Wo ist die eigentlich.“

Charakterlich tendiert Butterfly zwar irgendwo zwischen Hartholz, andalusischen Esel und mitteleuropäischer Hauskatze, ihre Fähigkeiten, sich unsichtbar zu machen, entsprechen jedoch eher denen eines Ninjas.

Irgendwie hatte sie es geschafft, erst aus dem Wohnzimmer, dann aus dem Flur und schließlich vom Grundstück auszubrechen. Und das während wir darüber diskutierten, wie sehr wir aufpassen müssten, damit der Hund bloß nicht abhaut.

Es war kurz vor Eins Nachts, am nächsten Morgen musste ich terminbedingt um spätestens Acht raus und wir suchten Butterfly – einen grauen Hund in einem Wald im Dunkeln. Gegen drei Uhr gaben wir die Suche auf und entschieden, dass wir alle Tore auflassen und hoffen, dass sie von alleine zurückkommen würde.

Das tat der Hund auch – und zwar exakt drei Mal in der Nacht. Zum ersten Mal schlugen die anderen Hunde um Vier, das zweite Mal um Viertel nach Fünf und das dritte Mal um halb Sieben an.

Um halb Acht stand schließlich eine Nachbarin vor der Tür, die uns berichtete, dass Butterfly weiter unten auf der Straße in der Sonne läge und döse.

F. sprang sofort auf, um Butterfly vor einem elenden Tod in der freien Wildbahn zu bewahren, kam jedoch etwa 15 Minuten später wieder. Ich glaubte ein paar neue Adern an ihren Schläfen entdeckt zu haben, die pochten. Sie war so stinksauer, dass für diesen Zustand ein neuer Begriff erfunden werden müsste und berichtete mir – unterbrochen von diversen Flüchen, die ich hier nicht wiedergeben möchte – von den letzten Minuten.

Butterfly lag auf der Wiese und genoss das schöne Wetter, als sie F. erblickte, ließ sie sie bis auf ungefähr drei Meter rankommen, um sich dann gemütlich und in bester Altdamenmanier einen anderen Platz zu suchen. Das Spiel wiederholte sich einige Male, nun brauchte F. wahlweise eine Pause oder ein Gewehr.

Um 10 vor Acht liefen wir zu Dritt durchs Dorf, jeder mit einer Leine bewaffnet und fühlten uns bestätigt, dass der Hund wirklich ein Ninja sein musste. Oder tatsächlich eine Katze, die zum Fressen mal vorbeischaut, aber ansonsten eher ihre Ruhe haben möchte.

Um Fünf nach Acht machte Butterfly dann einen entscheidenden Fehler. Angelockt von irgendwas Interessantem landete sie im Garten eines Anwohners, der unsere Slapstickeinlage vorher beobachtet und genossen hatte. Der resolute ältere Herr machte kurzen Prozess – und das Gartentor zu.

So war es ein leichtes, Madam Butterfly wieder habhaft zu werden.

Auch wenn das Schnauzerchen den Ausflug bestimmt toll fand, haben wir entschieden, dass Madam die Zeiten unserer Abwesenheit besser in einer Box verbringen sollte, um so zu verhindern, dass sie wieder freigängig wird.

F. hatte bei eBay eine schicke Schmidt-Box ersteigert, diese sollte nun das neue Apartment für den Schnauzer werden. Der Freilauf wurde derweil gestrichen, ab sofort gabs Hofgang nur noch an der Leine. Hasse davon!

Als ich nun heute mittag nach Hause kam, wunderte ich mich noch, warum das Chorheulen irgendwie anders klang als die fünfzehn mal davor. Und als ich vorsichtig die Haustür öffnete, stand sie da und freute sich wie ein Keks: Butterfly! Als ich dann einen Blick ins Wohnzimmer warf, fand ich die funkelnigelnagelneue arschteure Schmidt-Box fachmännisch verlegt vor.

Kein Ninja, nein, ein graubärtiger McGyver! Ehre, wem Ehre gebührt, dachte ich bei mir. Respekt!

Butterfly wohnt derweil nicht mehr im Wohnzimmer bei den anderen Hunden. Sie nennt nun das Gästezimmer ihr eigen und war so nett, auf ein Körbchen zu verzichten. Sie hat nun ein Bett für sich. Das passt auch besser …

 

Wir b(r)au(ch)en ein Wunder!

Manchmal bin ich fassungslos. So auch gestern. Um kurz nach Acht schrieb mich eine Freundin an und fragte mich, was denn bei TiNo los wäre. Ich warf einen Blick auf die Facebookseite und verschluckte mich fast an meinem Kaffee. TiNo brennt! Scheiße!

Mein erster Impuls war: Da musst du jetzt hin. Setz Dich ins Auto und fahr los. Erst nach einem Moment des Nachdenkens wurde mir klar, dass es nichts bringt, vor Ort den Helfern für den Füssen rumzutrampeln und noch mehr Chaos zu verbreiten.

So las ich gebannt den ganzen Tag über mit, wie sich die Lage in dem Tierheim entwickelte. Am Ende steht ein zerstörtes Gebäude, das abgerissen werden muss. TiNo hat kein Katzenhaus mehr, keine Tierarztpraxis, keinen Seminarraum und keine Küche mehr.

Auch das Hauptgebäude wurde durch das Löschwasser stark beschädigt. Erste Schätzungen lagen bei 100.000 Euro Schaden, aber das dürfte wohl viel zu optmistisch gewesen sein. Viele – so auch ich – sind fassungslos.

Denn TiNo ist nicht irgendein Tierheim. TiNo, das ist zu allererst Ute, die immer so herzlich ist, immer ein offenes Ohr hat, mit der ich schon so viel gelacht habe und die mich so viel weitergebracht hat mit ihrem Sachverstand und ihrer Hilfsbereitschaft.

Als unsere Hundeanlage unter Wasser stand, hat Ute nicht eine Sekunde gezögert und meine Hunde untergebracht. Ganze Generationen von Hundetrainern haben in dem Tierheim auf der Spreng den souveränen Umgang mit aggressiven Hunden lernen dürfen. Unzählige Hundebesitzer haben davon profitiert, ohne zu es wissen.

Wer bei TiNO ein Praktikum macht, fährt mit einem Hund mehr nach Hause. Vor allem diejenigen, die vorher steif und fest behaupten, sie seien immun dagegen.

TiNo ist das Tierheim, in dem man sich willkommen fühlt. In dem es keine doofen Fragen gibt und in dem einem geholfen wird. TiNo ist das Tierheim, dass jungen Menschen eine Chance gibt und ihnen eine Ausbildung ermöglicht, auch wenn die Schulnoten nicht berauschend sind. TiNo ist das Tierheim, das schon Gruppenhaltung durchgeführt hat, als andere das noch für unmöglich gehalten haben.

Und nun das.

Um die Fassungslosigkeit zu zu verarbeiten hilft ein Blick in die Zukunft. Mai 2015.

Ein paar wichtige Menschen aus der Politik haben gerade ein paar Reden gehalten, als Ute mit einer Schere das Band durchschneidet und das neu erbaute Gebäude offiziell eröffnet. Hinter ihr und ihrem Team liegen Monate des Hoffens, des Bangens, des Schwitzen und auch Momente, in denen sie am liebsten alles hingeworfen hätten. Aber jetzt ist es vollbracht. TiNo erscheint in neuem Glanz. Dank vieler Helfer/innen und Spender/innen ist TiNo nicht nur wieder hergestellt, sondern noch besser, noch offener für jeden, aber immer noch genauso herzlich und liebenswert.

Um das zu erreichen müssen wir ein Wunder bauen!

Liebe Leserinnen und Leser,
bitte helft Ute und ihrem Team. Zeigt diesen wunderbaren Menschen, dass wir sie nicht alleine lassen! Wenn jeder meiner monatlichen Leser auch nur 10 Euro spenden würde, wär das Gehalt der TiNo-Mitarbeiter schon gesichert!

Ihr könnt zum Beispiel auf folgendes Konto spenden:

Tiere in Not Odenwald
Volksbank Odenwald
BLZ 508 635 13
Konto 1991 000

IBAN: DE45508635130001991000
BIC: GENODE51MIC (Michelstadt)

Außerdem könnt Ihr mich für eine Lesung oder einen Vortrag buchen, die Erlöse gehen an TiNo. Von mir aus tanze ich Euch etwas vor, wenn die Spende hoch genug ist!
Ines von Hundsein und ich veranstalten am 21. und 22. Juni 2014 einen Workshop, Eure Teilnahmegebühr geht ebenfalls in TiNO.Auch der Vortrag bei Sonja in Worms und die kommenden Erlöse des Nomro-Buchs sollen zu Gunsten von Ute und ihrem Team gehen.

Bitte teilt, erzählt weiter und helft!

Vielen Dank!

Wir werden alt.

Manche Ereignisse führen einem vor Augen, dass die Zeiten, in denen man noch jung und hip war, eindeutig vorbei sind.

Ein solches Ereignis warf seine Schatten voraus, als ich vor ein paar Monaten in meinem Briefkasten eine Einladung fand – zur Silberhochzeit meiner Schwester.

Wow, dachte ich. Fünfundzwanzig Jahre, alter Schwede, wie die Zeit vergeht.

Während es mich vor einigen Jahren in den Hochtaunus verschlagen hat, ist meine Schwester unserer Heimat treu geblieben und lebt auch heute noch am Niederrhein, um genauer zu sein in dem kleinen, aber umso katholischeren Städtchen Kevelaer.

Aufgewachsen sind meine Schwester und ich derweil in dem noch kleineren, aber mindestens genauso katholischen Örtchen Twisteden unweit der niederländischen Grenze. Da habe ich meine Kindheit verbracht – eine typische Kindheit auf dem Lande, möchte man sagen. Auf Grund der falschen Konfession blieb mir der Zugang zu den Messdienern versperrt, so dass mir nur die Mitgliedschaft im Fußballverein blieb, nachdem ich mich für die Tuba im Musikverein nicht so recht entscheiden konnte.

Hier wurde ich auch zum ersten, zum zweiten und zum dritten Mal von einem Hund gebissen.

Achje, ich bin ewig nicht mehr da gewesen, und wenn, dann um an Geburtstagen oder zu Weihnachten meine Familie zu besuchen, was viel zu selten vorkommt. Und nun, am letzten Samstag saß ich in meinem Auto, Hüte-Tussie Barney Yapp Yapp-machend im Kofferraum, in Richtung Nordrhein-Westfalen.

Ausnahmsweise hatte ich mir mal etwas Zeit genommen und vor, einige Orte zu besuchen, die mir prägend in Erinnerung geblieben sind. Den Sportplatz des „DJK“, die LuGa, das Schulzentrum, den alten Bunker und, das „Vogelhäuschen“, das so genannt wurde, weil hier die Schützenfeste stattfanden und das wir in „Vögelhäuschen“ umgetauft hatten, weil man hier als noch zuhausewohnender Jugendlicher prima erste Erfahrungen in Sachen Beziehungen vergeigen sammeln konnte.

Zeiten ändern sich und mit ihnen die Orte, die uns geprägt haben. Und so musste ich die Erfahrung machen, dass so mancher besser eine schöne Erinnerung bleiben sollte. Das Dorf hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Dort, wo wir als Kinder zwischen Tannenbäumen fangen gespielt haben, steht heute ein Wohngebiet mit unzähligen, völlig identisch aussehenden Häusern wie aus Lego gebaut. Aus dem Bolzplatz, auf dem wir so ziemlich jeden Mittag verbracht haben, wurde ein „Sportpark“ und selbst das gute alte „Vögelhäuschen“ wurde renoviert und ist nun von schicken Eigenheimen umgeben.

Ich fuhr mit dem Auto die Wege ab, die ich erst als Kind und später Jugendlicher auf mich genommen habe. Mein Weg führte mich an Bauernhöfen vorbei, die heute Hofladen oder Bauerncafé heißen, an Weizenfeldern, die heute dicht bebaut sind und an meinem Lieblings-Plattenladen, in dem sich heute ein „1-Euro-Shop“ befindet.

Irgendwann gab ich auf und beschloss, dass ich besser mal den Barney lüfte, bevor er noch platzt. Ich fuhr von der Hauptstraße runter auf einen geteerten Feldweg und ließ Barney tun, was Hunde so tun.

Tatsächlich, dachte ich bei mir, ich werde alt. Die Orte unserer Kindheit verschwinden nach und nach genauso wie unsere Erinnerungen. Unwiederbringlich weg.

So langsam musste ich mich beeilen, schließlich sollte die Feier pünktlich beginnen und ich wollte nicht zu spät kommen. Ich packte Barney ins Auto und startete Richtung Gaststätte zwecks Feier der silbernen Hochzeit.

Manchmal gibt es merkwürdige Zufälle. Zum Beispiel ein Navigationssystem, das einfach nicht funktionieren möchte. Und so kam es, dass ich mich zwar noch etwas wunderte, dass der Kasten mich jetzt quer durch die Pampas führt, aber man ist ja technikhörig.

Und stand sie plötzlich vor mir. Die Brücke. Und ich hatte sie komplett vergessen.

bruecke1

Zwischenzeitlich hatte es angefangen zu regnen und eigentlich hatte ich es mittlerweile eilig. Doch parkte ich das Auto, holte Barney aus dem Kofferraum und schaute mich um.

Hier war ich bestimmt 20 Jahre nicht mehr und es war, als wenn die Zeit stehengeblieben wäre.

Der Kanal führt bis zur Niers und mein Kumpel Christian und ich sind oft mit unseren Fahrrädern und Tiger, dem Schäferhundirgendwas-Mix unserer Familie, hierher gefahren.

Während Tiger Vögel jagte oder halsbrecherisch in den Kanal sprang, bauten wir Flosse, die nie länger als drei Minuten schwimmfähig waren, oder Schwerter und Lanzen aus den Ästen der Bäume am Wegesrand. Später – ich war pubertär und wollte gut aussehen – ging ich hier mit Jens joggen. Jens, der sich dann das Leben genommen hatte, wie ich Jahre später erfahren habe.

Während Barney ziemlich ungebremst die Umgebung erkundete, versuchte ich mich daran zu erinnern, ob ich damals jemals Tiger abgerufen oder bei irgendwas unterbrochen hätte. Gut, es wäre ein ziemlich sinnloses Unterfangen gewesen, denn Tiger ließ sich nie abrufen. Und blödsinnig obendrein, denn hier, an der Brücke gibt es keinen Grund, irgendetwas zu unterbrechen.

Der Regen legte den Wald in leichten Nebel und das Geräusch der Regentropfen verdichtete sich zu einem monotonen Rauschen. In dem Moment schaute ich mir Barney an, der – fast wie Tiger damals – durch den Kanal tobte.

Hunde haben’s gut, dachte ich. Barney denkt nicht darüber nach, dass das Haus finanziert werden muss. Er muss keine E-Mails schreiben, Deadlines einhalten, Anrufe beantworten und Steuererklärungen machen. Ein Hund ist nicht Teil des Hamsterrades, in dem wir – zu totaler Flexibilität und maximaler Belastungsfähigkeit verdonnert – tagein tagaus versuchen, mitzuhalten.

Barney ist scheißegal, was mein Nachbar von seinem Gekläffe hält und ehrlicherweise ist im auch egal, dass ich Nachbarn habe.

Barney hatte gerade eine Frühlingsblume entdeckt, die in seiner Nase kitzelte. Er musste niesen und kläffte sie an. Er lebt im Hier und Jetzt und fand die Blume spannend. Das zählt.

Ich musste lachen. Vielleicht sollte ich mir ein Beispiel an Barney nehmen und die Blumen geniessen. Ich schaute mich um. Mein Gott, ist das schön hier.

Und einen Moment lang, war sie da, diese Unbeschwertheit, wie ich sie als Kind erlebt habe. Die wohl nur Kinder erleben können, das gute Gefühl, dass jetzt gerade eben nichts von Belang ist und das uns nichts passieren kann. Das alles gut wird.

Gleichzeitig dieses bittere Gefühl, dass wir so viel davon verlieren – durch all den Alltag, unsere Verantwortungen, Verpflichtungen und selbstauferlegten Zwänge.

Meine Schwester hat silberne Hochzeit gefeiert. 25 Jahre, alter Schwede. Wir werden alt.

In den 25 Jahren bin ich wohl erwachsen geworden, durfte erleben, dass manche Träume Träume bleiben und Dinge, die man nicht zu träumen gewagt hätte, plötzlich wahr werden. Dass wichtige Menschen irgendwann verschwinden und andere auftauchen, die einem wichtig werden. Ich habe gelernt, dass aus Liebe Gleichgültigkeit werden kann und das man sich innerhalb einer Sekunde unsterblich verlieben kann. Ich habe geflucht, gehofft, geweint und gelacht. Und einmal sogar gebetet – und das in Kevelaer.

Ich stand auf der Brücke und mir fiel auf, dass ich nie auf der anderen Seite des Kanals war. Verrückt, ich war früher bestimmt hundert Mal hier, doch habe ich nie geguckt, was hinter der Brücke kommt. Die Brücke war immer das Ziel, nie der Weg. So soll es bleiben.

Am Abend ging dann auf der Feier meiner Schwester eine Leinwand rum, auf die jeder etwas schreiben sollte. Ich schrieb „Auf die nächsten 25 Jahre – Viel Spaß!“.

 

Dem Guru seine Jünger

Erstaunlich: Sobald sich mehr als drei Leute zusammengefunden haben und irgendeiner Hundeerziehungs-, Ernährungs- oder Wasweissich-Philosophie frönen, kommen wie aus der Pistole geschossen drei andere um die Ecke und erklären die Gruppe zur Sekte.

Die Lalas sind eine Sekte, die Hardliner sind eine Sekte, die Barfer und die Rudeldingsbums ebenso. Kaum ein Begriff wird in der Hundeszene derart inflationär gebraucht, wenn es darum geht, eine bestimmten Strömung möglichst allumfassend und unsachlich plattzumachen.

Dabei sollte man eigentlich vorsichtig sein mit solchen Begriffen, auf der anderen Seite könnte der geneigte Beobachter sehr wohl das Gefühl bekommen, es mit Fundamentalisten zu tun zu haben angesichts der teils merkwürdigen Gepflogenheiten, die in so manchem Forum oder Facebookgruppe herrschen.

Als ich mal einen offenen Brief an die Bundestierärztekammer gebloggt habe, kam ich in den Genuss, von den Betreibern der Gruppe „Trainieren statt Dominieren“ zum personifizierten Bösen erklärt zu werden. Um die Gruppe zu schützen wurde der Link, den eine Nutzerin geteilt hatte, mit dem Hinweis, dass man mich nicht diskutieren möchte, schnell wieder gelöscht und sie mit den Worten

(…) leider häufen sich die Beschwerden von Gruppenmitgliedern über Dich. Deine Postings werden als extrem provokant empfunden und ich kann diese Ansicht teilen. Ich mag glauben, dass es Dir tatsächlich um Wissen geht, dann darf ich Dich bitten, Deine postings VOR dem Absenden zu überdenken. (…) Dies ist also Deine Chance auf eine Verhaltensänderung und so in der Gruppe zu bleiben.

„verwarnt“. Jeeps, das ist schon irgendwie spooky, zumal der Artikel nix, aber auch garnix mit TsD zu tun hatte.

Nun habe ich mich gefragt, was denn wohl dran ist an den Sekten-Vorwürfen und habe ein bisschen bei denen gegoogelt, die es wissen müssen. Und siehe da, ich bin auf eine „EBI-Checkliste für Einsteiger“ gestossen.

„EBI“ steht für Eltern- und Betroffenen-Initiative gegen psychische Abhängigkeit“, die Checkliste findet sich auf der Internetseite „Teensgeneration.com„, die wiederum ist eine “ Plattform, um christlich-gläubigen Teenagern überkonfessionell biblisch-begründete, praktische Hilfestellung in täglichen Fragen des Glaubens zu vermitteln.“

Als ich mir die Liste so durchgelesen habe, musste ich schmunzeln. Aber lest selbst.

Schön fand ich auch den Hinweis:

„Wenn Du nicht wirklich alle Behauptungen streichen kannst, ist schon VORSICHT geboten!“

Wie erkenne ich eine Sekte? (“Alarmzeichen”)

EBI-Checkliste für Einsteiger

  1. Schon der erste Kontakt mit der Gruppe eröffnete eine völlig neue Weltsicht (“Schlüsselerlebnis”)
  2. Das Weltbild der Gruppe ist verblüffend einfach und erklärt wirklich jedes Problem.
  3. Bei der Gruppe findest Du alles, was Du bisher vergeblich gesucht hast.
  4. Die Gruppe hat einen Meister / Führer / Vater / Guru / Vordenker, der allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist und oft wie ein Gott verehrt wird.
  5. Die Welt treibt auf eine Katastrophe zu, nur die Gruppe weiß, wie man die Welt noch retten kann.
  6. Die Gruppe ist die Elite, die übrige Menschheit ist krank / verloren – wenn sie nicht mitmacht / sich retten lässt.
  7. Die Gruppe lehnt die etablierte Wissenschaft ab. Die Lehre der Gruppe wird als einzig “echte Wissenschaft” verstanden.
  8. Die Gruppe lehnt das “rationale Denken”, den “Mind”, den “Verstand” oder die “Verkopfung” als negativ / satanisch / unerleuchtet ab.
  9. Kritik und Ablehnung durch “Außenstehende” ist gerade der Beweis, dass die Gruppe Recht hat.
  10. Die Gruppe bezeichnet sich als die “wahre” Familie oder Gemeinschaft.
  11. Die Gruppe will, dass Du alle “alten” Beziehungen (Familie, Wohngemeinschaft, Freundschaften) abbrichst, weil sie deine “Entwicklung” behindern.
  12. Die Gruppe grenzt sich von der übrigen Welt ab, z.B. durch
    • Kleidung
    • Ernährungsvorschriften
    • eine eigene “Gruppensprache”
    • Reglementierung von zwischenmenschlichen Beziehungen
  13. Die Gruppe verlangt strikte Befolgung der Regeln oder “absolute Disziplin”, “denn dies ist der einzige Weg zur Rettung!”
  14. Die Gruppe schreibt dein Sexualverhalten vor, z.B.:
    • Partnerzusammenführung durch die Leitung oder
    • Gruppensexualität oder
    • totale Enthaltsamkeit für einfache Mitglieder
  15. Du bist keine Minute des Tages mehr allein – jemand aus der Gruppe ist immer bei dir.
  16. Die Gruppe füllt die gesamte Zeit mit Aufgaben, z.B.:
    • Verkauf von Büchern und Zeitungen
    • Werben neuer Mitglieder
    • Absolvieren von Kursen
    • Meditationen.
  17. Zweifelst du / stellt sich der versprochene Erfolg nicht ein oder wirst du nicht “geheilt”, bist du selber schuld, weil du dich nicht genug eingesetzt / weil du nicht genug glaubst.
  18. Mitglied der Gruppe sollst du möglichst sofort / heute werden.
  19. Es gibt kaum eine Möglichkeit, sich in Ruhe ein Bild von der Gruppe zu machen: Du sollst nicht erst einmal nachdenken / reflektieren / prüfen, sondern erleben: “das kann man nämlich nicht erklären, komm doch gleich in unser Zentrum und mach erst mal mit!”

„Make Love – Not War“

DogTalking Nr. 1, 2013 – Thema Emotionen

“Make Love – Not War”

In der Hundeerziehung erlebt wohl so ziemlich jeder Hundehalter immer wieder Momente, die einen emotional stark belasten können. Sei es, weil der Hund in den Wald verschwunden ist und Rehe hetzt oder weil Waldi in einer Tour quengelt, während der Besitzer noch etwas Wichtiges erledigen muss. Im Alltag erleben wir jedoch auch immer wieder, dass Hundebesitzer sprichwörtlich ausrasten und völlig unangemessen und übertrieben agieren. Häufig wird diesen Menschen im Nachhinein bewusst, dass sie falsch gehandelt haben. Was bleibt, sind Schamgefühl, Selbstvorwürfe und ein schlechtes Gewissen. Ein Bericht über Menschen, Hunde und Gefühle.

„Ich will so nicht sein!“

Vor einiger Zeit bekam ich einen Anruf von einer Kundin. Ihre junge Hündin ist sehr agil, um es mal vorsichtig auszudrücken, und tanzt ihrem Frauchen gerne mal auf der Nase herum. An diesem Nachmittag wollte die Besitzerin mit ihrem Hund nur „schnell“ eine Runde drehen, bevor sie zu einem wichtigen beruflichen Termin musste. Frauchen also im Stress und unter Zeitdruck und die Junghündin auf Abenteuer aus. Und so kam es, wie es kommen musste. Während des ganzen Spaziergangs wuselte die Hündin umher, ließ sich nicht abrufen und hatte tausend Dinge im Kopf – nur nicht ihre Besitzerin. Als dann plötzlich ein Kaninchen über den Weg schoss, startete der Hund durch und ließ sein Frauchen am Waldrand stehen.

Den Termin im Nacken und voller Sorge um den Hund harrte meine Kundin am Waldrand aus, bis der Vierbeiner nach ungefähr 15 Minuten aus dem Dickicht kam. Als meine Kundin den Hund dann anleinen wollte und dieser mit einem Fangenspiel auf ihre Versuche reagierte, platzte ihr der Kragen und sie verprügelte den Hund.

Nun hatte ich sie am Telefon und sie war am Boden zerstört. So etwas sei ihr noch nie passiert und sie wollte ihrem Hund doch niemals Schmerzen zufügen. Aber in dieser Situation, da wurde sie so wütend und vergaß sich total. Das Schlimmste neben dem Schock über das eigene Verhalten war für sie, dass die ansonsten so anhängliche Hündin den Rest des Tages einen großen Bogen um sie machte und wenn sie gerufen wurde, ganz geduckt und zögerlich gekommen war.

Ursachen für emotionale Ausbrüche

Wie es dazu kommen konnte, dass die an sich sehr liebevolle Hundebesitzerin dermaßen „ausrasten“ konnte, liegt natürlich auf der Hand. Sie war im Stress und an sich schon angespannter als in normalen Situationen. Dieser Stress hat sich auf die Hündin übertragen, die zum einen unruhiger und damit weniger auffassungsfähig als sonst war und zum anderen auf Grund der Gereiztheit der Besitzerin versucht hat, auf die „witzige Tour“ aus diesem Konflikt zu entkommen. Diese unglückliche Konstellation aus hoher Anspannung auf beiden Seiten und der hohen emotionalen Belastung der Hundehalterin aufgrund des jagenden Hundes brachte schließlich das „Fass zum Überlaufen“ und hatte die unangemessene Reaktion des Menschen zur Folge.
Eine solche Kurzschlusshandlung bezeichnet die Psychologie „als eine Handlung, die durch emotionale Impulse ausgelöst wird“ und die „ohne Überlegung oder bewusstes Wollen geschieht. Hierbei ist die intellektuelle Kontrolle weitestgehend ausgeschaltet.“ (Quelle: Uni Hamburg).

Das der Besitzerin die Sicherungen durchgebrannt sind, ist menschlich nachvollziehbar und angesichts der Situation verständlich, wenn ihre Handlung auch alles andere als angebracht war.

In allererster Linie stellte sich der Besitzerin natürlich die Frage, welche Folgen Ihr Ausraster für ihre Beziehung zum Hund hat. Aufgrund der Einmaligkeit dieser Situation ist davon auszugehen, dass der Hund keine negative Lernerfahrung im Sinne einer bedingten Aversion o. ä. aus dieser Situation gezogen hat. Zumal es eher unwahrscheinlich ist, dass die verschiedenen Faktoren, die den Vorfall verursacht haben, sich in dieser Konstellation kurzfristig wiederholen. Der Hund wird also kein „Trauma“ davon tragen. Auch ist davon auszugehen, dass die gute Beziehung zwischen Hund und Halter keinen Schaden genommen hat.
Stress ist niemals ein guter Hundeführer

Doch wie kann meine Kundin verhindern, dass sie erneut in eine solche Situation gerät und wieder unangemessen reagiert? Einen Hinweis auf diese Frage findet man in der Sachkundeprüfung gemäß §11 TSchG für Menschen, die beruflich mit Hunden zu tun haben. Im Fragenkatalog wird ein besonders stressiger und anstrengender Arbeitstag geschildert, an dem der Prüfling die Aufgabe hat, mit einem aggressiven Hund zu arbeiten. Die richtige Antwort auf diese Frage, wie vorzugehen ist lautet, dass man die Arbeit mit dem Hund auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt.

Was bei der Arbeit mit gefährlichen Hunden unter Umständen lebensrettend sein kann, lässt sich relativ einfach auf das Zusammenleben mit dem eigenen Hund übertragen. So hätte meine Kundin den Spaziergang auf eine Runde um den Block verkürzen oder darauf verzichten können, die Hündin abzuleinen. Auch hätte sie den Spaziergang so verlegen können, dass sie erst den Termin wahrnimmt und dann – entspannt und in Ruhe – den Hund rauslässt.

Dass es anders kam, ist auch wieder emotional begründet. Die Sorge, dass der Hund sich dringend lösen muss, sorgte dafür, dass die Halterin trotz mangelnder Zeit und eh schon schlechter Laune mit dem Hund loszog. Die Gewissheit, dass ein Hund ein Lauftier ist und Bewegung braucht, war der Auslöser dafür, dass sie ihre Hündin ableinte. Und das ihr nicht aufgefallen ist, dass sich der Vierbeiner an dem Tag eher weniger zugänglich gezeigt hat, wurde im allgemeinen Stress schlicht und ergreifend übersehen.

Doch nicht nur in solchen Alltagssituation kann es angebracht sein, seine Pläne zu verschieben. Gerade wenn es um Hundetraining geht, ist es meines Erachtens besser, eine Trainingseinheit zu verschieben, anstatt unter ungünstigen Voraussetzungen zu arbeiten. Hier sind insbesondere auch Hundetrainer und Übungsleiter gefragt, den Menschen im Blick zu haben und auch mal auf einen Stundenlohn zu verzichten, wenn der Kunde unter starker Anspannung steht.

Mit Blick auf den Lernerfolg innerhalb einer planbaren Trainingssituation ist es immer besser, wenn der Hund nichts lernt, als wenn er etwas Ungünstiges lernt, was im Alltag ja oft genug passiert. Abgesehen davon, dass vermeidbare falsche Lernerfahrungen, z. B. weil der Besitzer in einer Situation nicht handlungsfähig ist, weder für den Trainingsablauf noch für den Hundebesitzer von Vorteil ist, ist es auch nicht gut für den Ruf der Hundeschule, wenn der genervte Besitzer im Beisein des Trainers unangemessen mit dem Hund umgeht.

Zu den Aufgaben einer guten Hundeschule gehört es, möglichst optimale Übungssituationen zu schaffen. Und hier spielen neben Ort, Zeit, möglicher Ablenkung natürlich auch eine entspannte Arbeitsatmosphäre dazu. Und in meiner Zeit in der Arbeit mit Hundehaltern habe ich es noch nie erlebt, dass ein Kunde negativ reagiert hätte, wenn man z. B. eine Stunde abbricht bzw. den Vorschlag macht, den Termin zwecks Nervenschonung zu verschieben.

Nerven schonen

Ein klassisches Beispiel, wie eine vermeintlich harmlose Situation eskalieren kann, schilderte mir ein Bekannter vor Kurzem. Er arbeitet von zuhause aus und hat mit seinem Hund das Problem, dass der Vierbeiner häufig wenig Verständnis dafür zeigt, das sein Mensch wichtigere Dinge zu tun hat, als den Hund zu beschäftigen.

Während mein Bekannter also am Schreibtisch saß und arbeiten wollte, lag der Hund in seinem Korb und fing an, leise zu fiepen. Nach einigen Minuten war der Hundehalter bereits leicht genervt, ignorierte das Verhalten seines Hundes jedoch zunächst. Einige Zeit später rief er dann ein leicht gereiztes „Sei ruhig“ in den Nebenraum. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Hund das Geräusch von einem leisen Fiepen in ein enervierendes Winseln steigerte, vergingen weitere Minuten und einige immer deutlich werdende Aufforderungen, endlich still zu sein.

Irgendwann war dann der Punkt erreicht, an dem dem Hundehalter die Nerven durchgingen, er ins Wohnzimmer polterte und den Hund wüst beschimpfte, mit Tierheim und Schlimmerem drohte, um dann wild fluchend wieder zurück an seinen Arbeitsplatz zu gehen. Nach kurzer Zeit der Stille war wieder ein leises Fiepen aus dem Wohnzimmer zu hören.

Bei unserem Treffen erzählte er mir dann, dass der Hund ihn damit in den Wahnsinn treiben würde und er den Köter am liebsten erschlagen hätte, was natürlich nicht stimmt, weil er seinen Hund sehr liebt. Aber dieses Gefiepe, das nerve ihn gewaltig.

Wenn wir uns die Situation im Detail anschauen, stellen wir fest, dass der Hund gar nicht wissen konnte, dass das Fiepen unerwünscht war und das durch die Reaktion des Besitzers auch nicht lernen konnte. Über mehrere Minuten konnte er schließlich ungestört machen, wonach ihm war, bis dann ganz plötzlich und ohne einen für den Hund ersichtlichen Grund das Donnerwetter losbrach.

Um hier eine Lernerfahrung und damit eine Verhaltensänderung beim Hund zu erreichen, hätte der Besitzer das unerwünschte Verhalten in dem Moment unterbinden müssen, in dem es begann. Ein Hund unterscheidet nicht zwischen einem akzeptablen Fiepen und einem, dass nicht mehr toleriert wird. Durch die unmittelbare Reaktion des Besitzers hätte der Hund eine Chance gehabt, zu lernen, dass fiepen nicht erwünscht ist.

Auch in diesem Beispiel möchte ich festhalten, dass der Hund durch die falsche Reaktion seines Menschen sicherlich keinen Schaden davon getragen hat. Aber er hat eben auch nichts gelernt.

Tatsächlich ist es so, dass Trainingserfolge bei Tierschutz-Hunden, die schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, einfacher zu erzielen sind, als mit solchen, die in ihrem Leben gar keine Erfahrungen mit Menschen gemacht haben.

Die Sache mit der Liebe

In der Theorie ist es natürlich einfach, einen Ratschlag zu geben – vor allem im Nachhinein und wenn man die Situation nicht selbst erlebt hat. Und wenn ich ehrlich bin, gerate ich immer wieder in Situationen, in denen ich feststelle, dass ich zu spät, zu langsam oder zu falsch reagiert habe. Glücklicherweise sehen unsere Hunde im Normalfall über solche kleineren Fehler hinweg und haben uns trotzdem lieb. Oder nicht?

Denn mit der Liebe ist das so eine Sache. Das Gefühl, dass wir unseren Hunden gegenüber empfinden, kann durchaus als Liebe bezeichnet werden. Doch wenn der Hund sich daneben benimmt, haben viele Menschen das Gefühl, dass ihre Liebe nicht erwidert wird.

Häufig höre ich von frustrierten Menschen, dass sie alles für ihren Hund tun und dieser trotzdem immer wieder macht, was er will. Man fühlt sich allein gelassen, ungeliebt und kommt oft zu dem Schluss, dass der Hund das Verhalten mit Absicht zeigt.

Angst zu Scheitern

Gerade wenn wir mit Besitzern aggressiver Hunde zu tun haben, aber noch viel öfter, der Hund sehr ängstlich ist, befinden wir uns mitten in einer hochemotionalen und belastenden Beziehungskonstellation.

Ein Rückschlag nach monatelangem Training, das Gefühl, für die ängstliche Kreatur seine Seele zu verkaufen und dann das: Ein kurzer Moment, etwas Unvorhersehbares und scheinbar jedes Vertrauen, welches man zu dem Hund aufgebaut hat, ist wie verpufft.

Halter ängstlicher Hunde sind häufig doppelt betroffen, wenn sie einen Rückschlag erleiden. In vielen Fällen stammen solche Hunde aus dem Tierschutz, haben eine Vergangenheit und wurden in der Absicht angeschafft, dem Tier mit viel Liebe und Geduld eine Umgebung zu schaffen, in dem es Vertrauen fassen und zur Ruhe kommen kann.

In den Gesprächen mit den Betroffenen stellt sich häufig heraus, dass sie zum einen Selbstzweifel haben, ob es ihnen gelingt, dem Tier die nötige Geborgenheit und Wärme zu geben, damit es seine Angst abbauen kann. Denn trotz der oft monate- oder gar jahrelangen Arbeit, hat der Hund immer noch Angst. Auf der anderen Seite haben sie oft Schuldgefühle, wenn der geliebte Hund sich ihnen gegenüber ängstlich verhält. Kommt es zu einem Missgeschick, ein Topf fällt auf den Boden oder man stolpert versehentlich über den Hund, dann bricht für solche Menschen eine Welt zusammen.

In der Beratung erleben wir oft heftigen Widerstand der Betroffenen, wenn es darum geht, das ängstliche Verhalten des Hundes als Teil von ihm zu akzeptieren und das Tier trotzdem bzw. gerade deshalb als Hund zu begreifen und auch so zu behandeln.
Das es dem Vierbeiner einfacher fällt, sich einem angstauslösenden Reiz zu stellen, wenn der Mensch nicht darauf eingeht, ist für den Besitzer auf den ersten Blick schwierig zu erfassen.

Oft muss eine Verhaltensänderung zuerst beim oberen Ende der Leine einsetzen, damit der Hund aus seinem inneren Käfig raus kann.

Es gibt keine bösen Hunde

Auch wenn fast jeder von uns schon mal das Gefühl hatte, dass unser Hund uns gerade mit purer Absicht lächerlich macht, bleibt festzuhalten, dass es so etwas wie böse Hunde nicht gibt.

Der Hund, der gerade in dem Moment mit uns Fangenspielen will, wenn wir ihn anleinen wollen, macht das genauso wenig aus Bösartigkeit wie ein Hund, der beißt. Gerade vom eigenen Hund gebissen zu werden, stellt ein einschneidendes Erlebnis dar, was in den meisten Fällen in einer Abgabe ins Tierheim (oder Schlimmerem) gipfelt.

Doch gehen solchen Situationen immer Ereignisse und Lernvorgänge voraus, die schließlich dazu führen. Leider verschließen viele Menschen die Augen vor dem nahenden Unheil. So wird hingenommen, dass der Vierbeiner weg gesperrt werden muss, wenn Besuch kommt, das man sich dem Hund nicht mehr beim Fressen nähern darf und das man im Flur einen Bogen laufen muss, wenn der Vierbeiner dort liegt und einen arglistig geäugt. Würde man hier schon frühzeitig eingreifen, so könnte man verhindern, dass es tatsächlich zum Schlimmsten kommt.

Und Besitzern bissiger Hunde ist auch häufig klar, dass ihr Tier eine Gefährdung darstellt. Doch haben sie oft große Schwierigkeiten damit, an dem Problem zu arbeiten und sich Hilfe zu suchen. Zu groß ist die Angst vor den Reaktionen der Umwelt. Was sollen die Nachbarn denken, wenn der Hund plötzlich mit Maulkorb gesichert geführt wird? Während andere Menschen einen gut erzogenen und sozialverträglichen Begleiter haben, müssen sich diese Menschen die mitleidigen bis verständnislosen Blicke und Kommentare ihrer Umgebung anhören.

Wenn in der Familie Kinder leben, kommt erschwerend hinzu, dass den Hundehaltern jegliches elterliche Pflichtgefühl abgesprochen wird. Was passiert, wenn der Hund das Kind verletzt?

Und während viele Besitzer für die Attacken ihres Hundes auf Außenstehende noch jede Menge Erklärungen und vor allem Begriffe wie „Zwicken“ oder „Schnappen“ finden, gehen diese bei einem innerhäuslichen Vorfall meist schnell zu Neige. Was folgt ist häufig Wut und Frust über das Geschehene. Und Angst. Bei meiner Arbeit habe ich häufig mit Familien zu tun, in denen eines oder mehrere Mitglieder wortwörtlich Angst vor dem eigenen Hund haben. Hunde beißen, so wie kleine Kinder sich hauen, Politiker sich streiten und vermeintliche Erwachsene sich im Internet beschimpfen.

R-E-S-P-E-C-T

Aretha Franklin sang in Ihrem gleichnamigen Hit von 1967 über „Respect“. Im englischen hat dieser Begriff zwei Bedeutungen, nämlich „Achtung“ im Sinne jemanden respektieren, aber auch „Beziehung“.
Wir sollten respektieren, dass wir es mit Menschen zu tun haben und dass diese ihre Schwächen und Stärken haben. Es ist leicht, sich über den Hundehalter aufzuregen, dem die Nerven durchgehen und über den Menschen zu tuscheln, der mit einem abgesicherten Hund durch den Park läuft.

Doch sollte man akzeptieren und respektieren, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben, die über Stärken und Schwächen verfügen. Und die ihren Hund mögen und häufig sogar lieben. Auch wenn er kläfft. Oder jagt. Oder beißt.

“Früher war alles besser?”

Schwerpunkt-Thema ” Wenn Hunde zu Tyrannen werden” in DogTalking Nr. 1 – ich war dabei :-)

“Früher war alles besser?”

Ja, früher war alles besser. Früher herrschte noch Anstand und Moral, Zucht und Ordnung und beim Bäcker gab es noch Brötchen für 10 Pfennig. Und früher waren auch die Hunde besser erzogen. Zumindest ist das eine Meinung, mit der man immer wieder konfrontiert wird.

Als Begründung für diese These wird gerne angeführt, dass früher ein pragmatischerer Umgang mit Hunden gepflegt wurde und dass nicht alles so psychologisiert und analysiert wurde, wie heute. Der Hund der sich daneben benommen hat, der bekam einen Tritt und hat das nie mehr gemacht.

Doch stimmt das? Ist es richtig, dass wir mit unseren modernen pädagogischen Methoden kleine Tyrannen heranzüchten? Gilt das etwa für unsere Hunde genau wie für unsere Kinder? Und – war früher wirklich alles besser?

„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“

Dieses Zitat stammt nicht etwa aus dem Jahr 2012, sondern vom Philosophen Sokrates, der von etwa 469 – 399 v. Chr. gelebt hat.
Wie man sieht, wurde also auch schon lange vor unserer Zeit über die unerzogene Jugend geschimpft und ich frage mich, was Sokrates wohl über die Erziehung von Hunden im antiken Griechenland gesagt hätte.

Tatsächlich könnte man den Eindruck gewinnen, dass mit der Zahl der Hundeschulen auch die Zahl der unerzogenen Hunde stetig steigt. Und man hat auch zweifelsfrei das Gefühl, dass immer mehr Menschen mit der Erziehung ihrer Vierbeiner überfordert sind. Doch ist das ein neues Phänomen oder war das schon immer so?

Erinnerung an eine Dorfkindheit

Ich kann mich gut daran erinnern, dass in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, einige wirklich „böse“ Hunde gelebt haben. Wir Kinder wussten genau, an welchem Haus man besser schnell vorbeiradelt, wenn man nicht einen wütenden Dackel oder Terrier in der Wade hängen haben wollte. Jeder Landwirt, der etwas auf sich hielt, hatte einen Hofhund, der Eindringlingen gegenüber alles andere als nett war.

Doch auch im familiären Bereich lebte so manch garstiger Köter. Der Dackel meiner Eltern war bei Besuch gefürchtet, weil er sich von einer Sekunde zur nächsten augenscheinlich ohne Grund vom Schoßhund zum Beißer verwandeln konnte. Und der Schäferhund-Mix, der auf den Dackel folgte, war ein begnadeter Jäger, der viele Stunden „auf der Pirsch“ verbracht hat, während wir Kinder im Regen den Hund suchen durften.

Damals, Ende der 1970er Jahre, gab es einen wesentlichen Unterschied zu heute: Hundeerziehung war kein Problem, sie passierte automatisch und ganz nebenbei. Außerdem herrschte gerade im ländlichen Raum die Meinung vor, dass Hunde nun mal so sind.
Wenn überhaupt fand Erziehung, wenn man sie so bezeichnen wollte, auch eher im Rahmen von Unterordnung und Schutzdienst auf den Hundeplätzen statt. Das änderte sich Mitte der 1980er Jahre schlagartig, als aus den USA der Trend des Clickertrainings und die Philosophie der positiv bestärkenden Erziehung nach Deutschland schwappte.

Nach und nach eröffnete eine Hundeschule nach der anderen. Und wenn bis dahin Stachelwürger und Leinenruck die Erziehungsmittel der Wahl waren, wurde nun auf den Hundewiesen geklickert, gelobt und positiv bestärkt.
Zeitgleich wuchs auch die Zahl der Zoofachgeschäfte und der Hunde-Literatur. Und während meine Eltern ihren Dackel 1976 noch bei „Quelle“ bestellten, gab es nun jede Menge Ratgeber über Hunderassen, Erziehung, Ernährung und das passende Zubehör für Hund und Mensch.

25.000 Ratgeber mit 36.000 Meinungen

Heute gibt es etwa 25.000 Hundeschulen in Deutschland, die unterschiedlichste Philosophien und Konzepte verfolgen. Der Besuch einer Hundeschule ist mittlerweile für die meisten Menschen obligatorisch. Ein großes Problem in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass der Beruf des Hundetrainers nach wie vor nicht geschützt ist und jeder noch heute eine Hundeschule eröffnen kann, ohne eine wie auch immer geartete Qualifikation vorweisen zu müssen.

Landen unerfahrene Hundebesitzer bei einem Trainer, der vielleicht nicht in der Lage ist, das Tier richtig einzuschätzen, dann spielen sich häufig Familiendramen ab. Menschen, die sich als Versager fühlen, weil der Hund ihnen auf der Nase herumtanzt und die Frustration, wenn trotz all der Trainingsstunden einfach kein Fortschritt erzielt werden will.

Wirklich unschön wird es, wenn der Hundetrainer den Hund mangels Kenntnis schließlich als untherapierbar abstempelt und erschütterte Hundehalter sich mit dem Gedanken auseinandersetzen müssen, das Tier abzugeben oder – gerade bei Aggressionsproblemen – gar einschläfern zu lassen. Ein Vorgang, der weit häufiger geschieht, als man denken sollte und oft nur durch umsichtige Tierärzte verhindert wird, die die Euthanasie verweigern.

Hilfe, mein Hund wird zum Tyrannen

Weitere Ratschläge rund um den Hund findet man auf der Hundewiese, in Büchern, Zeitschriften, auf DVD, im Fernsehen und vor allem im Internet. Eine Vielzahl von Quellen für den ambitionierten Hundehalter sollen dabei helfen, den Hund zu einem angenehmen Begleiter zu erziehen.

Doch genau hier liegt die Krux. Das Thema Hund und vor allem Hundeerziehung wird sehr emotional und in vielen Fällen nahezu fundamentalistisch diskutiert. Schon bei der Frage, ob man seinem Hund lieber ein Geschirr oder ein Halsband anzieht, entladen sich hitzige Diskussionen.

Und wie in so vielen Bereichen des Lebens hat jede Seite gute Argumente, belegende und widerlegende Studien und natürlich jede Menge eigene Erfahrung. Das Problem ist nur, dass die Qualität der verschiedenen Argumente nicht überprüfbar ist. Wer am lautesten schreit, hat Recht und wer rhetorisch versiert ist, hat das bessere Argument. Nur ob der Ratschlag weiterhilft, oder vielleicht sogar für Mensch und Hund kontraproduktiv ist, kann man kaum überprüfen.

Für hundeliebe Menschen, die den Entschluss gefasst haben, mit einem Vierbeiner ihr Leben zu teilen, ergeben sich aus der Flut der Informationen und Meinungen jede Menge Fragen, insbesondere auch solche, die sie sich vielleicht vorher gar nicht gestellt haben. Mit dem Ergebnis, dass viele Menschen verunsichert sind, wenn es darum geht, wie die Erziehung funktionieren soll. Aus allen Ecken prasseln gut gemeinte Ratschläge auf das Mensch-Hund-Team und das Ergebnis ist dann „nicht Fisch nicht Fleisch“.

Aus den verschiedenen Quellen ergibt sich nicht selten ein pädagogischer Ansatz aus positiv bestärkendem, unerwünschtes Verhalten ignorierendem und gleichzeitig futterbelohnendem und strafenden Allerlei, das bei Nachfrage nicht erklärbar ist, nicht funktioniert und den Besitzer und seinen Hund nur frustriert. Wenn mir Kunden beim ersten Telefonat oder im Erstgespräch ihr Problem schildern, ist meine erste Frage häufig: „Haben Sie es ihm schon mal verboten?“

Was auf dem ersten Blick beinahe so klingt, als wolle ich mein Gegenüber verschaukeln, sorgt oft für einen Aha-Effekt. Bei all den Dingen, die man da ausprobiert hat, ist man auf die einfachste Möglichkeit nicht gekommen. Doch wie auch?
Bauchgefühl und gesunder Menschenverstand

Wenn es einen Unterschied zu „früher“ gibt, dann doch sicherlich den, dass wir viel mehr Informationen zur Verfügung, aber auch zur Verarbeitung haben. Und es liegt auf der Hand, dass wir bei der Suche nach einer Problemlösung dazu tendieren, möglichst zeitgemäß und modern vorzugehen. So etwas Simples, wie dem Hund einfach zu verbieten, was einem nicht passt, ist erstmal nicht modern und zeitgemäß.

Ein Verbot ist altmodisch, Ablenkung, positive Verstärkung und Desensibilisierung – das klingt gut! Und solche Begriffe kommen auch einem Bedürfnis entgegen, nämlich dem, etwas für den Hund zu tun, den wir so lieben. Für den tapsigen Welpen sind wir gerne bereit, Geld in Literatur und Zeit in Recherche zu investieren. Natürlich sind nur die neuesten Errungenschaften der Wissenschaft gut genug für den Kleinen.

Dass jedoch die „neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse“, die gerne als Verkaufsargument von Zeitschriften aber auch von Erziehungskonzepten herhalten müssen, in Bezug auf verhaltensbiologische Aspekte beim Hund alle gar nicht mehr so neu sind, wird gerne verschwiegen. Die Biologie hat ihren Fokus in den letzten Jahrzehnten immer weiter in Richtung Mikrobiologie verlagert. Heute gibt es kaum noch Programme, die sich mit Canidenforschung auseinandersetzen.

Bezogen auf die vielen neuen Trends und Erziehungswege, mit denen sich der Neu-Hundebesitzer konfrontiert sieht, heißt dies nichts anderes, als das alter Wein in neuen Schläuchen verkauft wird.

Um bei dem Bild zu bleiben: Es handelt es sich um den selben Wein, der vor 20 Jahren schon getrunken wurde – nur das er etwas reifer ist.

War jetzt früher alles besser?

Auch früher gab es unerzogene Hunde, überforderte Hundehalter und jede Menge Ratschläge. Und auch früher landeten Hunde im Tierheim oder wurden eingeschläfert. Die Vergangenheit zu romantisieren, hilft uns nicht weiter.

Doch der Trend, aus der Hundeerziehung eine philosophische Disziplin zu machen, ist in dieser Dimension relativ neu. Und auch die Anforderungen an unsere Hunde haben sich gewandelt.

Insbesondere vor dem Hintergrund der schlimmen Beißvorfälle Ende der 1990er Jahre muss ein Hund heute friedlich, unauffällig und am besten für unser Umfeld unsichtbar sein.

Um nochmal ein Beispiel aus meiner Kindheit zu bemühen: Auf einem Bauernhof wurde ich damals von einem Kettenhund gebissen. Die Reaktion auf mein Klagen war, warum ich auch so nah an den Hund herangehe. Dabei fiel auch das Wort „Depp“. So etwas wäre heute undenkbar.

Gepaart mit diesem Generalverdacht, unter dem unsere Hunde stehen und dem Druck, dass unsere Hunde sich immer und überall gut benehmen müssen, werden viele Menschen unsicher. Dazu kommen die Unmengen an Ratschlägen, Hinweisen und Philosophien, die ALLE richtig sind und für jeden Hund funktionieren.

Begrifflichkeiten wie Grenzen setzen, Autorität und Verbot, also Dinge, die nah am Hund sind und ihm die faire Chance geben würden, zu verstehen, was der Mensch von ihm will, passen nicht mehr in unsere von Harmonie und Gemeinsamkeit geprägte Gesellschaft.

Und ein Mensch, der seinen Hund im Park reglementiert, weil der sich auf einen Artgenossen stürzen will, muss sich wahlweise als unmenschlicher Rohling titulieren lassen oder wird als unfähiger Idiot abgestempelt, der seine unberechenbare Bestie nicht im Griff hat.

Und so erlebe ich heute viele Menschen, die sich solchen Situationen lieber entziehen und ihr Heil in den unzähligen Diskussionsforen suchen, ihren Hund nur noch nachts rauslassen und bei all der Liebe, die sie ihrem Vierbeiner gegenüber empfinden und all dem Engagement, dass sie in diese besondere Freundschaft investiert haben, nur eines erreicht haben: Sie haben sich einen Tyrannen gebastelt.

“Arbeitstiere, Sportgeräte auf vier Beinen oder einfach Hütehunde?”

In  der “SitzPlatzFuss” Nr. 8 aus dem Cadmos-Verlag ist Normen wieder mit einem Artikel vertreten, den Sie hier nachlesen können.

“Arbeitstiere, Sportgeräte auf vier Beinen oder einfach Hütehunde?”

Über Jahrhunderte hinweg waren sie die rechte Hand des Schäfers,heute sieht man sie selten. Laut der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) gehören Altdeutsche Hütehunde zu den gefährdeten Tierrassen.

In den letzten Jahren lässt sich beobachten, dass die Zahl dieser Hütehunde in Privathand steigt. Während die Hunde bis vor einigen Jahren noch ausschließlich von Schäfern gehalten wurden, finden sich nun immer mehr Altdeutsche auf den Hundeplätzen und -wiesen der Republik wieder.

Feiern diese Hunde ein Comeback oder werden sie über kurz oder lang zusammen mit dem Beruf des Wanderschäfers aussterben? Und, ist es überhaupt sinnvoll, Hunde, die für die harte Arbeit an der Herde gezüchtet wurden, als Familienhunde zu halten?

Die Ursprünge

1773 wird der „Schafrüde“ in der „Ökonomischen Encyklopädie“ von J. G. Krünitz als „ein großer, starker, zotiger Hund, welcher zur Sicherheit der Schafe und Schafherde gehalten wird (…)“ beschrieben (vgl. auch Adelung, Leipzig 1793-1801).

Doch schon wesentlich früher, nämlich bereits 1186 findet der Begriff „Schafrüde“ bzw. „Scaprode“ Erwähnung – und zwar im Zusammenhang mit dem „Constitutio contra incendiarios“, einem von Friedrich I. auf dem Nürnberger Reichstag erlassenen Gesetz gegen Brandstiftung, insbesondere der Fehde, welches den Wert des Schafrüden auf drei Schillinge festlegte.

Dass die Hunde der Schäfer zu dieser Zeit Eindringlingen oder einfach nur vorbeigehenden Wanderern nicht gerade freundlich gesinnt waren, zeigt eine Reihe von Verordnungen, die sich im Laufe des Mittelalters bis ins 18. Jahrhundert immer wieder finden.

So gab es 1659 einen Erlass, dass, „(…) die schaaf-rueden und jagt-hunde, welche dem wildpret schaedlich seyn koennen, kloeppel tragen“ sollen. (CAug. II 1, 1659).

Vom Wächter zum Hütehund

Hunde, die ebenfalls die Aufgabe der heute noch bekannten Hütearbeit übernahmen, tauchten zunächst mit der Verbreitung der Merinoschafe gegen 1340 in Spanien auf. Die Wolle der Tiere war besonders kostbar und nachdem es den Spaniern gelungen war, das Land im Rahmen der Reconquista von den Mauren nach 1212 nach und nach zurückzuerobern, verblieben die von dem Angehörigen der islamisierten Berberstämme eingeführten Schafe im Land und so wuchs der Handel mit der Wolle der Tiere stetig.

Spanische Adelige beschäftigten sich mit der Zucht der Merinoschafe und da die Tiere einen hohen Wert hatten und auch als Statussymbol galten, wurden die Tiere erstmals nicht wie in der Viehwirtschaft üblich in den ländlichen Regionen gehalten, sondern in der Nähe großer Landgüter – vor den Städten und Siedlungen und somit in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Feldern der Bauern, die Lebensmittel für die Städter anbauten.

So entstand die Notwendigkeit, die Schafe von den Äckern der Bauern fernzuhalten.

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt finden sich auf der iberischen Halbinsel Hinweise auf die ersten „Furchenläufer“, also Hunde, die eine unsichtbare Grenze zwischen Weide und benachbarten Grund ziehen, um zu verhindern, dass die Schafe die Frucht zerstören.

Die „Careas“ findet man auch heute noch in Spanien. Hier unterscheidet man zwei Schläge, den Careas Leones, ein Hund, der dem süddeutschen Tiger in Aussehen und Arbeitsleistung sehr ähnelt, und den Careas Castellano, der an den in Süddeutschland bekannten Strobel erinnert.

Während die Merinoschafe über den Landweg ihren Siegeszug von Spanien aus über die Pyrenäen und Norditalien bis hin nach Süddeutschland antraten, tauchten in der Folge in den verschiedenen Regionen auch Hütehunde auf, die den Schäfern dabei halfen, die Herden zu treiben und von der verlockenden Frucht der benachbarten Felder fernzuhalten. Beispielhaft sei hier der Cane di Pastore Oropa Biellese genannt, ebenfalls ein Hund, der in Arbeitsweise und Aussehen den altdeutschen Hütehunden ähnelt.

Es ist davon auszugehen, dass gerade die süddeutschen Schläge, wie wir sie heute kennen, außerdem mit französischen Hütehunden gekreuzt wurden. Da es im Süden Deutschlands keinen Markt für Hammelfleisch gab, haben die Schäfer regen Handel mit Frankreich getrieben. Hierbei wird es zu Berührungspunkten mit Beaucerons und Briards gekommen sein.

Einen Anhaltspunkt hierfür liefert die Tatsache, dass viele der süddeutschen Schläge die doppelte Afterkralle aufweisen, die bei den Beaucerons als vermeintliches Merkmal für gute Hüteleistung sogar den Weg in den Rassestandard gefunden hat.

Einen weiteren Anhaltspunkt bietet der traditionelle badische Rufname „Barusch“, der heute noch verwendet wird und dem Spitznamen der Beaucerons „basrouge“ („Rotsocke“ oder auch „unten rot“) ähnelt.

Während die Merinoschafe zwischen 1786 und 1802 Süddeutschland auf dem Landweg erreichten, ist nachgewiesen, dass sie bereits ab 1766 auf dem Seeweg Sachsen erreichten.

Vermutlich wurden von den Seeleuten neben den Schafen auch der Euskal Artzain Txakurra, der traditionelle Hirtenhund der Basken, der auf verblüffende Weise dem (mitteldeutschen) Fuchs ähnelt, mitgebracht.

So wird vermutet, dass diese eingeführten Hunde mit den zur Verfügung stehenden Bauernschlägen gekreuzt wurden und sich hieraus schließlich die heutigen mitteldeutschen Schläge entwickelt haben.

Eine Ausnahme bildet der Westerwälder (Siegerländer) Kuhhund, der schon früher Erwähnung findet und sich vermutlich aus den zur Verfügung stehenden regionalen Bauernhunden entwickelt hat. Viele der Bauern im Mittelalter besaßen nur eine oder zwei Kühe und so gab es von den Gemeinden eingestellte Kuhtreiber, welche die Tiere am Morgen „eingesammelt“ haben und zu den Weiden getrieben haben. Diese Kuhtreiber nahmen Hunde zur Hilfe, die verhinderten, dass das Vieh sich von der Gruppe entfernte.

Vom Altdeutschen Hütehund zum Deutschen Schäferhund

Max von Stephanitz war begeistert von den Hütehunden und er war es schließlich auch, der 1898 den Rüden „Hektor von Linksrhein“ kaufte, in „Horand von Grafrath“ umbenannte und so den Grundstein für den berühmten Enkel der Altdeutschen Hütehunde legte: Den Deutschen Schäferhund.

Während dieser sich zum beliebtesten Hund der Deutschen – und immer weiter weg von seinem ursprünglichen Aufgabengebiet und Aussehen – entwickelte , verblieben die Hüteschläge in den Händen der Wanderschäfer.

Da die Schäfer ihre Hütehunde in aller erster Linie für den Eigenbedarf züchteten und so gut wie kein Welpe in Privathand gegeben wurde, reduzierte sich entsprechend der Bestand der Hütehunde mit dem Rückgang der Wanderschäfer in Deutschland.

1989 gründeten schließlich einige Schäfer mit Unterstützung von Dr. Karl-Hermann Finger, dem Autor des Buches „Hirten- und Hütehunde“, die Arbeitsgemeinschaft zur Zucht Altdeutscher Hütehunde (AAH), die sich für den Erhalt der nunmehr vom Aussterben bedrohten Hütehunderassen einsetzt.

So ist der Bestand der Westerwälder Kuhhunde heute massiv bedroht, da es kaum noch Landwirte gibt, welche die Kuhherde von einer Weide zur nächsten treiben. Die GEH ermittelte 2006 eine Population von nur noch ca. 30-40 weitgehend reinrassigen Tieren. Doch auch die anderen Schläge der Altdeutschen werden auf der Roten Liste als gefährdete Haustierrasse geführt. So wird der Bestand aller Schläge deutschlandweit auf ca. 3000 Tiere geschätzt (Stand 2009). Zum Vergleich: Nach Aussage des Vereins für deutsche Schäferhunde (SV) werden jährlich ca. 20.000 Schäferhundwelpen in das Zuchtbuch des Vereins eingetragen.

Individualisten

Anders als die anerkannten Hütehundrassen, wie der BorderCollie oder der Berger des Pyrénées, sind die Altdeutschen Hütehunde keine Rasse, vielmehr unterscheidet man hier die verschiedenen regionalen Schläge. Je nach Region und Einsatzgebiet unterscheiden sich die Tiere stark voneinander. So finden sich z.B. zott- , roll- und lang-stockhaarige Hunde ebenso wie Steh-, Kipp- und Hängeohren. Dem entsprechend sind Altdeutsche Hütehunde auch nicht von der Fédération Cynologique Internationale (FCI) oder vom Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) als Hunderasse anerkannt.

Gemeinsam haben die Hunde, dass sie mit Blick auf ihre Arbeitseigenschaften und auf die Umgebung, in der sie arbeiteten, hin selektiert wurden. Wetterhärte, Leichtfuttrigkeit und Widerstandsfähigkeit standen und stehen im Vordergrund der Zucht.

Nicht umsonst vergleichen viele Schäfer ihre Hunde mit einem Werkzeug. Die Tiere sollen einfach zu handhaben zu sein, langlebig und unempfindlich. Zuverlässigkeit ist wichtig, Aussehen spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Heute unterscheidet man grob sieben bzw. acht verschiedene Schläge: Gelbbacken, Füchse, Schwarze, Tiger, Schafpudel, Strobel sowie die Westerwälder/Siegerländer Kuhhunde, die wie erwähnt ihren Hauptaufgabenbereich in der Arbeit am Großvieh hatten. Als Stumper bezeichnet man solche Hunde, die mit einer Stummelrute auf die Welt kommen.

Aufgabengebiet

Im Gegensatz zu bekannten Hüte- und Treibhundrassen anderer Länder gelten die Altdeutschen und insbesondere die Süddeutschen Schläge als nicht besonders leichtführig.

Da die Wanderschäfer wenig Geld hatten und so meist nur ein oder zwei Hunde ernähren konnten, wurden nur die am besten geeigneten Welpen behalten und die anderen Tiere des Wurfes getötet.

So müssen die Hunde ausdauernde Läufer sein und, nachdem sie viele Stunden an der Herde gearbeitet haben noch fähig sein, dem Schäfer dabei zu helfen, die Schafe einzupferchen oder ggf. zurück zum Stall zu treiben.

Außerdem müssen die Altdeutschen eigenständig in großer Entfernung zum Schäfer arbeiten können. So laufen die Hunde „Furche“ und ziehen so eine unsichtbare Linie zwischen dem Gehüt und den benachbarten Grundstücken, um zu verhindern, dass die Frucht des Nachbarfeldes durch die Schafe zerstört wird.

„Nascher“, also Schafe, die sich vom Gehüt entfernen wollen, um Futter vom Nachbarn zu stibitzen, werden von den Hunden wieder zurück zur Herde getrieben.

Hierbei setzt der Hund den sogenannten „Griff“ an, d.h. er beißt dem Schaf in ein bestimmtes Körperteil, ohne dabei Schaden anzurichten, also das Tier zu verletzen.

Dieser Griff kann ein Nacken-, Rippen- oder Keulengriff sein, greift der Hund ständig zu hart zu oder zeigt einen falschen Griff (z.B. zum Bauch), dann ist er als Herdengebrauchshund ungeeignet.

Neben diesen Eigenschaften sollen die Tiere außerdem ernstzunehmende Wächter für die Herde und Schutzhund für den Hirten sein, so entstand also eine Kombination aus Herdenschutzhund und wendigen Hütehund.

Der Hütehund als Couchpotatoe

Seit einigen Jahren finden sich vermehrt Altdeutsche Hütehunde in Privathand.Über die Sinnhaftigkeit, einen solchen Hund in der Familie zu halten, streiten sich die Geister.

Viele Schäfer sind in Sorge, dass die Tiere nach und nach ihre Leistungsfähigkeit verlieren könnten, wie es bei anderen Rassen immer wieder zu beobachten war.

Die Befürworter argumentieren indes, dass man für den Erhalt der Hunde auf Privatleute angewiesen sei, da der Berufsstand des Schäfers und insbesondere die Wanderschäferei immer weiter schrumpft.

Fest steht, dass sich Hütehunde, egal ob es sich um Altdeutsche oder andere Rassen wie Border Collie, Cattle Dog, Kelpie und in letzter Zeit vor allem Australian Shepherd handelt, großer Beliebtheit auch bei Menschen erfreuen, bei denen die Tiere keiner „geregelten Arbeit“ nachgehen können.

Und während es viele Beispiele dafür gibt, dass auch Fuchs, Strobel und Co. erfolgreich als Familenhund gehalten werden können, landen auf der anderen Seite immer mehr solcher Tiere im Tierschutz.

Welche Gründe dazu führen, dass die Zahl der Hütehunde, die auf Grund unerwünschten Verhaltens oder Überforderung (meistens gehen die beiden Gründe Hand in Hand) abgegeben werden, in der letzten Zeit massiv angestiegen ist, und was angehende Besitzer eines solchen Hundes beachten sollten, versuche ich auf den nächsten Seiten zu erörtern.

Vom Arbeitstier zum Obdachlosen

Besonders häufig finden sich in letzter Zeit Australian Shepherds in den Merle-Varianten aber auch Altdeutsche Tiger bei uns im Tierheim. Der Merle-Faktor, also die „bunte“ Fellfarbe, erfreut sich momentan größter Beliebtheit, was zur Folge hat, dass gerade solche Tiere oft aus einer ersten Verliebtheit heraus gekauft und mit der Einsicht, dass man sich verschätzt und übernommen hat, auch häufig weitergegeben werden.

In den letzten Monaten wurden wir immer wieder gefragt, ob wir blinde oder taube Merle-Hunde aufnehmen könnten. Diese stammten meist aus Verpaarungen zweier Tiger von verantwortungslosen Vermehrern oder ahnungslosen Züchtern, denen nicht bewusst ist, welche Folgen das Verpaaren von Merle x Merle hat und das dies nicht umsonst verboten ist.

Dazu kommen Mixe, meistens Border Collie-AH-Kreuzungen, die aus privaten Zuchten stammen. Hin und wieder bekommen wir auch Strobel, zumeist Rüden, die im besten Alter ihren Besitzern klargemacht haben, was sie von aufgestellten Regeln halten.

Seltener im Tierschutz, dafür sehr häufig in der Hundeschule, finden sich Füchse und die mitteldeutschen Tiger, da diese Hunde als etwas leichtführiger gelten und es meiner Erfahrung nach seltener zu einer Eskalation kommt.

Nahezu alle Abgabetiere, die wir bekommen, haben Probleme mit mangelnder Frustrationstoleranz und können kaum ertragen, wenn sie z.B. einem Bewegungsreiz nicht nachgeben dürfen. Die Hunde haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, wirken hypernervös und neigen bei Unterbrechung von Fehlverhalten zum Schnappen.

Viele der Hunde zeigen unerwünschtes Jagdverhalten sowie AggressionsVerhalten gegenüber Menschen sowie Unverträglichkeit gegen Artgenossen.

Schließlich sind wir hin und wieder mit Hunden konfrontiert, die Stereotypien und Verhaltensstörungen wie Flysnapping, Kreiseln oder Autoaggressionen zeigen.

Gründe für die Anschaffung

Viele Menschen sind begeistert von der Intelligenz und dem „Will to Please“, den man bestimmten Hütehundrassen wie dem Border Collie oder dem Australian Shepherd nachsagt.

Solche Menschen sehnen sich nach einem pfiffigen und aktiven Familienbegleithund, der eine schnelle Auffassungsgabe besitzt, gerne lernt und sich unkompliziert ins Familienleben einfügt.

Dazu kommt, dass das Potential der Hunde häufig unterschätzt wird, was sicherlich mit der romantisierten Darstellung z.B. von Border Collies in den Medien zu tun hat.

Hündin Fly adoptiert im Film „Ein Schweinchen namens Babe“, Rico kann über 100 Gegenstände auseinanderhalten und schafft es so mit seiner Begabung ins Fernsehen.

Wenn man Bilder und Videos solcher Hunde im Internet oder in Zeitschriften sieht, dann handelt es sich zumeist um strahlende Turniersieger, sensible Therapiehunde oder um echte Helden, die untermalt von romantischer Musik Schafe in Schottland oder Wales hüten.

Den neurotischen Tapetenfresser und unberechenbaren Beisser hingegen sieht man kaum in den Hundezeitschriften oder auf den Internetseiten der Züchter.

Bei den Altdeutschen Hütehunden aber auch bei Kelpies, Cattle Dogs und anderen Hunden, die nach wie vor ihrer ursprünglichen Aufgabe nachgehen, steht meiner Meinung nach häufig der Wunsch nach etwas besonderen, einem Stück „unverdorbener Natur“ mehr oder weniger unbewusst im Mittelpunkt.

Die Hunde sind von einer Aura umgeben, die sie besonders macht. Sie gelten als urig, sind vom Aussterben bedroht und sehr selten. Außerdem stellen sie eine Herausforderung für den ambitionierten Hundehalter dar. Gelingt es, den Hund „zu bändigen“, ist einem der Respekt anderer Tierfreunde auf der Hundewiese sicher.

Nicht umsonst sagte ein prominenter Hundetrainer mal zu einer Besitzerin eines jungen, unbändigen Altdeutschen Tigers: „Wenn Du ihn hinbekommst, hast Du einen großartigen Hund, wenn nicht, ein großes Problem.“

Dazu kommt sicherlich das Bild des Schäfers und seinem treuen Hund, draußen in der Natur.

Dass die Arbeit der Schäfer und damit die der Hütehunde alles andere als romantisch ist, dass die Tiere sehr robust und selbstbewusst sein müssen, wird dabei leider häufig vergessen.

Und dass ein Hund, der auch dann noch nachsetzen muss, wenn der Hammel oder die Kuh einen Tritt platzieren konnte, sich nicht unbedingt von einem netten Menschen beeindrucken lässt, müssen viele Halter eines solchen Hundes früher oder später selber erfahren.

Dabei ist schon der Begriff „Hütehund“ irreführend, da das, was die Hunde an der Herde machen, nicht mit „Hüten“ im Sinne von Schützen oder Bewahren zu tun hat. Der Begriff „Herdengebrauchshund“ oder „Working Sheep Dog“ ist hier deutlich passender.

Showlinie vs. Arbeitslinie

Bei vielen Rassen unterscheiden Züchter zwischen Show- und Arbeitslinien. Hiermit ist salopp gemeint, dass die Vorfahren des Hundes gearbeitet haben oder ob die Tiere „auf Schönheit“ gezüchtet wurden. Gerade bei Hütehunden findet sich von Verkäuferseite häufig die Argumentation, dass der Welpe aus einer Showlinie stammt und deshalb für eine Familie besonders gut geeignet ist, da er über keinen so hohen „Hütetrieb“ verfügen würde.

Abgesehen von den Auswirkungen auf die Rassegesundheit, die gegeben sein können, wenn ausschließlich hinsichtlich äußerlicher Merkmale hin selektiert wird, möchte ich doch in Frage stellen, auf welcher Basis eine solche Aussage fußt.

Denn nur weil ein Hund bestimmten Schönheitsidealen entspricht und nie an einer Herde gearbeitet hat, verfügt er doch über das entsprechende genetische Potential dazu.

Die Selektion der Showlinien beschränkt sich auf das Aussehen und nicht auf ein bestimmtes Verhalten. Und so finden sich sehr oft Hunde aus einer „Showlinie“, die trotz ihrer äußerlichen Attribute hervorragende Hütehunde sind und dies auch zeigen – sehr zum Leidwesen ihrer Besitzer.

Auf der Suche nach dem richtigen Hund

Bei den Altdeutschen findet sich derweil keine Unterscheidung hinsichtlich irgendwelcher Linien, auch wenn es mittlerweile Menschen gibt, die eine solche gerne sehen würden.

Hunde, die in Privathand landen, wurden meistens von Schäfern als „untauglich“ ausgemustert oder stammen von Hobbyzüchtern, die auf den einschlägigen Internetportalen Welpen anbieten.

Wenn ein Schäfer einen – älteren – Hund abgibt, weil dieser für die Arbeit nicht geeignet ist, kann dies verschiedene Gründe haben, die der interessierte Hundefreund hinterfragen sollte.

Manchmal finden sich auch bei den Altdeutschen im Wurf Hunde, die sich nicht „schicken“ lassen, am Menschen förmlich kleben oder kaum Interesse an den Schafen zeigen. Ein solcher Hund kann für das Familienleben ein wahrer Glücksfall sein und wird die Nähe zu seinen Menschen genießen, während er für den Schäfer nur eine Belastung darstellt.

Häufiger jedoch werden Hunde abgegeben, weil sie an den Schafen Schaden anrichten oder zum „Wildern in der Herde“ neigen. Ein Hund, der dermaßen überambitioniert an seine Arbeit geht, wird dieses Verhalten auch in die Familie tragen, mit dem Ergebnis, dass Probleme hier vorprogrammiert sind.

Gibt ein Schäfer Welpen ab, so sollte man sich außerdem immer darüber bewusst sein, dass er die wesensstärksten und robustesten Tiere an Schäferkollegen geben wird und der Privatmensch die Welpen zur Auswahl hat, die der Schäfer „aussortiert“ hat.

Des Weiteren sollte man sich darüber im Klaren sein, dass die Aufzucht der Hunde in Schäferhand nicht unbedingt mit der bei einem Züchter vergleichbar ist. Zwingerhaltung ist normal, auch Anbindehaltung findet man häufig vor und wichtiger noch: Die Welpen werden hinsichtlich ihres späteren Verwendungszwecks sozialisiert – und dieser unterscheidet sich meistens deutlich von den Anforderungen, die das Leben in einer Familie mit sich bringt. Bällchenbäder, Familienanschluss, Geräusche-CDs und Spielzeug wird man meist vergeblich suchen.

Eine andere Möglichkeit, einen Altdeutschen Hütehund zu finden, sind wie schon beschrieben die zahlreichen Angebote im Internet.

Insbesondere der Harzer Fuchs und Hunde, die den Merle-Faktor in sich tragen, erfreuen sich großer Beliebtheit und dem entsprechend gibt es viele Hobbyzüchter, die solche Welpen anbieten –meistens mit dem Hinweis, dass es sich hierbei um tolle Hunde für Sportarten wie Agility handelt, und selbstverständlich wird auch betont, dass es sich um eine sehr seltene Rasse handelt.

An dieser Stelle möchte ich nicht näher darauf eingehen, woran man einen seriösen Züchter erkennt, natürlich sollte sich jeder Interessent diesbezüglich vorab informieren und mit offenen Augen und kritischen Fragen zum Welpenbesichtigen fahren. Erstaunlich ist jedenfalls, wie viele vermeintliche Füchse und Tiger für teils horrende Preise im Internet gehandelt werden.

Um sicher zu gehen, dass man auch einen Altdeutschen Hütehund erwirbt, gibt es schließlich die Möglichkeit, sich für einen Hund von einem der AAH (Arbeitseigenschaft zur Zucht Altdeutscher Hütehunde) angeschlossenen Züchter zu entscheiden. Diese Welpen verfügen über Papiere, aus denen ersichtlich wird, wer die Vorfahren waren.

Hunde mit AAH-Papieren erfreuen sich mittlerweile großer Beliebtheit bei Privatleuten, es muss an dieser Stelle jedoch festgehalten werden, dass es viele Schäfer und auch andere Züchter gibt, die „echte“ Altdeutsche auch ohne Papiere züchten. Oder um es mit einer befreundeten Schäferin zu sagen: „Papier hütet keine Schafe.“

Ursachen für Verhaltensprobleme

Wenn man im Internet, in Zeitschriften und Büchern über die Erziehung von Hütehunden recherchiert, findet man immer wieder den Hinweis, dass diese Tiere unbedingt ausgelastet werden müssen, weil sie ansonsten Neurosen, Verhaltensstörungen usw. entwickeln würden.

Dies wird auch von Züchterseite und sogar auf der Internetseite der AAH immer noch weitestgehend undifferenziert verbreitet, so dass viele neue Welpenbesitzer mit dem Wunsch, ihren Hund zu fördern, erst mal ins Zoofachgeschäft gehen, sich mit allerlei Spielzeug eindecken und ihren Hund im nächsten Hundesportverein anmelden.

Vor lauter „Auslastungsanspruch“ bleibt jedoch unerwähnt, dass mit der vermeintlich hohen Notwendigkeit der Beschäftigung auch gewisse Gefahren für den noch jungen Hund verbunden sein können, wenn diese nicht verantwortungsvoll und dem Entwicklungsstand des Hundes entsprechend stattfindet.

Und so haben manche Hunde mit wenigen Lebensmonaten bereits ein Programm wie ein 12-jähriges Mädchen mit überambitionierten Eltern: Montags Ballet, dienstags Geigenunterricht usw.

Dabei spricht an sich überhaupt nichts dagegen, auch den Junghund zu beschäftigen. Ganz im Gegenteil, es ist sogar zu empfehlen, das Tier zu fördern – und zwar in den in Bereichen, in denen es nicht so talentiert ist.

Schnell ist ein Hütehund aufgrund seiner Disposition, aber wie sieht es mit Konzentration aus? Mit Ruhe halten oder feinmotorischen Fähigkeiten?

Ein befreundeter Hundetrainer hat nannte es so: „Wenn Dein Kind gut in Mathe und schlecht in Geschichte ist, dann fängst du ja auch nicht an, mit ihm Mathematik zu üben.“ Ähnlich verhält es sich mit den Hunden.

Es stellt sich also die Frage, welche Beschäftigung für einen solchen Hundetyp geeignet ist.

Es gibt bestimmte Hundetypen, die von ihrer Disposition her dazu neigen, stark auf bestimmte Angebote wie z.B. Bewegungsreize zu reagieren und dann ein übersteigertes Beutefangverhalten bis hin zu einer wahren Sucht mit all ihren körperlichen und geistigen Auswirkungen zu entwickeln.

Hierzu würde ich neben den Hütehunden z.B. auch bestimmte Terrier-Typen zählen.

Die Bedürfnisse des Schäfers, nicht die des Hundes

Voraussetzung für bewegungsintensive Beschäftigung wie z.B. Agility sollte also sein, dass das Tier die nötige Reife hat und in der Lage ist, Bewegungsreizen auch zu widerstehen.

Der Schäfer nimmt seinen Junghund mit an die Herde und bindet ihn am Feldrand an. Während er mit seinen Hunden und den Schafen arbeitet, lernt der junge Hund, Frustration zu ertragen und nicht jedem Reiz hinterherzujagen. Erst, wenn er diese Eigenschaft sicher besitzt, darf er – zunächst angeleint – auch an die Schafe.

Bei der Erziehung und dem Zusammenleben mit ihrem Hund haben jedoch viele Menschen in allererster Linie die Bedürfnisse des Tieres vor Augen.

Verschiebt man den Fokus vom Hund hin zum Hirten und macht sich bewusst, welche Ansprüche der Schäfer an seinem Hund hat, dann kommt man schnell zu dem Schluss, dass dieser einen Helfer benötigt, der in der Lage ist, Ruhe zu halten, auf Kommando jedoch hellwach ist.

Ein Schäfer kann keinen Hund gebrauchen, der durch ständige Bewegung die Schafe am Fressen hindert, jedem Kaninchen hinterherjagen muss oder jeden Wanderer belästigt, der an der Herde vorbeikommt.

Aus diesem Grund wird mit dem jungen Hütehund im ersten Lebensjahr oft konsequent nichts getan, außer dass er dem Hirten und den anderen Hunden bei der Arbeit zusehen darf und gut behandelt wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Hund in dieser Zeit nichts lernen würde – ganz im Gegenteil: Der Hund lernt, gelassen auf Außenreize zu reagieren und diese zu differenzieren – eine unendlich wichtige Voraussetzung für einen guten Arbeitshund.

Training mit Gefahrenpotential

Häufig sieht man gerade bei Hundesport-Turnieren völlig aufgedrehte, kläffende Hunde, die deutliche Stressmerkmale wie starkes Hecheln usw. zeigen. Diese Verhaltensweisen werden von den Besitzern dann gerne als „Vorfreude“ interpretiert.

Tatsächlich ist diese Aufgedrehtheit nicht selten das Ergebnis einer viel zu frühen Fixierung auf Bewegungsreize, ohne dass der Hund die notwendige Souveränität und Reife hatte.

So gibt es einige Sachbücher im Bereich Agility, in denen den Haltern empfohlen wird, bereits mit acht Wochen unter Zuhilfenahme von Reizangeln, Bällen und anderen Wurfgegenständen den „Spieltrieb“ der Hunde zu fördern.

Was tatsächlich geschieht, ist das gezielte Training des Beutefangverhaltens – mit dem Ergebnis, dass die Hunde unter Umständen irgendwann auf jede Bewegung reagieren, egal ob vorbeifahrendes Auto, Radfahrer oder rennendes Kind. Häufig mit dramatischen Folgen für die Umwelt oder den Hund.

So ist es nicht erstaunlich, dass ich persönlich keinen Schäfer kenne, der Probleme mit dem Jagdverhalten seiner Hunde hätte, gleichzeitig genau dieses Problem den Großteil der Hütehundehalter in unsere Hundeschule treibt.

Ein Hund, der dergestalt auf Bewegungsreize fokussiert wurde, zeigt im Laufe der Zeit häufig sehr nervöses Verhalten, welches von einer inneren Unruhe und der Unfähigkeit zur Entspannung geprägt ist.

Häufig erleben wir Abgabe-Hunde, die – sobald sie zur Ruhe gefunden haben – völlig erschöpft tagelang durchschlafen.

Stellt man einen solchen Hund vor eine ihm unbekannte Aufgabe, lässt sich nicht selten beobachten, dass er alle ihm bekannten Tricks abspult und schließlich – mangels Erfolg – in hysterisches Kläffen verfällt.

Fatalerweise wird genau dieses unruhige Verhalten wiederrum oft als mangelnde Auslastung interpretiert und der Besitzer bemüht sich, dem Hund noch mehr Beschäftigung zukommen zu lassen.

Ein Teufelskreis, der nicht selten in einer Änderung der chemischen Prozesse im Gehirn und damit zu einer Verhaltensstörung beim Hund führt.

Dem jungen Herdengebrauchshund eine Entwicklung zu ermöglichen, die ihn zu einem ausgeglichenen Begleiter auch für die Familie werden lässt, ist also prinzipiell machbar, wenn man sich bewusst ist, welche grundlegenden Fähigkeiten ein solcher Hund erlernen sollte, BEVOR man in bewegungsintensive Sportarten einsteigt.

Sportgeräte auf vier Beinen?

Leider erleben wir immer wieder, dass bestimmte Menschen weniger auf der Suche nach einem Hund sind, als nach einem Sportgerät, das möglichst schnell spektakuläre Leistungen erbringen soll.

Und wenn bis vor ein paar Jahren der Border Collie das „Gerät der Wahl“ war, so finden sich nun gerade im Agility viele Menschen, die auf den Altdeutschen Hütehund zurückgreifen – sozusagen als „Border Collie für Fortgeschrittene.“ Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass diese Hunde allenthalben als geradezu prädestiniert für diesen Sport beschrieben werden.

Dabei möchte ich gerade hinsichtlich der Altdeutschen hinterfragen, wie sinnvoll ein Hundesport für diese Tiere ist, bei dem sie einem vorgegebenen Parcours absolvieren sollen, wie es beim Agility der Fall ist.

Eine Eigenschaft der Hunde ist schließlich, bei der Arbeit recourcenschonend vorzugehen, kurze Wege zu wählen und pragmatische Lösungen zu finden. Immerhin müssen sie viele Stunden täglich laufen. Ein vorgegebener Parcours, der für den Hund „unlogische“ Umwege enthält, widerspricht dem Wesen der Hunde, die z.B. beim Furche laufen oder beim Zurückholen von Naschern den direkten Weg wählen würden.

Dennoch möchte ich festhalten, dass grundsätzlich nichts dagegen spricht, mit einem Altdeutschen Agility oder andere bewegungsorientierte Sportarten zu betreiben, wenn der Hund die nötige Reife hat und sein Besitzer das notwendige Verantwortungsbewusstsein für seinen Hund.

Hüteseminare

Einen weiteren Trend bei der Beschäftigung von Herdengebrauchshunden im privaten Bereich stellen Hüteseminare dar. Der Gedanke, dass man seinem Hütehund etwas Gutes tut, in dem man ihn mal „Herdenluft“ schnuppern lässt, liegt zunächst auf der Hand. Das Problem ist jedoch, dass diese Hunde eben nicht dauerhaft hüten dürfen, man ihnen also eine tolle Möglichkeit aufzeigt, der sie danach nicht nachkommen dürfen.

Ähnlich wie ein Kind, dem Eltern die schöne Welt des Schlagzeugspiels zeigen, um direkt danach klarzustellen, dass in der hellhörige Mietwohnung kein Schlagzeug willkommen ist.

Das ist nicht nur gemein, es könnte auch dazu führen, dass das Kind – einmal angefixt – eben mit den zur Verfügung stehenden Töpfen seiner neuen Leidenschaft nachgeht. Ärger mit den Nachbarn vorprogrammiert …

Auf den Hund bezogen, kann es passieren, dass der Hund anfängt, statt Schafe dann eben die vorbeilaufende Gruppe Kinder zu hüten, was dann nicht nur für die Kinder unangenehm wird, sondern auch für den Hundehalter.

Abgesehen davon handelt es sich beim Hüten um Bestandteile aus dem Funktionskreis des Jagdverhaltens, so das von den Border Collies nahezu perfektionierte Fixieren aber auch das Treiben und im Falle des Griffs das Packen der „Beute“.

Kein Besitzer eines Dackels käme auf die Idee, seinen Hund zur Beschäftigung mal in einen Fuchsbau zu schicken, nur weil es zum ursprünglichen Aufgabengebiet des Hundes gehört.

Leider finden sich zudem viele unseriöse Anbieter solcher Seminare. Hier sollte man immer einen Blick auf die Schafe werfen und wie sie sich verhalten. Sind sie extrem scheu und machen einen gestressten Eindruck, würde ich immer empfehlen, sich samt Hund ins Auto zu setzen und nach Hause zu fahren.

Apropos Schafe: Die Idee, sich einige Schafe oder auch Laufenten anzuschaffen, damit der Hund diese im Pferch oder im Garten „hüten“ kann, ist übrigens als tierschutzrelevant anzusehen.

Sinnvolle Beschäftigung

Doch welche Beschäftigungsform eignet sich eigentlich für einen Altdeutschen? Und kann man ihn überhaupt körperlich auslasten?

Die Frage nach der körperlichen Auslastung ist schnell beantwortet.

Einen Hund, der wie schon erwähnt über Jahrhunderte dahingehend selektiert wurde, viele Stunden am Tag zu laufen und schließlich trotz körperlicher Erschöpfung noch dabei zu helfen, die Schafe zu pferchen, wird man körperlich nicht auslasten können.

Hierzu müsste der Hund die Möglichkeit haben, 7-8 Stunden täglich zu laufen – ein Pensum, das selbst ambitionierteste Hundesportler ihrem Hund nicht bieten können.

Die Frage sollte daher vielmehr lauten, ob ein Hütehund ein solches Programm tatsächlich benötigt, um ein tiergerechtes Leben führen zu können.

Hier lautet die Antwort „Ja, aber“. Vorausgesetzt, man weiß um das Potential dieser Hunde, verzichtet darauf, dieses zu fördern und legt gerade in den ersten Lebensmonaten Wert darauf, dass sie ein hohes Maß an Ruhe und Frustrationstoleranz erlernen, dann können solche Hütehunde zu souveränen Begleitern im Alltag werden.

Ein bekannter Besitzer dreier Altdeutscher hat mal gesagt: „Ein Altdeutscher Hütehund will Dir bei irgendetwas helfen, bei was, ist ihm egal“.

Dies kann auch das schlichte, aber so wertvolle gemeinsame Spazierengehen sein, der Besuch im Café, der Sozialkontakt mit Artgenossen oder eben auch das Agility-Turnier oder Rettungshundearbeit.

Quo Vadis, Altdeutscher Hütehund

Ähnlich wie viele Border Collies im Zuge ihrer steigenden Popularität Teile ihrer Arbeitseigenschaften verloren haben, finden sich schon heute vermehrt auch Altdeutsche Hütehunde, die nicht mehr die gewünschten Eigenschaften mitbringen, die sie einst für die Schäfer unersetzbar gemacht haben.

Zwar gab es auch schon früher immer wieder Hunde, die für die Hütearbeit ungeeignet waren und so ihren Weg in Privathand gefunden haben, wenn sie nicht getötet wurden.

Gerade in den letzten zwei Jahren lässt sich jedoch beobachten, dass immer mehr Hunde angeboten werden, die den Anforderungen des Schäfers nicht mehr genügen würden. Und so ergibt sich die paradoxe Situation, dass zwar der Bestand der Hunde wieder zunimmt, die Schäfer jedoch mittlerweile Schwierigkeiten haben, geeignete Tiere zu finden, wenn sie nicht gerade selber züchten.

Wann ist ein Hütehund ein Hütehund?

Dazu kommt, dass viele Hunde als „Altdeutsche Hütehunde“ angepriesen werden, die zwar einem Hütehund ähnlich sehen, aber keine oder nur wenige der gewünschten Leistungsmerkmale in sich vereinen. Diese Hunde landen dann wieder bei Hobbyzüchtern und werden verpaart.

Interessanterweise findet man auch auf den einschlägigen Tierschutzseiten im Internet immer mehr „AH-Mixe“, was darauf schließen lässt, dass ein „Markt“ für diese Tiere besteht und einige Tierschutzvereine sich erhoffen, die Vermittlungschance ihrer Schützlinge durch das Prädikat „Altdeutscher Hütehund“ zu erhöhen.

All diese Umstände lassen beinahe vergessen, worum es den Schäfern einmal ging.

Und wenn man sich nochmal vergegenwärtigt, was die Altdeutschen eigentlich ausmacht und darüber nachdenkt, in welche Richtung sich die Zucht und die Haltung der Hunde – außerhalb der Schäfereibetriebe – derzeit entwickeln, neige ich dazu, diesen tollen Hunden zu wünschen, dass sie in Würde und ohne die Tortur menschlichen Ehrgeizes und zu erwartender züchterischer Übertreibung aussterben dürfen.

„Macht Rassezucht unsere Hunde krank?“

In  der “SitzPlatzFuss” Nr. 7 aus dem Cadmos-Verlag findet sich ein Interview mit dem Kynologen und Huderassenexperten Gerd Leder, welchen Normen geführt hat. Den Artikel können Sie hier nachlesen:

Macht Rassezucht unsere Hunde krank?

Gleich zu Beginn des 6. Leipziger Tierärztekongresses im Januar 2012 stand ein heikles Thema auf der Tagesordnung der Veranstaltung: „Macht die Rassezucht unsere Hunde und Katzen krank?“

Im Blickpunkt der Referenten standen die sogenannten brachyzephalen, also kurznasigen Hunderassen wie z.B. Mops und englische Bulldogge.

Eine Studie der Kleintierklinik der Universität Leipzig unter Besitzern solcher Hunde ergab, dass viele der Tiere unter Atemprobleme leiden. Ein Drittel der Tiere ist sogar schon einmal aufgrund von Atemnot umgefallen, über die Hälfte von ihnen hat dabei das Bewusstsein verloren.

Doch nicht nur bei kurznasigen Hunden gibt es in den letzten Jahren vermehrt gesundheitliche Probleme. Beinahe die Hälfte der durch den FCI anerkannten Hunderassen zeigen Dispositionen für Erbkrankheiten.

Ob Augenprobleme, Allergien, Epilepsie – insgesamt sind heute über 500 Erbkrankheiten bei unseren Rassehunden bekannt.

Wie kann es sein, dass sich diese Krankheiten in den letzten Jahren derart ausgebreitet haben?

Wir sprachen mit Gerd Leder, Kynologe, Hundetrainer und ausgewiesener Kenner der Ursprünge unserer heutigen Rassehunde über die Gesundheit der Rassehunde, über Zucht und über unser heutiges Verhältnis zu unseren Hunden.

Hallo Gerd, in letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass immer mehr Hunderassen von Gesundheitsproblemen betroffen sind. Stimmt das?

Meiner Meinung nach hat sich dieser Trend in den letzten Jahren nicht verstärkt, vielmehr ist unsere Gesellschaft transparenter geworden. Ich denke, dass die Problematik mit den Erbkrankheiten ihren Anfang in den 1970er und 1980er Jahren genommen hat. Allerdings wurden solche Probleme damals eher verschwiegen, beschönigt oder gar vertuscht.

Dies ist zwar auch heute noch der Fall, allerdings sind die Hundebesitzer heute mehr vernetzt, treffen sich bei Tierärzten, chatten und tauschen sich in Foren aus. So kommen immer mehr Details über Gesundheitsprobleme ans Licht, die früher noch als absolute Insiderinformationen gehandelt wurden.

Deshalb glaube ich, dass die vielen Erbkrankheiten schon viel früher bekannt waren und es sich nicht um einen Trend der letzten paar Jahre handelt.

Ist es richtig, dass sich die Gesundheitsproblematik in der Hundezucht darauf zurückführen lässt, dass Hunde nicht mehr auf ihren Arbeitseinsatz hin gezüchtet wurden, sondern nunmehr auf Äußerlichkeiten?

Es gibt noch einen weiteren entscheidenden Punkt. Nicht nur die Fokussierung weg von Leistungsfähigkeit hin zu Schönheit sondern auch die Möglichkeiten der Ernährung, der veterinärmedizinischen Versorgung und der Prophylaxe haben es ermöglicht, dass Hunde – mittlerweile auch solche die arbeiten – in die Zucht gelangen konnten, obwohl sie z.B. hoch allergisch auf bestimmte Futtermittel reagieren. Für solche Hunde gibt es Spezialdiäten. Andere Tiere können vielleicht nur unter bestimmten Bedingungen ihre Leistung zeigen, also schafft man diese Bedingungen.

Vor Einhundert Jahren mussten die Menschen es in Kauf genommen, dass ein Teil der Hunde bei einfacher Haltung krank geworden und gestorben ist. So hatte man noch keine Impfstoffe und schwache Tiere haben nicht überlebt.

Heute sind viele Züchter – nicht aus Profitgier, vielmehr aus Tierliebe – bereit, für ihre Welpen und die Zuchthündinnen alles zu tun, damit es ihnen gut geht. Das kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen.

Doch die Kehrseite der Medaille ist, dass auch Hunde mit einem schwächeren Verdauungssystem, Immunsystem, Allergien usw. heute erfolgreich in die Zucht kommen, die vor einigen Jahrzehnten nicht mal ihr erstes Lebensjahr überlebt hätten.

Interessant ist zu beobachten, wie sich die Rassen im Laufe der letzten Jahrzehnte äußerlich teilweise gravierend geändert haben, obwohl die Rassestandards nur marginal angepasst wurden.

Diese Übertypisierung, die Du ansprichst, die fast bis zur Lebensunfähigkeit eines Hundes sorgt, konnte erst dadurch entstehen, dass z.B. es Möglichkeiten gab, Hündinnen zur Zucht zu verwenden, die früher bei der Geburt gestorben wären. Heute gibt es die Möglichkeit des Kaiserschnitts. In einem armen Land oder in einem Land, in dem die veterinärmedizinische Versorgung nicht so weit fortgeschritten ist, ist eine solche Übertypisierung gar nicht möglich, weil dort noch gewisse natürliche Selektionsmechanismen greifen. In einer solchen Situation könnte die Hündin ihre Welpen nicht gebären und würde sterben. Nur wenn Menschen unterstützend eingreifen, können solche eigentlich nicht lebensfähigen Formen gezüchtet werden.

Also werden Hunde in den Industriestaaten quasi krank gezüchtet, weil es möglich ist …

Zudem lassen die Standards einen wahnsinnig großen Spielraum für Interpretationen. Außer bei den Größen- und Gewichtsangaben wird nur ganz selten im Zentimeterbereich gemessen, es wird lediglich beschrieben und so ist es Auslegungssache der Zuchtrichter in welchem Maße die Ausprägung eines Merkmales erwünscht ist.

Ist die viel diskutierte abfallende Hüfte des Deutschen Schäferhundes dem entsprechend das Ergebnis des persönlichen Geschmacks einiger Zuchtrichter mit der Folge, dass andere Züchter in der Hoffnung auf Erfolg dieses Merkmal übernommen haben?

Richtig, eine tiefere Erklärung hierfür gibt es nicht.

Fast die Hälfte der erfassten Hunderassen leiden unter erblich bedingten Krankheiten und es sind mehr als 500 Krankheiten bekannt. Gleichzeitig sind Züchter mit dem Versuch, Frischbluteinkreuzungen durchzusetzen gescheitert. Wie passt das zusammen?

Eine ähnliche Problematik gab es in der Sportpferdezucht. In diesem Bereich wird seit Generationen immer wieder ein ähnliches Tier völlig problemlos eingekreuzt und niemand denkt sich etwas dabei z.B. eine Hannoveraner Stute mit einem englischen Vollblut zu kreuzen, um die Leistungsfähigkeit der Tiere zu steigern oder zumindest zu erhalten. Natürlich in Verbindungen mit Leistungsprüfungen.

In der Hundezucht ist man von dieser Praxis leider meilenweit entfernt. Man könnte verwandte Rassen oder Rassen mit ähnlichen Aufgabengebieten einkreuzen. Die erste Generation würde vielleicht nicht ganz rassetypisch aussehen, aber bereits nach zwei bis drei Generationen wären die Hunde vom Aussehen und vom Verhalten kaum noch oder gar nicht von der angestrebten Rasse zu unterscheiden. Allerdings wird dies nicht praktiziert.

Was bei anderen Haus- und Hoftieren Gang und Gäbe ist, ist in der Hundezucht wohl aus ideologischen Gründen vollkommen ausgeschlossen.

Vielleicht auch aus finanziellen Gründen?

Nein, ich glaube nicht, dass finanzielle Gründe eine Rolle spielen. Die Hundezucht hat einen hohen Prestigewert für die Menschen, der nicht zu unterschätzen ist. Sie identifizieren sich in einer Art und Weise mit „ihrer“ Rasse, die sie vielleicht auch ein wenig blind für rassetypische Krankheiten macht. Da heißt es nicht „Diese Hunderasse ist krank“ oder „sie disponiert zu dieser oder jenen Erkrankung“. Stattdessen heißt es „hier muss ich aufpassen: Eingeschränkte Bewegung, spezielle Fütterung, regelmäßige Tierarztbesuche und dann wird das schon.“ Wir sprechen hier von einer ganz anderen Denkweise, als beispielsweise ein Nutztierzüchter hat, der für möglichst robuste und gesunde Tiere sorgen muss, die – und das ist natürlich ein makabres Beispiel – unter den artwidrigen Bedingungen einer Massentierhaltung überleben. Er hat natürlich ein ehrliches Interesse daran, extrem gesunde Tiere zu züchten, die möglichst wenig veterinärmedizinische Kosten verursachen.

Die Terminologie in der Hundezucht ändert sich gerade. Vor 30 Jahren haben Züchter von „ihren Welpen“ gesprochen, heute sprechen sie von „ihren Babys“. Früher sagte man „meine Hündin ist gedeckt und wirft in 63 Tagen“, heute bekommt die Hundemutti ihre Babys.

Kommen wir nochmal zurück auf die Erbkrankheiten. Wie hoch ist den überhaupt noch der Anteil der Hunde, die gesund sind?

Wie will man das ermitteln? Man sieht einen Hund, der offensichtlich gesund ist, glänzendes Fell, strahlend weiße Zähne hat und sich im Ausstellungsring harmonisch bewegt. Man kann aber nicht erkennen, ob der Hund wirklich gesund ist, ein einfaches Futter, regelmäßige Bewegung bekommt und in festen sozialen Strukturen lebt. Vielleicht wirkt er auch nur gesund, weil eine renommierte Tierklinik für das Tier in einer langwierigen Prozedur einen speziellen Ernährungsplan erarbeitet hat. Diese Information wird ein Züchter sicherlich für sich behalten, weil sich sonst vielleicht niemand findet, der Nachzuchten von diesem Hund kaufen wird.

Solche Hintergründe kommen dann meistens durch einen Zufall ans Tageslicht. Wenn ein Rüde mehrere Hündinnen deckt und sich die Welpenkäufer dann z.B. im Internet austauschen und sich so herausstellt, dass ein hoher Prozentsatz der Welpen, die ja Halbgeschwister sind, krank sind, wird so etwas öffentlich.

Außerhalb von solchen Zufällen werden solche Details nicht an die Öffentlichkeit gebracht, vielmehr werden sie vertuscht und beschönigt. „Das ist doch gar nicht so schlimm“, Die dürfen so etwas nicht fressen, das weiß man doch“ und „Nicht alles auf einmal, sonst bekommt er halt eine Magendrehung“ sind häufige Erklärungsversuche. Und schließlich wird erklärt, was man alles beachten muss, damit mit dem Hund alles in Ordnung ist.

Aber um für die Zucht zugelassen zu werden, müssen Hunde – wir hatten das Beispiel Deutscher Schäferhund – doch HD-geröngt werden und Vielseitigkeits- und Ausdauerprüfungen bestehen.

Ja, die Hunde werden geröntgt und untersucht. Der Haken daran ist jedoch, dass die Hunde einer durchgezüchteten Hunderasse sehr eng miteinander verwandt sind. Was bringt es, wenn ich einen befundfreien Hund in die Zucht nehme, dessen Geschwister jedoch Symptome einer Krankheit haben? Wenn ich einen HD-freien Hund mit perfekten Hüften für die Zucht empfehle und dieser Hund hat eine Wurfschwester mit schwerer HD und einen Wurfbruder mit leichter HD – dann ist dieser Hund, obwohl er selber befundfrei und vielleicht ein Prachtexemplar seiner Rasse ist, für die Zucht ein denkbar schlechter Vertreter.

Trotzdem werden solche Hunde verwendet. Denn würden man diese auch noch von der Zucht ausschließen, würde der Genpool weiter verkleinert. So entwickelt sich ein Teufelskreis.

Anders verhält es sich, wenn die ganze Rasse kollektiv in der Arbeit eingesetzt wird, was nur noch bei ganz wenigen der Fall ist. Mir fällt spontan der Working Kelpie ein, wo 95 % der Hunde in Australien auf den Farmen arbeiten. Keiner dort kauft einen Hund aus einer Zucht, in der Krankheiten auftreten. Selbst wenn der Deckrüde und die Hündin befundfrei sind – wenn sich einmal rumgesprochen hat, dass manche Hunde z.B. Probleme bei Hitze haben, dann wollen die Farmer von der ganzen Verwandtschaft nichts mehr wissen.

Auf der anderen Seite haben wir Hunde, für die kein Rassestandard geschrieben wurde, die jedoch seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden beinahe identisch aussehen.

Unter starken Einfluss der Natur – also Klima, Gelände, Struktur und Nahrungsgrundlage – und in Verbindung mit einer Arbeitssituation bzw. Anforderung hat sich über Jahrhunderte ein Hundetyp herausgebildet, der für diese Situation am besten geeignet sind. Dieser wird sich auch nicht verändern, ähnlich wie die Unterart eines Wildtiers, dass sich perfekt an seine Umgebung anpasst. Die Füchse in einer Region sehen sich auch sehr ähnlich. In einer anderen Region, in der es vielleicht etwas kälter ist, werden die Füchse gleichmäßig dichteres Fell haben. Dasselbe passiert mit Hunden, die in einem speziellen Arbeitsgebiet in einer relativ natürlichen Umgebung und vielleicht unter etwas extremeren Bedingungen leben und arbeiten müssen. Die Hunde sind daran dann sehr gut angepasst und so gibt es weder für die Züchter einen Grund, etwas daran zu ändern, noch werden sich die Hunde ändern.

Solche Hunde verändern sich jedoch innerhalb von wenigen Jahrzehnten sowohl vom Aussehen als auch vom Verhalten her, wenn man einige Tiere aus ihrem ursprünglichen Aufgabenfeld und ihrer ursprünglichen Umgebung herausgreift. Züchtet man einige dieser Hunde in unserer „zivilisierten“ Umgebung, greift man ja in den Genpool ein und sie werden innerhalb von beispielsweise 50 Jahren ihren Vorfahren kaum noch ähneln.

Du hast gerade das Verhalten erwähnt. Ich habe den Eindruck, dass viele eigentlich als zuverlässig anerkannte Gebrauchshunde heute nach Beißunfällen im Tierschutz enden. Hängt das Deiner Meinung nach auch mit der Zucht zusammen oder liegen die Gründe eher in anderen Bereichen?

Da werden mehrere Faktoren zusammenspielen. Und wenn diese unglücklich in einem durch die Zucht prädestinierten Exemplar zusammentreffen, dann werden solche Katastrophen passieren. Man darf nicht vergessen, dass es immer, seit dem es Hunde gibt auch Unfälle gab. Und man sollte nicht alles, was früher war, romantisieren.

Allerdings hatte man noch vor wenigen Jahrzehnten ein anderes emotionales Verhältnis zu Hunden und bei schweren Beißvorfällen gab es für den betroffenen Hund eigentlich nur eine Lösung. Der Hund wurde beseitigt und seine Gene damit aus der Zucht genommen. Das Tier stellte einen Risikofaktor da und niemand wollte mit einem Risikofaktor zusammenleben.

Außerdem wurde bei der Erziehung mehr nach dem Bauchgefühl gegangen und die Leute legten mehr Wert darauf, einen Hund zu halten, der zu ihrer Lebenssituation passte.

Metzger und Viehhändler hielten Rottweiler, Jäger hielten Jagdhunde, Landwirte hatten Sennenhund- oder Schnauzerähnliche Hunde im Hof und die Familie mit Kindern einen Pudel.

Jeder kam mit seinem Hund gut klar, weil er nicht ständig hemmen und reglementieren musste, sondern eigentlich nur noch die gewünschten Eigenschaften ein wenig kanalisieren.

Heute leben schwere, hochaktive Wach- und Schutzhundrassen und Hundetypen aus anderen Kulturkreisen bei Menschen, die von ihren Möglichkeiten her überfordert sind. Das birgt natürlich Konfliktpotential.

Da ich weiß, dass die Altdeutschen Hütehunde deine Passion sind: In letzter Zeit sehen wir diese Hunde wieder vermehrt, meistens auf Hundeplätzen mit dem Ziel, die Hunde auszulasten. Wie ist Deine Meinung dazu?

Es ist so. Körperlich auslasten kann man einen gesunden und fitten altdeutschen Hütehund kaum. Es sei denn, man gibt ihm die Möglichkeit, sich 6 bis 7 Stunden als Läufer zu betätigen. Aber das ist überhaupt nicht erforderlich.

Ein guter Freund von mir hat drei Altdeutsche, darunter einen 7 Monate alten Junghund. Mit diesem Hund wird bewusst nichts getan. Gar nichts. Außer das er freundlich behandelt wird, nachts mit ins Haus rein darf und mit seinen Artgenossen und Menschen zusammen die Nacht verbringt.

Ich habe selten so ausgeglichene Altdeutsche gesehen wie diese Hunde, die sich sehr leichtführig zeigen aber in keinster Weise überdreht. Man hat vermieden, sie in irgendeiner Weise aufzudrehen. Wenn man diese Süchte – und man kann hier durchaus von Suchtverhalten sprechen – gar nicht erst weckt, dann zeigen diese Hunde auch ein völlig normales Hundeverhalten und lassen sich sehr gut kontrollieren.

Nur sind sie dann nicht mehr spektakulär.

Frühzeitig Frustrationstoleranz lernen und den Leuten nicht auf die Nerven gehen, das mussten die Gebrauchshunde immer. Wenn ein einsamer Schäfer denn mal Besuch bekommt und sich irgendjemand zu ihm stellt und sich mit ihm unterhalten will, dann kann er es beim besten Willen nicht gebrauchen, dass dann sein Hund nervt, sich dazwischen drängt und kläfft.

Der Hund muss sich auch mal zurücknehmen können, das ist ganz wichtig. Aber wenn man versucht, diese Hunde viel zu früh, bevor sie die Reife dafür haben, mit Hundesport auszupowern, dann bekommt man zwar großartige Wettkampfresultate, aber oftmals alltagsuntaugliche Hunde, die durch Hyperaktivität eigentlich jedem auf die Nerven gehen.

Außer den Haltern. Und da stelle ich mir die Frage, warum es ein spektakulärer Hund sein muss.

Man kann sich über seinen Hund identifizieren, man kann sich vornehm, rustikal, volksnah oder exotisch geben und je nach Gusto eben aus über 400 Rassen auswählen und den Hund als Accessoire in unserer Gesellschaft nutzen, um sich selber darzustellen.

Damit schließt sich auch der Kreis. Viele Menschen wollen eben eine extrem kurznasige Bulldogge oder eine Rasse, die gerade im Kino zu sehen ist. Meiner Erfahrung nach landen vieler dieser Hunde nach einiger Zeit im Tierschutz.

Das ist das Resultat der Manipulierbarkeit der Massen durch Medien. Welche Möglichkeiten hat man, ist man überhaupt in der Lage ist, einen Hund zu halten oder sollte man vielleicht lieber noch ein paar Jahre warten? Muss es unbedingt die Rasse sein, nur weil mein Nachbar auch so einen Hund hat oder weil er gerade in den Medien ist? All diese Fragen sollten selbstverständlich sein, werden jedoch häufig beiseite geschoben.

Dazu trägt jedoch auch die vielfältige und breitgefächterte Hundeliteratur bei. Rassebeschreibungen werden sehr verschlüsselt wiedergegeben, so dass ein Leser, der nicht gewohnt ist, zwischen den Zeilen zu lesen, die Beschreibung durch die „rosarote Brille“ liest.

Sätze wie „Der Hund braucht eine frühzeitige Sozialisierung auf Artgenossen und Menschen“ oder „Sein Jagdverhalten muss kanalisiert werden“ bedeuten im Klartext: Die meisten Tiere dieser Rasse sind extrem unverträgliche Beisser und Raufer und neigen zum Wildern.

Diese Eigenschaften werden allerdings so schön umschrieben, dass der interessierte Tierfreund denkt, diese in den Griff zu bekommen. Wenn er dann merkt, dass die Schwierigkeiten doch größer sind, dann wird der Hund schnell zum Fall für den Tierschutz.

Bei welchen Hunderassen haben wir im Moment die meisten Probleme, was die Gesundheit angeht?

Es ist schwierig, hier eine Aussage zu treffen, aber ich würde sagen, dass als Faustregel gilt, dass bei den Rassen, bei denen eine Mode oder ein momentaner Trend Hauptanliegen für die Anschaffung ist, Vorsicht geboten ist.

Dabei ist völlig egal, ob es sich um einen Gebrauchshund, einen Jagdhund oder Familienbegleithund handelt. In dem Moment, in dem eine Rasse zum Trend wird, werden Hunde auf den Markt geworfen. Die Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustands bis hin zu Verhaltensauffälligkeiten sind immer unausweichlich die Folge gewesen, egal um welche Rasse es sich gehandelt hat.

Man sollte sich anschauen, wie hoch die Welpenstatistiken sind und ob die Hunde noch in ihrem ursprünglichen Aufgabenbereich tätig sind. Wenn nicht, kann man davon ausgehen, dass sehr viele Krankheiten auftauchen.

Woran erkennt ein Käufer denn einen guten Züchter?

Meine Antwort auf diese Frage ist so simpel, dass die Leute, die mich fragen, sich oft auf den Arm genommen fühlen. Einen guten Züchter erkenne ich daran, dass er gute Hunde züchtet und an sonst nichts.

Kannst Du das näher erläutern?

Der Züchter muss mir nicht sympathisch sein – schön, wenn er es ist, aber ich sehe den Menschen vermutlich nie wieder. Er muss mir keinen aufgeschäumten Kaffee oder ein Stück Kuchen anbieten oder mich zehnmal zu sich nach Hause einladen.

Wenn ich mir einen Hund aussuche, dann will ich wissen, welchen Ruf der Züchter in der Szene hat, wo leben Hunde aus seiner Zucht und wie kommen die Besitzer mit den Hunden zurecht.

Wenn er dann noch ein paar steinalte Exemplare seiner Rasse hat, die noch bei guter Gesundheit mit ihm sein Leben teilen, dann sind das für mich Indizien, dass es sich dabei um einen guten Züchter handelt.

Welche Hunde hat er vorher gezüchtet und wie sieht die Verwandtschaft seiner Hunde aus. Wenn dort Merkwürdigkeiten auftreten wie z.B. frühe Krankheiten oder häufige Unfälle, die ja auch von Verhaltensauffälligkeiten her rühren können, dann werde ich misstrauisch.

Aber wenn die Masse der Käufer unter verschiedensten Bedingungen mit den Hunden aus dieser Zucht überwiegend zufrieden ist, dann würde ich sagen: Das ist ein guter Züchter.

Leider lassen sich viele Leute heute von bunt dekorierten Welpenzimmern und freundlicher Atmosphäre blenden. Doch letztlich zählt ja der Hund, der mit mir mein Leben teilen soll. Und deshalb will ich wissen, ob er gute Verwandte und Vorfahren hat oder nicht.

Wenn ich nun einen guten Züchter gefunden habe, woran erkenne ich denn, dass die Welpen gut gehalten werden? An einem gut ausgestattetem Welpenzimmer?

Das würde ich nicht unbedingt so sehen. Ich würde eher auf eine naturnahe Haltung achten, allerdings ist die Einschätzung etwas schwierig und ich würde das an der Rasse festmachen. Einen Whippet-Welpen kann man kaum so halten wie einen gleichaltrigen Herdenschutzhund. Dennoch würde ich darauf achten, dass die Hunde möglichst naturnah aufwachsen. Das soll jetzt natürlich nicht bedeuten, dass sie in einem nassen und verdreckten Zwinger hinter einem Holzschuppen leben sollen. Aber wenn ich Züchter sehe, die ihre Welpen vor allem abschirmen und den Hundekäufern verbieten, vor einer bestimmten Woche die Hunde überhaupt zu begutachten, weil sie irgendwelche Keime einschleppen könnten, dann habe ich wirklich Bedenken, ob ich dort Hunde mit einem stabilen Immunsystem finde. Einfach auf das Bauchgefühl und auf eine gewisse Natürlichkeit achten. Wenn vor Ort alles fürchterlich kompliziert und hygienisch ist, dann hätte ich Bedenken, ob da nicht sehr empfindliche Hunde leben, die in normalen Alltagssituationen möglicherweise öfter erkranken.

„Hunde sind so.“

In  der “SitzPlatzFuss” Nr. 7 aus dem Cadmos-Verlag ist Normen mit einem Artikel vertreten, den Sie hier nachlesen können.

Hunde sind so!

Die Gründe, sich für ein Leben mit Hund zu entscheiden, sind vielfältig. Während die Sehnsucht nach einem Sozialpartner sicherlich die größte Bedeutung für den Wunsch nach einem Hund einnimmt, spielt häufig auch der Gedanke eine große Rolle, mehr Zeit an der frischen Luft zu verbringen und mit dem „neuen Kumpel“ die Natur zu erleben.
Mensch und Hund in der Natur. Dieses Bild weckt Assoziationen wie Aktivität und Gesundheit, eine ganze Industrie lebt vom Bedürfnis des Menschen, „Outdoor“ zu sein. Für Hund und Halter gibt es eine Vielzahl an Accessoires, die versprechen, Wind und Wetter zu trotzen und so für ein unbeschwertes Naturerlebnis zu sorgen.

Und in der Fantasie ist es so schön:

Raus in den Wald, einen Gang runterschalten und mal wieder die Sonne auf der Haut spüren. Der Geruch von frisch gemähten Gras, Erinnerungen an eine vergessen geglaubte Kindheit, vielleicht Ferien auf dem Lande, gemeinsame Abenteuer mit dem geliebten Hund der Großeltern, eine tolle Zeit.

In der Realität müssen viele Hundebesitzer dann feststellen, dass sie bei all den schönen Erinnerungen einige Details vergessen haben. Im frisch gemähten Gras wimmelt es nur so von Mücken, im Wald versinkt man mit den neu erworbenen Outdoorschuhen aus Weltraummaterial knöcheltief im Schlamm und das größte Abenteuer mit Opas Hund war, ihn irgendwie zu bändigen, sobald er eine Katze gesehen hat.

Mit der Natur ist das so eine Sache.

Neben den vielen schönen Dingen, die es zu erleben gibt, finden sich eben auch einige, die nicht so schön, idyllisch und entspannend sind. Und so wollen zwar viele Menschen die Natur und das Landleben geniessen, gleichzeitig beschweren sie sich dann darüber, dass es nach Kuhmist riecht oder das der Hahn frühmorgens kräht.

In den letzten Jahren verstärkt sich bei mir der Eindruck, dass dieses etwas gespaltene Verhältnis auch auf die Beziehung einiger Menschen zu ihren Hunden und deren Natur zutrifft.

Menschen und Hunde sind sich in vielerlei Hinsicht erstmal ähnlich. Beide sind hochsoziale Lebewesen, extrem anpassungsfähig und kommunikativ, was mit ein Grund für das gute Verhältnis zwischen Zwei- und Vierbeiner ist.

Doch bei aller Gemeinsamkeit unterscheiden sich Hunde hinsichtlich ihres Verhaltens und ihrer Bedürfnisse deutlich vom Homo Sapiens.

Und manche Hundebesitzer scheinen sich mit dem – normalen – Verhalten ihrer Hunde schwer zu tun und haben Probleme, dies als Teil des Tieres zu akzeptieren und mit dem Hund seiner Art entsprechend umzugehen.

Wenn man Menschen fragt, welche Eigenschaften sie sich von einem Hund wünschen, dann wird zumeist der klassische Familienhund beschrieben – menschenbezogen, sozialverträglich, kinderlieb und natürlich gut erzogen.
Auf die Frage, welche Eigenschaften sie bei einem Hund ablehnen, fallen Begriffe wie „Aggression“, „Dominanz“ und „Jagen“.

Gerade Aggression wird leider häufig nicht als das erkannt, was sie ist. Nämlich erstmal ein völlig normales und vor allem für die Lösung von Konflikten und zur Schadensvermeidung wichtiges Verhalten.

Ein angemessenes aggressives Verhalten muss allerdings gelernt sein.

Eine Chance, die viele Welpen mit Verlassen ihrer Wurfgeschwister nicht mehr haben.

In vielen Welpengruppen wird jeder Anflug von aggressiver Kommunikation sofort unterbunden und den jungen Hunden jede Möglichkeit genommen, zu erlernen, wie sie in Konfliktsituationen adäquat reagieren können.

In der Praxis erleben wir in der Folge häufig heranwachsende und ausgewachsene Hunde, die auf Grund mangelnder Lernerfahrung in der Konfrontation mit Artgenossen unangemessen reagieren, was schliesslich zu ernsthaften Auseinandersetzungen und Verletzungen führen kann.

Hunde haben Sex!

Ähnlich schwierig wie mit dem Aggressionsverhalten als Bestandteil der Natur des Hundes verhält es sich mit dem Sexualverhalten der Tiere.

Es ist absolut verständlich, dass ein Hundebesitzer kein Interesse hat, Welpen aufzuziehen.

Und in Anbetracht überfüllter Tierheime und einer Unzahl von Hunden, die von Züchtern und anderen Quellen angeboten werden, ist das Unterbinden der Fortpflanzung unserer Hunde gut und richtig.

Nichts desto trotz haben unsere Hunde ein Sexualleben und würden sich, wenn sie die Möglichkeit hätten, auch fortpflanzen und ihre Welpen aufziehen.

Und auch, wenn unsere Hunde in Gegensatz zum Menschen sicherlich nicht lustbetont agieren und der Fortpflanzungsakt alles andere als romantisch ist, gehört das Sexualverhalten ebenso wie beim Menschen zu den elementaren und normalen Funktionskreisen der Hunde.

Diese Tatsache ist für viele Menschen allerdings ein bisschen zu viel der Natur.

Und so wird das Sexualleben unserer Hunde komplett unterbunden und verdrängt.

Schlimmer noch, sobald sich ein Hund sexuell aktiv/interessiert zeigt, reagieren viele Hundebesitzer nahezu schockiert und schämen sich in Grund und Boden.

Und dem Rüden, der auf Grund der läufigen Hündin in der Nachbarschaft nervös ist und bellt, wird schnell mal unterstellt, dass er leidet, was häufig eine Kastration zur Folge hat.

Es gibt einige Rüden, die in Anbetracht einer läufigen Hündin der Art heftig leiden oder sich dermaßen hypersexuell verhalten, dass eine Kastration eine Erlösung ist.

Allerdings – aber das ist nur meine persönliche Meinung – scheinen es doch häufig eher die Menschen zu sein, die beim Anblick von Bluttröpfchen ihrer Hündin auf dem Teppichboden oder auf Grund des Gejammers ihres Rüden leiden und dann dazu neigen, kurzen Prozess zu machen.

Kastration als Allheilmittel

In den letzten Jahren können wir immer öfter einen bedenklichen Trend beobachten. Hunde werden häufig sehr früh kastriert, teilweise bereits in einem Alter von unter sechs Monaten.

Dies trifft besonders häufig auf Rüden solcher Hunderassen zu, die auf den Rasselisten zu finden sind. Meist wird von tierärztlicher Seite argumentiert, dass die Entwicklung eines – beim individuellen Hund vermuteten – erhöhten Aggressionspotentials durch den Eingriff verhindert werden könne.

Dieses Argument kann ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen. So erleben wir immer wieder Frühkastraten, die trotz des Eingriffes ein deutliches Aggressionspotential an den Tag legen.

Statt des gewünschten Effektes der Kastration kann es auch dazu kommen, dass der Hund nach dem Eingriff eine übersteigerte Aggressionsbereitschaft an den Tag legt.

Das Testoreron, das einem sensiblen Rüden vielleicht noch als Stütze bei der Bewältigung des Alltags half, wird abgebaut, und so kann aus einem eher unsicheren Hund ein übernervöser und zu Überreaktionen neigender Hund werden.

Grundsätzlich bin ich jedoch weder Befürworter noch Gegner von Kastration. Bei entsprechender Indikation halte ich sie für sinnvoll. Als Allheilmittel gegen unerwünschtes (Sexual-)Verhalten halte ich den Eingriff für unangemessen.

Leider können wir häufig beobachten, das manche Tierärzte relativ schnell dabei sind, wenn es um die Kastration geht. Zum Einen liegt es sicherlich daran, dass der Eingriff lukrativ ist, zum Anderen drängt sich mir allerdings auch der Verdacht auf, dass viele Veterinärmediziner nicht über das notwendige Wissen verfügen, welche Folgen dieser Eingriff haben kann.

Das Sexualleben unserer Haushunde beschränkt sich nicht ausschliesslich auf den Deckakt. Und wenn dieser aus naheliegenden Gründen ausfallen muss, so wäre es meiner Meinung nach wünschenswert, wenn wir unseren Hunde dennoch zugestehen, dass sie sexuelle Lebewesen sind.

Hunde prügeln sich!

Gerade bei unkastrierten Rüden in der „Sturm- und Drangphase“ lässt sich beobachten, dass sie häufiger aggressiv gegenüber gleichgeschlechtlichen Artgenossen auftreten. Doch vorausgesetzt, der Hund verfügt über die entsprechenden Lernerfahrungen, verhält es sich meiner Meinung nach auch hier so, dass solche „Pöbeleien“ des jungen Hundes zum Reifeprozess gehören und als gesund zu bezeichnen sind.

Wenn wir ehrlich sind, erinnern solche Hunde bei genauer Betrachtung oft doch eher an Jungen in der Pubertät, die sich in der Diskothek selbst darstellen und rumprahlen, tatsächlich jedoch nicht wirklich Eindruck schinden.

Meiner Meinung nach dürfen sich Hunde auch mal prügeln, so lange es beim Kommentkampf bleibt und die Vierbeiner über ein vergleichbares Energielevel verfügen.

Allerdings darf das natürlich nicht bedeuten, dass die Tiere „das schon unter sich regeln“. Ein Auge dafür, wann ein solcher Konflikt in den Ernstkampf kippen könnte, sollte vorhanden sein und bei solchen Anzeichen rechtzeitig abgebrochen werden.

Ein pöbelnder Jungrüde kann je nach Gemütszustand seines Besitzers sicherlich eine große emotionale Belastung darstellen, jedoch würde ich immer dafür plädieren, den Konflikt anzunehmen und erzieherisch einzuwirken.

Auch hier ist eine Kastration, vor allem in früher Jugend, nicht nur ein massiver Eingriff in die Entwicklung des Hundes, sondern verstösst auch gegen das Tierschutzgesetz. Dort steht gleich in §1, dass niemand „einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“ darf.

Ein Rüde, der sich so verhält, wie sich Rüden in einer bestimmten Entwicklungsphase nunmal verhalten, ist sicherlich nicht als vernünftiger Grund anzusehen. Ein Rüde, der sich eventuell irgendwann so verhalten könnte erst recht nicht!

Hunde bellen!

Im Zuge der Domestikation haben unsere Hunde durch Selektion Eigenschaften entwickelt, die für uns Menschen sehr nützlich waren.

Ein Beispiel hierfür ist das Bellen.

Während unsere Vorfahren froh darüber waren, dass ihre Lagerstätten von wandelnden Alarmanlagen bewacht wurden, stellt Bellen heute für viele Hundehalter ein großes Ärgernis und einen häufigen Abgabegrund in den Tierheimen dar.

Dies ist umso erstaunlicher, da bereits Kleinstkinder lernen, dass der Hund „Wau Wau“ macht.

Natürlich nervt ein Hund, der in einer Tour bellt.

Zu welch drastischen Mitteln der Mensch jedoch fähig ist, wenn es um die schnelle Problemlösung dieses unerwünschten Verhaltens geht, zeigt ein Blick in das Fachbuch „Verhaltensmedizin beim Hund“ aus dem Jahr 2007.

Hier wird bei übermäßigen Bellen das sogenannte „Debarking“ als Möglichkeit der Therapie empfohlen. Bei diesem operativen Eingriff werden dem Hund die Stimmbänder durchgeschnitten. Tatsächlich wird das Bellen dadurch jedoch nicht unterbunden, sondern nur verhindert, dass der Hund die Lautäußerung hervorbringen kann.

Wann überhaupt davon gesprochen werden kann, das ein Hund übermäßig viel bellt, hängt dabei stark von Rasse und Umfeld eines Hundes ab.

Gerade im Bereich der Verhaltensmedizin wäre es demnach wünschenswert, wenn im Zusammenhang mit der Verhaltenskunde zwingend auch elementares Wissen über rassespezifische Eigenschaften der Hunde vorhanden wäre.

Paradoxerweise wird Bellen nur dann als störend empfunden, wenn es uns Menschen gerade nicht passt. Der Hund soll zwar anzeigen, wenn jemand im Treppenhaus ist, aber bitte nur, wenn dieser jemand ein Eindringling ist und bitte nicht, wenn wir gerade ein Buch lesen oder die Nachbarn schon schlafen.

Es ist nahezu eine Meisterleistung unserer Hunde, dass es tatsächlich welche gibt, die das beherrschen.

Hunde jagen!

Ebenso, wie wir heute kaum noch Hunde benötigen, die uns durch lautes Bellen vor Eindringlingen warnen, gibt es auch nur noch wenige Menschen, die einen jagdlich motivierten Hund brauchen.

Pointiert könnte man auch sagen, dass heutzutage ausser Jägern eigentlich nur noch Hundetrainer jagende Hunde brauchen – und zwar an der Seite ihrer Kunden.

Wenn ich hier über „Jagen“ schreibe, meine ich damit in allererster Linie das Hetzen als Teil dieses Funktionskreises.

Denn in unserer Wahrnehmung ist es häufig so, dass ein Weimaraner, der hetzt, ein jagender Hund ist. Ein Bordercollie jedoch, der fixiert, sich anschleicht und treibt, der hütet.

Und obwohl die genannten Verhaltensweisen des Bordercollies genauso zum Jagdverhalten gehören wie das Hetzen, werden sie, häufig im Zusammenhang mit der Hunderasse, gerne romantisiert. Und Suchmäuseln finden viele Menschen sogar niedlich.

Die Appetenz, also die Suche nach dem auslösenen Reiz, wiederum wird in vielen Fällen gar nicht erst bemerkt und so gibt es auch Hunde, die bereits an der Wohnungstür Jagdverhalten zeigen, ohne dass die Besitzer das Problem erkennen, welches sie schliesslich draussen erwartet.

Dabei verdanken unsere Hunde uns Menschen, dass sie auch in unserer heutigen Zeit noch begnadete Jäger sind.
Eigentlich müsste ein Hund nämlich nicht jagen und würde es vermutlich auch nicht tun, wenn dieses Verhalten für unsere Vorfahren nicht wünschenswert gewesen wäre.

Schliesslich blickt der Hund auf Jahrtausende Rundumversorgung zurück.

Rein geschichtlich betrachtet hätte der Hund das Jagen irgendwann eingestellt, da es in der Obhut der Menschen und auf Grund der Verfügbarkeit von Nahrung dafür schlicht und ergreifend keinen Grund mehr gab.

Menschen waren es schliesslich, die sich das jagdliche Talent der Hundes zu Nutze gemacht und gezielt gefördert haben.

Nun hat sich unsere Gesellschaft gewandelt und wenn wir auf der Jagd nach Nahrung sind, dann meistens auf der nach besonders günstigen Preisen.

Und was unsere Hunde angeht, ist jagen nicht nur unerwünscht, sondern gesellschaftlich nahezu geächtet.
Für einen Hund, der hier besonders talentiert ist, ist die Situation alles andere als artgerecht.

Über Jahrtausende dahingehend selektiert, jagdliches Verhalten zu zeigen, sind sie nun arbeitslos und häufig dazu verdammt, auf Grund ihrer Fähigkeit ein Leben an der Leine oder unter strenger Beobachtung ihrer besorgten Halter zu führen.

Der Hund, der einem Kaninchen hintermacht, läuft außerdem Gefahr, sein Leben zu verlieren. Wenn nicht auf einer unzähligen stark befahrenen Straßen, dann vielleicht durch einen anderen begnadeten Jäger, nämlich dem Menschen. Arme Hunde!

Wenn ich über Jagdverhalten beim Hund schreibe, benutze ich immer gezielt den Begriff Talent. Denn hierbei handelt es sich um eine besondere Begabung, die man als Hundehalter als Teil seines Hundes akzeptieren sollte, wenn man ihm gerecht werden möchte.

Und wie es mit Begabungen so ist, haben Halter die Möglichkeit, diese zu fördern oder gezielt verkümmern zu lassen. Über eines sollten wir uns aber im Klaren sein.

Ähnlich wie bei einem begabten Kind kann es sein, dass der Hund sein Talent irgendwann auch ohne Förderung entdeckt und sich als wahrer Künstler in seinem Metier entpuppt. Das ist dann seine Natur!

Und auch, wenn ich die Sorgen vieler Besitzer eines jagenden Hundes nachvollziehen kann, finde ich es bedenklich, wie viele Hunde in Deutschland „unter Strom“ laufen, obwohl Reizstromgeräte verboten sind.

Manchmal haben sie Angst

Doch nicht nur vermeintlich „böse“ Verhaltensweisen wie die erwähnte Aggression oder das Jagdverhalten eines Hundes werden häufig nicht als normales Verhalten und somit als Teil unserer Hunde akzeptiert.

Ähnlich verhält es sich, wenn ein Hund „Angst“ hat – eine sehr häufige Problembeschreibung von Hundebesitzern und trotzdem erstmal normal.

Grundsätzlich ist Angst bzw. Furcht eine lebenswichtige Reaktion auf Reize, die wir nicht einschätzen können oder bei denen wir auf negative Erfahrungen zurückgreifen können.

Und vergleichbar mit der Aggression stellt ängstliches Verhalten erst dann ein Problem für uns und unsere Umwelt dar, wenn sie unangemessen ist.

Viele unserer Hunde reagieren auf verschiedene Reize in unseren Augen ängstlich oder unsicher. Meistens handelt es sich dabei um Lernerfahrungen, also Lösungswege der Hunde, die sich als praktikabel erwiesen haben, um einer unangenehmen Situation zu entgehen.

Damit ein solcher Hund alltagstauglich werden kann, würden Menschen benötigt, die die Unsicherheit des Tieres zum Einen akzeptieren, es aber auch auch souverän und deutlich durch die angsteinflössende Situation führen können. Sozusagen der Felsen in der Brandung, an dem der Hund sich halten kann.

Doch leider geschieht häufig genau das Gegenteil. Statt dem Hund diesen Halt zu bieten, gehen viele Halter dazu über, das Tier durch Mitleid, Verständnis und vermeintlichen Entgegenkommen vor dem zu erwartenden Unheil zu bewahren. Mit dem Ergebnis, dass der Hund seine Strategie verfestigt und ausbaut.

Übrigens: Richtige „Angsthunde“ finden sich indes sehr selten. Dazu kommt, dass solche Hunde, wenn sie in die Attacke gehen, im Angesicht von Todesangst deutlich vehementer vorgehen als ein Hund, der z.B. offensiv aggressives Verhalten zeigt.

Wenn man also bei Hunden, die Angst haben, von „Fight, Flight and Freeze“ als mögliche Verhaltensweisen spricht, dann steht der Begriff „Fight“ für eine ernstzunehmende Gefährlichkeit. Dies ist insbesondere für solche Menschen wichtig zu wissen, die aus Mitgefühl einem solch „armen Hund“ helfen möchten.

Artgerecht kommunizieren!

Im Gegensatz zum Menschen kennen Hunde keine Scham. Während wir peinlich berührt nach Entschuldigungen suchen, ist es für unseren Hund überhaupt kein Problem, sich auf den Artgenossen zu stürzen, der ihn gerade drohfixiert hat und sich wild auf der Hundewiese zu prügeln.

In diesem Moment befindet sich der Mensch in einem Konflikt. Vielleicht mit sich selber ob der Blicke, die er erntet, in jedem Fall aber im Konflikt mit seinem Hund.

Wenn wir uns anschauen, wie Menschen Konflikte lösen, dann geschieht dies in den allermeisten Fällen, in dem sie gegensätzliche Argumente darlegen und im Idealfall partnerschaftlich zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.

Was innerartlich gut funktioniert, schlägt im Konflikt mit dem Hund (und in der Kindererziehung) meist gnadenlos fehl.
Hierarchisches Denken ist uns Menschen zuwider, wir geben keine Befehle, sondern bitten um etwas. Wenn wir etwas nicht möchten, argumentieren wir – alles Dinge, die uns und unsere Kultur vorwärtsgebracht haben.

Hunde sind zwar Teil unserer Kultur, können mit Demokratie und menschlicher Streitkultur jedoch nichts anfangen. Um zu erlernen, dass ein Verhalten nicht erwünscht ist, muss ein Hund erfahren, das ein Zuwiderhandeln mit einer Konsequenz verbunden ist.

Wie die heiße Herdplatte, die für ein Kind so lange verlockend ist, bis es sich verbrannt hat, wird ein Hund an der Leine pöbeln, bis er erfahren hat, dass dieses Verhalten nicht geduldet und – jetzt kommt ein böses Wort – bestraft wird.
Mit dem Begriff Strafe wiederum haben viele Menschen ein Problem. Sofort schiessen einem Tritte, Schläge und fiese Tierquäler in den Kopf und man denkt an Zeiten, in denen die Prügelstrafe an Schulen noch an der Tagesordnung waren.

Eine Hundeschule, die heute etwas auf sich hält, schwört auf den Begriff „positive Bestärkung“. Positiv wird dabei gleichgesetzt mit bejahend und nett. Bejahend und nett kommt bei potentiellen Kunden gut an, da diese Form der Herangehensweise wie eben beschrieben unserer Natur entspricht.

In der Lerntheorie bedeutet der Begriff „positiv“ jedoch nichts anderes als „etwas hinzuzufügen“.

Dies kann im Falle der Belohnung das Leckerchen sein, im Falle der Bestrafung beschreibt der Begriff das Hinzufügen von etwas Unangenehmen.

Hunde sind körperlich!

Wenn man Hunde in einer Gruppe beobachtet, stellt man schnell fest, dass unerwünschte Verhaltensweisen eines Tieres durch die anderen Tiere unmittelbar und deutlich abgebrochen werden.

Wichtige soziale Fähigkeiten wie z.B. die Beißhemmung erlernen Welpen in dem sie austesten, wie weit sie gehen können und erfahren dies sofort anhand der Reaktion ihrer Wurfgeschwister bzw. Mutter.

Doch diese Form der Erziehung und des Erlernens sozialer Regeln entspricht nicht unserer Vorstellung eines partnerschaftlichen Zusammenlebens.

Doch kommt sie nicht nur der Natur unserer Hunde näher, als die höfliche Bitte, den Jogger doch in Ruhe zu lassen, sondern ist auch erfolgversprechender. Und der Jogger wird es Ihnen danken!
Hunde sollten das Recht darauf haben, Ihrem Wesen entsprechend zu erfahren, was sie dürfen und was nicht. Klare Grenzen bedeuten keinesfalls eine Einschränkung des Hundes, ganz im Gegenteil! Ein Hund, der seine Grenzen kennt, kann ohne Leine laufen, kann uns ins Restaurant begleiten und kann Sozialkontakt zu Artgenossen pflegen. Ein tolles Leben!

Hunde sind so – und das muss man mögen!

Hunde sind aggressiv, prügeln sich, jagen und haben ein Sexleben. Außerdem haaren sie, stinken und machen Dreck. Unsere guten Ratschläge sind ihnen völlig egal und sie lassen uns unter Umständen im Regen stehen, weil das Reh gerade interessanter ist.

Diese Dinge machen sie genau so aus wie die vielen positiven Eigenschaften, über die unsere Hunde verfügen. Dessen sollten wir uns bewusst sein und das sollten wir akzeptieren. Nein, das sollten wir mögen! Unsere Hunde haben es verdient.

Heavenly Creatures

Frau M. hatte immer eine Augensalbe dabei. Für den Fall, dass sich „Charlie“, ihr dreijähriger Mops-Rüde mal aufregen sollte. Dann nämlich konnte es passieren, dass er – flutsch – eines seiner Augen aus der Höhle presste. Routiniert zückte Frau M. dann die Salbe, schmierte das Auge damit ein und – nochmal flutsch – drückte es wieder in die vorgesehene Position.

Möpse trifft man in der Hundeschule eigentlich eher selten außerhalb von den mittlerweile obligatorischen Welpengruppen. Denn so ein leinenpöbelnder Mops ist ja eigentlich ganz gut zu managen und nur die wenigsten Zeitgenossen sehen in dem kleinen Hund eine Gefahr für Leib und Leben.

Frau M. sah das eigentlich ganz ähnlich, würde sich „Charlie“ nur nicht immer so fürchterlich aufregen, wenn ihm andere Hunde begegnen. Ihr Tierarzt hatte ihr nämlich gesagt, dass es garnicht so gesund wäre, wenn der Hund vor lauter Theater ständig seine Augen aus den Höhlen pressen würde.

Also übten Frau M. und ich nun, an anderen Hunden vorbeizukommen, ohne dass „Charlie“ ein Auge nach ihnen warf – im wahrsten Sinne des Wortes.

Ganz andere Probleme hatte derweil Frau P. mit ihrer Cavalier King Charles-Hündin „Yvette“. Die war nämlich eine Futtermittelallergikerin, wie Frau P. in einem Forum erklärt bekam und ihr erst die Züchterin und dann eine Ernährungsexpertin bestätigte.

Nun könnte man sagen, ein bisschen Google hätte Frau P. viel Geld und ihrer „Yvette“ einiges an Leid ersparen können. Aber so einfach war es nicht.

Denn das Hündchen litt unter der sogenannten Syringomyelie, ganz grob zusammengefasst passte das Gehirn des Tieres auf Grund züchterischer Übertreibungen nicht mehr in den Schädel. So kommt es zu einem „inneren Wasserkopf“ auf Grund des erhöhten Drucks des Hirnwassers auf das Gehirn.

Auf Grund der Symptome vermutete Frau P. zunächst eine Allergie, probierte verschiedenste Futter aus, diskutierte sich quer durchs Internet und kam schließlich zum Barfen, was auch nicht weiterhalf.

Als die Symptome immer schlimmer wurden und der Hund beinahe durchdrehte vor Qualen, suchte Frau P. einen Spezialisten auf, der ihrem Hund helfen sollte.

Eine OP sollte es richten, allerdings konnte Frau P. den Erfolg nicht mehr messen, da „Yvette“ die Narkose nicht überstanden hatte.

„Anton“ wiederum ist ein Deutscher Boxer, seine Besitzer Herrn und Frau S. lernte ich kennen, weil der Hund „ein wenig nervös“ wäre, wie es hieß. Tatsächlich war „Anton“ das hündische Pendant zu einem „Zappelphilipp“, extrem aufgedreht und ein echter Wirbelwind. Allerdings nur bis er etwa fünf Jahre alt wurde. Ab da vergreiste der Hund genauso schnell wie er in jüngeren Jahren über die Wiese flitzte.

Mein Freund Gerd hat mir mal erzählt, dass sich diese merkwürdige Entwicklung des schlagartigen Alterns auf einen einzigen Rüden zurückführen ließe, dessen – preisgekrönte – Nachkommen für dieses Phänomen bei vielen Boxern geführt hätte.

„Kurti“ seines Zeichens war ein Golden Retriever wie er im Buche steht. Ein wunderschöner Hund und rassetypisch sehr freundlich. Warum er im Tierheim gelandet war, wollte niemanden so recht einleuchten, bis „Kurti“ bei der Abholung durch seine neuen stolzen Besitzern aus dem Nichts den Familienvater attackierte und schwer verletzt hatte.

In den 1980er Jahren machte mal die sogenannte „Cocker-Wut“ die Runde. Die roten Cocker Spaniel attackierten ohne ersichtlichen Grund ihre Besitzer, verletzten sie zum Teil schwerst und brachen danach ebenso unvermittelt in sich zusammen – als wenn sie sich schämten, wie einige der zu Schaden gekommenen Besitzer später erklärten . Nachdem sich solche Fälle häuften, klärte sich auf, dass die viele der betroffenen Tiere eine verwandtschaftliche Nähe aufwiesen. Später, Ende der 1990er Jahre und Anfang der 2000er Jahre wurden solche Fälle bei Golden Retrievern wie „Kurti“ bekannt, meistens bei besonders hellen Hunden mit großen, dem Kindchenschema entsprechenden Augen.

Nicht ganz so spektakulär, aber dafür umso fataler erging es „Lotte“, einer dreijährigen Australian Shepherd-Hündin aus einer „liebevollen Zucht mit Familienanschluss“, wie es so schön heißt. Weil die Liebe ja bekanntlich überall hinfallen kann, war „Lotte“ das Ergebnis einer Verpaarung zweier eng miteinander verwandter Hunde der Familie.

Als Andenken dieser Liebesbeziehung behielt „Lotte“ eine Degenerierung der Speiseröhre zurück, sprich das Gewebe war an einer Stelle geschwächt, so dass sich Nahrung und Wasser dort sammelten. In der Folge bekam „Lotte“, wenn sie etwas fressen oder trinken wollte, Erstickungsanfälle und verlor schließlich das Bewusstsein.

Es ist von Glück zu sprechen, dass „Lottchen“ bei einer verantwortungsvollen Tierärztin vorgestellt wurde, die das Argument, der Hund hätte ja drei Jahre damit überlebt, nicht gelten ließ und dieser abscheulichen Qual ein Ende setzte.

Trotz solcher Kollateralschäden erfreuen sie die Aussies der „Züchterin“ großer Beliebtheit und so habe ich in der letzten Zeit so manche Exemplare kennengelernt, die aus der „Zuchtstätte“ stammen. Immerhin sind sie wunderhübsch und neben der Inzuchtschäden auch mit dem Merle-Gendefekt ausgestattet, der sie so lustig bunt aussehen lässt.

Laut der Universitätsklinik in Leipzig sind heute ungefähr 500 Erbkrankheiten bei unseren Rassehunden bekannt.

Ein Großteil davon hängt damit zusammen, dass Äußerlichkeiten bei der Zucht eine völlig übergeordnete Rolle spielen, während altmodische Tugenden wie „Wetterhärte“, „Leichtfüttrigkeit“ und „Langlebigkeit“ in den Hintergrund gerückt sind.

Selbst Hunde, die eigentlich auch heute noch für einen klaren Auftrag gezüchtet werden, bekommen einen Rassestandard aufgedrückt, in dem festgelegt wird, wie der Hund auszusehen hat. Als ob es irgendeine Bewandtnis für ein Schaf hätte, wie der Border Collie aussieht, der es gerade über die Koppel treibt.

Wie kann es sein, dass immer mehr Schäfer darüber klagen, dass ihre Hunde den Anforderungen des Arbeitsalltags nicht mehr gewachsen sind? Wie kann es sein, dass sich der Harzer Fuchs seit einiger Zeit einer immer größer werdenden Fanschar erfreut und gleichzeitig die ersten Fälle von Epilepsie bei den Hunden auftauchen?

Ein Bekannter von mir züchtet Französische Bulldoggen, die er eigentlich nicht so nennen darf, weil sie richtige Nasen haben. Sein Argument, dass es ihm wichtiger sei, dass seine Hunde frei atmen könnten und alle Freuden eines richtigen Hundeleben geniessen können, kam bei seinem Verein nicht gut an, so dass er ihn verlassen musste und nun ohne Papiere züchtet.

Seinen Welpenkäufern ist das derweil egal, sie freuen sich über pfiffige und robuste kleine Hunde. Seinem ehemaligen Verein ist das nicht egal und so wird er als „Vermehrer“ beschimpft. Ein Blick auf seine Hunde, die auch im Sommer über die Wiese toben können und keinen Fahrradkorb brauchen, um bei einer längeren Radtour mithalten zu können, hilft dabei, die Begrifflichkeiten in ein anderes Licht zu rücken.

Auf internationalen Ausstellungen werden Hunde zu Siegern und damit zu wertvollen Vererbern für unzählige Nachkommen gekürt, die kaum in der Lage sind zu atmen, ohne Hilfe durch den Showring zu gehen oder ständiger Kühlung bedürfen, damit sie in der Halle nicht kollabieren. Und ihre Nachkommen wiederum sind allesamt Halbgeschwister. Die hiermit verbundene Verkleinerung des Genpools stellt einen weiteren Grund dafür dar, warum nahezu wöchentlich neue Erbkrankheiten bekannt werden.

Und während Frau P. um ihre „Yvette“ trauert und mir am Telefon erzählt, wie sehr sie es ärgere, wie die Krankheit von Züchtern und Verbänden immer noch verharmlost und verheimlicht wird, schaue ich „Pugsley“ an, meine Deutsche Dogge, und muss froh sein, dass er für sein Alter noch so gut drauf ist.

Denn am Ende sind wir alle Kinder dieser Zeit. Und eine Bulldogge sieht einfach unglaublich süß aus. So lange man nicht zuhören muss, wie das arme Tier um Luft ringt. Während sich Züchter, Zuchtverbände und besonnene Tierärzte darüber in den Haaren liegen, ob es sich bei den Tieren nun um eine Ikone oder um eine Qualzucht handelt, wird eine Studie veröffentlich, nach der die Hälfte der vorstellig gewordenen kurznasigen Hunderassen regelmäßig nach dem Fressen umfällt.

Als ich „Pugsley“ kaufte, war ich begeistert von den sensiblen Riesen und mir war sogar klar, dass die Lebenserwartung Deutscher Doggen geringer ist als die anderer, kleinerer und genetisch variablerer Rassen. Mein Irrtum lag darin zu glauben, dass mein Hund einfach früher altert. Das er nie wirklich gesund war, musste ich im Laufe der Zeit lernen.

Mit den Jahren wird man ja schlauer. Und obwohl ich auch heute noch Doggen-begeistert bin, wird „Puglsey“ die einzige bleiben, mit der ich mein Leben teile.

Denn am Ende unterstützen wir alle – und ich mit „Pugsley“ sowieso – eine ganze Industrie, die es garnicht gäbe, wenn unsere Rassehunde gesund wären.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde, die nie geboren geschweige denn gezeugt worden wären, wenn es nicht die künstliche Befruchtung und die Möglichkeit der Kaiserschnittgeburt gäbe.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde aus, die Spezialfuttermittel benötigen, um ein einigermaßen erträgliches Leben führen zu können.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde aus, die wir vor Wärme, Kälte und Feuchtigkeit schützen müssen, damit sie nicht sterben.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde aus, die ohne schlechtes Gewissen und in purer Absicht krank gezüchtet werden, weil genau diese Krankheit dem Ideal der Rasse entspricht.

Der Gewinner des Spiels ist die Industrie: Die Züchter und Zuchtverbände, die trotz „Pedigree Dogs Exposed“ und anderen immer noch die Augen vor dem Problem verschließen. Und die Tierärzte, die Futtermittelhersteller und die Pharmaindustrie, die Milliarden mit den Hunden umsetzen und trotz ihrer unbestrittenen Macht schön den Ball flach halten, um ihre Gewinne nicht zu gefährden.

Verlierer sind die Hunde, die oft trotz aller Liebe und Fürsorge ein Leben führen, welches zumindest im Graubereich der Tierschutzrelevanz stattfindet.

So muss ich, so müssen wir uns die Frage stellen, ob wir Hunde brauchen, die auf Gedeih und Verderb ins Extreme gezüchtet werden.

Brauchen wir Hunde, die so klein sind, dass sie sich den Schädel brechen, wenn sie vom Sofa fallen? Brauchen wir Hunde, die in ihrem ersten Lebensjahr das 200-fache ihres Geburtsgewichtes zunehmen? Brauchen wir Hunde, die nicht in der Lage sind, sich alleine fortzupflanzen oder ohne Hilfe ihren Nachwuchs auf die Welt zu bringen? Brauchen wir Hunde, deren Schönheitsideal ein offener Rücken ist? Brauchen wir Hunde, denen so viel Fell angezüchtet wurde, dass sie nicht mal mehr kacken können, ohne dass man sie danach baden muss? Hunde, die kein Fleisch mehr vertragen? Die nicht mehr bellen können? Die immer und ständig entzündete Augen haben? Die mit ihrem Bauch immer auf dem Boden schleifen? Die nicht mehr in der Lage sind, mit Artgenossen zu kommunizieren?

Wir sollten uns ernsthaft fragen, wie es heute noch möglich sein kann, dass immer noch ein Markt für diese Hunde existiert. In Zeiten von Internet und Smartphone kann sich jeder immer und überall informieren. Überall kann man von der Macht des Konsumenten lesen, wir haben es in der Hand, bestimmte Rassen einfach nicht mehr zu kaufen.

Die Züchter zu unterstützen, die Wert auf Gesundheit und ein ausgeglichenes Wesen legen und diejenigen abzustrafen, deren einziges Ziel es ist, vermeintliche Schönheit zu vermehren. Sollen diese Unmenschen doch auf ihren Hunden sitzen bleiben.

Denn wenn sich rumspricht, dass den Menschen Gesundheit wichtiger ist als eine möglichst kurze Nase, dann werden sich die Rassen verändern. In dem Moment, in dem es ans Eingemachte geht, werden Frischbluteinkreuzungen plötzlich kein Problem mehr sein, dann werden innerhalb kurzer Zeit die Nasen länger, das Fell kürzer, die Riesen kleiner und die Zwerge größer.

Bis dahin bin ich froh, dass Pugsley noch so fit ist.