Der „Geldmach“-Trieb

Hierzulande gibt es ja in etwa so viele Hundeschulen wie es Pizzabuden gibt. Ein bedeutender Unterschied zwischen dem Anbieter von Hundetraining und dem von Pizza ist jedoch, dass man in Falle des Zweiteren spätestens dann bemerkt, dass die Qualität nicht ganz so super war, wenn man die Nacht auf dem Klo verbracht hat. Im Falle der Hundeschule dauert das meistens länger.

Doch das soll sich nun ändern. Denn mit der Novellierung des TierSchG müssen endlich auch solche Menschen ihre Sachkunde nachweisen, die Menschen auf der Hundewiese Ratschläge gegen Geld geben. (Ich würde mir ja auch eine Sachkunde für Menschen wünschen, die ungefragt Ratschläge auf der Hundewiese geben …)

Das finde ich gut, denn viel Ungemach könnte verhindert werden, wenn es für Hundetrainer so etwas wie einen Minimalstandard geben würde. Das wurde zwar oft versucht, aber auf Grund der speziellen Herzlichkeit zwischen den verschiedenen Hundetrainerausbildern hat es nie so recht geklappt.

Zwar kann man sich zum Beispiel von den Tierärztekammern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zertifizieren lassen, aber die schon Bundestierärztekammer scheint dem Braten selber nicht zu trauen und empfiehlt lieber den Gang zum Tierarzt.

Viele Kolleginnen und Kollegen sind erstmal ratlos, was da auf sie zukommt, was auch kein Wunder ist.

Schließlich wissen die Veterinärämter in Moment selber noch nicht, wie die Sachkunde umgesetzt werden soll. Auf Beamtendeutsch heisst es schön, dass „es noch keinen Handlungsleitfaden“ gäbe und man hört schon munkeln, dass es auch mit dem 1. August 2014, an dem das Gesetzt greifen soll, etwas knapp werden könnte.

Dieser Umstand wiederum hält einige Anbieter von Fortbildungen im Hundebereich nicht davon ab, kräftig die Werbetrommel dafür zu rühren, dass sie besorgte Hundetrainer/innen – natürlich gegen Zahlung eines entsprechenden Beitrages – auf die Sachkunde vorbereiten.

Wohlgemerkt auf die Sachkunde, von der noch keine Sau weiß, was genau abgefragt wird. Das nenne ich Service.

Ein paar Veterinärämter befeuern das Ganze noch, in dem sie – quasi weil sie auch noch nichts wissen – schonmal den einen oder anderen Anbieter empfehlen. Schliesslich machen die was mit Hunden, also muss das ja irgendwas mit den Ergebnissen zu tun haben, die dann irgendwann folgen.

Halten wir also fest, dass man viel Geld für Workshops, Seminare etc. ausgeben kann, ohne dass irgendjemand zum jetzigen Zeitpunkt abschätzen könnte, welchen Inhalt diese Veranstaltungen haben müssen, damit sie weiterhelfen.

Soweit, so gut und obendrein merkwürdig, dass sich ein paar Behörden vor den werblichen Karren von wirtschaftlich orientiert arbeitenden Unternehmen spannen lassen.

Apropo wirtschaftlich orientierte Unternehmen.

In Deutschland gibt es – auch wenn man das oft nicht glauben kann – eine strikte Trennung zwischen Wirtschaft und Staat. Aus diesem Grunde verfügt jede Branche, die etwas auf sich hält, über Lobbyisten, die versuchen, der Politik die Interessen ihrer Auftraggeber unterzujubeln. Kommt heraus, dass ein Politiker oder ein Beamter ein Unternehmen begünstigt, gibt es massiven Ärger für den Betreffenden

Das wiederum heißt im Klartext nichts anderes, als dass es den Veterinärämtern herzlich egal sein wird, wo man sein sauerverdientes Geld hingetragen hat, um sich möglichst umfassend fortbilden zu lassen.

So wertvoll und wichtig es ist, sich weiterbilden zu lassen, so wenig wird es einem weiterhelfen, wenn es darum geht, die Sachkunde zu erhalten, wenn man seinem Amtsveterinär sein Zertifikat oder was auch immer vor die Nase hält.

Auch das ist gut, schließlich kann es nicht Sinn der Sache sein, mit der Umsetzung eines Gesetzes irgendeiner Firma zu Reichtum zu verhelfen. Außerdem kann die Qualität eines Hundetrainers nicht daran festgemacht werden, ob er oder sie ein paar Tausend Euro für eine Fortbildung übrig hatten oder nicht.

Insofern werden demnächst einige gute Kolleginnen und Kollegen stolz ihre Sachkunde in Händen halten, obwohl sie nie die finanziellen Mittel oder die Zeit zur Verfügung hatten, teure Ausbildungen zu absolvieren.

Auf der anderen Seite werden wohl auch einige ganz schön fluchen, denn während sich die verschiedenen Hundetrainerausbilder in Villariba noch darum prügeln, welches Zertifikat denn nun der heilige Gral des Hundetrainngs ist, wird in Villabacho schon dem mittlerweile wertlosen Papier hinterhergeheult, weil es nicht anerkannt wird.

In Anbetracht der Flut von zweifelhaften Angeboten, panischen Rundmails und ellenlanger Diskussionen bei Facebook kann ich nur eines empfehlen:

Immer locker durch die Hüfte atmen!

Die allermeisten Veterinäre sind umgänglich und – auch wenn so mancher Tierschützer das anders sieht – sehr engagiert. Wenn man also einen guten Job macht und mit seinen Ansprechpartnern vernünftig umgeht, hat man auch nichts zu befürchten. Und für eine wie auch immer geartete Prüfung fortbilden lassen kann man sich immer noch, wenn es soweit ist

Andernfalls, wenn es mit der Sachkunde nicht klappt, ist es vielleicht besser, wenn man sich eine andere Tätigkeit sucht.

Fataler Doppelbesatz (3)

Nachdem ich mich zunächst mit der Geschichte von Frau Ertel und einigen – meiner Meinung nach – fragwürdigen Ansichten und Regeln für das Zusammenleben mit dem Hund auseinandergesetzt habe, möchte ich mich in diesem dritten Teil mit vermeintlichen Beweisen und den Menschen beschäftigen, die die Rudelstellungen betreiben.

Zur Zeit erleben die vererbten Rudelstellungen so etwas wie einen Hype, was zum Einen daran liegt, dass die Hundeflüstererin Frau Nowak diese Philosophie in der gleichnamigen Sendung vertritt.

Zum anderen wird im Moment von Seiten der Rudelstellungsverfechter gerne auf eine Studie verwiesen, die den vermeintlichen Beweis antreten soll, dass die vererbten Rudelstellungen wissenschaftlich belegbar sind.

Die Studie mit dem schönen Namen „Leadership and Path Characteristics during Walks Are Linked to Dominance Order and Individual Traits in Dogs“ kann im Internet nachgelesen werden und ist leider nur auf Englisch verfügbar.

Die Wissenschaftler haben mittels GPS-Daten Bewegungsmuster einer Hundegruppe bestehend aus 5 Vizslas und einem Mix sowie ihres Besitzers bei 14 Spaziergängen zwischen 30 und 40 Minuten erstellt und dabei gut 800.000 GPS-Punkte gesammelt.

Um die Persönlichkeiten der Tiere zu quantifizieren bedienten sich die Forscher zum einen des sogenannten „Dog Personality Questionnaire“ und des „Dominanz-Fragebogens“ aus der Studie „How does dominance rank status affect individual and social learning performance in the dog (Canis familiaris)?„.

Sehr viel Arbeit also, doch allein die Tatsache, dass es sich bei den Erforschten um exakt eine Gruppe von Hunden handelt, lässt vrmuten, dass es den Wissenschaftlern nicht um die Rudelstellungen gegangen sein kann.

Meiner Meinung nach beschreibt diese Arbeit – grob zusammengefasst – lediglich das, was eigentlich alle wissen, nämlich dass Hunde hochindividuell und anpassungsfähig sind und dass es unterschiedlichste Persönlichkeiten mit ihren jeweiligen Eigenarten gibt. Hierbei gibt es „Führungspersönlichkeiten“ genauso wie es Individuen gibt, die „folgen“.

Soweit sogut, mit vererbten Rudelstellungen hat die Studie meiner Meinung nach also nichts zu tun, aber ich bin ja auch kein Biologe.

Aber dafür eine gute Bekannte von mir, die so nett war und das Ganze auch noch mal hinsichtlich der vererbten Rudelstellungen durchforstete.

Sie kam schließlich zu dem selben Schluß, nämlich das aus den Ergebnissen der Studie nicht auf die Theorien der vererbten Rudelsstellungen geschlossen werden kann.

Soweit zur Theorie, aber es gibt ja unzählige Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht wissenschaftlich erklärbar sind.

Daher bleibt als Bewertungsgrundlage nur das, was die Verfechter der vererbten Rudelstellungen von sich geben, wenn sie Hunde einschätzen. Vor einigen Jahren hätte ich einmal beinahe selber das Vergnügen gehabt, unsere eigenen (Tierschutz-)Hunde bei Frau Ertel persönlich einschätzen lassen.

Dazu ist es jedoch nicht gekommen, dafür hatte ich ich vor knapp zwei Jahren mal die Gelegenheit, der Präsentation einer Rudelstellerin zu lauschen, zudem sind einige Menschen in meinem Freundeskreis das Wagnis eingegangen und haben ihre Hunde einschätzen lassen.

Als dritte Quelle dient mir das Forum auf Frau Ertels Internetseite, allerdings muss ich gestehen, dass ich keinen Zugriff mehr darauf habe. Verständlich, denn was man dort noch vor garnicht langer Zeit, bevor es Beschränkungen gab, so lesen durfte, war schon interessant.

Fazit: Man muss sich darauf einlassen – sozusagen sind die Rudelstellungen dei Globuli unter den Hundeerziehungsmethoden.

Die in verschiedenen Berichten genannte „Hundetauschbörse“ gab es zu dem Zeitpunkt – also vor ca. 2 1/2 Jahren –  tatsächlich, die zumeist weiblichen Nutzer schienen immer auf der Suche nach dem perfekten „Rudel“ zu sein. Da wurde mal hier ein Hund ausprobiert, da wurde mal da ein Hund eingeschätzt. Und wenn es nicht funktioniert hat, wurde er wieder abgegeben.

So war das Argument FÜR die Einschätzung von Tierheimhunden durch Frau Ertel auch, dass den Mitgliedern quasi egal wäre, welche Rasse oder welches Alter der Hund hätte, so lange er die gesuchte Position im Rudel einnehmen würde.

Das dem nicht so ist, konnte mir eine befreundete Tierheimleiterin bestätigen, bis Dato wurde bei ihr noch kein Hund vermittelt, weil er ein MBH oder sonstiges wäre.

Abgesehen davon, aber das ist meine persönliche Meinung, finde ich es grenzwertig, einen Hund einzig und allein auf Grund seines vermeindlichen Nutzen für ein nicht funktionierendes „Rudel“ anzuschaffen.

Mindestens genauso grenzwertig fand ich die Diskussionen, wenn es mit dem perfekten Rudel nicht so klappte.

Natürlich hat jeder das Recht, in einem persönlichen Forum die Regeln für die Streitkultur selber festzulegen, zusammengefasst wurden Kritikerinnen relativ schnell mit dem Stigmata der Ahnungslosigkeit belegt und ihnen – da isses wieder – unterstellt, dass sie sich nicht „einliessen“. Was auch immer das bedeuten mag.

Außerdem wurde immer gerne das Argument vorgebracht, dass die armen Hunde in ihrer wahren Persönlichkeit eingeschränkt würden und deshalb nicht ihrer Rolle gerecht werden dürften.

Nun leben wir in einer Welt, in der Hunde bestimmten gesellschaftlich aufoktruierten Regeln zu folgen haben. Da diese Regeln zumeist nicht viel mit den Vorstellungen unserer Hunde gemein haben, müssen wir sie wohl oder übel erziehen.

Und selbst in dem Moment, in dem wir versuchen nicht auf sie einzuwirken, tun wir es trotzdem. Frei nach dem ersten Axiom von Paul Watzlawick kann man nämlich nicht nicht kommunizieren, selbiges gilt für unseren erzieherischen Einfluss auf unsere Hunde.

Selbst wenn wir unseren auf Grund eines Fehlbesatzes an der Leine pöbelnden Hund einfach nur festhalten, haben wir uns schon eingemischt.

Aber man muss sich nunmal darauf einlassen. Und das ist genau mein Problem.

In einer Zeit immer neuer Methoden, die das Zusammenleben mit unseren Hunden erleichtern sollen, habe ich mir angewöhnt, erstmal zu hinterfragen.

  1. Auf welchen Studien, Quellen, Dissertationen etc. beruht eine Theorie?
  2. Werden die Ergebnisse durch andere Studien unterfüttert?
  3. Werden die Studien etc. vollständig wiedergegeben oder wird da was verschwiegen?
  4. Sind die Ergebnisse wiederholbar?

Im Falle der vererbten Rudelstellungen reicht eigentlich die Beantwortung einer der Fragen aus, um zumindest skeptisch zu werden.

Zumal die Einschätzungen nicht belastbar sind und im Zweifelsfalle auf die – störende – Einmischung des Menschen verwiesen wird. Allein die Tatsache, dass Hunde wieder abgegeben werden, obwohl sie per Einschätzung perfekt in die Gruppe passen müssten, zeigt doch, dass ein Sozialverband wesentlich komplexer ist, als dass man in in sieben Positionen unterteilen könnte.

Und wenn Frau Nowak einem völlig überforderten Besitzer eines ungebremsten Junghundes die Anschaffung eines zweiten empfielt, muss das schon als verantwortungslos bezeichnet werden.

Dennoch gibt es einige Menschen, die daran glauben, dass die Rudelstellungen tatsächlich funktionieren und ihre Meinung durch nichts, aber auch garnichts in Wanken bringen lassen.

Dabei ist die Einschätzung von Hunde-Persönlichkeiten sehr hilfreich, wenn es zum Beispiel darum geht, eine Gruppe im Tierheim zusammenzustellen. Doch wäre doch die Vorgehensweise, erst den Hund einzuschätzen und im Anschluss anhand der Ergebnisse individuell der Gruppe entsprechend ein Soziogramm zu erstellen.

Mit dem Ergebnis, dass Hund A beispielsweise in dieser Konstellation eine bestimmte Rolle einnimmt, in einer anderen aber vielleicht eine völlig andere. Warum man erst den Schuhschrank baut und dann versucht, die Schuhe da rein zu stopfen, erklärt sich mir nicht.

Sehr wohl verstehen kann ich indes, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, Hilfe zu erfahren, dass sie verzweifelt sind und vielleicht sogar Schuldgefühle in sich tragen.

Und im Bereich des Seelestreichelns sind die Rudelstellungen unschlagbar. Denn wenn es unter den Hunden nicht klappt, dann liegt das nicht an fehlenden Management-Qualitäten des Halters, sondern an der ungünstigen Konstellation des Rudels.

Nicht nur, dass der Mensch aus seiner Verantwortung heraus entlassen wird, nein, im Falle der Rudelstellungen ist das Entziehen der eigenen Persönlichkeit sogar ausdrücklich erwünscht.

Fragen, die sich jeder Mehrhundehalter stellt, nämlich ob ein Hund vielleicht zu kurz kommt und wie man allen gerecht werden kann, können beruhigt vergessen werden.

Laut Frau Ertel und anderen Rudelstellerinnen tut menschliche Fürsorge den Hunden nämlich garnicht so gut, wie wir denken – ganz im Gegenteil, sie hindert die Vierbeiner in ihrer Entwicklung.

Dass die Entwicklung unserer hochanpassungsfähigen Hunde in den letzten Jahrzehnten hin zu Sozialpartnern, die ja auch züchterisch vorangetrieben wird, dabei ausser Acht gelassen wird, finde ich nicht unproblematisch.

Unter diesem Gesichtspunkt allerdings verstehe ich sehr gut, dass einige Menschen, die sich mit der Anschaffung mehrerer Hunde vielleicht übernommen haben, die vererbten Rudelstellungen für sich entdeckt haben.

Alle anderen aber, die verstehe ich nicht.

Die Hüte-Tussi

Es wird Frühling und das ist eigentlich gut. Nur habe ich ein kleines Problem – sein Name ist Barney und ist vor ein paar Wochen bei uns eingezogen. Barney ist ein Borderline-Collie mit ein paar kleinen aber uncharmanten Macken.

So zeigt er die ausgezeichneten Eigenschaften dieser tollen britischen Koppelgebrauchshunde. Fixieren, in Deckung gehen und blitzschnell losstarten. Nur eben nicht in den schottischen Hihglands an einer 1000-köpfigen Schafherde, sondern bei Autos, Radfahrern, Spaziergängern, ICEs und Rollerbladern. Und – diese Erfahrung haben wir heute gemacht – bei startenden Rettungshubschraubern, aber denen begegnet man ja nicht allzu oft.

Wenn Barney nicht gerade todbringende Fahrzeuge zu hüten versucht, frisst er für sein Leben gern – blöderweise sich selber. Aber naja.

All das ist nicht neu und jeder Hundetrainer, der sich mal mit Border Collies beschäftigen durfte weiss, dass Genie und Wahnsinn bei solchen Spezialisten oft eng beieinander liegen.

Das kriegt man hin und mittlerweile läuft es auch schon besser … Aber:

Mein Problem ist eher anders gelagert. Denn Barney hat die Eigenheit, dass er jeden noch so geringen Hauch von – nennen wir es Einwirkung – mit einem lautstarken Jaulen und Schreien quittiert.

Und ich schreibe nicht über körperliche Einwirkung, nein, es reicht, wenn Barney sich selber im Weg steht. Ein Beispiel:

Neulich war ich mit Barney beim Tierarzt. Als wir ins Wartezimmer kamen, berührte Barney mit einem Hauch von Fell die Tür und jaulte so laut auf, dass die Tierärztin aus dem Behandlungszimmer gestürmt kam, weil sie glaubte, dass jemand mit einem Notfall reingestürmt gekommen wäre.

Glücklicherweise kannte sie sich aus und sagte beruhigt: „Achso, ein Border Collie.“

Es wäre nicht so, dass Barney ein besonders feingeistiger und sensibler Hund wäre. Nein, das ist Masche. Und ich könnte wetten, dass ich schonmal beobachtet habe, wie er mich heimlich ausgelacht hat, als ich mich mal wieder rechtfertigen durfte.

Sähe Barney aber zum Beispiel einen Tennisball hinter einer Rolle Natodraht, so bin ich mir sicher, dass es ihm die Stacheln scheißegal wären. Wenn er etwas will, dann wird er stumpf wie ein Klischee-Labbi und rumpelt alles um. Zum Beispiel wenn es um Hündinnen geht, die entweder gerade läufig sind, es mal waren oder irgendwann werden. Oder um Rüden. Gucken die ihn auch nur böse an, schreit er übrigens auch wie angestochen und ergreift die Flucht, präventiv quasi. Nur um dann grad nochmal angedödelt zu kommen.

Nun ist Barney nicht ohne Grund bei mir. Denn meine Idee war es, dass er meine Schafe hüten soll. Immerhin entstammt er einer Arbeitslinie und zeigt sich prinzipiell auch interessiert an den Schafen. Naja, eigentlich vielmehr an dem, was die so ausscheiden.

Trotzdem habe ich ihn mitgenommen zu Tom, der Border Collies ausbildet und mich mit den Worten begrüßte: „Ist das eine Hündin?“ Damit war er nicht der einzige. ALLE halten Barney für eine Hündin, als ich neulich einen unserer Welpen dabei hatte, wurde ich auch prompt gefragt, ob Barney die Mutter wäre.

Pff, ich stelle mir vor, wie die Welpen an die Milchleiste wollen und Barney schreiend wegrennt, weil die Nasen so kalt sind.

Vielleicht liegt diese Verwechslung darin begründet, dass Barney ein bisschen, nunja, tussimäßig rüberkommt. So überkreuzt er immer die Beine, sogar wenn er Schafe hütet und ins „Lie Down“ geht. Weniger diplomatische Geister finden bei Anblick von Barneys „Style“ minderheitendiskriminierende Redewendungen, aber die gebe ich hier nicht wieder.

Es ist allerdings faszinierend, wie sich solche Hunde wie Barney in kürzester Zeit ändern, wenn sie einmal gemerkt haben, wofür sie mal gezüchtet wurden. Arbeitet er an der Herde sind ihm vorbeirasende Autos herzlich egal, können ganze Armadas von Roller Bladern an ihm vorbeiziehen und ernten maximal ein „Pfft“ von ihm.

Sind keine Ziegenartigen in der Nähe sieht das Ganze etwas anders aus.

Heute mittag ging ich mit Barney in einer auf Grund des schönen Wetters stark frequentierten Grünanlage spazieren. Um uns herum all die schönen Dinge, die man als „auslösenden Reiz“ bezeichnet. All die Radfahrer, Jogger, Nordic Walker, der startende Rettungshubschrauber – kurz, eigentlich alles, was sich bewegt, mal bewegt hat oder unter Umständen bewegen könnte. Barney würde die Kontinentalspalte hüten, wenn man ihn ließe.

Und natürlich die üblichen Hundebesitzer.

Mit einem Hund wie Barney in einem solchen Umfeld unterwegs zu sein, ist eh schon die Pest am Bein anspruchsvoll, ein einziges Gezerre, Gehechel und Gefiepe, nur unterbrochen von fürchterlichen Gejaule, weil so ein verdammter Grashalm es gewagt hat, Barney am Bauch zu kitzeln oder er mal wieder planlos ins Ende der Leine gerannt ist.

Dieses wiederum wird mit den düsteren Blicken aller Anwesenden gestraft, ich bin mir sicher, dass sogar der Blinde auf der Parkbank seinen Blindenführhund angewiesen hat, mich böse anzugucken.

Reglementieren? Hier? Bin ich bekloppt?

Das schöne an der Sache ist allerdings, dass man mit Barney jede noch so positiv arbeitende TsD-Fundamentalistin als elende Tierquälerin dastehen lassen kann, weil der gute selbst auf den sanftesten Geschirrgriff mit qualvollen Sterben reagieren würde.

Und so dauerte es auch nicht lange, bis mich die erste junge Frau anfauchte: „Wie könn’se nur so brutal mit dem Hund umgehen?“

Ich überlegte kurz und antwortete: „Sie machen sich Sorgen um den Hund? Machen Sie sich lieber Sorgen um meine Frau!“ Das hatte gesessen. Ruhe im Karton, danke an Schäfer Franz für den Tipp.

Trotzdem wünsche ich mir, dass es noch mal richtig kalt wird, so Minus fünf Grad wären gut. Zum einen wären dann weniger Leute unterwegs, Vor allem aber könnte ich mit Kaputzenpulli, Schal und Sonnenbrille einigermaßen entspannt die Mittagspause geniessen.

Ein Sack Frolic in China

Mann Mann Mann, ist Facebook heute wieder nervös.

Der Grund hierfür ist, dass „er“ kommt. Er, für die einen der Teufel persönlich, für die anderen der Messias der Hundeerziehung. Ja, genau, Cesar Millan kommt nach Deutschland!

Wahnsinn, „Leader of the Pack“-Tour 2014.

Vor meinem geistigen Auge stelle ich mir vor, wie der kleine Mexikaner mit seinem markanten breiten Grinsen hinter der abgedunkelten Bühne steht, während der Einheizer in lang gezogenen Worten ruft: „Laaaadiiiiies and the few Gentlemäään, here he is, the Leader, the Packleader, the one and onliiiiieeee, Ciiiiiiiieeeeesaaaaaaaar Miillaaaaaaaaaaaan!

Schier unendlicher Jubel bricht aus, die Scheinwerfer hüllen die Bühne in gleißendes Licht und Millan betritt zum Song „Eye of the Tiger“ umringt von einem Rudel Pitbulls die Bühne. Ach was, von wegen umringt, nein, auf einer Sänfte tragen sie ihn rein!

„Give me a Tschtt!“ ruft Cesar seinen Fans zu und die 45.000 Besucher antworten mit einem so lauten „Tscht“, dass alle Hunde im Umkreis von 100 Kilometern ins Platz fallen.

„Dis is wery gud enerdschi“ haucht der Meister ins Mikrofon und in den vorderen Reihen fallen die ersten Fans in Onmacht, während andere vor Erregung kreischend ihre Brustgeschirre auf die Bühne werfen.

Draußen vor der Halle hat sich derweil Widerstand formiert und eine Gruppe von Demonstranten aus der „Gegen Cesar Millan-Facebook-Gruppe“ versucht lautstark mithilfe speziell aufgemotzter Clicker die Veranstaltung zu stören.

Wenn mich jemand fragt, was ich von Cesar Millan halte, pflege ich zu antworten, dass ich ihn nicht kenne.

Das ist natürlich Quatsch, aber ich bin auch nicht blöd. Denn an Millan scheiden sich die Geister und man kann seinem Gegenüber ja nur „vor den Kopf gucken“, wie man in Duisburg sagt.

Und wehe, ich würde antworten „Och , der ist doch ganz unterhaltsam“ und gerate an die Falsche … eieiei, dann ist was los. „Elender Dominanzfuzzi, brutaler“, heißt es dann.

Antworte ich aber „Dieses ganze Energie-Gequatsche geht mir auf’n Sack und die komische Hundeleine, die er da verhökert, find ich scheiße.“ kommt sofort ein entschiedenes „Aber er traut sich an die bösen Hunde ran und überhaupt, endlich mal einer, der zeigt, dass es ohne Huschibuschi klappt“.

Dabei ist die ganze Diskussion dermaßen albern, dass es quietscht.

Denn fragt man einen normalen Hundebesitzer, ob er Millan bzw. den „Hundeflüsterer“ kennt, bekommt man im Normalfall zur Antwort: „Habbich noch nie gehört, aber den Rütter, den kenn ich.“

Ist ja auch kein Wunder, die Sendung läuft auf einem Nischensender, auf SIXX, von dem die meisten genauso wenig gehört haben wie von Millan. Den kennt außerhalb der Peer-Group keine Sau.

Und das ist auch nicht schlimm, denn der Typ wohnt in den USA, einem Land, in dem es einer Revolution gleich kommt, wenn jemand seinen Hund Gassi führt. Einem Land, in dem man Teletakts (sogenannte E-Collars) in jedem Zoogeschäft bekommt.

Die Beziehung der Amis zu ihren Hunden ist in großen Teilen mit der hierzulande garnicht vergleichbar. Wenn eine US-amerikanische Autorin empfielt, mit dem Hund Auto zu fahren, dann tut sie das deshalb, weil drüben nur die wenigsten ihren Hund ausführen. Autofahren statt Gassi – auch eine Form der Auslastung. Wenn sich irgendwelche deutschen Lalas über die Laufbänder in der Sendung aufregen, dann sollten sie sich darüber im Klaren sein, dass man die Teile in den USA auch im Zoogeschäft kaufen kann.

Aber selbst wenn das alles irgendwie vergleichbar wäre – das, was die geneigten Fans und Hater zu sehen bekommen, ist ein 20-minütiger Zusammenschnitt, der so aufgebaut ist, dass es den Anschein erweckt, als wenn da einen Nachmittag lang trainiert würde und danach wär alles gut.

Wer sowas glaubt, der glaubt auch der Waschmittelwerbung, dass er gefahrlos Altöl in die Maschine kippen kann und die Tennissocken hinterher trotzdem strahlendweiß sind …

Die Anti-Cesaristen argumentieren derweil, dass Millan ein elender Tierquäler ist und bringen zum Beweis den Ausschnitt, in dem der Husky gewürgt wird.

Hab ich mir angeguckt.

Stimmt, das ist fast halb so brutal, wie die Dinge, die man jeden Sonntag auf konservativ geführten Hundeplätzen beobachten kann. Der Grund, warum sich über Millan empört wird, anstatt mal beim Gebrauchshundeverein Pleinpopelsdorf vorstellig zu werden und den Herren da die Stachler aus der Jacke zu prügeln, ist relativ klar.

Es könnte nämlich sein, dass man eine so ganz und garnicht virtuelle Antwort bekommt. Und soweit, dass man sich mit realen Tierquälern quasi von Angesicht zu Angesicht auseinandersetzen würde, geht die Tierliebe dann doch nicht.

So ist das. Man meckert gepflegt über die bösen Hundefänger in Rumänien und genießt derweil sein Billig-Hähnchen zu 1,99 € vom Aldi. Aber bitte nur die leckeren Teile, den schäbigen Rest exportieren wir nach Afrika und machen dort den Kleinbauern ihre Lebensgrundlage kaputt.

Das andere Extrem sind dann die Millan-Fans, ach was, die Jünger, die ihn schier anhimmeln und jedes Mal in Jubelrufe ausbrechen, wenn er auch nur einen Pups macht. Wandelnde Coverversionen, die in Millan’scher Schrankwandhaltung durch die Gegend stolpern und alles an“tscht“en, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Finde ich mindestens genauso fragwürdig wie die andere Seite.

Da wird anhand von Filmsequenzen eine Methodik übernommen, ohne die Hintergründe und Geschehnisse zu kennen, die nicht gesendet werden. Aber natürlich legt das Kamerateam ja auch besonders großen Wert darauf, das ganze unspektakuläre Drumherum zu zeigen und nicht den Moment, in dem der Köter in die Attacke springt. Hüstel …

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Hundeschulen, die damit werben, „nach Cesar Millan“ zu arbeiten. Aha, und wo haben die das her? Sind die alle in die USA gereist und haben beim Heiligen himself hospitiert?

Haben die Zertifikate, auf denen „Feel the Energy 101“ draufsteht? Wurde das „tscht“ geprüft? Mussten die alle das Grinsen üben? Und den mexikanischen Dialekt wegen der Credibility?

Oder schreiben die das etwa nur dahin, weil sie sich davon versprechen, mehr Umsatz zu generieren? Haben die das etwa nur aus dem Fernsehen?

Verrückt, als Kind habe ich jeden Sonntag die „Schwarzwaldklinik“ gesehen, später dann „Emergency Room“. Trotzdem habe ich bis heute noch keine Herz-Operation durchgeführt. Mach ich jetzt aber. Bypass-OP, aber „nach Brinkmann“.

Klar, bei meiner OP würden vermutlich die meisten draufgehen, schließlich kenne ich keine Details und könnte nur genauso cool und souverän am OP-Tisch rumstehen wie einst der Professor.

Könnte aber dem einen oder anderen „Nach Millan“-Hundetrainer auch passieren, wenn der nette Killerrüde von nebenan sich von der Schrankwand nicht beeindrucken lässt.

Wenn man mich fragt, geht es bei der ganzen Diskussion um Cesar Millan um etwas ganz anderes.

Wenn die Empörten wirklich wollten, dass keine Fellnase auf dieser Erde dermaßen böse behandelt wird, wie Millan es ihrer Meinung nach tut, dann wäre es doch klug, ihn nicht bei jeder Gelegenheit zu erwähnen und dem Teufel persönlich auch noch eine Bühne zu bieten.

Die meisten kennen den „Hundeflüsterer“ doch überhaupt nur, weil ihnen irgendwer erzählt, wie böse er ist. Wer guckt denn bitte freiwillig SIXX???

Aber, und da liegt das Problem. Wie will man denn seine Philosophie an den Hundehalter bringen, wenn man niemanden hat, von dem man sich distanzieren könnte? Dann bliebe ja nur, sein fachliches Können unter Beweis zu stellen. Nicht ganz einfach bei einer Methodik, die in erster Linie alles verbietet.

Fragt man die Konkurrenz, dann haben ALLE Hundetrainer, die im Fernsehen auftreten, eines gemeinsam. Die können’s  nicht. Rütter ist ein Weichei, Millan ein Tierquäler, Nowak hat eh den Knall nicht gehört und überhaupt.

Dabei sollten wir doch froh sein, dass es sie gibt.

Ohne Millan, Rütter und Co. wäre die Hälfte von uns arbeitslos. Wir sollten denen auf Knien danken, dass die ihre Nase jeden Sonntag in die Kamera halten. Ist doch großartig. Die kriegen den Shitstorm, wir kriegen die Kunden!

Dabei ist vollkommen irrelevant, ob da jemand nun eine PET-Flasche wirft oder Goethe rezitiert. Er macht Werbung. Für uns alle. Ohne die Fernsehprediger in Sachen Kynologie wäre es im Jahr 2014 noch völlig normal, seinen Hund einfach zu erziehen anstatt von Welpen- zur Junghundegruppe und von der Junghundegruppe ins Einzeltraining zu pilgern.

Und wenn jemand all das falsch nachahmt, was er da im Fernsehen gesehen hat – umso besser! Stammkunden!

Machen wir uns nichts vor.

Ob man Millan hasst oder liebt oder ob die Linde rauscht, interessiert niemanden. Wenn da so eine Wahnsinnige bei Facebook rumtrötet, dass sie „diesen Millan bis an ihr Lebensende bekämpfen“ wird, dann interessiert das genauso wenig, wie wenn jemand quasi per Reflex argumentiert, dass Huskies ja dem Meer entstiegen seien und Atmen deshalb überbewertet wird.

Der Mexikaner wird sich weder vor Verzweiflung von seinem Geldberg werfen noch wird er einen persönlichen Dankesbrief verfassen.

Das einzige, was wirklich interessiert, ist Quote. Sind die Marktanteile hoch genug, dann führt man uns B-Promis vor, die vor der jauchzenden Fernsehgemeinde Kakerlaken poppen.

Wenn der Millan morgen plötzlich auf rein positiv bestärkende Erziehungsmethoden umsteigt, dann entscheidet einzig und allein das Publikum, ob das der neue heiße Shice ist oder ob die Sendung schnellstmöglich abgesetzt wird.

Das kann man gut finden oder nicht. Aber welche persönliche Meinung wir über Hundeerziehungsmethoden haben, ist dabei völlig wumpe.

Bevor man sich über die armen Hunde beschwert, sollte man mal darüber nachdenken, was bei „DSDS“ mit jungen Menschen angestellt wird, die von der Jury zerteilt werden wie Schlachtvieh.

Und woher man das weiß.

Fataler Doppelbesatz (2)

Nachdem ich mich im ersten Teil mit der spannenden Geschichte Frau Ertels befasst habe, möchte ich mich nun mit den Rudelstellungen an sich und mit den Punkten befassen, die meiner Meinung in Frage gestellt werden sollten.

Gemäß der vererbten Rudelstellungen besteht ein „perfektes“ Rudel aus sieben Tieren, angefangen beim beim „Vorrang Leithund“, gefolgt von zwei Hunden, die als vorrangige Bindehunde (V1 und V2) bezeichnet werden. Eine zentrale Position nimmt der „Mittlere Bindehund“, dem zwei nachrangige Bindehunde und schließlich der „Nachrang Leithund“ folgen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, warum es ausgerechnet sieben Hunde sind und nicht etwa fünf oder Neun.

Versuche, Hunde zu kategorisieren gab und gibt es mehrere, vielleicht helfen diese Anordnungen weiter.

Günter Bloch zum Beispiel unterteilte seine „Pizza Hunde“ in A- und B-Typen, also in „neugierigere“ und „zurückhaltendere“ Exemplare. Auf der gleichnamigen DVD kann man beobachten, wie die Hunde anhand eines Tests mit einem unbekannten Objekt grob eingeschätzt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu wissen, dass die Ergebnisse lediglich als Anhaltspunkt für weitere Beobachtungen gelten konnten.

Andere Forscher lehnten sich bei ihren Kategorisierungen an die sogenannten BIG FIVE aus der Persönlichkeitspsychologie an, um Hunde einzuschätzen:

Die Faktoren Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit werden beim Big Five-Modell jeweils auf einer fünfstufigen Skala bewertet, so dass am Ende eine hohe Variablität von Persönlichkeiten stehen kann.

Die Problematik beim Big Five-Modell liegt schlicht darin, dass es sich hierbei um eine Methodik aus der Humanpsychologie handelt, während die A-/B-Typisierung lediglich eine grobe Unterteilung darstellt.

Auf jeden Fall unterscheiden sich die genannten Vorgehensweisen dadurch von den Rudelstellungen, dass sie keine Aussage hinsichtlich der „Qualität“ eines Sozialverbandes darstellen. Außerdem wird nicht unterstellt, dass ALLE Varietäten für ein „vollständiges“ Rudel vorhanden sein müssen.

Egal, welche Methode nun zum Einschätzen von Hundepersönlichkeiten angewendet wird. Mit sieben Kategorien kommt man nicht aus, dafür sind Hunde in ihrem Verhalten und im Bezug auf verschiedene Umweltreize einfach zu komplex.

Aber vielleicht ergibt die Zahl Sieben ja Sinn, wenn man sie mal googlet. Und siehe da, mythologisch betrachtet ist die Sieben eine ausserordentliche Zahl. So gibt es zum Beispiel das sogenannten „Blue-Seven-Phänomen“, weil viele Menschen bei der Wahl ihrer Lieblingszahl zwischen eins und neun die Sieben wählen und die meisten Blau als ihre Lieblingsfarbe angeben.

Die Woche hat sieben Tage, Schneewitchen hatte sieben Zwerge, es gibt sieben Todsünden, die Liste ließe sich ewig weiter fortführen. Mit Blick auf die Theorie, dass es sich bei den Rudelstellungen ursprünglich um ein geschicktes Geschäftsmodell von Herrn Werner handelte, macht eine solch mächtige Zahl Sinn. Aber das ist natürlich Spekulation.

Um sich der Thematik zu nähern, gibt es glücklicherweise ein Buch, um genau zu sein, ein „Standardwerk“, wie Frau Ertel auf ihrer Internetseite schreibt.

Wikipedia bezeichnet den Begriff als „Bezeichnung für Werke, in der Regel Lehrbücher, Handbücher oder Nachschlagewerke, über deren Inhalte innerhalb des jeweiligen Wissensgebiets ein breiter fachinterner Konsens besteht.

Insofern hat sie recht, denn ein zweites Buch zum Thema Vererbte Rudelstellungen konnte ich nirgends finden. Das Standardwerk mit dem schmissigen Titel „Der Verständigungsschlüssel zum Hund, Die vererbtgen Rudelstellungen der Hunde nach Philipp, Josef und Karl Werner (1810-1977), Ein anderer Blick auf die Sozialstruktur von Hunden“ ist im Verlag „Tredition“ erschienen, der sich auf sogenannte Self Publishing-Projekte spezialisiert hat.

Die Antwort auf die Frage, warum es sieben Tiere sein müssen, bleibt auch das Standardwerk schuldig. Dafür beschreibt es ausführlich die schlimmen Folgen für solche Rudel, die weniger oder – auf Grund des drohenden Doppelbesatzes – gar mehr Mitglieder als die erforderlichen sieben haben.

Diese Tiere haben laut den Expertinnen allesamt eine Verhaltensstörung auf Grund der fehlenden Rudelbestandteile oder wegen Fehl- oder Doppelbesatzes. Hervorgerufen wird diese Störung dadurch, dass die Tiere nicht ihrer erblichen, also genetisch bedingten Rolle nachkommen können.

An dieser Stelle möchte ich kurz einwerfen, dass die Frage nach erblichen und erlernten Faktoren einer Persönlichkeit eine gute Möglichkeit darstellt, heftigen Streit zwischen Forschern zu entfachen. Hier sind sich die Experten einig, dass in vielen Teilen große Uneinigkeit herrscht.

Daher möchte ich zumindest erziehungsbedingten Faktoren aus dem Weg gehen, in dem ich einfach einen Blick auf den Vorfahren unserer Haushunde werfe. Wenn man sich Wolfsrudel in freier Wildbahn anschaut, dann stellt man fest, dass es Tiere gibt, die alleine, als Paar, als Rudel zu dritt, zu viert oder wie zum Beispiel im Yellowstone-Nationalpark sogar in Sozialverbänden mit dreißig oder vierzig Tieren leben. Auch siebenköpfige Rudel gibt es selbstverständlich.

So wirklich gestört scheinen die nicht zu sein, wenn man den Wissenschaftlern glauben darf. Als ich mit Gerd telefonierte, warf dieser auch ein, dass die Umwelt- und die Lebensrealität von Wölfen eine Kategorisierung àla Vorderer Leitwolf garnicht zulassen würde. Oder um es kurz zu fassen: Stirbt der Mittlere Binde-Wolf fällt das Rudel nicht auseinander und beginnt auch nicht damit, sich gegenseitig zu zerfleischen.

Nun gut, hier geht es aber auch nicht um Wölfe, sondern um Hunde. Und idealerweise stellt man die Position innerhalb der Rudelstellungen anhand eines Welpenliegebildes fest. Je nachdem wie die Würmchen so drapiert sind, ergibt sich laut der Rudelstellungen die Position innerhalb des Rudels.

Hierbei werden Rudel in drei Kategorien unterteilt, die dritte Kategorie gilt in der Rudelstellungen-Welt als Super-GAU.

So schreibt Frau Ertel auf ihrer Website, dass nur ein Hund aus einem Wurf der Kategorien 1 und 2 in der Lage wären,

vom ersten Tag seines Lebens an auf dieser Welt professionalisieren und so seine innere Wesensfestigkeit erhalten. Dadurch wird und bleibt er für den Menschen und seine Artgenossen berechenbar.

Würfe der Kategorie 3 können dies nicht leisten und die Tiere verlieren vom ersten Tag ihres Lebens an die Chance zur positiven Entwicklung ihrer Gemeinschafts-, Kommunikations- und Selbstkorrekturfähigkeiten.

Was macht man denn nun mit einem Hündchen der Kategorie Drei? Ertränken? Zumal es garnicht so einfach ist, ohne Welpenliegebild zu erkennen, dass man beim Hundekauf rudelstellungstechnisch ins Klo gegriffen hat.

Denn:

Der Hund ist in der Lage, über Reparaturmechanismen und Ablenkungsverhalten dem Menschen zu suggerieren, dass die Welt für den Hund nach außen in Ordnung erscheint, weil das offene Zeigen von innerer Schwäche und fortschreitender innerer Zerstörung eine Angriffsfläche für stellungsstarke und strukturierte Hunde bietet.

Harter Tobak. Aber glücklicherweise gibt es ja Frau Ertel und ihre Mitstreiterinnen, die dem geneigten Hundehalter helfen.

Beim Zusammenleben mit einem der Hunde, die nicht in Kategorie 3 gehören, gilt es einiges zu beachten. Insbesondere die „Tabuzonen„, die je nach Position des Hundes zwischen 5 und 10 Meter betragen. Diese Tabuzonen dürfen nicht unterschritten werden, auch darf der Hundehalter nicht zulassen, dass sein Hund die Tabuzone anderer Hunde unterschreitet.

Ob dies nun bei 7,50 Meter passiert oder erst bei 4,90 Meter hängt von der Position des Gegenübers ab.

Dies bedeutet selbstverständlich auch, dass Hunde nicht spielen dürfen. Darauf, dass es gefühlt 1000 seriöse Untersuchungen über die Wichtigkeit von Spiel für Hunde mit Blick auf das Erlernen wichtiger sozialer Fähigkeiten gibt, möchte ich an dieser Stelle garnicht eingehen.

Dafür aber darauf, dass Frau Ertel wertvolle Tipps für diejenigen unter uns hat, die nicht in Alleinlage, sondern vielleicht in einem Wohngebiet wohnen.

Vorrang und Nachrang Leithunde lässt man immer so laufen, dass sie auf ihrer rechten Seite eine Hauswand oder ähnliches als Außengrenze haben. Der Mensch läuft auf Kopfhöhe oder vor der Kopfhöhe des Hundes so auf der linken Seite des Hundes, dass dieser durch den Körper des Halters von Fremdkörpern (entgegenkommenden Menschen und Hunden) abgeschirmt wird.

Überhaupt spielt der Mensch bei den Rudelstellungen eine große Rolle. Denn er muss aufpassen, dass er den Hund nicht dahingehend erzieht, dass sein Vorderer Leithund in seinem Tun beschränkt wird.

Dies ist dann auch einer meiner größten Kritikpunkte. Bei den Rudelstellungen tritt die Rolle des Menschen in den Hintergrund, da wir es hier ja immerhin mit vererbten Persönlichkeitsmerkmalen zu tun haben, die geschützt werden müssen und nicht versaut werden dürfen. In Anbetracht der Tatsache, dass wir es aber mit domestizierten Tieren zu tun haben und jeden Tag mit ihnen verbringen, halte ich dies für mindestens zweifelhaft.

Aber darauf gehe ich beim nächsten Mal ein.

 

Fataler Doppelbesatz (1)

Update 12. März 2014: Vielen Dank an den Polar-Chat für diesen Link. Hier nahm das Ganze seinen virtuellen Anfang.

Zur Zeit geht es heiß her auf den Hundewiesen der Republik. Grund hierfür sind die sogenannten vererbten Rudelstellungen. Frau Nowak ist es nämlich, die – vermutlich petitionsgebeutelt – seit neuestem medienwirksam darauf schwört.

Verständlicherweise fragen sich nun viele Hundebesitzer, was ihrer denn nun für einer ist, welche Position der geliebte Vierbeiner im „Rudel“ inne hat und ob es – im Falle einer Mehrhundehaltung – nicht vielleicht zu einem fatalen „Doppelbesatz“ komme, der unweigerlich dazu führt, dass es früher oder später knallt.

Gerade finden im Internet vor allem zwei kritische Artikel zur Thematik weite Verbreitung, die unterschiedlicher nicht sein könnten und gerade kreuz und quer durch Facebook & Co. geteilt werden.

In einem Artikel setzt sich Thomas Baumann sehr sachlich mit der Frage nach dem Doppel- bzw. Fehlbesatz auseinander, in einem anderen Artikel beschreibt eine Gastautorin der Webseite „An der Leine – Hundeleben in Hannover“ sehr emotional ihre persönlichen Erfahrungen.

Was ist also dran an der Theorie, dass anhand von Welpenliegebildern auf eine spätere Position innerhalb eines Sozialverbandes geschlossen werden kann? Was hat es mit dem „Doppelbesatz“ auf sich und handelt es sich bei den Verfechtern der vererbten Rudelstellungen tatsächlich um „Lakaien“, die einen „Guru“ anbeten oder ist das eine interessante „andere Sicht“ auf unser Zusammenleben mit dem Hund?

Fragen über Fragen, denen ich mich mal in Ruhe widmen möchte. Und anfangen möchte ich mit der Geschichte, die dahinter steckt.

Laut der Rudelstellungs-Expertin Frau Ertel liegen die Ursprünge ihrer Erkenntnisse schon einige Zeit zurück. So findet sich im Dog Forum eine Information mit Datum 27.12.2011:

Das Wissen über die vererbte Rudelstellung habe ich vor 42 Jahren von einem alten Mann gelehrt bekommen, anhand von neugeborenen Welpenwürfen zahlreicher Züchter die dieser Mann betreute.

Der „alte Mann“ hat zwischenzeitlich auch einen Namen, nämlich „Karl Werner“, der wiederum hat sein Wissen „1968-1969 weitergegeben an Barbara Ertel, die ausschließlich mit diesem Wissen ihre Hunde seit 1970 in strukturierten Rudeln und Teilrudeln gehalten hat“, wie man auf ihrer Internetseite nachlesen kann.

Nachweislich anhand von Dokumenten lebte seit 1844 die männliche Linie dieser Familie ausschließlich vom Verkauf arbeitsfähiger Rudel, die in ganz Europa an Adelhäuser verkauft wurden. Mit einem Teilwissen davon bauen bis heute spanische Meuteführer ihre Rudel auf.

Auf der Internetseite finden sich zwar allerhand Bilder von Familie Werner, zumeist mit Eurasiern und Chow Chows, die ich persönlich nicht unbedingt als „arbeitsfähige Rudel“ bezeichnen würde, die Dokumente, die den wirtschaftlichen Erfolg der Familie mit dem Verkauf eben dieser Rudel belegen sollen, bleibt Frau Ertel leider schuldig.

Aber vielleicht gibt es ja die „spanischen Meuteführer“, auf die Frau Ertel verweist. Da ich keinen persönlich kenne, habe ich zum Telefon gegriffen und meinen Freund Gerd Leder angerufen, der als Kynologe über ein schier unglaubliches Wissen verfügt und die Hundewelt wie kaum ein zweiter kennt.

Gerade mit Blick auf die Rehaleros, also die spanischen Meuteführer, musste Gerd schmunzeln und erklärte mir, dass Rudelstellungen oder ähnliches den Spaniern reichlich egal wären …

In Deutschland allerdings findet man in der Jägerschaft den Begriff des „Kopfhundes“, der grob zusammengefasst einen Hund beschreibt, der schon als Welpe im Vergleich zu seinen Wurfgeschwistern sehr „dominant“ auftritt. Vielleicht ein Hinweis, dass die Rudelstellungen unter Jägern bekannt sind? Im Forum von „Wild & Hund“ wurde mal darüber gestritten, ob es einen solchen Hund überhaupt gibt. Den Begriff Rudelstellungen sucht man jedoch vergeblich.

Aber wenn doch über Jahrzehnte hinweg arbeitsfähige Rudel in ganz Europa verkauft wurden, dann muss das doch irgendjemand mitbekommen haben. Da meine Suche im Internet erfolglos geblieben ist, habe ich mir gedacht, ich frage mal bei der Redaktion von „Wild & Hund“ nach. Immerhin erscheint das Magazin bereits im 120. Jahr und bedient ja die Zielgruppe der Familie Werner. Vielleicht hat Herr Werner ja mal eine Anzeige geschaltet, wer weiß.

Die erste Redakteurin konnte mir nicht weiterhelfen und hatte noch nie von Rudelstellungen gehört, mein zweiter Ansprechpartner war auch ratlos, gab mir aber die Kontaktdaten von einem Kollegen, der ein ausgewiesender Spezialist für das Jagdhundewesen sei. Dem wiederum habe ich eine E-Mail geschickt und bin mal gespannt wie seine Antwort lauten wird …

Mit ein bisschen Mühe finden sich im Internet ja noch weitere Anhaltspunkte über die Geschichte der Rudelstellungen. Auf der Internetseite von Helgas Hundeteam zum Beispiel findet sich das „Rudelstellungen-Infoheft“ im handlichen PDF-Format

Dort steht auf Seite 18 geschrieben:

Es ist leider nicht bekannt, woher das Rudelstellungswissen urspünglich stammt, wann und wie es entstand und wie weit verbreitet es einmal war. In der moderneren wissenschaftlichen Literatur ist es jedenfalls nicht vorhanden.

Vermutlich handelt es sich um rein praktisch angewandtes (Züchter-)Wissen. Sicher ist, dass das Wissen in der Familie von Karl Werner (1902-1977, ein Eurasierzüchter der ersten Stunde, Zuchtstätte „Pflänzerland“ im hessischen Niederwalluf) mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurde.

Mündlich also. Wenn man sich anschaut, wie komplex das Ganze ist, stellt man sich schon die Frage, wer sich das alles merken soll. Die dazugehörige Fußnote Numero 57 weist dann doch noch darauf hin, dass „es mindestens von Karl Werner handschriftliche Aufzeichnungen“ gegeben habe, die „aber leider verschollen sind“.

In Fussnote 58 findet sich erneut der Hinweis, dass

„(…) das Rudelstellungswissen erstmals von Familie Werner so detailliert beobachtet, beschrieben und angewandt, dass die Werners dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Berufszüchtern bzw. Hundeverkäufern hatten?
Teile des Rudelstellungswissen finden sich aber auch immer wieder bei anderen alteingesessenen Züchterfamilien oder z.B. bei traditionellen Meutehundführern in Spanien“

Das mit den spanischen Meuteführern hatten wir bereits. Aber was alteingesessene Züchterfamilien angeht, so kenne ich tatsächlich die eine oder andere. Die Familie unseres Futtergroßhändlers zum Beispiel, die züchtet bereits in der dritten Generation Deutsche Schäferhunde. Und als Kaufleute kennen die sich mit Wettbewerb aus. Und da ich eh Futter bestellen wollte, habe ich bei der Gelegenheit gleich mal nachgehakt.

Der Futterhändler konnte mit dem Begriff nichts anfangen, auch der Großvater der Familie hatte noch nie davon gehört, sagte mir aber zu, sich mal umzuhören. Zumal er jemanden kennt, der Eurasier gezüchtet hat. Eine heiße Spur? Auch hier darf man gespannt sein.

Vorausgesetzt, dass sich die Geschichte von Familie Werner tatsächlich so zugetragen hat und diese sehr erfolgreich „arbeitsfähige Rudel“ verkauft hat, so drängt sich mir eher der Gedanke auf, dass es sich hierbei vielleicht auch einfach um eine frühe Form des Marketings gehandelt haben könnte, mit dem Ziel möglichst viele Tiere an den Mann zu bringen.

Mitte des 19. Jahrhunderts kamen mit der aufkeimenden Industrialisierung auch erste kapitalisitische Ideen auf, und das Konzept, perfekt aufeinander abgestimmte Rudel quasi en Gros zu verkaufen, klingt erstmal schlüssig.

Weniger schlüssig erscheint die Tatsache, dass keiner der Mitbewerber von Herrn Werner mitbekommen haben soll, was sein Erfolgsrezept war. Dass die Rudelstellungen in den nunmehr über 150 Jahren, die seit 1844 vergangen sind Familiengeheimnis geblieben sein sollen klingt nicht sehr glaubwürdig.

Auch stellt sich die Frage, warum ausgerechnet Frau Ertel die Auserwählte war. Die Erklärung hierfür findet sich ebenfalls auf Seite 18 des Rudelstellungen-Infoheftes und klingt beinahe putzig.

Denn

eigentlich wollte Barbara Ertel damals nur einen Welpen von Herrn Werner kaufen – der wollte ihr aber nur dann einen geben, wenn sie sich bereiterklärte, von ihm (der keine eigenen Nachkommen und auch in der weiteren Familie niemanden mit Interesse an Hunden hatte) alles über Hunde zu lernen – Barbara Ertel war einverstanden

Das war also 1968. Herr Werner war damals schon etwas älter, nämlich 66 Jahre alt. Für die damalige Zeit muss der Gärtnermeister ein nahezu revolutionär liberaler Mensch gewesen sein. Trotz der Studentenproteste galten Frauen zu der Zeit nicht unbedingt als emanzipiert, gerade die Hundeszene war in den 1960er Jahren in erster Linie von Männern, und zwar von stockkonservativen Männern, geprägt.

Nun möchte ich Frau Ertel garnicht absprechen, dass sie Herrn Werner nicht mit Fachwissen und Charme derart beeindruckt hätte, dass er in ihr die einzig wahre Auserwählte für sein bis dato wie einen Schatz gehütetes Wissen erkannt hätte. Aber in den zeitgeschichtlichen Kontext passt die Geschichte vom jungen Mädchen und dem – immerhin sehr erfolgreichen – Züchter nicht.

Ein großes Problem der Rudelstellungen ist, dass es bis dato keine ernstzunehmende und objektive wissenschaftliche Untersuchung zu dem Thema gibt, obwohl sich vor einiger Zeit mal eine Ethologin sehr interessiert gezeigt hat. Auf Nachfrage sagte sie mir, dass sich die Gespräche im Vorfeld allerdings recht schwierig gestaltet hätten, so dass sie von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Abstand genommen habe. Schade.

Wenn man sich vor Augen führt, dass Herr Werner sein Wissen von 1968 bis 1969, also vor 45 Jahren, an Frau Ertel weitergegeben hat und die (hand-)schriftlichen Unterlagen leider verschollen sind, ist natürlich eh fraglich, inwieweit das Wissen einfach schon auf Grund der langen Zeit und der von Frau Ertel gemachten vielen Erfahrungen (Zitat aus dem Dog Forum: „Habe viele Bestätigungen in meinem Leben erhalten, durch die Beobachtung von verwilderten Streunerrudeln in Spanien, Rumänien, Bulgarien und der Türkei“) verwässert wurde und sich ihre Theorien mit dem Ursprünglichen noch decken. Überprüfen kann das keiner …

Aber das ist nicht weiter schlimm. Denn gute Hundeerziehung ist die, die funktioniert. Deshalb geht es im nächsten Teil auch nicht um die Geschichte der Rudelstellungen, sondern darum, ob die Theorie haltbar ist.

Hier gehts weiter zu Teil 2.

 

Das bisschen Wahnsinn (3)

Gestern war es, als ich im wohl letzten Raucherbüro Deutschlands saß und bemerkte, dass ich meine Zigaretten vergessen hatte. Das freute mich besonders, denn der Aufzug ist kaputt. Also, die dreieinhalb Stockwerke runter zum Auto, die Suchtmittel vor dem Kältetod retten.

In dem Bürogebäude, in dem ich arbeite gibt es auch ein paar Mieter, einer von denen hat sogar einen Hund, und zwar einen ziemlich unfreundlichen Pinscher, der den 5 Meter Flexileinenradius zu nutzen weiß und jedem, der sich ihm nähert zeigt, wo der Frosch die Locken hat.

Als ich das Treppenhaus betrat hörte ich denn auch schon den vertrauten Dialog zwischen überforderter Halterin und unerzogenem Hund. „Sammy, nein, lasses, nein, Sammy.“

Da ich schon ein paar Mal das Vergnügen hatte, das Dou Infernale live zu erleben, habe ich es vorgezogen, zu warten, bis sich die beiden zum Ausgang vorgekämpft haben.

Als endlich Ruhe herrschte bin ich also raus, rechts zu meinem Auto und da standen sie. Frauchen hing kopfüber im Müllcontainer und tat irgendwas. Nur nicht auf ihren Hund achten.

Sammy erkannte mich, knurrte kurz und kam mir Dank tiefenentspanntem Flexileinenkabel entgegengeflogen. Da ich kein Interesse an einem Besuch der Bad Homburger Notaufnahme hatte, hab ich ihm kurzer Hand eine geschallert.

Frauchen hat denn auch mal begriffen, dass da gerade etwas semioptimal läuft und versuchte mehr oder weniger ambitioniert, Sammy wieder einzufangen.

Leicht angesäuert sagte ich zu ihr, dass ein bissiger Hund an der Flexileine wohl eine Scheißidee wäre, wenn man damit nicht umgehen kann. Sie schaute mich mit an und erwiderte zu meinem Erstaunen: „Selber Schuld, man fasst auch nicht einfach fremde Hunde an.“

Kennt Ihr noch die Fernsehserie „Der unglaubliche Hulk“?

Ungefähr so fühlte ich mich in dem Moment, am liebsten wäre ich explodiert und hätte ihr die Flexileine um die Ohren gehauen. Und ihren Sammy zum Spielen auf die Autobahn gejagt.

Aber habbichnich. Stattdessen stand ich ziemlich verduzzt da und sagte nur verdattert: „Ich hab den nicht angefasst, ich dem eine geschallert, weil er mich beissen wollte.“

Das hörte Sammys Frauchen jedoch nicht mehr, den sie ließ mich einfach stehen und ging.

Als ich das F. erzählt habe, sagte sie: „Und heute abend erzählt sie ihrem Freund von dem Idioten, der einfach so den Hund angefasst hat.“ Stimmt wohl.

In meiner Phantasie läuft sie mir die Tage übern Weg und ich werde sie mit dem Auto überfahren. Und nach ihrer Logik werde ich sie danach anschnauzen. Selber Schuld, warum rennt man auch gegen parkende Autos.

Apropo Auto.

Unser Nachbar, Herr Piefke, kann Hunde ja nicht leiden. Was natürlich doof ist, wenn man unser Nachbar ist. Unsere Hunde haben das relativ schnell bemerkt und begrüßen ihn dem entsprechend unhöflich, wenn er mal wieder schlecht gelaunt am Grundstück vorbeiläuft.

Da Höflichkeit nicht so Piefkes Stärke ist und er sich auch schonmal gerne darüber beschwert, dass „da ein Hund fiept“, den außer ihm keiner hört, geht mir das relativ am Arsch vorbei.

Um den lieben Frieden zu wahren und da er eh immer relativ früh zur Arbeit fährt, warten wir im Normalfall ab, bis er weg ist und lassen die Bande danach zur allmorgendlichen Kuhfliegerei in den Freilauf.

Im Normalfall wie gesagt. Und heute war es eben nicht der Normalfall, so dass es zum Duell am Gartenzaun kam. Während unsere Hunde Herrn Piefke anschnauzten, schnauzte er zurück, um dann empört ins Auto zu stürzen und wild hupend die Straße runter zu fahren.

Nun sind wir ja eigentlich ganz verträglich, aber die Piefkes gehen mir fürchterlich auf den Senkel. Zum Einen behandeln sie andere Menschen wie Dienstboten und zum anderen mischen sie sich in Dinge ein, die sie einfach nichts angehen.

Dazu kommt, dass sie sich über alles und jeden beschweren. Sei es der Bauer, der Gülle fährt, der Nachbar, der seine Bäume fällt oder eben wir, die wir „fiepende Hunde“ haben.

Früher mal, als ich noch etwas „wilder“ war, hätte ich so etwas alttestamentarisch gelöst und Piefkes Hupe einfach demontiert und ihm als Zeichen guter Nachbarschaft in den Briefkasten gesteckt. Heute jedoch bin ich ja etwas ruhiger, man wird ja nicht jünger.

Deshalb machen wir das beste da raus und laden Herrn Piefke herzlich ein:

hupen

Prinzessin Spike

Wäre man bösartig, was wir ja alle nicht sind, dann könnte man behaupten, dass so mancher Hundebesitzer eine leicht verschobene Wahrnehmung hat, was seinen Hund angeht.

Zunächst sind da diese furchtbaren Verniedlichungen, die jeder ambitionierte Forenposter natürlich aus dem Effeff kennt.

Die alles um sich herum niederwalzende 45-Kilo-Dampframme heisst „Labbi“, der durchgeknallte, hysterisch kläffende Tapetenfresser ist ein „Hüti“, und das Tierchen, dass den Postboten gerade an den Zaun nagelt, ist ein kuscheliger „Scharki“, ein kaukasischer Owtscharka.

Dann gibt es noch „Howis“, „Rottis“, „Malis“, „Schäfis“ und „Listis“, also Hunde, die auf einer der unsinnigen Rasselisten stehen. Hierbei gilt es zu bedenken, dass ein „Listi“ seinen Spitznamen relativ schnell verlieren kann, zum Beispiel, wenn seine Besitzer in ein anderes Bundesland ziehen oder die zuständigen Politiker irgendwann zur Vernunft kommen. Dann wird fluchs aus dem „Listi“ wieder ein „Dogi“, ein Dogo Argentino.

Dann gibt es noch den „Ausi“, nicht zu verwechseln mit dem „Aussie“. Der nämlich ist ein Australian Shepherd, während ersterer aus dem Ausland gerettet wurde.

Bei anderen Hunden wiederum braucht es gar einen Beinamen, um die Zugehörigkeit zu klären: So gibt es Bullis in „French“, „English“, „Pit“ und von VW.

Wenn der Hund jemanden getackert hat, nennt man ihn dann allerdings nicht „Beissi“, sondern ein „Schildi“, weil es an der Schilddrüse liegen muss und nicht etwa am Unvermögen des Besitzers, ähm, ich meine natürlich des Besis, dem Köter, tschuldigung, dem „Köti“ klarzumachen, dass man nicht beisst, huch, ich meine zwickt.

Übrigens, bevor die arme Schilddrüse als Verursacher für allerlei Greueltaten des Hundes herhalten musste, war mal eine ganze Zeit lang der – vermutete – Hirntumor Hauptverdächtiger in Sachen die Wurzel allen Übels sein. Hat sich aber nie so richtig durchgesetzt.

Zum Einen, weil es wirklich seeehr selten vorkommt, dass tatsächlich ein Tumor Schuld daran ist, wenn ein junger ansonsten gesunder Hund zum Arsch wird, außerdem wird der Besi im Laufe der Jahre unglaubwürdig, wenn er sagt, „das ist ein ‚Tumi‘, der kann nichts dafür“.

Wenn der Besi und sein Labbi Langeweile (Frusti) haben, dann wird etwas unternommen, zum Beispiel „Obi“ oder „Agi“. Oder „Schutzi“ (Schutzhundesport) und für die ganz harten gibts dann „Mondi“ (Mondioring), und der „Ludi“ mit seinem „Kampfi“ veranstaltet „Hukis“ …

Und wenn der geliebte Vierbeiner mal kacken muss, dann macht er ein „Kacki“ oder noch besser: „Ein Drückerli“.
Für den echten Power-User ist all das natürlich Kokolores. Denn wer parallel bei Facebook, im Dogs-Forum, in der KS-Gemeinde und auf vier verschiedenen Tierschutzseiten unterwegs ist, der fasst sich kurz: Der HH geht mit seinem DSH in die HS, weil er ein LP hat, die Trainerin empfiehlt darauf hin Z&B, sowie FB nur auf der HW.

Aber noch mal zurück zur Eingangs erwähnten verschobenen Wahrnehmung.

Während Hunde früher Namen hatten, verfügen sie heute über so etwas wie eine Produktbeschreibung. Das ist praktisch, denn der andere Hundehalter muss den Hund gar nicht mehr sehen, alleine der Name reicht aus, um abzusehen, ob man sich besser vom Acker macht oder ob man bleiben darf.

Glauben Se nicht? Zwei Beispiele: Pepper und Emma – um welche Rassen handelt es sich?

Ruft man seinen Hund, dann ruft man nicht einfach einen Namen, nein, heutzutage teilt man der ganzen Hundewiese mit, wie kreativ, gebildet und gleichzeitig selbstironisch man doch ist.

Neulich habe ich mal einen Hund kennengelernt, der hieß „Lawan“. Zur Erklärung hiess es, dass es sich hierbei um einen Ritter aus einer Sage handeln würde. Laut Google heißt der arme Hund wahlweise wie ein schwedischer Fußballspieler, ein nigerianischer Politiker oder wie ein thailändischer Frauenname.

Herzlichen Glückwunsch!

Die meisten Hundebesitzer versuchen jedoch eher, etwas von der Aura ihres Hundes einzufangen. So hat der Ridgeback einen afrikanisch klingenden Namen, der mit etwas Glück gar nicht und mit etwas Pech mit „Mundfäule“ übersetzt werden könnte. Andere sind total witzig und nennen ihren Chihuahua „Brutus“ oder ihre Deutsche Dogge „Piccolo“.
Wiederum andere machen es sich leicht und gehen mit Rocky 3 Gassie, Rocky der Rotti, versteht sich.

Es ist aber auch kompliziert mit den Hundenamen. Schliesslich will niemand das Schicksal der umzähligen Luna und Paul-Besitzer teilen, die einen Hund rufen und fünf bekommen.

Überhaupt Luna, eigentlich ein toller Name, doch so verbraucht. Das ist wohl auch der Grund, warum mir in letzter Zeit so viele „Moons“ über den Weg laufen. Gleiche Bedeutung anderer Name. Ich plädiere ja für „Ay“, das heisst auch Mond, aber auf türkisch. Und klingt fast, wie das Geräusch, dass der Jogger macht, wenn „Ay“ ihn  durch den Stadtpark jagt. Dann ist „Ay“ übrigens ein Jagi …

Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass derjenige, der seinen als erstes „Luna“ genannt hat, sich bis heute darüber ärgert, dass er sich den Begriff nicht hat schützen lassen.

Überhaupt muss ich bei manchen Hundenamen, die mir so begegnen, an Johnnie Cash denken. „A Boy named Sue.“
So stelle ich mir vor, wie so manche Hunde von ihren Artgenossen auf der Hundewiese ausgelacht und gehänselt werden, jedes Mal wenn ihr „Frauli“ sie ruft, weil sie jetzt zum „Obi“ müssen. So lernt man Frustrationstoleranz. Ganz einfach.

546 Argumente

Jeder Superheld hat irgendeine Schwäche, bei Superman war es Kryptonit, bei Siegfried, dem Helden aus der Nibelungensage war es ein Blatt, bei Achilles war es die Ferse und sogar K.I.T.T wurde einst mittels Elektrostrahlen außer Gefecht gesetzt.

Nur einer ist unverwundbar – außer Chuck Norris, mein ich. Nämlich unser SPL (Selbstmörderischer Paket Lieferservice)-Bote, der uns mit Hundefutter beliefert und augenscheinlich der festen Überzeugung ist, dass die gefühlten Zehn Schilder mit der Aufschrift „Vorsicht bissiger Hund!“ für ihn nicht gelten.

Mit schöner Regelmäßigkeit läuft er sehenden Auges ins Unglück und der einzige Grund, weshalb er noch nie gebissen wurde – außer seinen Superkräften natürlich – ist der, dass er immer irgendwie gerettet wird.

Mittlerweile hat sich in Sachen Warenanlieferung so etwas wie Routine eingestellt. Sobald der weisse Lieferwagen vorfährt, stürzen F. oder ich aus dem Haus und sehen zu, dass wir die Hunde wegsperren, bevor unser Held mit einer erstaunlichen Gelassenheit zwei Türen hinter sich lässt und dann samt Paket mitten im Freilauf steht.

Und bei jeder Lieferung erklären wir dem freundlichen Herrn, dass er bitte NICHT einfach aufs Grundstück kommt und das die Schilder durchaus ernstgemeint sind. Jedes Mal nickt er freundlich, murmelt „Sie müssen hier noch unterschreiben.“ und geht wieder. Beim nächsten Mal stürzt dann wieder jemand zur Rettung des Wahnsinnigen aus dem Haus.

Oder eben nicht. Denn heute morgen war es, als ich aus dem Badezimmer kam und die Meute zwecks Pinkeln in den Freilauf scheuchen wollte – nicht wissend, das ein weisser Lieferwagen vorm Haus parkte. Alle Hunde sortiert, Haustür auf und da stand er, der SPL-Mann mit unserem Paket.

Wie er es geschafft hat, von den Hunden unbemerkt über das ganze Grundstück bis zur Haustür zu gelangen, ist mir ein Rätsel, vielleicht war es auch ganz anders.

Tacker: „Da kommt die Sau.“
Aleo: „Jetzt alle schön leise sein.“
Peggy: „Ok, ich fang an zu fiepen, dann denkt Normen, dass ich pinkeln muss.“
Afra: „Guter Plan, harhar.“
Isa: „Häh?“
Reggae: „Ok, ich stell ihn von vorne und einer von Euch beisst von hinten rein.“
Nanook: „Ich will als erster.“
Diego: „Nein, ich.“
Baboo: Ruhig jetzt, Normen kommt.“
Boris: „Das wird voll cool.“

Ein paar erfrischende Fakten:

Dreizehn Hunde á 42 Zähne = 546 Argumente, nicht ungefragt das Haus zu betreten. Vier Löcher im Hintern des Boten machen eine Trefferquote von ca. 0,8% aus, sein Aufschrei entsprach 100 dB, also in etwa der Lautstärke einer Kreissäge, mein „Pfuiauslasstdas“, entsprach dem Grenzwert für Hörschäden, wie er in der EU festgelegt ist. Die Worte, die ich schliesslich für den Lieferanten gefunden habe, lagen ausserhalb messbarer Werte … Außerdem die Feststellung, dass auch Superhelden schreien wir Mädchen, aber nunja.

Ein „Vorsicht bissiger Hund“-Schild am Zaun entbindet den Halter nicht von der Haftung, das gilt auch für zehn „Vorsicht bissiger Hund“-Schilder.

Ein Griff in die Trickkiste der psychologischen Kriegsführung hilft im Fall des Falles schon weiter.

Schritt 1: Erstmal alles verharmlosen.
Schritt 2: Den Schuldigen ausmachen
Schritt 3: Merkwürdige juristische Argumente vorbringen
Schritt 4: Möglichst unauffällig auffällig darauf aufmerksam machen, dass man da jemanden kennt, der für Ärger sorgen könnte.

  1. Also, eigentlich haben die Hundis sich ja nur gefreut, immerhin ist der Lieferant ja mittlerweile so etwas wie ein Freund der Familie und obendrein hatte er auch noch Futter bei sich.
  2. Darüber hinaus wisse er, der Freund der Familie ja, dass hier Hunde leben, schliesslich hängen da Schilder und man habe ihn ja auch mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass der eine oder andere „nicht so nett“ wäre.
  3. Zudem, wenn man es jetzt ganz eng sehen würde, hätte die eine Fellnase sich ganz schön erschreckt, ja, dem armen Tier einfach so den Hintern ins Gebiss zu drücken wär ja ganz schön tierquälerisch und er würde Tiere doch mögen, oder?
  4. Aber wir wollen mal nicht so sein, ist ja nichts weiter passiert, ach der Kratzer, der heilt doch wieder. Aber was mir aufgefallen ist, sind das Sommerreifen da an dem Transporter? Uiuiui, wenn das der Lothar sehen würde, ja, der eine Polizist, auch ein Freund der Familie, das gäbe sicherlich ein Bußgeld.

Treffer versenkt.

Wahre Helden wissen, wann es Zeit ist, sich zurückzuziehen. Und so guckte der Lieferwagenfahrer etwas verduzzt und fuhr wieder. Vorher nickte er noch freundlich und murmelte „Sie müssen hier noch unterschreiben.“ Aber ich bin mir sicher, dass er eines ganz gewiss weiss. Irgendwo muss Kryptonit rumgelegen haben, denn eigentlich ist er unverwundbar.

Reklame: 1986

Dies ist ein Auszug aus der Geschichte „1986“, die Ihr im Buch finden werdet.

1986 war ein bewegendes Jahr. Es war das Jahr, in dem wir als Kinder froh waren, kein Gemüse essen zu müssen, weil da irgendwas in Tschernobyl explodiert war. Und wir standen aufgeregt auf dem Schulhof der katholischen Grundschule „Sankt Quirinus“ – total begeistert von der Explosion der Challenger, die wir zuvor in den „Heute“-Nachrichten gesehen haben.

Wir waren Kinder, um genau zu sein waren wir so um die Sieben oder Acht Jahre alt. Und dem entsprechend haben wir uns reichlich wenig Gedanken über solche Dinge wie verstrahlten Regen gemacht oder darüber, dass in dem Space Shuttle Menschen saßen, die gestorben sind.

Auf dem Dorf aufzuwachsen war in den 1980er Jahren noch so etwas wie ein großes Abenteuer. Unser Leben  bestand daraus, mit unseren BMX-Rädern durch die Gegend zu fahren und Mist zu bauen.

Am Rand unseres Dorfes gab es ein Munitionslager der US-Armee und in unmittelbarer Nähe dazu einen alten Luftschutzbunker, der irgendwann eingestürzt war und nur noch eine Einstiegslucke, gerade passen für einen Achtjährigen Jungen ließ.

Dort verbrachten wir viel Zeit und beobachteten die Soldaten, die ihren Dienst taten. Dabei kamen wir uns ganz schön gefährlich vor und wir waren uns sicher, dass es nur unserem unglaublichen Geschick und unseren perfekten Tarnkünsten zu verdanken war, dass wir nicht geschnappt und in Gefangenschaft genommen wurden.

Im Sommer fuhren wir zum 5 Kilometer weit entfernten Kieswerk und badeten unerlaubterweise in dem künstlichen See. Im Winter, wenn es geschneit hatte, versammelten wir uns an der einzigen Stelle in unserem niederrheinischen Dorf, die etwas von einem Hügel hatte und rodelten mit unseren Holzschlitten den „Berg“ runter. Kopf voran, so etwas wie Bremsen gab es noch nicht.

Wenn mein damaliger Kumpel Christian und ich Langeweile hatten, dann besuchten wir Familie Eskens, vielmehr „Omma und Oppa Eskens“. Ihr Sohn hatte den Hof übernommen und die beiden lebten auf dem Altenteil. Und da der Jungbauer „Junggeselle“ geblieben war, wie man das damals nannte, blieb den beiden alten Leuten der Wunsch nach Enkelkindern verwehrt.

Ich glaube, die beiden haben sich gefreut, wenn wir sie besucht haben. Und wir haben uns auch gefreut, denn sie hatten immer ein paar Süßigkeiten für uns. Naja fast, Kandiszucker, Braun, ich fand den lecker. Einen Hund hatten sie übrigens auch, leider fällt mir sein Name nicht mehr ein. Aber das er an einer langen Kette lebte und jedem Eindringling unmissverständlich klar machte, dass er unerwünscht war. Einmal habe ich versucht, ihn zu streicheln, was mir a) die erste Bißverletzung meines Lebens einbrachte und b) Ärger mit meinem Vater, da ich ja wisse, dass man fremde Hunde nicht anfasst. Verrückt. Vor Achtundzwanzig Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, einen Anwalt einzuschalten oder die Polizei zu rufen. Dabei ist das eigentlich noch garnicht so lange her, zwei Jahre zuvor wurde der VW Golf 2 vorgestellt.

1986 war auch das Jahr, in dem „Ernie“ starb und in dem ich die erste Woche in meinem Leben ohne Hund lebte. Ernie war ein Langhaardackel und entstammte tatsächlich dem „Quelle“-Katalog. Meine Mutter hat mir mal erzählt, wie sie Ernie abgeholt hatte.

Am Güterbahnhof in Wetten, als dieser noch in Betrieb war. Ernie war gut verpackt in einem Wellpappekarton mit ein paar Löchern drin. Acht Wochen alt muss er da gewesen sein und mit der Deutschen Bundespost versendet.

Anders als zu vermuten wäre hatte Ernie kein Trauma, sondern war vielmehr ein typischer Dackel, der stur war wie ein Holzklotz, jagte wie ein irrer und auch schonmal zubiss, wenn man ihn ungefragt hochheben oder streicheln wollte.

Jeden Morgen, wenn der Postbote kam, schoss Ernie aus der Einfahrt und verjagte den Mann mit seinem gelben Auto. All die Jahre. Der Postbote, ein schlauer Mensch, wusste natürlich, dass der kleine Dackel gleich ums Eck käme und hatte eine erstaunliche Mischung aus Reaktionsschnelle und Fahrtechnik entwickelt, so das nie etwas passiert ist.

Womit Ernie allerdings nicht rechnen konnte, war der Umstand, dass auch Postboten mal Urlaub machen. Und die Urlaubsvertretung unseres Postboten konnte wiederum nicht damit rechnen, dass gleich Ernie auftauchen würde. Und so fand Ernie mit nur Neun Jahren sein Ende an der Stoßstange eines Postautos.

Ich weiss noch, dass mein Vater Ernie hinterm Haus auf der Mülltonne abgelegt hatte und dass der Dackel aussah, als wenn er nur schlafen würde. Später fand Ernie seine letzte Ruhestätte im Garten, ohne Genehmigung und bestimmt nicht erlaubt. Das hätte Ernie gefallen.

Darauf folgte die besagte Woche ohne Hund, bis mein Vater schliesslich die Kleinanzeigen in den „Niederrhein Nachrichten“, dem lokalen Anzeigenblättchen durchforstete und auf folgenden Text stieß: „Welpen abzugeben. Telefon …“

Mein Vater ging in den Flur, setzte sich und griff zu dem damals funkelnigelnagelneuen großen, grünen „FeTAp 75“ der Deutschen Bundespost.

Und so fuhren wir mit dem Auto nach Geldern auf einen Bauernhof, die Bauersfrau führte uns zum Schweinestall und dort tobten sie rum. Vielleicht waren es sechs, vielleicht waren es auch Acht, ich kann mich nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall waren sie das Ergebnis einer Romanze zwischen der Schäferhundirgendwasdame des Hauses und eines unbekannten Dorfcasanovas, vielleicht einem Rottweiler.

Wir Kinder spielten mit den Welpen und sollten uns einen aussuchen. Ausnahmsweise waren meine Schwester und ich uns einig – es sollte unbedingt dieser eine sein, der Rüde, der Wilde, der, der gerade in meinen Schnürsenkeln hing und diese schüttelte. Ich fand das saukomisch.

Einen Kaufpreis gab es nicht, ebenso keinen Heimtierausweis, irgendeine Impfung oder auch nur eine Wurmkur. Mein Vater übergab der Bauersfrau eine Flasche Rotwein, diese freute sich sehr und wir packten den Hund ins Auto und fuhren nach Hause.

Beim Namen waren meine Schwester und ich uns nicht einig, aber Dank der Tatsache, dass ich schon als Kind so lange quengeln konnte, bis ich meinen Willen bekam, setzte ich mich schliesslich durch und der kleine Derwisch bekam den Namen „Tiger“.

(das geht noch weiter – in Papierform)