Yapp Yapp
Ein Hund, der stark hechelt, von innerer Unruhe geplagt ist und hysterisch kläfft, zeigt Symptome von Stress, sagen Tierärzte. Es sei denn, er ein Hütitüti und sitzt im Kofferraum kurz vorm Training. Da nennt man das Vorfreude, sagte mir zumindest die Besitzerin des Hundes. So einfach ist das.
Der Hund, der da im Kofferraum des SUV vor Freude beinahe kollabierte, hieß „Pepper“ und war ein reinrassiger Aussie in der lustigbunten Farbe „Gen-Defekt*“. Nicht nur ein pfiffiger Lausbub, mit dem die ganze Familie Spaß haben sollte, sondern auch ein senisbler Freund für einsame Stunden. So stand es auf der Internetseite der Züchterin, die die Tierchen „liebevoll und familiär“ so als Hobby züchtete. Und ohne Papiere übers Internet verhökerte. Peppers Vater war der König unter den Showlinien-Aussies und sah ein bisschen aus wie ein explodiertes Sofakissen. Peppers Mutter wiederrum war das Ergebnis einer Liaison zweier Aussies aus dem Freundeskreis der Züchterin und war nicht minder plüschig.
Peppers Frauchen hiess Petra und hatte sich akribisch an das gehalten, was sie so über Hütehunde gelesen hatte. Auslastung körperlicher und geistiger Natür, Frühförderung und Aktivität. Kurz, Pepper hatte einen Tagesablauf wie ein 12-jähriges Mädchen mit größenwahnsinnigen Eltern.
Montags und mittwochs war „Aggi“ angesagt, samstags wurde für die Begleithundeprüfung gebüffelt und sonntags ging’s zum Flyball, weil Pepper so viel Spass an der Action hatte. Außerdem war Petra auf die Idee mit dem Dog Dancing gekommen, aber das machte sie mit Hilfe einer DVD zwischendurch zuhause. Damit der Hund auch geistig gefördert wurde, besaß Pepper sieben unterschiedliche Intelligenzspiele, von denen er drei nahezu perfekt beherrschte. Dazu dann noch die „Basics“ beim Gassigehen, ein bisschen Apportieren, Futter suchen, Fährte lesen und fertig war der Hundealltag.
Das sei nämlich alles wichtig, versicherte mir Frauchen, denn so ein Hütehund sei ein Arbeitstier und müsse entsprechend beschäftigt werden. Und Pepper macht das auch alles prima, ok, das Gekläffe nervt ein bisschen, aber im Forum hat sie gelesen, dass die Aussies so sind. Na dann. Und so stand ich da am Rand des Hundeplatzes und Pepper rannte um mich rum, sprang mich an, kläffte, rannte weiter, kläffte, sprang Frauchen an und kläffte.
Frauchen wiederrum erwiderte Peppers Verhalten mit einem „Sitz“, was Pepper mit einem „Sitz“ quittierte, nur um dann gleich wieder auf Achse zu sein. „Er ist ein bisschen unruhig, findest Du nicht?“ fragte ich Petra vorsichtig und sie erwiderte „Das ist die Vorfreude, weil es gleich los geht.“ Ok, das hatten wir schon.
Nun war Peppers Problem laut seiner Besitzerin, dass er sich nicht ganz so supergut abrufen liess, wenn z.B. Autos, Radfahrer, Jogger, Rehe oder Weinbergschnecken am Horizont auftauchten. Vermutlich, so dachte sie, wäre er nicht ausgelastet. Deshalb wäre er so ein klitzkleines bisschen nervös. Ich schaute Pepper 5 Minuten zu und hatte Kopfschmerzen.
Petras Idee war, dass Pepper ja Schafe hüten könnte, schliesslich wäre er ja ein Hütehund. Und da ich doch ein paar Schäfer kennen würde, hatte sie die Hoffnung, dass ich ihr da „jemanden vermitteln“ könnte, bei dem Pepper an den Schafen arbeiten könnte. Am besten vormittags, da wär sie in der Schule.
Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir vor, wie Schäfer Franz einen halben Tag mit seinen Schafen plus Pepper unterwegs wäre und wie lange es wohl dauerte, bis Franz den Hund erschlagen würde. Ich vermutete so in etwa Zwanzig Minuten. Das Problem bei einer Erkenntnis wie dieser ist immer, dass Besitzer solcher Hunde relativ wenig Verständnis dafür haben, wenn man versucht, ihnen zu verstehen zu geben, dass ihr Arbeitstier ein hypernervöses Wrack und kein talentierter Hüte-Profi ist.
Also nutzte ich den gewünschten Vormittagstermin als Vorwand, Petra den vermeindlichen Zweitjob für ihren Hund wieder auszureden. „Vormittags ist der Schäfer am Stall, da langweilt sich der Hund doch nur.“ Wobei etwas Langeweile Pepper nicht schaden würde, aber das stand auf einem anderen Blatt Papier.
Irgendwie tat Petra mir leid. Eine Stunde mit diesem Hund und ich brauchte Beta-Blocker, sie hatte Pepper den ganzen Tag um sich rum, kläffend, fiepend, nervös und ruhelos. Auch tat mir Pepper leid, auch wenn er nervte. Immer unter Strom, immer in Aktion. Armer Hund!
Das Gegenteil von gut gemacht ist häufig gut gemeint. Und gemeint hatte Petra es bestimmt gut, als sie ihren Pepper gleich vom ersten Tag als Welpe förderte und förderte. Und vor lauter Förderung nicht mitbekam, dass sie sich einen kleinen Psycho heranzüchtete, der nie gelernt hatte, wie wichtig Ruhe und Gelassenheit gerade für einen Multitasking-fähigen Hund wie ihn sind.
Aber woher hätte sie es auch wissen sollen? Aus einem der vielen Bücher? Aus dem Forum? Von der Züchterin?
Es hält sich hartnäckig das Märchen von der unbedingten Pflicht, einen Hütehund ständig beschäftigen zu müssen, weil er sonst Neurosen oder dumme Ideen entwickelt. Das man genau diese Neurosen und dummen Ideen mit 24-Stunden-Bespassungsprogramm und undifferenzierter Förderung begünstigt, steht eher im Kleingedruckten. Nein, hast Du einen Hütitüti, dann hast du einen Vollzeitjob!
Mal ganz abgesehen davon, dass auch ein Molosser ein Recht auf artgemäße Beschäftigung hat – sollte Auslastung nicht an Spaß an der Freude stattfinden anstatt zum Selbstzweck?
Wieder stelle ich mir Schäfer Franz vor, wie er bei den acht Wochen alten Welpen seiner Hündin den „Spieltrieb“ fördert und den Schafstall in einen Welpenspielplatz mit Rutsche und Bällebad verwandelt … Öhm, am Arsch die Räuber mit Verlaub! Franz‘ Hunde lernen im ersten Jahr konsequent, Langeweile zu ertragen. Man ist nett zueinander, sonst nix. Frustrationstoleranz heisst das Zauberwort, das haben wir als Kinder automatisch gelernt, wenn wir am Tisch warten mussten, bis Papa in Seelenruhe zuende gegessen hat.
„Wer gelassen bleibt, wenn andere rennen, hat mehr vom Leben und spart sich den Weg zurück!“ So sieht’s aus, Franz!
„Schnell sind die automatisch.“ sagt denn auch der Schäfermeister, der es eher gemütlich mag. Genau wie seine Hunde eher ein „chilliges“ Leben haben. Gut, Zwei bis drei Mal in der Woche wird gehütet. Den Rest der Woche sind die anderen dran. An der Herde sind die Hunde hellwach und voll bei der Sache. Aber nur dann, wenn Franz es will. Die Schafe werden schliesslich nicht vom Laufen fett. Und jemanden beim Essen stören geht schonmal garnicht, der gute Hund schweigt und wartet, während das Schaf frisst und „Mäh“ sagt. Wieder nichts mit der erhofften Action.
Vollzeitbeschäftigung, wie Pepper sie erlebt, sieht anders aus. Und Franz wäre auch verrückt, einen seiner Hunde jeden Tag ohne Pause hüten zu lassen. Schliesslich sind die Tiere seine wichtigsten Arbeitskollegen. „Hast du keinen guten Hund, dann musst Du den Schafen selber hinterher rennen.“ Und da so ein Hund auch nicht jünger wird, muss auch er sich hin und wieder schonen. Die Berufsgenossenschaft nennt sowas Prävention.
Jemand wie Franz versteht die ganze Aufregung um die Hunde nicht. Erzählt man ihm, wie viel Aufwand Petra betreibt, um ihren Pepper glücklich zu machen, zuckt er nur mit den Schultern und sagt etwas sexistisches.
Warum Hütehunde die perfekten Hunde für jeden Zweck sein sollen, ist mir schleierhaft. Egal ob Familie oder Single, ob als sensibler Therapiehund, strahlender Turniersieger oder pfiffiger Begleiter – wenn sonst nix passt, ein Hütehund geht immer, ist immer leichtführig und, achja, natürlich intelligent und lernwillig. So lange er ausgelastet wird, nicht zu vergessen.
Ich habe mich mal in einem Forum geoutet und zugegeben, dass meine Hütehunde hin und wieder mit zu den Schafen kommen dürfen und ansonsten die Aufgabe haben, mich zu begleiten. Jeden Tag, ins Büro, in die Mittagspause, in den Urlaub und abends ins Schlafzimmer. Aber nicht ins Bett.
Ein Sturm der Entrüstung. Mir egal. Meinen Hunden gefällt’s.
*Das Merle-Gen ist für die gemerlte Fellfarbe (also Blue Merle, Red Merle oder bei den Altdeutschen Hütehunden „Tiger“ genannt) verantwortlich. Die Verpaarung zweier Tiere, die das Gen in sich tragen, führt häufig zu Behinderungen wie Taubheit, Blindheit oder zu anderen Erbschäden. In Deutschland fällt eine solche Verpaarung unter den Qualzuchtparagraphen, in anderen Ländern ist sie erlaubt, hat aber die selben Auswirkungen.