Bis einer heult …
Nachtrag Liebe Nutzerinnen der Facebookgruppe: „Trainieren STATT Dominieren“ – Sie dürfen sich gerne an der Diskussion auf dieser Seite beteiligen anstatt in den anonymen Weiten von Facebook zu grollen. Gerne stehe ich Ihnen auch Rede und Antwort zum zermatschten Mittelfinger, Hypothesen sind garnicht notwendig! Hier wird niemand gefressen und allzu aversive Kommentare werden nicht veröffentlicht! Nachtrag Ende
Zunächst einmal: Diesen Artikel schreibe ich nicht, um irgendeine Erziehungsphilosophie zu bashen – vielmehr liegt mir doch sehr am Herzen, dass niemand verletzt wird. Ernsthaft.
Bevor es aber ans Eingemachte geht, ein paar erfrischende Fakten aus der Medizin:
Wikipedia bezeichnet einen Schock als „ein lebensbedrohliches Zustandsbild, bei dem die Blutzirkulation in den Kapillaren vermindert ist.“ Ein Volumenmangelschock ist dem entsprechend ein Schockzustand in Folge von erhöhtem Flüssigkeitsverlust, wie zum Beispiel Blut. Wird ein Schock nicht behandelt, kommt es zum Kreislaufstillstand und der Geschockte stirbt.
Bei einem traumatischen Pneumothorax gerät Luft auf Grund einer Verletzung in den Pleuraspalt , sodass die Ausdehnung der Lungenflügel und somit die Atmung nicht mehr möglich ist.
Als Amputation bezeichnet man wiederrum das Abtrennen eines Körperteils und eine Weichteilverletzung ist eine umschriebene Gewebedurchtrennung bzw. Gewebezerstörung durch Gewalteinwirkung von aussen.
Dr. Dorit Feddersen-Petersen widerrum ist eine anerkannte Verhaltensforscherin und hat vor einigen Wochen über eine Studie, die sie in Zusammenarbeit mit Juristen und Rechtsmedizinern erstellt hat, referiert. Die Studie befasst sich mit tödlichen Beißunfällen mit Kindern.
So schilderte Dorit u.a. den durch die Medien bekannt gewordenen Fall, in dem fehlgeleitetes Beutefangverhalten zweier Hunde den Tod eines Kindes verursachten.
Der tragische Unfall passierte auf einem Schulhof in Hamburg. Die Besitzer, gegen die ein Haltungsverbot vorlag nutzen diesen Ort, um mit ihren Hunden zu trainieren.
Laut Zeugenaussagen haben die Tiere die Kinder, die gerade Ball spielten, ohne ersichtlichen Grund plötzlich attackiert. Der kleine Junge erlag seinen Verletzungen noch an Ort und Stelle.
Die pathologische Untersuchung ergab großflächige Weichteilverletzungen und Skelettierungen des Kopfes und des Brustbereiches. In einem anderen Fall wurde ein Kind, welches etwa 15 Minuten alleine mit den beiden Schäferhunden der Familie alleine gelassen worden war, tot am Rande des Gartenteiches gefunden. Der Rüde zeigte noch Beißschütteln, das Kind erlitt ebenfalls großflächige Weichteilverletzungen, Amputationsverletzungen und den oben erwähnten traumatischen Pneumothorax, welcher pathologisch als Todesursache bestätigt wurde.
Im vorletzten Jahr habe ich eine Besitzerin zweier Border Collies kennengelernt. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen attackierte der Rüde im Beisein der Besitzerin das Enkelkind und fügte ihm eine großflächige Skalpierungsverletzung zu. Für diejenigen von Euch, die so etwas mal sehen möchten, hier ein Link zur Fachzeitschrift „Unfallchirurg“ aus dem Jahr 2000. Die Abbildung befindet sich auf der zweiten Seite des Artikels, den man durch Klick auf „Look Inside“ erreicht – das ist nichts für schwache Nerven!
Im April 2010 verbiss sich ein Hund, den wir auf Grund seiner Gefährlichkeit von einem Ordnungsamt aufs Auge gedrückt bekommen hatten, u. A. in meiner rechten Hand. Es dauerte vielleicht 10 Sekunden, bis ich ihn von mir wegtreiben konnte. In dieser kurzen Zeit durchtrennte er mir die Sehne im Mittelfinger, frakturierte ihn mehrfach und hinterließ mittels Beißschüttelns eine etwa 5cm breite Weichteilverletzung.
Noch in der Nacht wurde ich notoperiert. Was darauf folgte war ein unangenehmer Krankenhausaufenthalt, 6 Wochen Arbeitsunfähigkeit, eine wenig amüsante Reha und eine Hand, die nur noch beschränkt einsatzfähig ist.
Warum ich das schildere?
Weil ich doch etwas über die Diskussionen in unser aller Lieblingsnetzwerk staune, die dermaßen weit an der Realität vorbei gehen, dass ich mir wirklich Sorgen mache, dass jemand ernsthaft verletzt wird, wenn er oder sie mal auf einen wirklich aggressiven Hund stösst und mit ihm arbeiten soll.
Wie oben beschrieben geht es nicht darum, über Erziehungsphilosophien herzuziehen. Ich stimme sogar zu, dass es in der Erziehung nett und ohne Gewalt zugehen sollte. Was jedoch teilweise als Gewalt deklariert wird, hat wenig mit der Lebenswirklichkeit von Haushunden zu tun. Und das, was bei vielen Hunden funktionieren mag, funktioniert eben nicht bei allen.
Wenn wie in den oben genannten Fällen Rassedisposition und/oder ungünstige Lebenssituation/ ungünstige Beschäftigung etc. aufeinandertreffen, gibt es einen einzigen aber triftigen Grund, warum Klicker und Co. nicht funktionieren können.
Der Ausführende hat schlicht keine Zeit, weil er keinen Zugang zu dem Hund hat. Auch hier die Warnung, nicht besonders schön anzusehen!
Ein weiteres Video:
Jetzt kann man einwerfen, dass die Hunde im oberen Video vielleicht „nur“ das Haus bewachen wollten und der Hund im unteren Video ja ein abgerichteter „Kampfhund“ wäre.
Erstrecht nicht für schwache Nerven:
Die allermeisten der untersuchten Beißvorfälle ergaben, dass ein fehlgeleitetes, übersteigertes Beutefangverhalten für die Attacke des Tieres ursächlich war. Und wenn Beutefangverhalten eine Rolle spielt, geht es häufig ohne Warnung und sehr schnell von Statten. Ein Hund, der ein Reh jagt, will es nicht verprügeln – er will es packen, töten und schliesslich fressen. Da wird nicht großartig gedroht, nach dem Motto: „Komm mir zu nahe und ich fress Dich auf.“ Beutegreifer kommunizieren nicht mit ihrem Futter.
In den Fällen, die von den lieben Mitdiskutanten bei Facebook und anderswo veröffentlicht wurden, geht es wiederrum um etwas völlig anderes:
Und noch eines:
„Ein Hund der knurrt, ist nicht aggressiv – er kommuniziert“. Dieser schöne Satz stammt übrigens auch von Dorit Feddersen-Petersen. Ich für meinen Teil würde einen solchen Hund auch nicht als gefährlich bezeichnen, aber das liegt ja im Auge des Betrachters.
Hier bekommt der Mensch, der mit dem Hund arbeitet einen Zugang zum Tier. Und hat dem entsprechend die Möglichkeit, mittels positiver Verstärkung zu arbeiten.
Genau diesen Zugang wird einem ein Hund, der entsprechend ungünstige Vorerfahrungen gemacht hat, nicht ermöglichen.
In einem solchen Fall kann nur über Abbruch gearbeitet werden oder man bringt sich in Sicherheit. Der Versuch über Ignorieren, Ablenken, Desensibilisierung, Tauschen o.ä. zu arbeiten, wäre ohne entsprechende Sicherung zum Einen fatal, zum Anderen wird der Hund auf Grund generaliserter Verhaltensmuster auch nicht lernen, dass sein Gegenüber das gerade nicht gut findet. Dafür wiederrum müsste der Hundetrainer erstmal in den Kopf des Hundes kommen und wahrgenommen werden.
Dem Argument, dass man den Hund ja nicht „provozieren“ müsse und ohne Auslösen des Verhaltens eine Verhaltensänderung herbeiführen könne, liegt die Fehleinschätzung zu Grunde, man würde ein Verhalten auslösen, welches „nicht da“ ist.
Dies ist jedoch ein fataler Irrtum – ein Hund kann nur Verhaltensweisen zeigen, die er auch beherrscht, sei es auf Grund von Lernerfahrung und/oder genetischer Disposition. Nur weil ich ein Verhalten nicht auslöse, heisst das nicht, dass der Hund es nicht zeigt. In einer Nachbarschaft, in der ein Hund mit wirklich ernsthaften Potential so trainiert wird, möchte ich keine Kinder haben.
Im Falle eines übersteigerten Beutefangverhaltens oder eines wie auch immer gearteten inadäquaten aggressiven Verhaltens würde der Ansatz der positiven Verstärkung bedeuten, dass der Hund immer dann, wenn er nicht attackiert gelobt wird. Meistens geschieht dies über eine schrittweise Annäherung an das auslösende Objekt. Zeigt der Hund nicht das gewünschte Verhalten, wird dieses Fehlverhalten ignoriert.
Gerne wird jedoch verschwiegen, dass diese Vorgehensweise einen entscheidenen Haken hat – nämlich den, dass die Lebensrealtität häufig anders aussieht. Wenn ich mit meinem Hund erreicht habe, dass ich mich bis auf 10 Meter an Artgenossen nähern kann, habe ich in dem Moment ein Problem, in dem der blöde Nachbar plötzlich um die Ecke kommt und der Owtscharka-Rüde Face to Face meinem pöbelnden Papillon gegenübersteht. Selbiges gilt für den Fall, dass ich das Hilsmittel meiner Wahl mal nicht bei mir trage und in eine entsprechende Situation gerate. Auf Grund dessen, dass unerwünschtes Verhalten nicht beantwortet wird, lernt der Hund entsprechend, dass dieses konsequenzlos bleibt.
Im Falle eines Leinenpöblers, Sofazerfetzers oder eines anderen Problemchens von mir aus tolerierbar. Alles gut – nichts dagegen. Aber im Falle eines bissigen Hundes auf gar keinen Fall!
Wenn ich nun das Argument lese, dass die Hunde, die man in den Videos sieht, ja aus anderen Ländern kämen – und das sie mittels positiver Verstärkung ganz andere Hunde geworden wären, dann möchte ich doch anmerken:
Liebe Leute, geht ins Internet. Es gibt unzählige Hunde aus anderen Ländern, die hier ein Zuhause suchen. Die wären dann also alle gefährlich? Warum dem nicht so ist? Vielleicht, weil in der Perrera oder in den Caniles so positiv gearbeitet wird? Übrigens, ein Großteil der Filme stammt aus den USA, dem Land, in dem das Klickern erfunden wurde … Sorry, aber das ist Realitätsverklitterung und eine Ausrede.
Abgesehen davon, die Hundeerziehungs-Timeback-Maschine gibt es noch nicht. Was bedeutet, dass wir alle mit dem arbeiten müssen, was bei den Menschen so lebt …
Wenn ich dann lese, solch brutale Videos würden nur veröffentlicht, um jemanden ein schlechtes Gewissen zu machen und eine Philosophie zu dikreditieren, Entschuldigung. Hier geht es nicht um eine Philosophie, sondern darum, zu verdeutlichen, dass ein Knochenverteidigender, knurrender Labrador-Welpe sicherlich nicht das ist, was gemeint war, als es um die Arbeit mit gefährlichen Hunden ging. Denn bei diesem Hund erreicht man sein Ziel mittels der erwähnten positiven Verstärkung – und eine andere Vorgehensweise wäre in einem solchen Fall auch nicht fair.
Jeder wie er will – jede Jeck is‘ anders. Aber ganz ehrlich und lieb gemeint: Passt auf Euch auf! Aber vor allem, passt auf, dass vor lauter positiver Verstärkung nicht die Umwelt in Mitleidenschaft gezogen wird!
Zum Beschimpfungsformular geht’s da lang 😉