Marketing, Baby!

Wenn es eines gibt, über das der geneigte Hundehalter die totale und absolute Kontrolle im Zusammenleben mit seinem Hund hat, dann ist es die Fütterung. Trotzdem sind ungefähr die Hälfte der in Deutschland lebenden Haushunde zu fett. Ich persönlich finde, dass dieser Zustand viel über unsere Beziehung zu unseren Hunden aussagt und da ich ein Freund offener Worte bin, spreche ich das Thema auch meistens gleich im ersten Termin mit einem neuen Kunden an, wenn mich an der Tür mal wieder eine vierbeine Regentonne begrüßt.

Mittlerweile scheint sich das rumgesprochen zu haben, denn in letzter Zeit kommt es vor, dass ich den Hund noch garnicht zu Gesicht bekommen habe und mir schon die ersten Erklärungen für das Gewichtsproblem des Hundes entgegengebracht werden. „Der muss so sein, das ist ‚amerikanische Leistungslinie'“ oder „Wir passen mit dem Futter ja auf, aber die Oma, die …“.

Na toll, der Mrozinski ist also der Tierquäler, der sich über alles und jeden lustig macht und den armen Hunden jetzt auch noch das Futter madig machen will. Das ist also mein Ruf, hm.

Neeneee, so wird das nichts. Kein Wunder, dass die Hundeschule immer noch nicht genügend für die Villa und den Firmenporsche abwirft. Was her muss, ist ein Marketingkonzept, aber eines, dass so richtig Catchy ist. Und natürlich schnellstmöglich den Break Even erreicht. Und ganz, wichtig, eine USP, Unique Selling Proposition, oder ein Alleinstellungsmerkmal, wie die Ewiggestrigen sagen würden.

Nun gibt es in Deutschland ungefähr 50.000 Hundeschulen. Das sind also ungefähr halb so viele Hundetrainer wie es Meinungen zur Frage „Geschirr oder Halsband?“ gibt. Und ich bin einer von ihnen. Uff, um da herauszustechen, muss man sich schon was einfallen lassen.

Sehr gut bewährt hat sich, wenn man nicht einfach nur Hundetrainer ist, sondern gleich ein ganzes System entwickelt hat, welches in einem schmissigen Wort alles wesentliche zusammenfasst. „Dog Oriented Guiding System“, kurz D.O.G.S. von Herrn Rütter ist so ein marketingtechnisches Meisterstück, das zu Recht als die Mutter aller Systembezeichnungen im Hundebereich gilt. Dem Creative Director, dem das eingefallen ist, ein großes „Horay“ für diesen Volltreffer.

So etwas würde mir vielleicht auch die erhofften Millionenumsätze einbringen. Meine erste Idee „Natürlich, artgerecht, profund und fair“, kurz „N.a.p.f.“, verprach zwar jede Menge Publicity, aber ich befürchte, nicht unbedingt die beste. Also habe ich weiter überlegt und bin schliesslich auf „Richtig toll, allumfassend und interaktiv“ gekommen, kurz „Ri.T.al.in“. Passt ja auch irgendwie gut zu den Hütehunden, mit denen ich jeden Tag zu tun habe. Das Kürzel „Artgerecht schulen“, kurz „Ar.sch“ war’s dann auch nicht. Ich stelle mir vor, wie ich irgendwo auftauche und irgendjemand sagt. „Der Ar.sch. ist auch da.“ Wobei das eh schon einige sagen …

Mannmannmann, ganz schön schwer das Ganze. Am besten verschiebe ich das System nach hinten und konzentriere mich auf einen anderen Aspekt.

Wenn es mit der Alleinstellung nicht so ganz klappt, bleibt immer noch die Möglichkeit, sich durch vergleichende Werbung von der Konkurrenz abzuheben. Pepsi Cola und Coca Cola machen das bereits seit Jahrzehnten. Ein schmissiger Claim ála „Normen. Alle anderen sind nur Hundeschulen.“, wobei das nicht wirklich griffig ist. Vielleicht mehr sowas: „Normen. Alle anderen sind doof und haben Schweissfüsse.“ Oder der Klassiker: „Normen. Alle anderen sind Tierquäler.“ Wobei ich glaube, dass dieser Slogan schon durch Trichia von Pöbel besetzt ist.

Nach einiger Zeit hatte ich mich dann für eine Kombination aus pfiffigen Wortspiel und cooler Abkürzung entschieden: „S.H.i.T: Hundetraining für Arme. Und Beine.“ Voller Erfolg! „Super Hundeschule im Taunus!, Yeahh!

Viel wichtiger als der Name ist natürlich das Konzept. Da muss einfach etwas neues her, etwas bahnbrechendes. Und wissenschaftlich natürlich. Denn wenn man als Hundetrainer nicht ganz weit vorn ist, hat man gelitten und gilt schnell als ewiggestriger und Stachelwürgerschwingender Blödmann, der garnichts, aber auch garnicht begriffen hat.

Da es allerdings nicht genügend Neues für all die vielen Hundetrainer gibt, haben sich zwei Methoden etabliert.

Methode 1: Man nehme eine – halbwegs aktuelle – wissenschaftliche Studie und lokalisiere den einen Absatz, der irgendetwas neues suggeriert (oder den kein Schwein versteht) und reiße ihn aus dem Zusammenhang. Den Rest der Studie verschweigt man geflissentlich, sollen die Idioten doch selber nachlesen, was da drin steht. Tadaaa (Mann denke sich hier einen Tusch!): Dr. Schlagmichtod hat in einer Studie festgestellt, dass 35 Prozent er jungen Rüden beim Pinkeln umfallen – ergo, Deprivationsschäden entstehen, wenn die armen Tiere Artgenossen ausgesetzt sind! Deshalb werden sie ab sofort mit Hamstern vergesellschaftet! Bäm, eine neueste wissenschaftliche Erkenntnis mehr.

Methode 2: Man nehme etwas, das eh jeder Hundehalter mehr oder weniger unbewusst tut, gebe ihm einen wichtigen Namen, untermauere das Ganze mit Erkenntnissen aus der neueren Metaphysik, etwas esoterischen Geschwurbel und zack – die neueste und beste Erziehungsmethode ist fertig. Eigentlich so alt, dass vermutlich schon die Höhlenmenschen ihre Säbelzahntiger so erzogen haben, aber jetzt mit „®“ und „©“ wissenschaftlich belegt.

Ich habe mich für eine Mischung aus Methode 1 und Methode 2 entschieden und den intertelepathischen Unterstützer® entwickelt. Hundehalter nennen diesen Vorgang eigentlich „sich zum Horst machen.“ Damit sie aber nicht merken, dass meine Methode genau das selbe ist, war bei der Entwicklung meiner Methode wichtig zu beachten, dass wirklich jede Begrifflichkeit neu und irgendwie therapeutisch klingt.

Also hier – weltexklusiv – mein selbst entwickeltes „S.H.i.T.-System©“ mit intertelepathischen Unterstützer®:

  1. Man bringe den Hund durch einladenes, leicht beschwingtes Kreisen der Arme in eine den Menschen beachtene Position. Das ist der sogenannte „Neuronale Verstärker“ und hat seinen Urspung in einer Studie von Notfallmedizinern, die den Zusammenhang zwischen heftigen Armbewegungen in Verbindung mit ungünstig im Schutzdienst geführten Malinoisrüden untersucht haben. Ganz klare Erkenntnis, die Aufmerksamkeit der Hunde war den Probanten sicher.
  2. Nun forme man seine Beine sanft zu einem „O“ und führe seine Arme mit einer sanften Bewegung nach vorne. Dies ist der „Performer“, das heisst, das wir dem Hund durch unsere Körpersprache signalen, dass wir gleich mit dem telepathischen Unterstützer beginnen. Forscher haben rausgefunden, dass die „O-Beine“ dem Hund das „funktionale U“ der Mutterhündin signalisieren, während andere Forscher rausgefunden haben, dass Hunde augenscheinlich ein „U“ nicht von einem „O“ unterscheiden können. (Außer Rico, aber ist auch ein Border Collie.)
  3. Nun sagen wir ruhig und säuselnd den Namen des Vaters des Hundes, schauen weg und sagen „Ding Dong“. Das ist der „Kontakter“. Und hier beginnt der eigentlich intertelepathische Unterstützer. Dadurch das wir da stehen wie ein Depp, einen fremden Namen flüstern und uns „Ding Dong Ding Dong“-säuselnd von unserem Hund abwenden, wird dieser uns für bescheuert halten und sorgevoll nachsehen, ob er sich nicht besser einen neuen Dosenöffner suchen sollte.
  4. Experten sagen, dass sich ein Verhalten generalisieren muss. Das Bahnbrechende an meiner Methode ist, dass der Hund uns von vorneherein für bescheuert hält und eine Generalisierung nur auf Seiten des Hundehalters stattfinden muss. Noch bahnbrechender ist, dass diese intrartliche Kontaktaufnahme auch innerartlich super funktioniert. Einfach mal im Büro in die neuronale Verstärker-Position bringen und den Arbeitskollegen mittels Performer und Kontakter intertelepathisch unterstützen. Der wird einen für bescheuert halten.

Wahnsinn, oder?

Nachdem ich mir mein wissenschaftliche Wundermethode so betrachtet habe, ist mir in den Sinn gekommen, dass mein „S.H.i.T-System©“ zwar catchy und funky ist, aber das Marmorbad, das ich mir schon ausgesucht hatte, dadurch immer noch nicht finanziert ist. Und da fielen mir die Worte meines alten Freundes Manfred ein: „Das einzige, was schneller reich macht als selber zu arbeiten, ist anderen das für Geld zu erzählen.“ Weise Worte für jemanden, der wegen Betrugs in Haft sitzt …

Aber er hatte recht, und abgesehen davon, dass bei jedem Scheiss-Wetter auf irgendwelchen Hundewiesen rumstehen eh was Blöde ist, habe ich entschieden, dass ich ab sofort interessierten Hundefans anbiete, sie in der hohen Kunst der intertelepathischen Unterstützung auszubilden.

Nach erfolgreich überwiesenden 199,90 € darf sich jeder, der sich öffentlich vor seinem Hund zum Horst macht „Certified S.H.i.T.-Guide©“, außerdem biete ich die Fortbildung zur Zusatzbezeichnung „Star of Richtig Mistbauen“ an, so dass erfolgreiche Absolventen sich „Certified S.H.i.T.St.o.R.M.“ nennen dürfen.

Mein einzigartiges Ausbildungssystem ist absichtlich niederschwellig angelegt, so dass möglichst vielen Interessierten ein Abschluss ermöglicht wird. Zudem werden erfolgreiche Absolventen von „Samt Köter volle Pulle in dem Schlamm fallen“ (S.K.v.P.i.d.S.f) und „Sorry, die Rechnung für die Reinigung übernehme ich selbstverständlich“ (S.d.R.f.d.R.ü.i.s) mit einem Rabatt von 2 Prozent bedacht (zzgl. 5 Prozent Anerkennungsgebühr versteht sich!).

Da natürlich jeder daherkommen kann und Zertifikate ausstellen darf, habe ich mein Zertifikat nochmal mit anderen Zertifikaten untermauert. Quasi habe ich mein Zertifikat zertifiziert: So ist z.B. das Auto, mit dem ich durch die Gegend fahre TüV-zertifiziert, mein T-Shirt fairtrade-zertifiziert, meine Zahnpasta antibakteriell und das Klopapier ist bio!

Ich glaube ganz fest, dass meine „S.H.i.T-Guides“ die Hundeszene umkrempeln werden. Denn wir sind viele, Und wir haben Clubjacken!

Paul, der Labbi-Mix (11)

Da lag er nun, der Paul. An seinem Geburtstag. Sabine war entsetzt und stand wie geschockt vor ihrem Hund …

Hier geht es zu Teil 11a – die Version für Leute mit schwachen Nerven.

Hier geht es zum Teil 11b – die Version für alle, die sich in den Schlaf weinen wollen.

Und hier geht es zu den anderen Teilen von Paul.

Paul, der Labbi-Mix (10) Wochenend-Spezial

Als Michael am Abend nach Hause kam, fiel ihm als erstes diese häßliche Porzellanfigur auf, die im Flaur auf dem Telefonschränkchen stand. „Wo hast du das denn her?“ fragte er und zweifelte ein bisschen am Geschmack seiner Frau. Gut, dass man mit Kleinkind und Kampfhundesteuer keine Bo-Concept-Einrichtung mehr zahlen könnte, war ihm ja klar. Aber wenn sich das Leben der beiden mittlerweile derart armselig gestalten würde, dass sie sich so einen Kitsch ins Haus stellen müsste, würde er sich Paul schnappen un mit ihm einen Kiosk ausrauben. Ein Blick auf diese Figur und jeder Richter hätte Mitgefühl.

Sabine erklärte ihm, was sie an dem Tag erlebt hatte. Sie erzählte von Herrn Gutmuts Sohn, von dem alten Haus und davon, dass es nun leerstünde. Und sie erklärte, dass Gutmut Junior ihr diese Figur geschenkt hatte. Außerdem erklärte sie Michael, warum sie in letzter Zeit emotional so angespannt war. Der Test aus dem Drogeriemarkt hatte es ergeben. Sie war schwanger. Und nun musste sie lächeln. Das erste Mal seit Wochen.

Es muss irgendwann im Frühling gewesen sein, jedenfalls war es endlich etwas wärmer geworden, als Sabine in einem der Kartons den Impfausweis von Paul fand. „Mensch Paul“, sagte sie zu ihrem Hund. „Heute hast du Geburtstag“. Sie musste lachen. „Aber glaub nicht, dass Du eine Torte kriegst“. Sie ging runter ins Erdgeschoss, in dem Michael gerade versuchte, den neuen Herd anzuschliessen. Die Betonung lag auf „Versuch“, denn bereits seit zwei Stunden waren alle Sicherungen ausgeschaltet.

Als die beiden das Haus gekauft hatten, hatte Michael gewusst, dass hier viel zu tun sei.  Aber hatte sich gedacht, dass man viel Geld sparen könnte, wenn man vieles selber macht. Naja, das hatte er jedenfalls gedacht. Sein erster Versuch, eine Wand zu verputzen endete darin, dass der Handwerker, den er schliesslich bestellen musste, erst Michaels „Kunstwerk“ von der Wand entfernen musste. Aber Heinz war schliesslich einiges gewöhnt. Schliesslich kannte er das Paar noch aus der Zeit, in der Sabine mit Marie schwanger war. Und Michael war hat ein Denker und kein Macher. Auch diesmal musste Heinz zur Hilfe eilen. Nachdem Sabine gesehen hatte, dass es trotz angeblich rausgezogener Sicherungen bedenklich funkte, bestand sie darauf.

Sie lebten nun schon zwei Jahre in diesem Haus und die neue Küche war die letzte der großen Anschaffungen gewesen, die dringend notwendig waren. Und sie wollte weder den teuren Herd noch ihren handwerklich ungeschickten Mann verlieren. Nicht jetzt, wo es so gut lief.

In diesem Sommer würde Marie in den Kindergarten kommen und Felix, wie ihr Sohn hieß, entwickelte sich prächtig. Seitdem sie ihre piefigen Nachbarn losgeworden waren, fühlte sich das Paar freier. Michael sagte mal „Endlich kann ich wieder durchatmen.“ Sabine hatte die Gartenarbeit für sich entdeckt, auch wenn sie zugeben musste, dass sie in diesem Bereich ungefähr so begabt war wie Michael in Sachen Renovierung.

Und heute hatte Paul Geburtstag. Mit zwei Kindern und der niemals endenden Baustelle im Haus kam er in den letzten Monaten immer etwas zu kurz. Aber Paul ertrug sein Schichsal tapfer. Überhaupt war er in seiner stoischen Gelassenheit seinen Menschen gegenüber der perfekte Familienhund. Ruhig und gelassen – egal, ob er gerade als Hüpfburg für die kleinen herhalten musste oder als Joggingpartner für Sabine, die sich fest vorgenommen hatte, die Pfunde, die der Nachwuchs hinterlassen hatte, wieder loszuwerden.

Lediglich der Postbote konnte sich nicht so recht mit Paul anfreunden. Und Paul nicht mit ihm. Die beiden hatten so etwas wie eine Übereinkunft getroffen. Wenn der Bote ein Paket lieferte, stellte er  es direkt hinterm Gartentor ab. Das bedeutete, dass er die Türe aufmachen, das Paket ablegen und die Türe wieder schliessen musste. Der erfahrene Postler hatte errechnet, dass er dafür ungefähr zehn Sekunden brauchte. Paul hatte errechnet, dass er in zehn Sekunden ungefähr 15 Leckerchen fressen konnte. Und so kam der Postbote, sagte: „Hol’s Dir“, Paul holte sich das Futter und der Postbote hatte das Paket abgelegt, bevor Paulchen wieder am Tor war.

Der heutige Tag, der sollte Paul gehören, dachte sich Sabine und öffnete den Kofferraum des Kombis. „Komm Paul“ sagte sie und der Hund sprang in den Kofferraum.

Mit dem Auto fuhr Sabine zu dem etwa 15 Minuten entfernt gelegenen See, den sie im letzten Winter entdeckt hatte. Paul war eine wahre Wasserratte und liebte es, im See zu planschen. „Ein bisschen wie ein Rentner auf Kneipp-Kur“ sagte Sabine mal, als sie ihren Hund dabei beobachtete, wie er gemächlich seine Runden zog. Schon am Parkplatz stellte sie fest, dass hier doch ganz schön was los war, sobald es etwas wärmer wurde. Also musste Paul erstmal an die Leine.

Nach ungefähr einem Kilometer gemütlichen Spaziergangs tauchte am Horizont der erste Hundebesitzer auf. Glücklicherweise einer der vernünftigen Sorte, der seinen Hund gleich an die Leine nahm. „Ist Ihrer verträglich?“ fragte die Frauenstimme. Sabine antwortete „Rüde oder Hündin?“ Hündin, gut, das klappte meistens. Die Hundehalterin stellte sich als Erika vor und ihre Hündin als „Maya“. Maya war eine große und nicht minder beeindruckende Rotti-Hündin und Paul machte den Anschein, als sei er verliebt.

Nach kurzem Überlegen leinte Sabine ihren Paul ab und die beiden Hunde tobten durch den Wald. Die beiden Frauen entschlossen sich dazu, die Runde am See gemeinsam zu gehen.

Erika war nett und Sabine verstand sich auf Anhieb mit ihr. Sie war etwas älter und ihre Kinder, die sie scherzhaft als „Brut“ bezeichnete, gingen zur Schule. Ihre Tochter sei in der Pubertät, ein Kotzbrocken, wie er im Buche steht, lachte Erika. Und „Jungsverrückt“. Aber, wenn das Kind irgendwann einen mit nach Hause bringen würde, hatte sie da schon einen Plan. „Maya darf dann mit ins Kinderzimmer, dann packt er die Jenny schon nicht an.“

Am See angekommen setzen sich die beiden auf eine Bank unterhielten sich angeregt, während die Hunde durch die Büsche, durchs Wasser, über die kleine Wiese und wieder durch die Büsche tobten. Das war ein schöner Geburtstag für Paul, dachte Sabine. Übrigens, wo ist er überhaupt?

Erika rief ihre Maya zu sich, die auch irgendwann widerwillig auftauchte. Nur Paul lies sich nicht blicken. Sabine ging am See auf und ab, suchte in den Büschen, rief nach Paul, doch nichts tat sich. Also ging sie in das Waldstück rein und rief nach Paul. Keine Reaktion. „Paaaauuuul!!! Der war doch gerade noch hier! Dieser blöde Hund“ fluchte sie vor sich hin, als sie einen Blick zwische eine Gruppe junger Bäume warf und ihn schliesslich fand.

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (9)

An diesem Morgen waren Sabine und Gertie mit Marie und Paul im mittlerweile fünften Geschäft, um eine neue Pfeife für Herrn Gutmut zu finden. Sabine bekam immer noch einen kleinen Schweißausbruch, wenn sie daran dachte, wie Paul den älteren Herrn mit geballten 45 Kilo Allradantrieb und ordentlich Schwung umgeworfen hatte. Glücklicherweise hatte Gutmut verständnisvoll reagiert. Eines war auf jeden Fall sicher, ab sofort gab es für Paul nur noch Freilauf, wenn Sabine auch wirklich den Überblick hatte.

Als sie Michael am Abend davon erzählt hatte, konnte er sich ein Lachen nicht verkneifen. Früher wäre er besorgt gewesen, aber zwei Jahre Paul hatten ihn verändert. Mittlerweile machte er sich jeden Morgen einen Spass daraus, laut im Treppenhaus „So, Paul, jetzt geht’s zur Jagd“ zu rufen, nur um sich dann beim Frühstück über die verärgerten Blicke der Nachbarn lustig zu machen. Und während er noch vor einigen Monaten bemüht war, den Frieden aufrecht zu erhalten, nutze er nun jede Gelegenheit, um mit den Anwohnern zu diskutieren. Ironie war nie seine Stärke gewesen, mittlerweile beherrschte er die komplette Palette, wenn es darum ging die verbitterten alten Leute aus der Wohnung gegenüber in den Wahnsinn zu treiben.

„Sollen wir das jetzt bis ans Ende unseres Lebens ertragen?“ rief zum Beispiel einmal die Nachbarin, die sich mal wieder über den Kinderwagen im Flur beschwerte. „Is‘ ja nicht mehr lang.“, konterte Michael trocken und musste grinsen, als er den verdatterten Blick dieser alten Schachtel zur Kenntnis nahm. Sabine hatte den Eindruck, dass ihr Mann langsam Spass an dieser Outsider-Rolle hatte.

„Die hier ist doch gut“ sagte Gertie und zeigt Sabine eine geschwungene Pfeife aus Holz. „Keine Ahnung, ich hab noch nie Pfeife geraucht. Aber schön aussehen tut sie.“ Blöderweise hatte Sabine die kaputte Pfeife von Herrn Gutmut nicht mehr in Erinnerung, aber Gertie machte einen überzeugten Eindruck, also sollte dieses Modell der versprochene Ersatz werden.

Manche Momente im Leben vergisst man nie. Das wussten auch Sabine und Gertie. Die Geburt von Marie zum Beispiel oder als Gerties Mann starb und sie die letzten Wochen seines Lebens an seiner Seite verbrachte, bis er schliesslich seinem Leiden erlag. Oder der Tag, an dem Sabine Michael kennengelernt hatte – obwohl die Erinnerungen der beiden hier etwas auseinandergingen. Während Sabine stundenlang alle Details ihrer ersten Begegnung zu erzählen wusste, antwortete Michael auf die Frage, wie er seine Frau kennengelernt hatte, mit einem knappen „An der Uni“. Typisch Mann.

Das der heutige Vormittag zu einem solchen Moment für die beiden Frauen werden sollte, ahnten sie noch nicht, als sie mit dem Kombi den geteerten Feldweg zu Herrn Gutmut hochfuhren. Sabine hatte vorher bei ihm angerufen, um sich zu versichern, dass er auch zuhause sei. Am Telefon klang er etwas komisch und sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich willkommen waren. Als sie an dem etwas vergammelten Gartentörchen stand und klingelte, tat sich erst mal nichts. Sie klingelte erneut – nichts.

„Bist du sicher, dass Ihr 12 Uhr verabredet habt?“ fragte Gertie. „Ja, ganz bestimmt, ich habe ihn ja heute morgen extra noch mal angerufen.“ erwiderte Sabine. „Hm, komisch“. Gertie öffnete das Tor und ging in den Vorgarten. Sabina war nicht so ganz wohl dabei und so zog sie es vor, lieber vor dem Grundstück zu warten. „Ich schau mal hinterm Haus, aber es scheint niemand da zu sein.“ sagte Gertie.

Christian und Marco hatten gerade ihren Bereitschaftsdienst angetreten, als der Notruf eintraf. In eiliger, aber präziser und routinierter Vorgehensweise hatte es keine fünf Minuten gedauert, bis sie ihren Rettungswagen auf die Straße gebracht hatten und weniger als zehn Minuten, bis sie am Einsatzort eingetroffen waren. Fast zeitgleich war Herr Dr. Schnelle vor Ort, der als zuständiger Notarzt gerade aus dem Klinikum gekommen war. Der etwa 70-jährige Patient war jedoch bereits tot, als die Einsatzkräfte zur Hilfe geeilt waren.

Eine ältere Dame und ihre Tochter hatten den Notruf ausgelöst. Die Dame, die sich als die Mutter der jungen Frau herausstellte, hatte den Toten hinterm Haus gefunden. Später würde ein Schlaganfall als Ursache für den Tod des Mannes festgestellt werden und Christian und Marco würden unisono sagen, dass sie froh seien, dass der Mann gefunden wurde, bevor die Natur sich seines Körpers bemächtigte. Ältere Leute, die einsam versterben und oft erst wochenlang später gefunden wurden, waren so ziemlich das Schlimmste an dem Job.

In den folgenden Wochen fühlte sich Sabine irgendwie bleiern, wenn man sie ansprach, erreichten sie die Worte wie durch einen Schleier und wenn sie unterwegs war, dann wie mit Scheuklappen. Dieser Mittag ließ sie nicht mehr los, sie musste an Herrn Gutmut denken, und wie der darüber gesprochen hatte, wie einsam er sich manchmal fühlte. Das seine Frau gestorben waren und seine Kinder lange aus dem Haus. Es war weniger der Anblick der Leiche, der ihr zu schaffen machte. Vielmehr beschäftigte sie die Tatsache, dass dieser nette Mensch alleine gestorben, dass niemand bei ihm war und seine Hand gehalten hatte, dass seine Kinder über das Telefon vom Tod ihres Vaters erfahren hatte.

In diesem Wochen stand sie oft am Bett von Marie und dachte darüber nach, wie wohl ihr Leben im Alter aussehen würde. Was sie tun würde, wenn sie irgendwann allein sei. Und ob Marie sich wohl um ihre Eltern kümmern könnte, wenn diese Pflege bedürften. Michael fühlte sich etwas hilflos, er beobachtete Sabine, hatte aber das Gefühl, dass er keinen echten Zugang zu ihr bekam. Was sollte er tun. Ein Freund von ihm rat ihm, einfach da zu sein. Sabine würde schon darüber hinwegkommen und es kämen auch wieder bessere Zeiten.

Gertie wiederrum hatte sich recht schnell von dem Schock erholt, schliesslich hatte sie den Mann ja nie kennengelernt. Sie verfolgte die Devise, dass „Etwas unternehmen“ das beste Mittel war, um Sabine aus ihrem emotionalen Tief herauszuholen. Und so stand sie jeden Tag vor der Tür, packte ihre Tochter, ihre Enkeltochter und das Zweitkind, wie sie Paul liebevoll nannte, ein und es wurde etwas unternommen. Kaffee trinken gehen, ins Einkaufszentrum oder spazieren im nahegelegenen Naturschutzgebiet.

Vielleicht war es Zufall, vielleicht führte auch irgendetwas unterbewusstes Gertie und Sabine genau an diesen Tag in die Nähe von Herrn Gutmuts Haus. Sabine war zunächst wie starr vor Schreck, als sie die Giebel des Hauses zwischen den Laubbäumen wieder erkannte. Aber irgendwas zog sie dahin. Vielleicht brauchte sie einen Abschluss, einen finalen Schlussstrich, wer wusste das schon.

Gemeinsam mit Gertie ging sie den Weg runter zu dem Gartentörchen, an dem sie an dem Tag gestanden und vergeblich geklingelt hatte. Im Vorgarten stand ein großer Container, in dem jede Menge Sperrmüll und Gerümpel lag. Ein ganzes Leben in einem Container. Ein etwas pummeliger Mann trug gerade einen alten Beistelltisch aus Buchenholz aus dem Haus, als er bemerkte, dass da jemand vor dem Grundstück steht.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte er sichtlich aus der Puste. „Nein“, stammelte Sabine etwas unsicher, „es ist nur …“. Sie erzählte dem Arbeiter, wie sie Herrn Gutmut gefunden hatten und dass sie einfach nochmal hierher kommen wollte, um einen Schlussstrich zu ziehen. Und sie erzählte ihm von Gutmuts unheilvollen Begegnung mit Paul und von der zerbrochenen Pfeife.

Der Mann hörte zu und drehte sich derweil eine Zigarette. „Ich erinnere mich,“ nuschelte er etwas, während er sich den Glimmstengel anzündete. „Mein Vater hat mir davon erzählt. Paul, wie mein Uropa, ein harter Hund“, grinste er und guckte Paul freundlich an. „Komm’se doch rein, hier isses viel zu kalt.“ Sabine, Gertie und Paul folgten Gutmuts Sohn ins Haus. Fast alle Räume waren bereits leergeräumt. Nur ein paar helle Stellen an den Wänden zeugten von den Möbeln, die hier mal gestanden hatten.

Gutmut Junior ezählte von seinem Vater, von dem nicht immer ganz einfachen Verhältnis zu ihm und dass Herr Gutmut sich bis zum Ende geweigert hatte, das Haus aufzugeben. Nun stand es da, ohne Besitzer. Juniors Schwester hatte gleich klargestellt, dass sie kein Interesse an der Immobilie hatte, ihr Lebensmittelpunkt war im Süden und sie liebte München. Außerdem, das Haus war alt, es gab viel zu renovieren und wer wollte schon soweit abseits leben. Der nächste Nachbar 200 Meter weit weg, kein Supermarkt und kein Bahnhof in dem Kaff.

Gutmut Junior hatte das Haus vor einiger Zeit zum Verkauf angeboten und schnell die Erfahrung gemacht, dass die Immobilienpreise tatsächlich ziemlich im Keller sind. „Wenn Sie jemanden kennen, der das Haus haben will, geben’Se mir bescheid“ sagte er nachdenklich, während er einige Porzellanfiguren in einen Müllsack bugsierte. Er musste schmunzeln. „Mein Vater hat diesen Tinnef gehasst, aber Mutter hat ständig diesen Kram angeschleppt und das Haus bis unters Dach mit Kitsch vollgestellt. Vater hätte sich nie getraut, die Figuren wegzuwerfen. Mutter war schon zehn Jahre tot und er hat sie immer noch hier stehen gehabt.“ Er nahm eine der Figuren, einen gold-weißen Porzellan-Engel mit einer Harfe. „Wollen Sie die vielleicht haben?“

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (8)

“Sabine, mein Kind”, sagte sie. “Das kriegen wir hin. Das lassen wir uns nicht gefallen.”

Die Worte ihrer Mutter waren Sabine im Ohr geblieben, als sie am nächsten Morgen mit Paul auf dem Weg nach draussen war. Ihr kam eine Nachbarin entgegen und rümpfte die Nase. „Ist das Vieh immer noch da?“ kam es Sabine unfreundlich entgegen. „Ja, und bleibt auch“ grinste sie die ältere Dame an, die sichtlich beeindruckt war ob Sabines Frechheit. Das tat gut!

Gertie hatte morgens mit einem Rechtsanwalt telefoniert, der ihr mitgeteilt hatte, dass es keinen Grund zur Sorge geben würde, da die anderen Eigentümer kein Recht hätten, die Hundehaltung „einfach so“ zu untersagen. Aber vermutlich würden sie einen Versuch unternehmen und auf die Gefahr hinweisen, die vom Paul ausgehe. Aber dem könne man gelassen entgegen sehen. Größere Sorgen machten Gertie auch die Nachbarn selber. „Es kann der frömmste nicht in Frieden leben, wenn’s dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Da war was wahres dran. Und Gertie hatte schon gemerkt, wie angespannt ihre Tochter und ihr Schwiegersohn in der letzten Zeit gewesen waren. Wenn das mal gut geht.

Gut bzw. viel besser als erwartet verlief einige Wochen später die Geburt des Kindes. Marie. Michaels Prinzessin. Die kleine hatte es eilig gehabt, kam einige Tage zu früh und auch der Geburtsvorgang ging schneller von Statten als erwartet. Michael war froh, dass Sabine noch einige Tage im Krankenhaus bleiben sollte, da er zum Geburtsttermin hin ein wenig aus den Augen verloren hatte, was so ein Kind alles an Erstausstattung benötigte.

Als er in dem Geschäft stand und die schier endlose Auswahl an Zubehör, Accesoires und Babykleidung sah, musste er grinsen und an den Tag denken, an dem Sabine und er die Erstausstattung für Paul gekauft hatten. Tatsächlich stellte er an der Kasse fest, dass er bei Marie sogar etwas günstiger weg gekommen war als damals bei Paul. Sowas.

Derweil hatte sich Sabine bereits etwas von den Strapazen der Geburt erholt. Ihr Tagesablauf begann mit der Versorgung des Säuglings unter Mithilfe einer Hebamme. In den Pausen unterhielt sie sich mit ihrer Zimmernachbarin. Nicht nur, dass beide gerade Mutter geworden waren, sie hatten auch ein ähnliches Schicksal. Die junge Frau im Bett neben ihr hatte ihren Hund jedoch einschläfern lassen, nachdem er gebissen hatte. Eine Sache, die sie zutiefst bereute. Doch die Nachbarn hatten dermaßen Druck gemacht, und sie hatte niemanden gefunden, der ihren „Paul“ übernehmen wollte. Sabine merkte, wie schwer es ihrem Gegenüber fiel darüber zu sprechen und hielt sich deshalb ein wenig zurück, wenn es auf das Thema Hund kam. Einmal jedoch sagte die junge Frau wie aus dem Nichts: „Es hätte eine andere Lösung gegeben, es gibt immer eine andere Lösung.“

Eine Lösung brauchten auch Sabine und Michael. Morgen würde sie mit der Kleinen nach Hause kommen und sie hatte etwas Angst, wie Paul wohl auf den Zuwachs reagieren würde. In verschiedenen Foren hatte sie eine Vielzahl an Tipps gelesen, wie man Hund und Kind aneinander gewöhnt. Und sie hatte sich Notizen gemacht. Doch jetzt war sie einfach nur nervös. Paul wog 45 Kilo, Marie nicht viel mehr als 4,5 Kilo. Insgeheim jedoch vertraute sie ihrem Paul, vielmehr setzte sie voraus, dass es mit dem Kind gut geht. „Wir haben so viel Ärger gehabt, wenn es jetzt daran scheitert, bring ich ihn persönlich zurück nach Spanien.“ hatte sie mal im Scherz gesagt und dabei gehofft, dass Paul ihre Worte verinnerlicht.

Am Tag von Sabines Entlassung musste Michael feststellen, dass es unmöglich war, den Kinderwagen UND Paul im Kofferraum des Kombis unterzubringen. Also musste Paul zuhause warten. Heimlich fand Michael diesen Umstand gut, war er doch das Argument, sich nach einem neuen, größeren Auto umzuschauen. Sabine würde das schon verstehen. Schliesslich sollte der Hund immer dabei sein.

Zwei Stunden später, Sabine war noch mal alle Notizen durchgegangen und Michael hatte zur Sicherheit einen Regenschirm in der Hand, warum wusste er auch nicht. Würde Paul wider Erwarten die Kleine im Kinderwagen angehen, würde der Schirm auch nicht helfen. Und außerdem traute er Paul auch nicht zu, dass er so böse auf das Neugeborene reagieren würde. Aber, für den Fall, dass es in der Wohnung regnet, wäre er gewappnet. Und er kam sich einen kurzen Moment auch ziemlich männlich vor.

Wochenlang hatten die Nachbarn sie gewarnt, Gertie hatte ihre Bedenken geäußert und auch der Herr vom Ordnungsamt sah die Sache skeptisch. Sabine und Michael hatten das Internet nach Informationen durchforstet, mit jemanden und mit dem Experten telefoniert und nun standen sie vor der Wohnungstür. Die Kleine im Arm, der Hund auf der anderen Seite.

Vorsichtig schloss Michael die Türe auf und Sabine kam mit Marie rein. Paul schaute neugierig nach dem Bündel und Sabine liess ihn die kleine kurz beschnuppern. Paul schnupperte, musste niessen, hechelte kurz aufgeregt und legte sich wieder in seinen Korb. Das war’s. Dafür der ganze Aufriss. Problem erledigt.

In den folgenden Monaten machten Sabine und Michael die Erfahrung, dass sich die Nachbarn nun nicht mehr wegen des Hundes sondern wegen des Hundes und Marie beschwerten. Das Geschrei wäre nicht auszuhalten und der Kinderwagen im Treppenhaus wäre eine Zumutung. Und dann die Windeln in der Restmülltonne. Schliesslich lebten hier auch alte Leute und Menschen, die nachts ihren Schlaf brauchen. „Die Kinder haben die wohl mittlerweile vergrault“, sagte Michael irgendwann.

Die nörgelnden Nachbarn und die Tatsache, dass nicht nur der Kofferraum des Autos sondern auch die drei Zimmer für Sabine, Michael, Marie und Paul auf Dauer zu eng würden, veranlasste Michael dazu, abends im Internet nach „was anderem“ zu suchen. Das Budget der kleinen Familie war Dank Marie und einer 560 Euro teuren Tierarztrechnung für so eine vermalledeite, distanzlose Hundewiesenbegegnung ziemlich geschröpft. Aber so, das war kein Leben. In dieser verpesteten Atmosphäre sollte Marie nicht aufwachsen. Auch wenn der Verkauf der Wohnung sicherlich mit einem Verlust für ihn enden würde. Michael war bereit, das in Kauf zu nehmen.

Herr Gutmut musste in letzter Zeit auch einiges in Kauf nehmen. Seit einem Schlaganfall konnte er nicht mehr so wie er gerne wollte. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Seine Frau war schon vor einigen Jahren gestorben und der nun lebte er alleine in dem großen alten Haus. Zu seinen Kindern hatte er nicht besonders viel Kontakt, seine Tochter war nach dem Studium nach München gezogen und sein Sohn arbeitete viel im Ausland auf Montage.

Das letzte, was er von seinen Kindern mitbekommen hatte, war der Rat, doch in ein Altenheim zu ziehen. Dort würde man ihn versorgen und er hätte nicht mehr so viel Arbeit auf dem Grundstück. Er fand das frech, er war zwar nicht mehr der Rüstigste, aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, in so einem „Rentnerknast“, wie er es nannte, zu leben.

Herr Gutmut nahm seinen Stock, den er zum Aufstützen brauchte und beschloss, ein paar Meter durch die Landschaft zu laufen und sich eine Pfeife zu gönnen. Er kam gerade zu der Bank neben dem alten Wasserwerk und wollte Platz nehmen, als er am Horizont eine Person wahrnahm, die irgendetwas rief. Auf dem zweiten Blick sah er, dass der Grund für die Rufe geradewegs auf ihn zurannte. Es musste ein Grizzlybär oder so etwas sein, dachte er noch, als er nochmal genau hinschaute und genau in diesem Moment – Rumms – zu Boden ging. So lag er da erstmal einige Sekunden wie eine Schildkröte auf dem Rücken.

Als er die Augen aufmachte, stand da dieser riesengroße hechelnde Hund über ihn und schaute Herrn Gutmut ernst an. Von hinten kam eine Frau mit einem Kinderwagen angespurtet, die so etwas wie „ohmeingottohmeingottohmeingottohmeingott“ vor sich hinstammelte und etwas hysterisch wirkte.

„Nun beruhigen Se sich mal, junge Frau“ sagte Gutmut und versuchte, sich aufzurichten. Das würde einen schönen blauen Fleck geben. Als er es endlich geschafft hatte, wieder auf eigenen Beinen zu stehen, klopfte er sich den Dreck von den Hosen und suchte nach seiner Pfeife. Die junge Frau hob sie auf und streckte sie ihm hin, während unzählige Entschuldigungen aus ihrem Mund sprudelten. Die Pfeife war hin, genau am Aufsatz abgebrochen, Mist. Herr Gutmut setzte sich auf die Bank und rief lauter als er wollte: „Is‘ ja gut, is ja nichts passiert.“

Die junge Frau stellte sich ihm als Sabine vor, die Kleine in dem Kinderwagen wäre Marie und der große Hund, der Herrn Gutmut beinahe entschuldigend anschaute, das war Paul. „Paul,“ sagte der Rentner, „wie mein Opa, der hiess auch Paul und war genauso ein harter Hund.“ Sabine beteuerte noch circa fünfzig Mal, dass ihr das fürchterlich peinlich sei und das sie die Pfeife natürlich ersetzen würde.

Sie begleitete ihn noch nach Hause und Herr Gutmut kam sich etwas wie einer dieser alten Leute vor, mit denen er Mitleid hatte. Aber die junge Frau hatte es nur gut gemeint und der Hund war mittlerweile auch freundlicher gesinnt. Und das Kind war wirklich entzückend. Gutmut war immer ein Familienmensch gewesen und genoss das Gespräch mit Sabine. Am Abend saß er in seinem alten Fernsehsessel mit dem dunkelgrünen Cordbezug und fühlte sich einsam. Er wollte sich eine Pfeife stopfen, aber die war kaputt. Glücklicherweise hatte er noch ein paar Cigarrillos gefunden. Die waren bestimmt schon Zwanzig Jahre alt. „Da bin ich mal gespannt,“ dachte er bei sich und schaute aus dem Fenster raus auf das Naturschutzgebiet, in dem er lebte. „ob die mir wirklich die Pfeife ersetzt.“

(Fortsetzung folgt)

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Yapp Yapp

Ein Hund, der stark hechelt, von innerer Unruhe geplagt ist und hysterisch kläfft, zeigt Symptome von Stress, sagen Tierärzte. Es sei denn, er ein Hütitüti und sitzt im Kofferraum kurz vorm Training. Da nennt man das Vorfreude, sagte mir zumindest die Besitzerin des Hundes. So einfach ist das.

Der Hund, der da im Kofferraum des SUV vor Freude beinahe kollabierte, hieß „Pepper“ und war ein reinrassiger Aussie in der lustigbunten Farbe „Gen-Defekt*“. Nicht nur ein pfiffiger Lausbub, mit dem die ganze Familie Spaß haben sollte, sondern auch ein senisbler Freund für einsame Stunden. So stand es auf der Internetseite der Züchterin, die die Tierchen „liebevoll und familiär“ so als Hobby züchtete. Und ohne Papiere übers Internet verhökerte. Peppers Vater war der König unter den Showlinien-Aussies und sah ein bisschen aus wie ein explodiertes Sofakissen. Peppers Mutter wiederrum war das Ergebnis einer Liaison zweier Aussies aus dem Freundeskreis der Züchterin und war nicht minder plüschig.

Peppers Frauchen hiess Petra und hatte sich akribisch an das gehalten, was sie so über Hütehunde gelesen hatte. Auslastung körperlicher und geistiger Natür, Frühförderung und Aktivität. Kurz, Pepper hatte einen Tagesablauf wie ein 12-jähriges Mädchen mit größenwahnsinnigen Eltern.

Montags und mittwochs war „Aggi“ angesagt, samstags wurde für die Begleithundeprüfung gebüffelt und sonntags ging’s zum Flyball, weil Pepper so viel Spass an der Action hatte. Außerdem war Petra auf die Idee mit dem Dog Dancing gekommen, aber das machte sie mit Hilfe einer DVD zwischendurch zuhause. Damit der Hund auch geistig gefördert wurde, besaß Pepper sieben unterschiedliche Intelligenzspiele, von denen er drei nahezu perfekt beherrschte. Dazu dann noch die „Basics“ beim Gassigehen, ein bisschen Apportieren, Futter suchen, Fährte lesen und fertig war der Hundealltag.

Das sei nämlich alles wichtig, versicherte mir Frauchen, denn so ein Hütehund sei ein Arbeitstier und müsse entsprechend beschäftigt werden. Und Pepper macht das auch alles prima, ok, das Gekläffe nervt ein bisschen, aber im Forum hat sie gelesen, dass die Aussies so sind. Na dann. Und so stand ich da am Rand des Hundeplatzes und Pepper rannte um mich rum, sprang mich an, kläffte, rannte weiter, kläffte, sprang Frauchen an und kläffte.

Frauchen wiederrum erwiderte Peppers Verhalten mit einem „Sitz“, was Pepper mit einem „Sitz“ quittierte, nur um dann gleich wieder auf Achse zu sein. „Er ist ein bisschen unruhig, findest Du nicht?“ fragte ich Petra vorsichtig und sie erwiderte „Das ist die Vorfreude, weil es gleich los geht.“ Ok, das hatten wir schon.

Nun war Peppers Problem laut seiner Besitzerin, dass er sich nicht ganz so supergut abrufen liess, wenn z.B. Autos, Radfahrer, Jogger, Rehe oder Weinbergschnecken am Horizont auftauchten. Vermutlich, so dachte sie, wäre er nicht ausgelastet. Deshalb wäre er so ein klitzkleines bisschen nervös. Ich schaute Pepper 5 Minuten zu und hatte Kopfschmerzen.

Petras Idee war, dass Pepper ja Schafe hüten könnte, schliesslich wäre er ja ein Hütehund. Und da ich doch ein paar Schäfer kennen würde, hatte sie die Hoffnung, dass ich ihr da „jemanden vermitteln“ könnte, bei dem Pepper an den Schafen arbeiten könnte. Am besten vormittags, da wär sie in der Schule.

Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir vor, wie Schäfer Franz einen halben Tag mit seinen Schafen plus Pepper unterwegs wäre und wie lange es wohl dauerte, bis Franz den Hund erschlagen würde. Ich vermutete so in etwa Zwanzig Minuten. Das Problem bei einer Erkenntnis wie dieser ist immer, dass Besitzer solcher Hunde relativ wenig Verständnis dafür haben, wenn man versucht, ihnen zu verstehen zu geben, dass ihr Arbeitstier ein hypernervöses Wrack und kein talentierter Hüte-Profi ist.

Also nutzte ich den gewünschten Vormittagstermin als Vorwand, Petra den vermeindlichen Zweitjob für ihren Hund wieder auszureden. „Vormittags ist der Schäfer am Stall, da langweilt sich der Hund doch nur.“ Wobei etwas Langeweile Pepper nicht schaden würde, aber das stand auf einem anderen Blatt Papier.

Irgendwie tat Petra mir leid. Eine Stunde mit diesem Hund und ich brauchte Beta-Blocker, sie hatte Pepper den ganzen Tag um sich rum, kläffend, fiepend, nervös und ruhelos. Auch tat mir Pepper leid, auch wenn er nervte. Immer unter Strom, immer in Aktion. Armer Hund!

Das Gegenteil von gut gemacht ist häufig gut gemeint. Und gemeint hatte Petra es bestimmt gut, als sie ihren Pepper gleich vom ersten Tag als Welpe förderte und förderte. Und vor lauter Förderung nicht mitbekam, dass sie sich einen kleinen Psycho heranzüchtete, der nie gelernt hatte, wie wichtig Ruhe und Gelassenheit gerade für einen Multitasking-fähigen Hund wie ihn sind.

Aber woher hätte sie es auch wissen sollen? Aus einem der vielen Bücher? Aus dem Forum? Von der Züchterin?

Es hält sich hartnäckig das Märchen von der unbedingten Pflicht, einen Hütehund ständig beschäftigen zu müssen, weil er sonst Neurosen oder dumme Ideen entwickelt. Das man genau diese Neurosen und dummen Ideen mit 24-Stunden-Bespassungsprogramm und undifferenzierter Förderung begünstigt, steht eher im Kleingedruckten. Nein, hast Du einen Hütitüti, dann hast du einen Vollzeitjob!

Mal ganz abgesehen davon, dass auch ein Molosser ein Recht auf artgemäße Beschäftigung hat – sollte Auslastung nicht an Spaß an der Freude stattfinden anstatt zum Selbstzweck?

Wieder stelle ich mir Schäfer Franz vor, wie er bei den acht Wochen alten Welpen seiner Hündin den „Spieltrieb“ fördert und den Schafstall in einen Welpenspielplatz mit Rutsche und Bällebad verwandelt … Öhm, am Arsch die Räuber mit Verlaub! Franz‘ Hunde lernen im ersten Jahr konsequent, Langeweile zu ertragen. Man ist nett zueinander, sonst nix. Frustrationstoleranz heisst das Zauberwort, das haben wir als Kinder automatisch gelernt, wenn wir am Tisch warten mussten, bis Papa in Seelenruhe zuende gegessen hat.

„Wer gelassen bleibt, wenn andere rennen, hat mehr vom Leben und spart sich den Weg zurück!“ So sieht’s aus, Franz!

„Schnell sind die automatisch.“ sagt denn auch der Schäfermeister, der es eher gemütlich mag. Genau wie seine Hunde eher ein „chilliges“ Leben haben. Gut, Zwei bis drei Mal in der Woche wird gehütet. Den Rest der Woche sind die anderen dran. An der Herde sind die Hunde hellwach und voll bei der Sache. Aber nur dann, wenn Franz es will. Die Schafe werden schliesslich nicht vom Laufen fett. Und jemanden beim Essen stören geht schonmal garnicht, der gute Hund schweigt und wartet, während das Schaf frisst und „Mäh“ sagt. Wieder nichts mit der erhofften Action.

Vollzeitbeschäftigung, wie Pepper sie erlebt, sieht anders aus. Und Franz wäre auch verrückt, einen seiner Hunde jeden Tag ohne Pause hüten zu lassen. Schliesslich sind die Tiere seine wichtigsten Arbeitskollegen. „Hast du keinen guten Hund, dann musst Du den Schafen selber hinterher rennen.“ Und da so ein Hund auch nicht jünger wird, muss auch er sich hin und wieder schonen. Die Berufsgenossenschaft nennt sowas Prävention.

Jemand wie Franz versteht die ganze Aufregung um die Hunde nicht. Erzählt man ihm, wie viel Aufwand Petra betreibt, um ihren Pepper glücklich zu machen, zuckt er nur mit den Schultern und sagt etwas sexistisches.

Warum Hütehunde die perfekten Hunde für jeden Zweck sein sollen, ist mir schleierhaft. Egal ob Familie oder Single, ob als sensibler Therapiehund, strahlender Turniersieger oder pfiffiger Begleiter – wenn sonst nix passt, ein Hütehund geht immer, ist immer leichtführig und, achja, natürlich intelligent und lernwillig. So lange er ausgelastet wird, nicht zu vergessen.

Ich habe mich mal in einem Forum geoutet und zugegeben, dass meine Hütehunde hin und wieder mit zu den Schafen kommen dürfen und ansonsten die Aufgabe haben, mich zu begleiten. Jeden Tag, ins Büro, in die Mittagspause, in den Urlaub und abends ins Schlafzimmer. Aber nicht ins Bett.

Ein Sturm der Entrüstung. Mir egal. Meinen Hunden gefällt’s.

 

*Das Merle-Gen ist für die gemerlte Fellfarbe (also Blue Merle, Red Merle oder bei den Altdeutschen Hütehunden „Tiger“ genannt) verantwortlich. Die Verpaarung zweier Tiere, die das Gen in sich tragen, führt häufig zu Behinderungen wie Taubheit, Blindheit oder zu anderen Erbschäden. In Deutschland fällt eine solche Verpaarung unter den Qualzuchtparagraphen, in anderen Ländern ist sie erlaubt, hat aber die selben Auswirkungen.

Paul, der Labbi-Mix (7)

An diesem Abend war Frau Gutmensch sehr müde, als das Telefon klingelte und sie mit gequälter Stimme ihren Namen ausformulierte. Frechheit, sie nach 20 Uhr noch zu belästigen. Wer das wohl wieder sei.

Am anderen Ende war eine junge Frau, die ihr mit tränengetränkter Stimme von ihren Problemen mit dem Hund berichtete, den sie vor eineinhalb Jahren von Frau Gutmensch adoptiert hatte. Der Hund hatte gebissen, doch das sei nicht das eigentliche Problem. Vielmehr seien sie jetzt in der Nachbarschaft geächtet, würden gemieden und könnten einfach nicht mehr. Der Hund sei ihnen so ans Herz gewachsen, aber dieser stetige Druck und die Verdächtigungen würden sie fertig machen. Außerdem bekäme die junge Frau bald ein Baby. Sie und ihr Mann hätten lange überlegt und seien zu dem Schluss gekommen, dass sie ihren geliebten Vierbeiner leider abgeben müssten.

Frau Gutmensch hörte sich die Geschichte an und war etwas genervt. So ist das, sobald es das kleinste Problem gibt, geben die Leute auf. Das ist diese Wegwerfmentalität, schlimm ist das. Und wenn sie ehrlich sei, glaubte sie der Anruferin kein Wort. Die will sich doch nur schnell eines Problems entledigen. Dem entsprechend fiel auch ihre Antwort aus.

„Und was soll ich jetzt machen?“ fragte Frau Gutmensch die über diese pfiffige Reaktion sichtlich verwunderte junge Dame. „Naja“, erwiderte diese, „im Schutzvertrag steht ja drin, dass Sie unseren Hund zurücknehmen würden, wenn uns die Haltung nicht mehr möglich sei. Und deshalb habe ich gedacht …“ Frau Gutmensch unterbrach ihr Gegenüber.

„Nun hörn’Se mal. Erstens geht das nicht so einfach. Wir haben auch nur begrenzte Kapazitäten und im Moment habe ich auch gar keine Pflegestelle, die so einen Hund nehmen könnte. Außerdem haben Sie den Hund damals von Frau Kannix adoptiert, mit der arbeiten wir schon lange nicht mehr zusammen. Abgesehen davon, wie stellen Sie sich das vor? Der Hund hat jetzt jemanden gebissen, den kriegen wir ja auch nicht so vermittelt. Wenn er dringend weg muss, dann bringen Sie ihn halt in eine Hundepension oder fragen Sie im nächsten Tierheim.“

Das hatte gesessen. Die junge Dame am Telefon war sprachlos und stammelte nur noch ein knappes „Vielen Dank für Ihre Mühe!“, bevor sie auflegte. Frau Gutmensch fühlte sich erleichtert, dieser Kelch war also an ihr vorrüber gegangen. Was sich diese Leute immer einbilden. Als wenn sie sofort springen müsste, nur weil irgendwo ein kleines Problem auftauchte. Und überhaupt, wenn sie das höre, gebissen, die Leute übertrieben immer maßlos. Bestimmt hatte diese inkompetete dumme Kuh den Hund bedrängt und er hat mal kurz geschnappt. Frau Gutmensch brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen. Sie setzte sich wieder in ihren Fernsehsessel und schaltete um: Rosamunde Pilcher.

Am selben Abend war auch Beate sehr müde, als das Telefon klingelte und sie mit gequälter Stimme ihren Namen ausformulierte. Am anderen Ende war eine junge Frau, die weinte und ihr von ihrem Problem mit ihrem Hund berichtete und davon, dass der Verein, der ihr das Tier vermittelt hatte, ihn nicht zurücknehmen wolle. „Entschuldigen’Se, wenn ich das so sage, aber da könnte ich kotzen.“ erwiderte Beate, nachdem sie sich die Geschichte angehört hatte. Sie war Leiterin eines kleinen Tierheims und hatte schon oft erlebt, dass Hunde zwar vermittelt, aber dann im Fall des Falles von den „Orgas“ nicht wieder zurückgenommen wurden. So etwas ärgerte sie. Einige schwarze Schafe ruinierten den Ruf aller Tierschützer. Kein Wunder, dass alle anderen, die gute Arbeit machten und seriös waren, darunter litten. Und solche Geschichten sind natürlich Wasser auf den Mühlen der Tierschutzgegner.

Gerade jetzt hatte sie wieder drei solcher Hunde in der Anlage untergebracht. Immer dieselbe Geschichte. Die Tiere werden als liebe, nette und verträgliche Traumhunde angepriesen und wenn sich herausstellt, dass doch nicht alles Gold ist, was glänzt, werden die Menschen im Stich gelassen. Gerne hätte sie der jungen Frau geholfen, aber in dem kleinen Tierheim konnte sie den Hund nicht unterbringen. Kein Platz. Vor allem, weil die Anruferin geschildert hatte, dass der Hund nicht so besonders verträglich sei. Sonst hätte Beate ihn in eine Gruppe setzen können. Sie bot der jungen Frau an, dass sie sich schlau machen würde, vielleicht fände sie ja eine Möglichkeit.

Am selben Abend war Herr Dr. Müller bereits eingeschlafen, als das Telefon klingelte und er mit gequälter Stimme noch seine Begrüßung „Tierklinik Dingenskirchen, Müller mein Name.“ ausformulierte. Am anderen Ende war eine junge Frau, die mit stockender Stimme von ihrem Problem mit ihrem Hund berichtete, dass der Tierschutzverein ihn nicht zurücknehmen würde und auch das Tierheim überfüllt sei. Der Hund habe gebissen, ja, schon sehr heftig, der Mann hätte eine Woche im Krankenhaus verbracht und sei noch immer arbeitsunfähig. Ja, das sei ihr auch klar, dass eine kleine Wohnung nicht der richtige Ort sei, um einen solchen Hund zu halten. Ja, die Nachbarn würden ihr und ihrem Mann das Leben zur Hölle machen. Und dann sei da noch das Kind, das sie erwarte.

Herr Dr. Müller war selber Familienvater und hatte eine strikte Meinung, was bissige Hunde angeht. Der Schutz der Umwelt geht vor. Und der Hund hatte den Mann ja ernsthaft verletzt. Und dann auch noch diese Rasse. Der Tierarzt war sich sicher. Anhand der Schilderungen und des Umfeldes, wäre es am besten, wenn man die Welt von diesem Hund befreit. Und die junge Frau zeigte sich verantwortungsbewusst und hatte eingesehen, dass es so am besten wäre.

In Fünfzehn Minuten wäre sie da. Als er die Türe öffnete, stand da diese junge schwangere Frau und weinte. Ihr Lebensgefährte, oder war es ihr Mann, hielt ihre Hand. Der Hunde war sehr ruhig und schaute etwas skeptisch. Sicherheitshalber bestand Dr. Müller darauf, dass ihm ein Maukorb übergestülpt würde. Der Hund wurde in Anbetracht der engen Maulschlinge nervös und Dr. Müller und die Besitzer brauchten einige Kraft, um das Tier auf den Behandlungstisch zu hieven.

Der Tierarzt schor mit einem kleinen Apparat ein bisschen Fell am rechten Vorderbein des Hundes weg und staute mittels einer Gummischlinge das Blut. Nun musste er eine Vene finden und die Braunüle setzen. Das war garnicht so einfach, der Hund war deutlich gestresst, versuchte dem Nadelstich auszuweichen und stemmte sich mit aller Kraft gegen das nahende Schicksal. Das Tier schnaufte und fiepte und die Besitzer waren Müller keine große Hilfe. Endlich konnte der Tierarzt das Braunüle fixieren. Nun spritzte Dr. Müller ein Betäubungsmittel, langsam gab der Hund nach und fiel in einen tiefen Schlaf. Müller griff zum Eutha 77 und spritzte dem nun ruhigen Hund, dem die Zunge schlaff seitlich aus dem Maul hing, das Mittel.

In dem Moment, in dem ein Lebewesen stirbt, erschlaffen seine Muskeln. Und so machte sich in dem kleinen Behandlungsraum ein unangenehmer Geruch breit, da die Schliessmuskeln nachgaben und sich Enddarm und Blase entleerten. Die junge Frau weinte und ihr Lebensgefährte stand mit versteinerter Miene und aschfahlen Gesicht neben ihr. Dr. Müller schob den leblosen Körper des Tieres so sanft wie möglich auf einen Wagen und schob diesen in einen hinteren Raum. Nun packte er das tote Tier in einen schwarzen Plastiksack und wuchtete es in die Tiefkühltruhe. „Hoffentlich kommt heute keine Einschläferung mehr rein“, dachte Müller bei sich. Die Truhe war voll und erst morgen würden die Kadaver abgeholt werden.

Ebenfalls an diesem Abend kam Gertrude gerade vom Sport, als ihr Telefon klingelte und ihre Tochter Sabine am anderen Ende der Leitung war. „Hallo, na wie geht’s Euch?“ fragte Gertrude, ganz besorgte Mutter, die sie war. „Wir sind stinksauer“, erwiderte Sabine ungewohnt patzig und erzählte ihrer Mutter von den Nachbarn, von der Versammlung, die sie abgehalten hätten und von dem Brief, den sie erhalten hatten. Und von Paul, der heute seinen Wesenstest bestanden hatte.

„So eine Frechheit“, sagte Gertrude, die alle nur Gertie nannten. „Aber jetzt, wo Paul den Wesenstest bestanden hat, ist doch alles gut. Er ist nicht gefährlich, das habt ihr ja jetzt nachgewiesen“. „Naja, so einfach ist das nicht“, sagte Sabine. „Er hat zwar den Wesenstest bestanden, aber er wird immer als gefährlich gelten. Und die Nachbarn werden immer drauf rumreiten.“ Gertrude fragte sich in dem Moment mal wieder, wofür dieser Test eigentlich gut sei.

In den letzten Wochen hatte sie sich zu einer wahren Expertin in Sachen Hundegesetze entwickelt. Natürlich in aller erster Linie aus Sorge um ihren zukünftigen Enkel. Das, was sie gelesen hatte, beruhigte sie jedoch in keinster Weise. Und als Hausfrau und Mutter dreier Kinder war sie eine Freundin einfacher Lösungen. Aber diese Hundegesetze waren weder einfach noch logisch. In einem Bundesland war eine Rasse gefährlich, im nächsten wieder nicht. Im dritten Bundesland waren Hunde über 40 cm per se gefährlich, aber bei einigen Hunden dann wohl nur die Rüden, denn Hündinnen sind ja häufig kleiner. Das wusste sogar sie, die nie einen Hund gehabt hatte. Gertrude war in Sorge um ihr Enkelkind, doch das, was sie da las, war lediglich ein Wulst an Verordnungen und Gesetzen. Schutz versprachen diese alle nicht.

Und Paul? Paul war eigentlich ein ganz lieber. Manchmal etwas stürmisch, wenn er sie begrüßte, aber eigentlich ein lieber Kerl. „Sabine, mein Kind“, sagte sie. „Das kriegen wir hin. Das lassen wir uns nicht gefallen.“

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (6)

Michael hatte Kopfschmerzen und massierte sich die Schläfen. Vor ihm lag das Schreiben vom Ordnungsamt. „Muss von einer Gefährlichkeit ausgegangen werden“ stand da. „Gefährlich“, dachte Michael und schaute auf Paul, der in seinem Körbchen lag und schnarchte. Nunja, besonders freundlich war Paul ja wirklich nicht, aber gefährlich? Michael musste an das gemeinsame Kind denken, das in vier Monaten zur Welt kommen würde. „Gefährlich“, murmelte er und streichelte Paul über den Kopf.

In dem Schreiben stand, dass Sabine, Michael und jeder andere, der Paul ausführen würde, eine Sachkunde nachweisen müsse und das Paul einen Wesenstest absolvieren sollte. Michael beschloss, dass er am nächsten Tag zum Ordnungsamt fahren würde, um sich zu erkundigen, wie das von Statten gehen würde und an wen er sich wenden müsse.

Alles ist für irgendetwas gut. Der Morgen hatte miserabel angefangen. Sabine war beruflich unterwegs und Michael war im Treppenhaus mit einem Nachbarn aneinandergeraten, weil Paul ihn angebellt hatte. Der Nachbar hatte sich furchbar aufgeführt, geschimpft und getobt. Und Michael als Asozialen bezeichnet. So ein Idiot. Mit jeder Menge Wut im Bauch setzte sich Michael ins Auto, knallte die Tür zu und fuhr schwungvoll rückwärts aus der Einfahrt. Geradewegs in ein parkendes Auto. „So ein verfluchter Mist“ schimpfte Michael über sich selber, als er ausstieg, um den Schaden zu begutachten.

Der Fahrer des anderen Autos war etwas baff, aber blieb entspannt und erwiderte nur, dass es ja nur Blech sei und Michael bestimmt versichert. Er warf einen Blick auf das kaputte Rücklicht von Michaels Kombi und warf dann einen Blick auf Paul, der ihn missmutig anblickte. „Einen schönen Hund haben Sie da“, sagte der Mann und Michael könnte bis heute nicht sagen, warum er dem Fremden die Geschichte von Paul erzählt hat.

„Oh, er muss also einen Wesenstest machen?“ fragte der Mann, der sich als Herr Maier vorstellte und fuhr fort. „Ich hatte mit meinem Hund auch das Problem, aber das ist eine andere Geschichte. Wissense, ich kenn da jemanden, die kennt sich aus. Rufen Se da mal an, bevor Sie noch den selben Rattenschwanz mit machen müssen wie wir damals.“

Am Abend tat Michael wie ihm geheissen und rief jemanden an. Er schilderte sein Problem und die Person am anderen Ende lachte herzlich und sagte: „Ich liebe solche Hunde. Kommse mal vorbei!“

Einige Wochen später konnten sich Sabine und Michael ein Grinsen nicht verkneifen, als sie mit Paul die Praxis der Tierärztin und Sachverständigen wieder verliessen. Bestanden. Mit Sternchen sozusagen. Paul ist ein intelligenter Hund. Das wussten sie schon immer. Nichts konnte ihn an dem Tag aus der Ruhe bringen. Weder die bedrohliche Annäherung durch die Prüferin, noch der viele Verkehr beim Stadtgang und selbst die kläffenden Hunde hatte Paul heute komplett ignoriert. Er hatte sofort begriffen, was hier lief. Und so schnell läßt sich ein gestandener Herdenschutzhund nicht aus der Ruhe bringen.

In den letzten Wochen waren sie öfter zu jemanden hingefahren und hatten für den Wesenstest geübt. Es war erstaunlich gewesen. Paul verhielt sich so wie immer, nur Sabine und Michael hatten gelernt, sich so darzustellen, dass Paul keine Veranlassung mehr hatte, die Konfrontation mit fremden Menschen in seinem Sinne zu regeln.

Das Paar fühlte sich erleichtert und auch ein bisschen beschwingt. Jeden Abend hatten sie im Internet die Testfragen für die Sachkunde durchgebüffelt, tagsüber hatten sie mit Paul geübt. Bestanden! Yeeeees!

Diese Erleichterung hielt bis in den Abend, und selbst als Sabine den Brief von der Hausverwaltung aus dem Briefkasten fischte, dauerte es noch etwas, bis sich ihre Laune wieder eintrübte.

Einige Nachbarn hatten so etwas wie eine Eigentümerversammlung einberufen, allerdings ohne Sabine und Michael einzuladen. Alle waren sich einig. Der Hund muss weg. Und alle hatten sie unterschrieben. Schliesslich ging es um die Sicherheit in der Nachbarschaft. Gegen Hunde hätten sie ja nichts. Aber so ein gefährliches Tier stelle ein Risiko für die Kinder und die alten Leute dar, die ja hier lebten.

Und gemäss der Versammlung vom Zwölften hätten sich alle darauf geeinigt, dass die Haltung eines solch gefährlichen Hundes hier nicht erwünscht sei und Michael und Sabine ihren Paul deswegen abgeben müssten.

„Recht haben und Recht bekommen sind zwei unterschiedliche Dinge“ murmelte Michael vor sich hin. „Die können uns den Paul nicht verbieten, immerhin sind wir auch Eigentümer.“ Er war sauer, stinksauer. Er, der Feingeist, der überzeugte Pazifist, verspürte in diesem Moment Gewaltphantasien sondergleichen.

Seit Paul im Treppenhaus auf Heinz gestossen war, konnte man förmlich spüren, wie sich das Klima in der Nachbarschaft verschlechtert hatte. Diese Blicke, dieses Getuschel, dieses verlogende bigotte Pack, das freundlich grüßte, um sich dann im nächsten Moment das Maul zu zerreissen. Sabine und Michael hatten schon extra darauf geachtet, dass sie niemanden im Treppenhaus begegneten, dass Paul ja keinen Mucks von sich gab, wenn jemand an der Wohnungstür vorbei lief und das es ja keinen Grund zur Beschwerde gab.

Sie hatten sich solche Mühe gegeben und alles getan, was man von ihnen verlangt hatte.

Nun waren die beiden müde, sie hatten es satt. Wenn irgendein Hund in der Nachbarschft bellte, war es Paul, wenn irgendein Hund irgendwo iregndwen gebissen hatte, dann musste es Paul gewesen sein und wenn irgendjemand die Hinterlassenschaften seines Hundes hat liegen lassen, dann waren es natürlich Michael und Sabine. Und dann das ungeborene Kind. Wie ein Damoklesschwert verfolgte Sabine der immerwährende Verdacht, dass sie eine Rabenmutter sein müsse, wenn sie ihr Kind mit so einer Bestie aufwachsen liesse.

Sabine streichelte Paul, der seinen Kopf auf ihren Schoß legte und sie mit seinen melancholischen Bernsteinaugen anblickte. Sie atmete tief durch und griff zum Telefon.

(Fortsetzung folgt)

Hier geht’s zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 5.

Einer geht noch: „Vollhorst“

Bevor ich mich in die Osterfeiertage verabschiede, noch eine kleine „Anekdote“ aus dem Tierschutzalltag …

Da gab es mal eine Schäferhündin, die bei uns abgegeben wurde, nachdem sie

  1. ein Kind heftig gebissen hatte
  2. sich die Besitzer nicht um Wesenstest und Sachkunde gekümmert hatten
  3. die Behörden irgendwann die Schnauze voll hatten und die Fortnahme des Hundes verordnet hatten.

Die Klischee-Vorbesitzerin fuhr an dem Vormittag samt nicht minder klischeebehafteten Lebensgefährten am Tierheim vor, in der einen Hand die Leine mit Hund, in der anderen Hand eine kleine PET-Flasche, gefüllt mit Wein. Sie schilderte den Beißvorfall, empörte sich noch über die bösen Menschen, deren Kind gebissen wurde und schnell war uns klar, dass es besser war, dass der Hund nun im Tierheim sitzt. So landete die Hündin also bei uns.

Nun verhält es sich mit Schäferhunden im Tierheim so, dass sie bei Interessenten ungefähr so begehrt sind wie die Zeitung von gestern. Dafür gibt es sehr viele davon. Wenn sie dann auch noch auffällig geworden sind, kann man das Thema Vermittlung nahezu abhaken. Immerhin muss der Hund und damit der neue Besitzer mit dem Stigma „gefährlich“ ein Leben lang klarkommen und ich kann verstehen, dass sich kaum jemand freiwillig so etwas antut.

Umso erfreuter war ich, als dann eines Abends das Telefon klingelte und ein Herr sich nach Maya erkundigte. Er hätte schon einen Rüden, einen echten Prachtkerl. Schon seit 25 Jahren würde er Schäferhunde halten und man könne mit Fug und Recht behaupten, dass er Ahnung hat. Das klang erstmal nicht schlecht.

„Wie sieht es denn mit Kindern in Ihrer Familie aus? fragte ich. „Oder leben Kinder in ihrem unmittelbaren Umfeld? Die Hündin darf auf keinen Fall zu Kindern vermittelt werden, da sie diese angeht und ein Kind bereits heftig gebissen hat.“

Nein, nein, versicherte mir der Herr, Keine Kinder in der Familie oder im engen Freundeskreis. Auch in der Nachbarschaft eher wenige Kinder. Außerdem sei das Grundstück gut umzäunt, das hätte er im Griff. Gut, dachte ich und vereinbarte mit dem Herrn, dass ich jemanden suche, der bei ihm eine Vorkontrolle machen würde. Immerhin wohnte er 300 Kilometer weit weg, aber so ein Platz ist Gold wert, im Zweifel hätte ich den Hund dahin getragen!

Einige Telefonate später erklärte sich meine gute Bekannte Gabi bereit, den Besuch zu machen. Der Herr wohnte zwar auch nicht gerade in ihrer Nachbarschaft, aber 90 km einfache Strecke waren zu verschmerzen. Alles für den Hund, alles für den Klub! Und wie beschrieben, eine sachkundige Endstelle für einen als gefährlich eingestuften Schäferhund, das ist wie ein Sechser im Lotto!

Was dann folgte habe ich bis zu dem Zeitpunkt und auch danach nie wieder erlebt. Am Abend nach dem Hausbesuch rief Gabi mich noch an und eröffnete das Telefonat mit den Worten: „So ein Vollhorst!“.

Der Termin hatte zunächst ganz gut angefangen, der bereits im Haushalt lebende Rüde zeigte sich von seiner netten Seite und machte einen propperen Eindruck. Der Herr erzählte von seiner Erfahrung mit Schäferhunden, dass schon sein Großvater welche gehabt hätte und das sein Rüde ein echtes Prachtexemplar wäre.

Auf die Frage nach Kindern wiederholte er das am Telefon gesagte, keine Kinder im Haus, keine Kinder in der Nachbarschaft, alles tutto paletti. Auf die Frage nach dem Sandkasten im Garten, wusste er zu berichten, dass früher, die Vorbesitzer wohl Kinder gehabt hätten, er müsse im Garten noch was machen, der Sandkasten kommt noch weg.

Eigentlich alles in Ordnung, dachte sich Gabi und wollte gerade wieder los, als plötzlich oben am Treppenansatz ein kleines Mädchen neugierig auf sie runterschaute. „Datt glaubbich getz ja nich“ rutschte es Gabi im feinsten Ruhrpottslang raus, bevor sie sich noch verabschiedete und nach Hause fuhr.

„Der hat tatsächlich seine Tochter versteckt, sach mal, hat der ne Macke?“ fragte Gabi und ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich ruf ihn mal an und hör mir an, was er dazu zu sagen hat“ erwiderte ich und war froh, dass dieser Schwindel aufgefallen war.

Am Telefon zeigte sich der Herr sehr erbost, als ich ihm mitteilte, dass er die Hündin nicht bekommen würde. Was mir einfallen würde, er hätte Fünfundzwanzig Jahre Erfahrung, er hätte bisher noch jeden Hund erzogen und überhaupt, es wäre doch sein Risiko. „So eine Frechheit“ brüllte er noch und legte auf. Uff, dachte ich mir und habe zum ersten Mal einen Interessenten in der „Schwarzen Liste“ eingetragen.

Ich habe etwas gebraucht, um zu verstehen, was in dem Schädel von dem Typen vorgeht und wie man ihm hätte klarmachen können, dass es wirklich keine gute Idee ist, diesen Hund mit einem Kind zusammenzubringen. Vielleicht vortanzen, oder in ein Gedicht verpacken … Vielleicht hätte man das auch aufmalen können. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er dermaßen davon überzeugt war, dass er die Schäferhundeerziehung erfunden hat, dass im Falle eines Bisses der Hündin bestimmt die Tochter schuld gewesen wäre.

In dem Sinne hatte Gabi recht: Vollhorst!

„Plörg“

Eine der großen Frage in Sachen Hundeerziehung ist die nach dem perfekten Beifuss.

Als ich letzten Sommer mal einige Mitglieder eines Hundevereins unter fachlkundiger Aufsicht beim Trainieren beobachten durfte, konnte ich endlich mal sehen, wie es die Profis machen. Eigentlich ganz einfach:

Eine Handvoll Leckerchen in den – eigenen – Mund gestopft, ein freundliches „BeiFuff“ und – plörg – dem Hund ein Leckerchen ins Maul gespukt.

Hund frisst, Hund guckt, weiter geht’s. Plörg – feiner Hund! So liefen die Protagonisten des Erziehungskurses einige Zeit über den Platz, sagten „BeiFuff“ und plörkten vor sich hin. Die Hunde fingen den Keks, frassen und guckten. Plörg, ein seltsames Schauspiel.

Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir vor, wie die stolzen Halter eines Deutschen Schäferhundes diese Übung nach draussen transportierten. Hunde lernen ja ortsverknüpft und so. Und ein perfektes Beifuss macht erst richtig Eindruck, wenn es auch andere mitbekommen. Also wird geübt. Spaziergang durch die Innenstadt: Beifuss in der Fussgängerzone, den Mund voller Leckerlie – plörg – Hasso fängt, frisst und himmelt seinen Besitzer an. „BeiFuff“ – plörg – toller Hasso. Tolles Frauchen. So ne Art lebender Futterspender.

Man sollte die Übung idealerweise in einer fremden Stadt machen, denn wenn man mit vollem Mund gerade mitten Training von jemanden angesprochen wird, könnte das für einige Irritationen sorgen.

Übrigens, die Profis nehmen für diese Übung Fleischwurst, Anfänger nehmen Frolic …