Mal verliert man, mal gewinnen die anderen

Es gibt so Momente, da würde ich mit den Hunden am liebsten Dinge anstellen, die mir einen Riesen-Shitstorm einbringen würden.

In den letzten Tagen häufen sich diese Momente und so langsam neige ich zu der Tendenz, dass das nächste Haustier ein Goldfisch wird. Aber vo vorne.

F. ist nicht da, sie bildet sich fort – weit genug weg, damit sie mein Fluchen nicht hört. So bin ich momentan alleinerziehend und habe neben meinen – natürlich perfekt erzogenen Hundies (*hüstel) – noch die impertinente Brut von Frauchen am Bein. Spass beiseite. Aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass sich die Bande, als ich dem Bulli in Richtung Norddeutschland hinterwinkte, zusammengesetzt und sich abgesprochen hat. „Wir nutzen die nächsten 12 Tage, um den Typen so richtig in den Wahnsinn zu treiben.“

Ganz klare Aufgabenverteilung:

„Baboo, du kletterst auf die Anrichte und schmeisst was runter, während du, Edda, den Wassernapf umschmeisst. Wenn er uns dann rausschmeisst, fangt Ihr, Reaggea und Tacker, an wie wild zu kläffen, während Du, Polly, vor der Tür stehst und fiepst. Ihr anderen sucht derweil nach Dingen, die man zerlegen kann. Wenn er dann die Küche gewischt hat, uns ins Haus holt und sieht, was wir draussen angestellt haben, geht es in Phase 2. Während er draussen anfängt aufzuräumen, ist es an der Zeit, dass der Welpe reinpinkelt und die Rüden anfangen, sich im Wohnzimmer zu kloppen, während die Dogge einen ordentlichen Schluck auf dem frischgefüllten Wassernapf nimmt, um sich einmal herzhalft zu schütteln.“

Zu zweit stellt die Bande ja gerne mal eine Herausforderung dar, ist man allein mit ihnen, können sie einen schonmal fertigmachen. Und das funktioniert in den letzten Tagen eigentlich ganz gut. Wenn ich meinen Hautwiderstand messe, komme ich zu erstaunlichen Ergebnissen.

Im Haus ist es eh erstaunlich, welche McGuyver-Qualitäten die Tierchen an den Tag legen, wenn es darum geht, an Gegenstände zu kommen, die a) teuer, b) nicht zu ersetzen oder c) eine Riesensauerei verursachen. Ich habe kurz darüber nachgedacht, sie heimlich dabei zu filmen, aber ich bin mir sicher, dass sie dann die Videokamera kaputt machen.

Neben dem hervorragenden Teamwork unserer Lieben, hält natürlich jeder einzelne noch seine ureigene kleine Verhaltensspezialität für mich bereit. So hat der eine gerade seine Leidenschaft fürs Jagen entdeckt und nutzt die Gelegenheit, dass die andere wirklich alles frisst, was ihr beim Gassigang unter die Schnauze kommt. Sie nimmt was auf, ich nehm’s ihr weg und er macht auf zu neuen Abenteuern.

Dazu kommt, dass die eine festgestellt hat, dass sie jetzt läufig werden muss, was die Rüden der Schöpfung wiederrum zum Anlass nehmen, in mehreren Schichten Markierungsarbeiten vorzunehmen, um so ganz klar zu machen: Wenn ich dürfte, wie wollte, dann würde ich können. So hat sich die firedvolle Gruppenhaltung bis auf weiteres erübrigt, weil die Hündinnen sich zusammengesetzt haben, um zu beschliessen, dass wenn die eine läufig ist, werden sie erstmal zickig.

So habe eine strikte Geschlechtertrennung vorgenommen, was pünktlich zur Nachtruhe durch beiderseitigen Chorheulen quittiert wird. Bis auf den Welpen, der kläfft.

Heute ist Bergfest, wie man so schön sagt. Am Wochenende kommt F. zurück. Ich glaube, bis dahin werde ich noch einen netten Brief vorbereiten und mich rechtzeitig zu Sonntag einweisen lassen. Die Reaktion der Hunde darauf, kann ich mir vorstellen. „Hi five, hat ja super funtkioniert. Oh, da ist Frauchen. Damit die den so richtig für bekloppt hält, benehmen wir uns ab jetzt vorbildlich.“

Der Teufel hat sich gut verkleidet

Eigentlich wollte ich ja in den letzten Tagen mal so richtig vom Leder ziehen.

Zum Beispiel gegen die komische Tante, die sich ihre verschwurbelte Hundewelt einfach dadurch erklärt, in dem sie ein paar Fakten, die jedem 10-jährigen, der „Was ist Was: Hunde“ gelesen hat, geläufig sind, einfach weglässt. Oder die komischen Hausfrauen, die jetzt eine Webseite betreiben, auf der sie ihre Form der Walldorfschen Stuhlkreis-Hundeerlebnispädagogik dadurch zum EINZIGWAHREN stilisieren, in dem sie VIEL IN GROSSBUCHSTABEN schreiben und alles, was ihnen nicht passt, als Ursache für jegliches Hundeproblem dieser Erde darstellen.

Der Hund knurrt? Klar, das muss an der „harten“ Erziehung liegen. Wobei „hart“ bedeutet, dass sich Menschen erdreisten, sich ihres normalen Wortschatzes zu bedienen.

Ein „Nein“ ist also eine brutale Einwirkung auf die arme Canidenseele. Ok. Würde man öffentlich so einen Blödsinn über Kindererziehung verzapfen, käme das Jugendamt. Am Anfang fand ich diese völlig humorlosen und hysterischen Damen noch irgendwie witzig. Mittlerweile geht die gegenseitige Selbstminimierung in Sachen inakzeptable Handlungen soweit, dass ich empfehlen würde, die grünen Schleifen mal auf Pestizide hin zu untersuchen. Eeeeaassy.

Als Qualifizierung muss dann auch mal der Realschulabschluß hinhalten, wenn es für eine Ausbildung nicht gereicht hat und als Referenz für das errungene Fachwissen wird dann ein Abend „Deutsch-Hund – Hund-Deutsch“ mit Martin Rütter rausgekramt. Wobei – wenn ich das recht verfolgt habe, ist mittlerweile ja sogar der Traumschwiegersohn unter den Hundetrainern als Gewaltverbrecher verschrien, weil er es tatsächlich wagt, Hunden etwas zu verbieten. Verrückte Welt, vor zehn Jahren stritt sich die „Wattebauschfraktion“ mit den „Hardlinern“. Heute verläuft die Grenze nicht mehr zwischen Hart und Zart, sondern zwischen Hirn und Hohl. Darauf einen Marker.

Aber wie gesagt, EIGENTLICH wollte ich vom Leber ziehen. Aber ich habe ja zur Zeit den Teufel im Haus. Da kommt man ja zu nix. Arco. Nennt sich Welpe. Das ich nicht lache.

Arco verbringt seine Freizeit damit, zu „spielen“, zumindest ist das seine Meinung. Meine anderen Hunde nennen es Schmerz. Gestandene Hütehunde und 65-Kilo Molosser suchen das Weite, sobald Klein-Arco die Arena betritt und sagt: „Lass uns spielen, ich habe Welpenzähne und ich weiss, wie man sie einsetzt.“ Natürlich lassen sich die Großen das nicht unbedingt gefallen. Aber genau in diesem Punkt wird der Unterschied zwischen einem „Harzer Fuchs-Welpie“ und einem „Deutschen Schäferhund-Baby“ deutlich.

Wenn ein DSH-Welpe auf die Mütze kriegt, jault er auf und schleppt sich beleidigt in die Ecke. Arco jault auf, knurrt und beisst seinem Kontrahenten kräftig in die Lefze. Aber richtig, mit Blut.

Meine Hunde schauen mich an und scheinen zu mich anzubetteln: „Bitte, gib den wieder weg. Wir werden auch nie wieder an die frischgepflanzte Hecke pinkeln.“ Zu spät, die Hecke ist hin, das meine Rache. Trag es wie ein Rüde!

Die Nacht verbringt Arco damit zu kläffen. Aber nicht dieses „ich bin ein Welpe, holt mich hier raus.“ sondern vielmehr „Du blöde Drecksau, wenn ich dich kriege bistdu fällig“. Schlaf ist mit einem Hund wie Arco überbewertet und Wände sind dazu da, sie mit dem Kopf zu durchbrechen.

Ich mag ja solche Hunde. Und ich will ja nicht vom Leder ziehen … Und eigentlich ist Arco ja ein Gooooooodboooi.

Vernunft

arko

Da steht er nun und guckt mich an. Ich habe ihn „Zu verschenken“ getauft, weil ich den Gedanken witzig finde, „Zu verschenken“ zu rufen, wenn er mal ausbüxt. Und ausgebüxt ist er schon, zwei-, drei oder waren es dreizig Mal? Und nicht nur das. In den paar Tagen, in denen er bei mir ist, habe ich schon ein paar mal überlegt, eben das zu tun – den Hund dem Nächstbesten zu schenken, der ihn haben will. Aber als Tierschützer tut man sowas nicht, wir suchen ein Zuhause, aber ein schönes.

Eigentlich heisst er Arko und ist ein Harzer Fuchs. Das er vom Schäfer kommt, beweist sein Rufname. Denn so wie fast alle Familienhunde Luna oder Ben heissen, heissen die Hunde der Schäfer Prinz, Luchs oder eben Arko, wenn sie Rüden sind und Hexe oder Asta, wenn sie Hündinnen sind. Schäfer Franz hat mich gefragt, ob ich nicht jemanden kenne, der einen Hund sucht. Er hätte da einen Welpen abzugeben. „Eins von den Hundsweibern, Du weischt scho‘. Du kennst doch genug V’rückte.“ Welpen gehen immer, sie sind sozusagen die Cash-Cows des Tierschutzes. Der wird schnell ein Zuhause finden.

Arko ist jetzt 9 Wochen alt, aber das hat ihm keiner gesagt. Als er meine Hunde kennengelernt hat, ist er breitbeinig wie ein Gangsta-Rapper durch die Gruppe stolziert, die Rute oben, das Ego auch. Fremde Hunde werden angeknurrt und Futter wird verteidigt. Die anderen sind größer und stärker? Scheissegal, so etwas wie Furcht kennt Arko nicht. Genauso wenig wie Respekt oder Rücksicht. Und mit 9 Wochen schon die Rüden besteigen kann er auch. Bekommt er dann eine passende Antwort, dann quietscht er kurz, schüttelt sich und macht weiter, als wenn nichts gewesen wäre.

Wenn ihm etwas nicht passt, dann protestiert er, in dem er knurrt. Wenn das nicht reicht, dann beißt er zu. Kann er nicht zubeißen, dann kläfft er. Sehr ausdauernd. Willkommen im Debattierclub.

Diesem Hund bei seiner Entwicklung zuzusehen hat etwas von einem Autounfall. Man kann kaum hinsehen, muss aber. Denn wenn man eine Sekunde wegschaut, baut er Mist.

Mein erstes Erlebnis mit Arko war, dass er auf meinen Schoß geklettert ist, um mir dann auf die Hose zu kotzen. Mein zweites war, dass er ganz und garnicht welpentypisch laut kläffend hinter einer Joggerin her ist. Während unseres dritten Erlebnisses war ich nicht mehr verwundert, als er sich in Bad Schwalbach knurrend einem Rottweiler in den Weg gestellt hat. Und das er mir dann folgerichtig in die Hand gebissen hat, als ich ihn vor seinem sicheren Ende bewahren wollte, lag eigentlich auf selbiger.

Arko ist das, was man einen Arschlochhund nennt. Dieser Fellhaufen hat schon jetzt so viel Testosteron, dass ich wetten könnte, dass zwei Rüden an seiner Zeugung beteiligt waren. Arko ist quasi der Chuck Norris unter den Welpen, wenn der mal groß ist, landet er nicht im Tierheim, sondern im Gefängnis.

Ich bin welpenresistent, das Kindchenschema zieht bei mir nicht. Ich finde Welpen nicht besonders niedlich und außerdem nerven sie. Überall, wo man mit ihnen auftaucht wird man von fremden Menschen vollgequatscht. „Ist der süüüüüss.“ Würg. Bei Arko ist das etwas anders. Zwar kommen die Menschen mit dem „S-Satz“, aber nach einigen Minuten weicht der debil-verliebte Blick einem erstaunt-ratlosen und man hört man Dinge wie „Der hat aber ganz schön viel Energie.“, „Uiii, der ist aber frech.“ und manchmal auch „Aua, der hat mich gebissen.“

Und nun steht er da und guckt mich an. Heimlich habe ich ihn „Meiner“ getauft, aber das wäre unvernünftig, nein, dumm! Und ich weiß, wie F. das finden würde. Und sie hat recht. Ich hasse es.

Paul, der Labbi-Mix (21)

Nach 18 kommt bekanntlich 19, außer hier, da ist die 19 … Jaja, die Müdigkeit …

Paula schaute Michael mit großen Augen an. Dann würgte sie kurz, spukte einige Federn sowie etwas unbeschreibbares fleischiges auf den Teppich, drehte sich um und ging in ihren Korb. „Na toll“ dachte Michael. Gerade hatte er, nachdem er sich einen längeren Monolog über Zäune, Hunde, Geflügel und den Wert eines edlen Zuchthahns anhören musste, einem Landwirt aus der Nachbarschaft einige Tiere ersetzt, die Paula auf ihren letzten Ausflug erlegt hatte.

Mittlerweile hatte er Routine. Eigentlich verlief es immer ziemlich ähnlich. Paula büxte aus, killte irgendein kleineres Nutztier aus dem Dorf, Michael entschuldigte sich vielmals und suchte die Lücke im Zaun, die er dann reparierte. Kaum zu glauben, dass so ein großer Hund durch so kleine Löcher im Zaun kommt. Ebenfalls Routine hatte Michael hinsichtlich tagesaktueller Preise für Geflügel.

Wenn nicht gerade ein Huhn oder ein Kaninchen dran glauben musste, entpuppte sich die Hündin – ganz Herdenschutzhunduntypisch, so dachten zumindest Michael und Sabine – als sehr geschickte und schnelle Jägerin. Sehr zum Leidwesen der ansässigen Jäger. Nach vier Stunden Beobachtung des Wildes auf dem Ansitz hatten diese relativ wenig Verständnis für eine wildkläffende Paula, die das Wild quer durchs Revier hetzte und damit für einen ansonsten sehr ruhigen Restabend sorgte.

So dauerte es auch nicht lange, bis die ersten Jagdausübungsberechtigten wüste Drohungen in Richtung Paula ausstiessen. Es half alles nichts. Paula brauchte einen Hundetrainer. Das was bei Paul gründlich in die Hose gegangen war, sollte diesmal fachmännisch und kompetent aus dem Zusammenleben gebannt werden. Erster Schritt im Projekt „Angenehmer Familienhund“ war dann auch eine Auflistung der Dinge, an denen gearbeitet werden sollte.

Eigentlich war Paula nämlich eine ganz liebe, und es waren auch eher Kleinigkeiten, die Michael und Sabine störten.

Zum Beispiel ließ Paula sich nicht besonders gut abrufen. Und wenn sie dann mal kam, ließ sie sich nicht besonders gut anleinen. Sah sie einen anderen Hund, so ließ sich dieser im Allgemeinen nicht mehr besonders gut abrufen, da er in Sorge um seine Gesundheit die Flucht ergriff. Und wo wir schon beim Thema „Flucht“ sind – die ergriff seit einiger Zeit auch besser der Paketbote, wenn Paula im Garten war. Denn irgendwann hatte diese seinen Trick – Leckerchen über den Zaun werfen und die Ablenkung nutzen, um das Paket abzustellen – durchschaut und den armen Mann im wahrsten Sinne des Wortes an die Wand gestellt.

Eigentlich erstaunlich, denn ansonsten fraß die die Hündin wirklich alles, was ihr in den Weg kam. Zwei Grillabende und ein Teenagergeburtstag waren Paulas unbändigen Appetit bereits zum Opfer gefallen. Außerdem die bereits erwähnten vier Hühner, ein wertvoller Hahn (der konnte zwar gerettet werden, zeigt seitdem aber kein Interesse mehr an seinen Hennen), eine Katze unbekannter Herkunft und ein Zwergkaninchen.

Wie schon damals bei Paul war Sabine bei der Suche nach einer Hundeschule wieder sehr erstaunt, wie viele es davon gibt. Gut, die mit denen sie damals Kontakt gehabt hatte, waren samt und sonders verschwunden, aber dafür schien es doppelt so viele neue zu geben.

So ziemlich jede Hundeschule versprach nach den neuesten wissenschaftlichen Methoden zu arbeiten, hatte ein riesen Beschäftigungsangebot und alle versprachen, aus jedem noch so unerzogenen Rüpel einen netten Begleithund zu machen. Und alle deckten von A bis Z alles ab, quasi von Angst bis an der Leine zerren. Sabine war etwas ratlos und wollte gerade aufgeben. Schliesslich hatte es mit Paul letztlich ja auch ohne Hundeschule geklappt. Gerade in dem Moment, in dem Sabine mit einem „Das kriegen wir schon hin.“ ihr Notebook zuklappen wollte, hörte sie von draussen einen Hilfeschrei. Sie eilte durch den Flur zur Haustür und sah das Drama.

Zwei Zeugen Jehowas hatten das Grundstück betreten und nicht bemerkt, dass Paula vor der Haustür lag und schlief. Der junge Mann mit dem dunkelroten Pullunder saß auf seinem Hintern, um in rum lagen jede Menge „Wachturm“-Heftchen auf dem Rasen verstreut. Die etwas ältere Dame presste sich in den Maschendrahtzaun und blickte Paula entsetzt an, die an ihr hochsprang und ihr recht unsanft „Küsschen“ gab. „Paula, kommst du wohl her!“ brüllte Sabine erschrocken, doch Paula dachte nicht dran. Stattdessen nahm die Hündin ordentlich Schwung und rannte einmal quer durch den Garten. Ihr Gesichtsausdruck hatte dabei etwas von einem „Du kriegst mich doch eh nicht“ …

Am Abend, als Sabine Michael von diesem Erlebnis berichtete, lachte dieser sich halb schlapp. Zugegeben, es hatte schon etwas witziges an sich, wie die beiden ungebetenen Besucher von Paula „begrüßt“ wurden und Sabine hätte nie gedacht, dass auch Zeugen Jehovas fluchen können.

Trotzdem, so ging es echt nicht weiter, am nächsten Tag würde sie sich nach einer Hundeschule umsehen.

Eine schrecklich nette Familie

kevin-pascal

Zugegeben, manchmal werfe einen Blick auf unsere Hunde und überlege, ihnen einfach die Haustürschlüssel zu geben, ihnen alles Gute zu wünschen und auszuwandern. Kanada sollte weit genug weg sein.

Aber dann denke ich an F. und finde den Gedanken irgendwie unfair.

Eigentlich leben F. und ich ein ganz normales Leben wie Tausende andere Paare auch. Mit einer winzigkleinen Ausnahme.

F. ist nämlich – ebenso wie ich – hauptberufliche Hundeversteherin. Was im Klartext bedeutet, dass wir ungefähr Achtzehn Stunden am Tag entweder mit anderen Menschen über Hunde reden oder miteinander über Hunde reden. Unser Bücherregal besteht dem entsprechend auch aus unzähligen Hundefach-, Sach- und -Lachgeschichten und im DVD-Regal stapeln sich die Dokus über alles, was irgendwie canidenartig ist.

Wenn wir „Hachiko“ im Fernsehen schauen, weinen wir nicht über den Tod des Hundes, sondern diskutieren über die Rasseeigenschaften des Akita Inu.

Reden, lesen, schreiben oder diskutieren wir nicht über Hunde, dann haben wir ja noch welche. Und was das betrifft, sind wir ein bisschen wahnsinnig.

Denn ebenso wie ich findet auch F. das Leben mit nur einem Hund extrem lanweilig. Und als wir irgendwann beschlossen, in Zukunft unser Leben zu teilen, bedeutete das nicht nur, dass wir doppelt so viele Hundebücher, -zeitschriften, -filme und -wasweissich besitzen, sondern eben auch viele, viele Hunde.

Um genau zu sein sind mit F. vier Hunde eingezogen. Zusammen mit meinen Sechsen macht das Zehn. Uff.

Dazu kommt, dass es sich bei den Viechern nicht etwa um zwölfjährige Molosser handelt, die den ganzen Tag dösen und furzen, sondern zum größten Teil um Hütehunde. Um Altdeutsche Hütehunde. Um junge Altdeutsche Hütehunde. Um junge Altdeutsche Hütehunde, die zwar alle für sich ganz gut erzogen sind, in der Gruppe aber nur Blödsinn im Kopf haben.

Und die, die keine Hütehunde sind, sind wahlweise begnadete Jäger oder Beisser. Ausser Pugsley, der sabbert.

Aber zurück zu den Hüte- und Treibhunden: Sie treiben Dich in den Wahnsinn und werden sich hüten, zu tun, was du sagst …

Machmal habe ich das Gefühl, wären unsere „Hütitütis“ Kinder, dann würden sie Kevin oder Kimberly heissen – nur ohne Ritalin.

Das Lieblingsspiel unserer Rüden ist es, an den Weidezaun zu pinkeln. Und wenn kein Weidezaun in der Nähe ist, suchen sie eben irgendeine andere Möglichkeit, sich ins Unglück zu stürzen.

Der eine Dödel geht dem wirklich ernsthaften und 20 Kilo schwereren, völlig überlegenen Rüden so lange auf den Senkel, bis er eins auf die Mütze bekommt. Nur um dann von vorne zu beginnen.

Der andere Dödel legt sich mit Vorliebe mit unseren Pferden an, die glücklicherweise so cool sind, nur ganz sanft zu treten. Ein Tritt, ein Aufjaulen, einmal dämlich hecheln und nochmal von vorne. Tat nämlich garnicht weh, und wenn doch, beim Tierarzt gibt’s immer Leckerchen.

Der dritte Dödel springt schon mal von der Dachterasse, wenn ihm danach ist oder rennt im Spiel ungebremst gegen das Garagentor. Ich bin mir sicher, er hält sich für unverwundbar.

Wenn ich in Foren oder sonstwo lese, wie intelligent Hütehunde sind, schau ich mir Kevin, Phillipp und Thorben-Oliver an und muss seufzen. Unsere Rüden haben was von Stan Laurel und Oliver Hardy, nur dass keiner von ihnen dick ist, dafür alle manchmal ziemlich doof.

Das ganze Leben besteht aus einem Spiel, ob die anderen mitmachen oder nicht, ist dabei egal. Schafe hüten macht Spaß, Schafe quer über die Weide zu jagen noch viel mehr … Das Leben ist doch ein Ponyhof. Nur eben nicht für die Ponys, wenn unsere Hunde auftauchen.

Unsere Hündinnen sind dagegen sehr souverän, lässig und längst nicht so wahnsinnig wie ihre männlichen Artgenossen.

Sie verhalten sich wie Damen, vielmehr wie konservativ erzogene Mädchen. Hausarbeit und so. Naja, vielmehr erwische ich sie regelmäßig auf der Anrichte, wie sie irgendwas fressen, das man dreister Weise fünf Sekunden alleine gelassen hat.

Und manchmal sind sie etwas zickig, zumeist mit den Rüden, die das dann wiederrum nicht begreifen.

Aber immerhin nutzen sie nicht jede Gelegenheit, vor eine Wand zu laufen. Ist ja auch was, spart Tierarztkosten.

Alles in allem verstehen sich unsere Hunde gut. Hin und wieder raschelt es mal im Gebälk, aber meistens ohne größere Nebenwirkungen. Es wird gemeinsam gespielt und gefressen, in der Sonne gedöst oder sich um irgendwas gestritten. Oder sich in irgendwas gewälzt. Zu zehnt. Eine besondere Freude.

Mit der Zeit haben F. und ich uns aber daran gewöhnt, dass wir Wurmkur für 300 Kilo Hund kaufen und ein 15-Kilo-Sack Hundefutter gerade mal ein paar Tage reicht. Und das die Hundesteuer hier fast ein Monatsgehalt auffrisst, ist uns mittlerweile auch wurscht.

Wenn wir spazieren gehen, sind uns die Blicke der anderen sicher. Um Hundebegegnungen müssen wir uns keine Sorgen machen. Fremde Hunde sind immer sehr verträglich angesichts 420 Zähne, die ihnen gegenüber stehen. Die sind ja nicht blöd. Und die meisten Hundehalter flüchten eh, sobald sie uns erblicken. Die sind auch nicht blöd.

Die „Körbchen“ wurden gegen eine 1,40 x 2,00 Meter große Matraze ausgetauscht, die dem Wohnzimmer das gewisse Etwas verleiht. Kontaktliegen heisst das Motto. Und an eine Horde Hunde, die nachts ums Bett drapiert schnarcht hat man sich auch schnell gewöhnt.

Das macht meistens sehr viel Spaß, und nur ganz selten frage ich mich, warum ich mir nicht lieber Goldfische angeschafft habe, wenn ich doch mit vielen Tieren leben wollte.

Und manchmal, aber nur ganz selten, liegen F. und ich abends im Bett und übertrumpfen uns gegenseitig mit Gewalt- und Mordphantasien, wenn es unsere Bande mal wieder ganz besonders bunt getrieben hat.

Denke ich an F., dann denke ich daran, dass wir viel mehr lachen als wir fluchen. Wie wir abends auf der Stufe vorm Haus sitzen und den Hunden dabei zusehen, wie sie interagieren. Wie sie spielen, wie sie Mist bauen, wie die Rüden an den Weidezaun pinkeln und die Hündinnen sprichwörtlich den Kopf schütteln über soviel Deppness. Und wie charmant sie dabei sind.

Ich glaube, wir haben schon ein ziemlich cooles Leben. Meistens.

Würde ich nach Kanada auswandern, ohne F. wär das alles doof. Und ohne die Hunde auch.

Paul, der Labbi-Mix (20)

Nach Kast gibt es vier Phasen der Trauer.

1. Nicht Wahrhaben wollen

Das darf nicht sein. Sabine wollte nicht wahrhaben, dass Paul nicht mehr lebte. Nein, sie wollte es nicht akzeptieren. Das war nur ein schlechter Albtraum, jeden Moment würde Paul in der Tür stehen, sich schütteln und etwas Sabber auf der Tapete verteilen. Michael stand der Situation wie regungslos gegen. Er fühlte sich wie unter Schock, so machtlos. Felix hatte die ersten beiden Nächte nur geweint und der Familienvater saß am Bett seines Sohnes und konnte dem Kind nicht erklären, warum Paul gestorben war. Marie ertrug die Situation von allen am tapfersten, zumindest äußerlich. Das lag sicherlich auch daran, dass sie nun in einem Alter war, in dem sie unbedingt erwachsen wirken wollte.

2. Aufbrechende Emotionen

Das Paula sich Pauls geliebtes Kauseil einverleibt und schliesslich kaputtgemacht hatte, löste in Sabine eine Stinkwut aus. Pauls Kauseil, das einzige Spielzeug, dass er wirklich gemocht hatte und in all den Jahren nicht kaputt gemacht hatte. Sie scheuchte die Hündin fluchend weg und rettete die verbliebenen Überreste des Lieblingsspielzeugs des Verstorbenen. Als Paula sie dann wie entschuldigend anschaute, brach Sabine in Tränen aus. Sie konnte nicht verstehen, wie Paul einfach so sterben konnte. An einem Tumor, warum hatte den niemand bemerkt? Sie war regelmäßig zum Tierarzt gegangen und trotzdem konnte das Geschwür so schnell wachsen, dass Paul keine Chance hatte. Wie konnte Dr. Müller das nur übersehen? Abends hatte sie dann einen heftigen Streit mit Michael gehabt, der eineinhalb Wochen vor Pauls Tod einen Termin in der Tierklinik abgesagt hatte, weil ihm beruflich was dazwischen gekommen war. Vielleicht hätte man da noch was machen können.

3. Suchen, finden, sich trennen

Alles, aber wirklich alles erinnerte an Paul. Das Hundebett im Wohnzimmer, die Leine an der Garderobe und die Näpfe in der Küche. Wenn Sabine mittags mit Paula spazieren ging, versuchte sie die Orte zu meiden, an denen die Emotionen zu stark würden. Doch Paul war allgegenwärtig. Kein Baum, den er nicht markiert hätte, keine Wiese, die nicht an irgendeine Situation erinnert hätte, in der Paul irgendeinen Mist gebaut hätte. Wenn Michael abends mit Paula die letzte Runde ging und die pubertierende Hündin mal wieder in der Dämmerung verschwunden war, führte Michael regelrechte Debatten mit dem toten Paul. „Das hat sie von Dir“, schmunzelte Michael, als er irgendwo in der Dunkelheit eine Katze kreischen und eine Hündin bellen hörte.

4. Neuer Selbst- und Weltbezug

„Hatten Sie nicht immer zwei Hunde?“ fragte die freundliche ältere Dame vorm Café. „Ja,“ sagte Sabine. „wir haben immer noch zwei Hunde. Die eine hier an meiner Seite und der andere in unseren Herzen.“ Es gab viele solcher Situationen. Oft wurden Sabine und Michael nach Paul gefragt. Eigentlich kein Wunder, schliesslich war er ein sehr eindrucksvoller Hund und das Ehepaar in dem kleinen Dorf natürlich auffällig mit gleich zweien von der Sorte.

Und die beiden dachten oft an ihren Paul, was auch kein Wunder war, denn schliesslich hatten sie jede Menge mit ihm erlebt. Doch mit der Zeit normalisierte sich das Leben der Familie wieder, der Alltag kehrte wieder zurück, zumindest fast.

Denn kaum war Pauls Ableben verarbeitet, da begann Paula zu zeigen, was die Pubertät aus einer 40-Kilo-Hündin machen kann. Und natürlich die Tatsache, dass sie nun Alleinherrscherin war.

Als Paula das erste Huhn vom benachbarten Bauernhof nach Hause schleppte, dachte Michael noch, dass Sabine das Gartentor nicht richtig verschlossen hätte. Beim Zweiten war er sich sicher, dass es zu war. Und erstaunt, wie teuer so ein Huhn ist. Als er eines Abends nach Hause kam und Paula sämtliche Futtervorräte in einem Heißhungerrausch vernichtet hatte, ahnte er bereits, dass sie gelernt hatte Türen zu öffnen.

Zum Glück für Michael hatte der eingebaute Vorratsschrank ein Schloss, zum Pech für Michael stellt eine Tür aus Sperrholz kein wirkliches Hindernis für einen hungrigen 40-Kilo-Klops dar. Selbiges galt für den alten Lattenzaun vorm Haus, der der vorbeilaufenden Streunerkatze zwar den rettenden Vorsprung gesichert hatte, aber der rasenden Paula ansonsten nicht viel entgegensetzen konnte.

Doch das waren nicht die einzigen neuerworbenen Angewohnheiten, die dem Leben von Michael und Sabine einen, naja, besonderen Schwung verliehen.

Irgendwann, kurz vor Paulas erster Läufigkeit hatte die Hündin nämlich festgestellt, dass sie fremde Hunde, insbesondere solche, die es wagten, sich ihr auch nur auf 50 Meter zu nähern, nicht mochte. Und das sie genügend Kraft hatte, das auch unmissverständlich klar zu machen. Die Definition „Fremd“ schloss dabei jeden Hund ein, der nicht Maya war. Die Rotti-Hündin von Erika genoß bei Paula so etwas wie einen Königinnenstatus. Alle anderen waren Fussvolk, wenn überhaupt. Eher so etwas wie lebendige Kegel. Es war nämlich nicht so, dass sie die anderen Hunde verletzte, vielmehr rammte sie sie mit voller Wucht um und verjagte sie aus ihrem Territorium. Die Definition „Territorium“ beschrieb wiederrum jeden Ort, an dem sich Paula gerade befand.

Einen Schäferhund-Mix, zwei Labradore und einen kleinen wuscheligen weissen Terrier später war klar, dass das eigentliche Problem weniger die Artgenossen waren, sondern vielmehr die Reaktion der anderen Hundehalter, wenn Power-Paula über das Feld spurtete und mit einem lauten Bumms den fremden Hund niederstreckte.

Also bekam Paula erstmal Leinenzwang verordnet. Jedoch nicht ohne sich an ein Erfolgsrezept aus ihrer Kindheit zu erinnern. Wenn die Leine kaputt ist, kann man nicht angeleint werden. Es muss ein Dienstag gewesen sein, an dem Sabine in das Zoofachgeschäft fuhr, um wieder einmal Ersatz für die mittlerweile zwei Nylon- und drei Lederleinen zu finden, die Paula in recht kurzer Zeit aufgespürt und kaputt gemacht hatte. Ebenso wie einen Teil der Wohnzimmereinrichtung.

Als Paul noch lebte, hatte Paula nie etwas kaputtgemacht. Das war wieder so ein Moment, in dem er fehlte. Zumindest fast nie.

An diesem Abend hatte Paula ihr Ziel erreicht. Ihr Körbchen zog um – ins Schlafzimmer zu Michael und Sabine. Das war allemal besser als jeden Morgen die Spuren Paulas nächtlichen Einfallsreichtums zu beseitigen. Vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer – für Michael und Sabine das kleinere Übel. Für Paula ein großer Schritt in Richtung Weltherrschaft …

Paul, der Labbi-Mix (18)

paul18

Alles ist endlich. So auch das Leben und damit die Geschichte von Paul.

Es war das Wochenende vor Beginn des neuen Schuljahres, als Sabine bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Paul war apathisch und kümmerte sich kaum noch um das, was um ihn herum geschah. An dem Samstag dachte sie noch, dass er einfach einen schlechten Tag hatte. Nichtmal Paulas Versuche, ihn zu einem Spiel zu bewegen beantwortete er wie sonst auf seine harte aber herzliche Art. Und als er dann am Abend sein Futter nicht mehr anrührte, war klar, dass es etwas ernsthaftes sein musste.

Dr. Müller in der Tierklinik stellte dann fest, dass es ein Tumor war, der Paul zu schaffen machte. Kaum ein Hund stirbt heute noch an Altersschwäche. Ähnlich wie beim Menschen stellt der Krebs auch bei unseren Hunden eine sehr häufige Todesursache dar.

Die Reaktion des Tierarztes auf Michaels Frage, was man denn nun für Paul tun könne, hatte das Ehepaar geschockt. Dr. Müller erwiderte gerade heraus, dass er den Hund sofort einschläfern würde, um so zu verhindern, dass Paul sich unnötig quält. Dieser Satz traf sie wie ein Schlag. Und sie brauchten einen Moment, um die Worte mit Inhalt zu füllen. Einschläfern.

Sicherlich, sie wussten, dass Paul nicht unsterblich war. Und sie hatten auch bemerkt, dass er in den letzten Monaten doch sehr ruhig und behäbig geworden war. Doch das es jetzt so schnell gehen würde? Das konnte doch nicht sein.

Sabine stemmte sich gegen den Gedanken, Paul hier für immer zurückzulassen. Sie wollte sich wenigstens von ihm verabschieden. Nur noch einen Abend, von ihr aus auch nur ein paar Stunden, aber auf keinen Fall wollte sie ihr Paulchen jetzt einfach so aufgeben.

Michael hatte einen Kloß im Hals und rang nach Worten. „Sabine“ fing er an, aber er brachte den Satz nicht zu Ende. Er wusste, dass der Tierarzt recht hatte und es Paul gegenüber unfair wäre, wenn er sich quälen müsste, nur weil die Familie ihn nicht gehen lassen wollte. Er wusste, dass es ihre Pflicht war, ihrem Freund, ihrem Paul, auch in diesen Moment zur Seite zu stehen und zum Wohle des Hundes zu entscheiden.

Paul sah müde aus. Seine bernsteinfarbenen Augen hatten in den Jahren an Glanz verloren und wurden etwas trübe. Er lag auf dem Behandlungstisch und guckte Sabine traurig an. „Sei nicht traurig“ schien er ihr zu sagen wollen und legte seine riesige Tatze auf ihre Hand. Sabine begann zu Weinen. Sie schämte sich dafür, sie wollte jetzt stark sein. Ein letztes Mal stark für Paulchen. Doch sie konnte nicht anders. Das tat so unglaublich weh. Niemals hätte Sabine geahnt, dass der Abschied von einem Tier so dermaßen schmerzhaft wäre. Mit Paul würde mehr als nur ein Hund gehen. Mit Paul ginge ein Freund, ein Begleiter durch viele Jahre und vor allem jemand, den sie liebte, wenn es auch noch so verrückt klingen würde.

Sie dachte an die vergangenen Jahre zurück und an den Abend, an dem sie Paul auf der Autobahnraststätte in Empfang genommen hatte. Dieser kleine Plüschbär mit dem melancholischen Blick. Sie dachte daran, wie Marie und später als Babies mit Paul auf dem Sofa lagen und schliefen. Sie dachte an Heinz und welche Angst sie damals gehabt hatte, den Hund zu verlieren, als Paul gebissen hatte. Und sie dachte an Herrn Gutmensch und wie Paul ihn damals an der Bank am alten Wasserwerk über den Haufen gerannt hatte. Sie dachte an die vielen Momente, in denen Paul sie aufgemuntert hatte. Sie dachte an den See, an dem Paul Maya und sie Erika kennengelernt hatte. Und sie dachte an Tag, an dem Paul mit der Hofhündin des Bulliverkäufers verschwunden war. Sie dachte an all die Lebensereignisse, die Paul mit ihr geteilt hatte. Und sie dachte an Paula, seine Tochter.

Michael rief Gertie an, es gehe Paul nicht gut, sie sollte mit den Kindern kommen, damit die Familie sich von ihrem großen Knuddelbären verabschieden könne.

Felix weinte und schrie, dass Paul nicht sterben dürfte, Marie schwieg. Gertie stand mit Paula an der Leine da und die junge Hündin schien zu ahnen, was passierte. Die sonst so quirlige Paula saß da wie angewurzelt und war still. Als Gertie mit ihr in das Behandlungszimmer kam, kletterte Paula mit ihren Vorderpfoten auf den Tisch und leckte Paul durchs Gesicht. Menschen vermenschlichen Tiere, das war Sabine klar. Trotzdem konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass Paula ihrem Vater gerade Lebewohl gesagt hatte.

Ein französischer Philosoph hat mal gesagt, dass Hunde deshalb nur ein kurzes Leben haben, weil ihre Menschen ansonsten an der Trauer zu Grunde gehen würden. So ein Blödsinn, dachte Sabine. Sie würde alles dafür geben, wenn sie nur noch ein paar Wochen mehr mit ihrem Paul gehabt hätte. In diesem Moment dachte sie an jedes Mal, an dem sie keine Zeit für Paul gehabt hatte, an die Momente, in denen er zu kurz kam und an das eine Mal, an dem sie Paul beschimpft hatte, weil die Vase runtergefallen war. Hinterher stellte sich heraus, dass es Marie gewesen war, die zu schnell um die Ecke gerannt war und Erbstück umgeworfen hatte. Das tat ihr gerade jetzt so unendlich leid.

Warum hatte sie sich nicht mehr Zeit genommen, für Paul, für die gemeinsamen Spaziergänge und die Momente, in denen Paul sich einfach an sie gekuschelt hatte. All diese Zeit würde ihr jetzt fehlen. Dieser Hund würde ihr fehlen. Paul.

Es war ein Sonntag abend, an dem Paul schliesslich für immer einschlief. Es war Spätsommer, es war noch warm und die Sonne ging langsam unter, als Michael und Sabine einen Baum an der Stelle im Garten pflanzten, wo sie Paul illegalerweise begraben hatten.

Der Baum, der hätte Paul gefallen. Er hätte ihn angepinkelt, da waren sich alle einig.

– Ende –

Fast vergessenes Gemotze

Vor einiger Zeit hat ein Schlauberger meine Internetseiten gehackt und Kraut und Rüben hinterlassen. Beim Aufräumen bin ich bin ich auf diese olle Kammelle gestossen und habe festgestellt, dass sich nischt aber auch jarnischt geändert hat. Deshalb hab ich mir gedacht, wärme ich das alte Gemotze doch einfach noch mal auf und veröffentliche es hier noch mal … 

Wie die Zeit vergeht … Nun ist es schon fast drei jahre her, dass ich LASSY.org zunächst als persönliches Blog ins Netz gestellt habe. Mittlerweile ist aus dem Blog ein “e.V.” geworden, eine Sache, an die ich mich nie so ganz gewöhnen werde, weil ich Vereinsmeierei absolut nicht ausstehen kann …

Wie auch immer, damals war der Grund für die Eröffnung der Seite, dass ich mich über irgendwas aufgeregt habe und ein Ventil gesucht habe, mir meinen Frust von der Seele zu schreiben. Und die Tatsache, dass sich auf dieser Seite seit einiger Zeit nicht sehr viel tut in Sachen neue Artikel, heisst sicherlich nicht, dass es jetzt weniger Dinge geben würde, die mich aufregen. Ganz im Gegenteil: Viele “Anektdoten” bringen mich derart auf die Palme, dass ich nicht mal wüsste, wie ich sie beschreiben sollte, ohne persönlich verletzend zu werden.

Die häufig so genannte “Tierschutzszene” ist schon ein lustiges Völkchen.

Schon der Begriff “Szene” ist irreführend, weil damit suggeriert wird, dass die Mitglieder eben dieser irgendeine Gemeinsamkeit hätten. Doch selbst, wenn man beginnt, die “Szene” in ihre Einzelteile zu zerlegen, also zum Beispiel in Hunde-, Katzen- oder Pferdeschützer, sucht man die bereits erwähnte Gemeinsamkeit vergebens.

Zumindest, wenn man noch positiven Eigenschaften sucht. Denn Egomanen, Profilneurotiker, unseriöse Geschäftemacher und Kriminelle findet man zu Hauf.

Da werden Spendenaufrufe für nicht existente Notfälle verbreitet oder – schlimmer gehts immer – schwerst kranke und leidene Tiere zum Zwecke der Selbstvermarktung fotografiert, gefilmt und dann mit ihrem schlimmen Schicksal im Internet Beute gemacht, anstatt sich verdammt nochmal an das Tierschutzgesetz zu halten und die armen Seelen zu erlösen.

Dort heisst es nämlich:

Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

Spenden sammeln ist kein vernünftiger Grund und der Zweck der Aufklärung rechtfertigt es nicht, einem Lebewesen unnötige Qualen zuzumuten.

Immer wieder höre ich das Argument, dass “die armen Tiere doch sonst sterben/hungern/leiden oder was auch immer müssen“. Ein echtes Totschlagargument, um jede noch so wahnwitzige Idee zum vermeindlichen Wohle der Tiere umzusetzen.

Genau dieses Argument hat den Animal Horder erst begünstigt. Da werden dutzende Hunde und Katzen bei vermeintlichen Tierschützern “untergebracht”, weil sie doch sonst sterben müssten. Und niemand fragt, was das Leben zum Beispiel auf dem Zarenhof besser macht als ein Leben in einem spanischen Tierheim. Wo genau liegt der Unterschied? Abgesehen davon, dass Hunde in einem spanischen Tierheim eher selten verhungern …

50 Hunde in einen Transporter ohne Klimaanlage 40 Stunden nach Deutschland karren? Kein Problem, das Tierheim ist doch schliesslich überfüllt. Wenn der Transport dann Hops genommen wird, ist der Aufschrei groß.

Und wenn die Animal Horderin aufgeflogen ist, machen alle betretene Gesichter …

… und es geht weiter wie gehabt.

Dabei legt die “Tierschutzszene” – wieder eine Gemeinsamkeit – eine bemerkenswerte Menschenverachtung an den Tag. So geht momentan eine “prominente” Tierschützerin via Facebook und Co. gegen eine Tierärztin vor, die in irgendeinem Lokalblättchen ihre Meinung zum Auslandstierschutz geäußert hat und ruft zum Boykott dieser armen Leuchte auf.

Abgesehen davon, dass es das gute Recht dieser Tierärztin ist, Unsinn zu schreiben und manche Menschen damit sogar richtig viel Geld verdienen, gäbe es sehr sehr viele Themen, die die gleiche oder mehr Aufmerksamkeit verdient hätten.

Aber es ist wesentlich einfacher, mit der Macht eines Titels auf irgendwelche unbedeutenen Viechdoktoren einzudreschen, als sich seriös mit komplexen Themen zu beschäftigen. Und alle machen mit – den Aufruf zum Boykott habe ich heute bereits fünf Mal bekommen.

Ebenfalls bei Facebook bekommt eine Frau den vollen Hass der “Tierschutzszene” zu spüren, weil sie ihren Hund hat einschläfern lassen, nachdem dieser ihr Kind gebissen hat und kein Tierheim ihn aufnehmen wollte. Da es sich hierbei um einen Listenhund handelt, fühlen sich nun die selbsternannten Hundeschützer auf den Plan berufen.

Leider haben sie eines nicht begriffen:

Natürlich ist es Schwachsinn, zu behaupten, dass ein Hund nur auf Grund seiner Rasse per se gefährlich ist. Es ist aber genauso schwachsinnig, zu behaupten, dass ALLE diese Hunde nur auf Grund ihrer Rasse harmlose und missverstandene Opfer eines rassistischen Systems sind.

Von den gefühlten 1000 Kommentaren fragt nicht ein einziger der großen Tierschützer, wie es dem Kind geht! Geschweige denn, dass irgendjemand einen Hauch von Verständnis dafür zeigt, dass die Dame es sich eben nicht leicht gemacht hat.

Mehr? Ende August 2010 tauchte bei Youtube ein Video auf, das eine junge Frau dabei zeigt, wie sie sichtlich amüsiert Hundewelpen in einen See wirft. Vollkommen logisch, dass der Sturm der Entrüstung losbrach. Schon kurze Zeit später hatte die Facebook-Gruppe, die sich gegründet hatte, um die Täterin zu finden über 5.000 Mitglieder, wie Spiegel Online am 1.9.2010 berichtete. Heute hat die Gruppe immer noch über 18.000 “Fans” – und das, obwohl die Täterin bereits am 3.9.2010 identifiziert wurde.

Wie weit diese Online-Jagd ging, zeigt ein Artikel der “Welt“, der unter anderem darüber berichtet, dass User Adresse, Profile und Fotos von “Verdächtigen” veröffentlicht hatten. Unter anderem auch von einer Schülerin aus der Nähe von München. In ihrem Fall wurden sogar ihre Telefonnummer und Schule, die sie besucht, veröffentlicht.

Die Schülerin erhielt daraufhin Anrufe bis hin zu Morddrohungen.

Aber wir Tierschützer wissen es ja besser, wissen wie die Menschen ticken und aus diesem Grunde gibt es auch die berühmten Schwarzen Listen, in denen man sich herrlich austoben kann, um seine “Kollegen” vor bösen Menschen zu bewahren. Ein Blick ins TAS zeigt, woran man einen potentiellen Tierquäler erkennt:

“Rauschebart und Säufernase”

Diesen Hinweis hat eine Dame als “Warnung” vor einen vermeintlich unseriösen Interessenten eingetragen – toll!

Aber warum sollte es den Adoptanten besser gehen als den Tierschützern selber? Es gibt gefühlt eine Million Foren, in denen sich  ganz andere Diskussionen abspielen als man denken sollte, wenn man “Fellnasen”, “Notpfoten” und andere eher flauschig klingende Titel liest.

Hier wird sich in Stellung gebracht. Wenn die eigene Arbeit schon unseriös oder illegal ist, kann man sie zumindest dadurch aufwerten, dass man die Arbeit der anderen als noch unseriöser und illegaler darstellt. Und wenn das nicht hilft, kann man immer noch zur persönlichen Beleidigung übergehen – aber bitte nicht niveauvoll, wenn schon, denn schon, ab unter die Gürtellinie …

Ganz am Ende kommen die Tiere, bzw. die süßen, gesunden, jungen und idealerweise reinrassigen unter ihnen. Der alte große und womoglich hässliche Mischlingshund kommt wenn überhaupt nur am Rande vor, z.B. bei Kastrationsaktionen oder – wenn ihn ein ganz schlimmes Schicksal ereilt hat – als Anheizer zum Spendensammeln.

Und während auch die großen Tierschutzvereine sich regelmäßig mit “Frischfleisch” aus dem Ausland eindecken – selbstverständlich während sie gleichzeitig über überfüllte Tierheime im Inland jammern – kommt häufig nichts und nur ein Bruchteil des Geldes tatsächlich bei den Organisationen vor Ort an. Schliesslich braucht der Vorstand neue Laptops oder der Tierheimleiter einen neuen Dienstwagen.

Und wenn es mit der Vermittlung mal nicht so klappt – kein Problem, da wird man kreativ.

So hat 2009 ein Tierschutzverein zwar die Welpen am Flughafen abgeholt, die Mutterhündin jedoch der Einfachheit halber einfach zurückgelassen. Auch der Wachmann, der vor einigen Tagen 20 Hunde auf dem Schiessplatz einer Polizeischule fand, hat sicherlich nicht schlecht gestaunt.

Und das es Vereine gibt, denen augenscheinlich scheissegal ist, wo ihre Hunde landen durfte ich selber feststellen, als ich im letzten Jahr einen Hund aus einer Messiwohnung holen durfte, der kurze Zeit vorher an die psychisch kranke Frau und ihren gewalttätigen und vorbestraften Lebensgefährten “vermittelt” worden war.

Die lapidare Reaktion des Vereins: “Vielen Dank für Ihre Mühe, Sie können den Artikel wieder offline nehmen …”

Aber es gibt ja noch weitere Möglichkeiten, den “Vertrieb” der Hunde anzuheizen. Da macht man aus Hunden, die im Tierheim sitzen einfach Hunde, die in einer Tötung sitzen und schon morgen sterben müssen. Blöd nur, wenn das rauskommt, aber im Krieg und im Tierschutz sind ja alle Mittel erlaubt …

All diese Beispiele zeigen – irgendwas scheint im Tierschutz grundlegend schief zu laufen. Wie kann das sein?

Nun, vielleicht sollten wir eins nicht vergessen: Tierschutzvereine sind auch nur Vereine – genau wie Kleingarten-, Kegel- oder Schützenvereine auch.

Es gibt jedoch einen gravierenden Unterschied: Als Tierschützer haben wir eine besondere Verpflichtung, den Tieren gegenüber, aber auch den Menschen, die auf uns bauen.

Schade, dass viele nur sich selber verpflichtet sind.

In diesem Sinne …

That’s all, Folks!

Paul, der Labbi-Mix (17)

Des Einen Leid ist bekanntermaßen des Anderen Freud.

Und so stürzte Gertrud an einem Abend zur Freude von Erika in ihrer kleinen Küche zu Boden und brach sich den Oberschenkelhals. Es war Erikas Glück, dass die alte, verwirte Dame um Hilfe rief und Nachbarn die Feuerwehr gerufen hatten. Und zum Glück fanden die Helfer, nachdem sie in das kleine Haus von Gertrud eingedrungen waren, den Hund in dem völlig zugekoteten Wohnzimmer. Und Dank Sabine erkannte die Mitarbeiterin des Tierheims den Hund sofort auf dem Plakat, als er von der Polizei gebracht wurde.

Und so konnte Erika ihr Glück kaum fassen, als sie ihre Maya wieder in die Arme schliessen konnte. Vier Monate waren vergangen, seit dem der Hund verschwunden war. Vier Monate, in denen sich ihr Leben um 180 Grad gewendet hatte. Demnächst würden sie ihr Haus verlassen müssen. Insgesamt belief sich der Schaden auf beinahe Einhunderttausend Euro. Erika war ruiniert, so viel stand fest. Und ihre Ehe gleich mit.

Immer wieder hatten sie den selben Streit. Warum hatte sie keine Versicherung für Maya abgeschlossen. Die kostete vielleicht Fünfzig Euro im Jahr. Warum? Ja, warum. Vielleicht, weil sie gedacht hatte, dass schon nichts passieren würde. Vielleicht, weil Maya so gut gehorchte und keiner Fliege was zu Leide tun würde. Sie wusste selber keine Antwort und sie konnte ihren Mann verstehen. Der Hund war immer ihr Hobby gewesen. Sie hatte Unmengen Geld für Futter, Leinen, Halsbänder und anderen Kram ausgegeben. Nur bei der Versicherung hatte sie geschludert.

An dem Abend, an dem ihr Mann ihr mitgeteilt hatte, dass er nicht mehr könne, dass er einen Neustart suche und erstmal ausziehen würde, war Erika ruhig und gefasst. Ja, sie wisse, dass die letzten Monate nur noch von Streit gerpägt waren. Ja, sie könne verstehen, dass er ihr das einfach nicht verzeihen könnte. Ja, es wäre wohl besser so, wenn beide erstmal getrennte Wege gehen würden. Und wegen der Kinder, die wären alt genug und würden das verstehen.

An dem Abend, an dem die Frau vom Tierheim angerufen hatte, war der ganze Ärger erstmal vergessen. Als Erika ihren Hund in Empfang nahm, fühlte sie sich kurz wieder so, als wenn das Alles nie passiert wäre. Als man ihr die Umstände schilderte, unter denen ihr Hund gefunden würde, tat ihr die alte Frau ein wenig leid. Es ist ein Drama, wenn Menschen im Alter vereinsamen. In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich, in der so etwas möglich ist? Bei dem Gedanken, dass Maya der Frau wenigstens Gesellschaft geleistet hatte, verflog Erikas Wut ein wenig. Vielleicht würde sie die Frau mal in dem Pflegeheim besuchen gehen, in dass sie eingewiesen würde, sobald ihre Verletzungen verheilt seien.

Mit Sabine hatte sie schon seit fast zwei Monaten keinen Kontakt mehr gehabt. Einmal hatte sie sie gesehen. Mit Paul, der alt geworden war und Paula, die sich mittlerweile zu einer properen und ungestühmen Junghündin entwickelt hatte. Erika war nicht wirklich böse auf Sabine, es war eher eine unterbewusste Wut und sie konnte ihr einfach nicht mehr in die Augen sehen, ohne das diese hochkam. Klar, solche Dinge passieren und es war bestimmt keine Absicht gewesen. Aber trotzdem konnte Erika einfach nicht vergessen, dass es Sabine war, die nicht aufgepasst hatte. Das es Sabine war, die ihr Leben ruiniert hatte. Ihre Existenz, ihre Ehe, ihr ganzes Leben. Und das es Sabine sei, die in ihrer kleinen glücklichen Welt lebte, die keine Ahnung davon hatte, wie es ist, jeden Tag aufs Neue um die eigene Existenz zu kämpfen. Sabine, die es einfach nicht verdient hatte, ungeschoren davon zu kommen, während Erika erledigt sei.

Sabine vermisste die gemeinsamen Spaziergänge mit Erika. Sie vermisste Erika, ihre Freundin, die mit ihrer eloquenten und direkten Art ihr Leben so bereichert hatte. Sie plagte sich mit Schuldgefühlen rum und schlief schlecht. In der Regionalzeitung hatte sie von der alten Dame gelesen, die vier Tage verletzt in ihrem Haus gelegen hatte, bevor jemand zur Hilfe kam. Und von dem Hund, der im Tierheim gelandet war und seiner rechtmäßigen Besitzerin übergeben werden konnte. Sie musste lächeln, doch das Gefühl der Erleichterung, auf das sie so gehofft hatte, blieb aus.

Michael hatte versucht, ihr Trost zu spenden, doch tat er sich sehr schwer damit, an Sabine ranzukommen. Einzig ihre Hunde waren in diesem Moment ihr einziger Anker. Der Fels in der Brandung, der verhinderte, dass sie abtrieb.

Als sie an diesem Nachmittag mit ihren Hunden spazieren war, traf sie auf Erika, die mit Maya unterwegs war. Der Hund humpelte noch, schliesslich hatte Gertrud Mayas Verletzung nicht behandeln lassen. Zuerst freute sich Sabine und rief noch „Hallo ihr, schön Euch zu sehen.“, doch als sie sich den beiden näherte, spürte sie den bedrohlichen Blick Erikas auf sich haften und drehte wieder ab. In diesem Moment hatte sie plötzlich Angst und das diffuse Gefühl, dass Gefahr in der Luft lag. Den Rest des Tages hatte sie das Gefühl, dass Erika sie überall hin verfolgte. Sabine versuchte sich zu beruhigen, dass bilde sie sich ein, Erika sei nicht so ein Mensch.

Michael gegenüber erwähnte sie nichts und als sie schliesslich im Bett lag, kriegte sie zunächst kein Auge zu. Es muss am frühen Morgen gewesen sein, als Sabine dann aus dem Schlaf gerissen wurde. Sie hatte ein Geräusch gehört, es kam von unten. Jemand war ins Haus eingedrungen, doch die Hunde waren still. Sabine wollte das Licht ihrer Nachttischlampe einschalten, doch sie funktionierte nicht. Ein Blick auf den Radiowecker, auch er still. Jemand hatte den Strom abgeschaltet.

Sie zog sich ihren Morgenmantel über und schlich so leise, wie es die alten Dielen des Hauses zuliessen, zur Treppe. Plötzlich tat es einen Schlag. Als Sabine zu sich kam, hatte sie heftige Kopfschmerzen und Blut tropfte auf ihr Nachthemd.  „Du hast mein Leben zerstört“ hörte sie noch wie durch einen Nebel. Dann tat es noch einen Schlag.

Noch 8 Stunden.

Sabine fuhr hoch. Sie keuchte vor Erschöpfung und war schweißgebadet. Ihre Hände zitterten und sie brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Michael drehte sich zu ihr und nuschelte „Was ist los, Schatz?“

Noch ganz ausser Atem, den Tränen nahe, flüsterte sie „Ich glaub, ich hatte einen Albtraum.“ Sie sprang aus dem Bett, rannte runter ins Wohnzimmer. Paula hatte das CD-Regal umgeworfen und schaute sein Frauchen mit einem „Ich war’s nicht“-Blick an. Aber das war jetzt egal. Paul und Maya lagen in ihren Körbchen und guckten Sabine  verständnislos an.

Mit zittrigen Fingern griff Sabine zum Telefon.

„Wer stört?“ klang es müde auf der anderen Seite. „Ich bin’s, Sabine.“ „Sabine? Was ist passiert, weisst du, wie spät es ist?“ „Erika, halte mich jetzt nicht für bescheuert, aber ist alles gut bei Dir?“ „Abgesehen davon, dass ich heute hätte auschlafen können, ja. Was ist denn los?“ Erika gähnte. „Sag mal, ist Maya versichert?“ „Ja natürlich. Wieso, hat sie was kaputtgemacht?“ „Nein, alles ist gut. Bis später, ich freu mich.“

(Fortsetzung folgt)

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Paul, der Labbi-Mix (16)

Die nächsten Stunden verliefen wie ein schlechter Traum. Die von den Nachbarn alarmierten Rettungskräfte versorgten den jungen Mann, der in seinem Auto eingeklemmt war. Die Polizisten löcherten Sabine mit Fragen, doch sie konnte sich nicht mehr erinnern. Nur das Jaulen von Maya und dann der Knall. Keine Ahnung, wo das Auto auf einmal herkam. Keine Ahnung, wie der Hund sich losgerissen hatte. Das kann doch alles gar nicht wahr sein. Ihr Blick wanderte über die abgesperrte Straße auf der Suche nach Erika. Doch sie konnte sie nirgendwo sehen. Erst später würde sie erfahren, dass Erika und ihre Tochter im nahe gelegenden Wald nach Maya suchten, die angefahren und in Panik geflüchtet war.

Ebenfalls später würde sie erfahren, dass Erika für ihre Hündin keine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatte und schon allein der Einsatz der Feuerwehr und der Rettungskräfte ihren finanziellen Ruin bedeuteten. Doch all das war in den nächsten Tagen nicht wichtig. Maya war jetzt seit drei Tagen verschwunden und von ihr fehlte jede Spur. Sabine ging jeden Tag mehrmals mit Paul und Paula die Strecke im Wald ab und hoffte, dass sie Maya finden würde.

Jeder Schatten, jedes ungewöhnliche Geräusch machte ihr Hoffnung, doch es blieb dabei. Die Hündin war weg. Abends teilte Sabine Fotos von Maya in den sozialen Netzwerken, doch abgesehen von ein paar Spinnern, die behaupteten, sie sonstwo gesehen zu haben, ohne Ergebnis. Die ganze Umgebung hatte sie mit Flugblättern tapeziert, alle Tierärzte im Umkreis von 30 Km angerufen und jedes einzelne Tierheim persönlich aufgesucht.

Man könnte nicht behaupten, dass Erika Sabine Vorwürfe gemacht hätte. Einmal hatte sie sie angeschrieen und gebrüllt, dass Maya vielleicht verletzt im Wald liegen und niemand ihr helfen würde, Das war nach zwei Wochen. Danach hatte sie sich jedoch schnell beruhigt und seitdem nichts mehr dazu gesagt. Aber es lag auf der Hand, irgendwas in ihrer Freundschaft war anders, seitdem dieser Unfall passiert war. Sabine war bemüht, Erika nach Kräften zu unterstützen, doch merkte sie auch, dass ihre beste Freundin sich von ihr distanzierte. Sabine hoffte, dass alles wieder gut werden würde, wenn sie nur Maya finden könnte.

„Alles wird gut“ hatte auch die alte Dame gesagt, als sie den verletzten Hund im Wald gefunden hatte. Sie hatte das Tier mit nach Hause genommen und die blutende Wunde sauber gemacht. Nun lag der Hund in dem kleinen Wohnzimmer der alten Dame, die sich freute, jemanden für sich zu haben.

Beate, wie ihre Tochter, die sie schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Nun lag „Beate“ auf dem kleinen Läufer und winselte. „Du hast bestimmt Hunger“ sagte die alte Frau. „Warte, ich hol dir was.“ Langsam bewegte sich Getrud, so hiess die Dame, in die Küche und nahm ein paar von den Pellkartoffeln aus dem Topf auf einen Teller. Darauf tat sie einen großen Schlag Sauce und stellte dem Hund das Essen vor die Nase. „Hast Du keinen Hunger, mein Kind? Du musst doch was essen, damit du wieder gesund wirst. Schau doch mal, Pellkartoffeln, die hast Du doch früher so geliebt“ sagte Gertrud und schüttelte mit dem Kopf. „Beate, Beate, mein Kind, was soll nur aus dir werden?“ Die Dame liess sich auf ihr altes Sofa fallen und ihr Blick wanderte in eine andere, bessere Zeit.

Maya war jetzt schon vier Wochen verschwunden.

Als Erika der Brief mit der Rechnung für den Feuerwehreinsatz erreichte, setzte sie sich ruhig an den Tisch und zündete sich eine Zigarrette an. Dreizehntausendfünfhundert Euro. Zahlbar binnen vierzehn Tagen. Sie atmete tief durch und heftete die Rechnung zu den anderen. Sie würden ihr Haus verkaufen müssen. Der junge Mann hatte sich einen komplizierten Beinbruch zugezogen und lag noch im Krankenhaus. Doch schon allein die bisher angefallenden Rechnungen beliefen sich auf einige Zehntausend Euro. Sicherlich wusste Erika, dass eine Tierhalterhaftpflichtversicherung sinnvoll war. Und sie hatte sich auch oft vorgenommen, eine abzuschliessen. Aber die Fünfzig Euro waren viel Geld. Sie hatten gerade das Dach neu decken lassen, dann ist die Waschmaschine kaputtgegangen und schliesslich musste sie auch zugeben, dass sie es schlicht und ergreifend vergessen immer wieder auf später verschoben hatte.

In der Zwischenzeit hatte Sabine einen Mann engagiert, der sich auf die Suche von vermissten Haustieren spezialisiert hatte. Er wusste zu berichten, dass Hunde normalerweise immer dahin zurückkommen, von wo sie losgerannt sind. Deswegen hätten Jäger früher ihre Autos offen im Wald stehen gelassen, wenn ein Hund ausgebüxt war. Am nächsten Morgen wartete der vermisste Hund dann auf sein Herrchen. „Heute geht des nimmer,“ sagte der Pettrailer, „denn heut würd’ns am näschste Morsche Ihr Auto nimma find’n.“

Erst wenn der Hund seinen Besitzer nicht antreffen würde, würde er in immer größeren Kreisen um den Ort des Geschehens laufen und sich so immer weiter entfernen. „Am beschte iss, wenn imma eener am Ort wadden tut“

Mit Hunden, die ein Trauma hätten, verhielte sich das natürlich anders. Wie in Trance würden diese Tiere laufen und laufen, bis sie irgendwann zu Sinnen kommen. Doch dann wäre es oft zu spät und sie könnten sich nicht mehr zurück orientieren. So hätte er erst vor ein paar Monaten das vermisste Tier sage und schreibe 120 km von seinem Zuhause entfernt gefunden.

„Schlafe mein Baby, schlafe nun ein …“ Gertrud saß auf ihrem Sofa und sang das Lied, dass sie ihrer Tochter immer vorgesungen hatte, vor ihr lag Maya, die nun Beate hieß. Die alte Dame hatte sich furchtbar aufgeregt und hatte jetzt ein schlechtes Gewissen. Sie war in ihr Wohnzimmer gekommen und ihr Baby hatte den ganzen Teppich dreckig gemacht. Daraufhin hatte sie geschimpft. Sie war immer eine gute Mutter gewesen, etwas streng, aber liebevoll. Doch Beate hatte die ganze Nacht durchgeweint und dann das, nun reichte es der alten Frau. „Warte nur, bis Vati nach Hause kommt.“ hatte Gertrud Beate gewarnt. „Dann kannst du was erleben.“ Nun war Beate ruhig und Gertrud sang ihr das Schlaflied vor.

„Morgen, ja morgen wird alles besser“ flüsterte Gertrud liebevoll. „Morgen kommt Vati zurück. Wie der sich freuen wird, dass du hier bist.“ Langsam erhob sich Gertrud aus ihrem Sofa und schlenderte in die Küche. Sie hatte ihren Rock verkehrt herum angezogen und lief barfuss. Manchmal hatte sie schlechte Tage, an denen ihr Kopf einfach nicht so wollte, wie sie. Doch heute war ein guter Tag. „Endlich sind wir wieder zusammen. Vati wird sich freuen.“

(Fortsetzung folgt)

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