Der Hütitüti-Schluckauf

Schon vor einiger Zeit habe ich mir abgewöhnt, Hundeforen oder -gruppen im Internet aufzusuchen. Denn allzu oft passiert es, dass ich mich auf meine Hände setzen muss angesichts der teils abenteuerlichen Tipps, die da so zu finden sind.

Würde ich jedes Mal in die Tastatur greifen, wenn ich mich mal wieder aufrege, hätte das nichts anderes zur Folge, als dass

a) ich keine Zeit für irgendwas anderes mehr hätte
b) der erste Herzinfarkt in großen Schritten näher käme
c) F. irgendwann ausziehen würde.

Also lasse ich es. Naja, meistens.

Denn manchmal kann man garnicht anders. So wie neulich, als ich mich bei diesem großen blauen sozialen Netzwerk in eine Gruppe verirrt hatte, die es sich zur Aufgabe macht, Hütitütis an den Mann oder die Frau zu bringen, die vermutlich versehentlich als Familienhund vermittelt wurden.

Dort fand ich einen „Threat“, in dem jemand seine Probleme mit dem hauseigenen Border Collie schilderte, dass dieser alles fixieren, Kinder, Autos, Schmetterlinge und hyperaktive Schnecken „hüten“ und Fremden gegenüber auch mal die Zähne einsetzen würde.

Und da stand es, sozusagen schwarz auf weiß von einer Userin in den Äther geblasen:

„Wer einen Border Collie halten möchte, muss lernen mit diesem Verhalten zu leben. Schließlich wurden sie dafür gezüchtet, alles zu hüten.“

Ich las diese beiden kurzen Sätze und bekam kurzfristig Ganzkörperherpes, gefolgt von einem Schluckauf, den ich seit dem nicht mehr loswerde, sobald ich an diese Aussage denke.

Diese Aussage, gute Frau, ist aus vielerlei Gründen blödsinnig und schlicht falsch! Und für die Tatsache, dass Sie so einen Dummfug für etwa ein Achtel der Weltbevölkerung gut lesbar bei Facebook hinterlassen, würde ich Sie am liebsten aversiv anstupsen! So.

  1. Kein Border Collie wurde je dafür gezüchtet, irgendetwas zu hüten. Denn das, was die Tierchen da tun hat nischt aber auch jaanischt mit „hüten“ zu tun. Denn der Koppelgebrauchshund als solcher treibt das Vieh. Die Engländer, die ja ein kluges Völkchen sind, nennen den Border Collie deshalb auch „Sheep Dog“ oder „Herding Dog“ und den Hütehund „Tending Dog“ oder „Shepherd Dog“. Aber genug klug geschissen. Vielleicht meinen Sie ja eigentlich das Treiben.
  2. Trotzdem, selbst, wenn er den Nachwuchs ins Kinderzimmer treibt anstatt ihn zu hüten, wurde kein Border Collie dafür gezüchtet, an Kindern, Autos oder sonstwas zu arbeiten.

Tatsächlich ist es so, dass diese Hunde dazu neigen, unbestimmten Bewegungsreizen nachzugeben. Diese Disposition zu managen ist wiederum Aufgabe des Besitzers.

Ich kenne zig Besitzer von Border Collies – solche, die mit den Hunden an Schafen arbeiten und solche, die es nicht tun – die keine derartigen Probleme mit ihren Hunden haben. Der Grund dafür ist einfach. Diese Menschen haben eben nicht eingesehen, dass man mit einem solchen Verhalten leben muss, sondern haben ihren Hund erzogen.

Es ist verrückt.

Der Besitzer eines Jack Russel Terriers muss die angeborene Disposition seines Hundes managen, der Border Collie-Besitzer muss lernen, damit umzugehen. Dabei stammen beide Verhalten – das Hetzen, Packen und Töten der Beute genauso wie das Fixieren und Anschleichen – aus ein und dem selben Funktionskreis, nämlich dem Jagen und damit dem stoffwechselbedingten Verhalten.

Das könnte wiederum ein Hinweis darauf sein, warum diese Verhalten mit Spiel genauso viel gemein haben könnte wie mein morgentlicher Gang zur Toilette.

Doch zurück zum Border Collie. Die Aufgabe, nämlich das rassetypische Verhalten zu managen, kann mitunter tatsächlich schwierig bis unmöglich werden. Zum Beispiel dann, wenn man sich einen Hund aus einer VDH-Zucht kauft.

Innerhalb des VDH zeichnet sich der Club für Britische Hütehunde für den Border Collie verantwortlich.

Ein Club, dessen Mitglieder solche Dinge behaupten wie, das ein Border Collie nicht rollhaarig sein darf, weil es in Schottland so oft regnet. Naja gut, der selbe Club behauptet auf seiner Internetseite auch, dass die Shetlander den Sheltie gezüchtet hätten, weil sie zu den winzigen Shetlandponies und den noch winzigeren Shetlandsheeps eben ganz besonders winzige Hunde gebraucht hätten. Überhaupt, die Shetländer, ein außerordentlich kleines Volk mit großen behaarten Füßen, dessen Hauptstadt Michelbinge heißt …

Die Züchter des „CfBrH“, wie der Verein abgekürzt heißt, züchten gemäß des Rassestandards der FCI, also der Fédération Cynologique Internationale.

Das sechseitige Dokument inklusive Illustration beschäftigt sich in exakt 18 Worten mit den gewünschten Verhalten des Hundes, nämlich:

Zu harter und ausdauernder Arbeit fähiger Hund von guter Führigkeit; aufgeweckt, aufmerksam, empfänglich, intelligent, weder nervös noch aggressiv.

Im restlichen Text erfahren wir zum Beispiel, dass der Nasenschwamm bitte schwarz zu sein hat – mit Ausnahme bei braunen oder schokoladenfarbigen Hunden, da darf er braun sein. Jedes, aber auch jedes Schaf auf dieser Erde verliert in der Sekunde den Respekt vorm Sheepdog, in dem es feststellt, dass er einen fehlpigmentierten Nasenschwamm hat! Nicht.

Irgendwie ist den Verantwortlichen dann aufgefallen, dass die paar Wörtchen wohl ein bisschen wenig sind und haben dem letzten Absatz noch einen weiteren Halbsatz (in fett) hinzugefügt:

Jede Abweichung von den vorgenannten Punkten muss als Fehler angesehen werden, dessen Bewertung in genauem Verhältnis zum Grad der Abweichung stehen sollte und dessen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Hundes und seine Fähigkeit, die verlangte rassetypische Arbeit zu erbringen, zu beachten ist.

Die Aufnahme in die FCI hat noch keiner Rasse gut getan, beim Border Collie und anderen Gebrauchshundetypen ist es jedoch nahezu absurd, einen Standard festzulegen, der beschreibt, wie das Tierchen bitteschön auszusehen hat.

Aber schlimmer geht ja bekanntlich immer.

Wenn ein Schäfermeister zwei Hunde miteinander verpaart, dann legt er Wert darauf, dass die Elterntiere bestimmte Eigenschaften mitbringen, die später bei der Arbeit am Vieh hilfreich sind.

Im Falle des Border Collies wären das zum Beispiel neben anderen das Fixieren in Verbindung mit dem Anpirschen („Eye and Style“), gepaart mit dem entsprechenden Druck am Vieh, der dann gerne mal als „Power“ bezeichnet wird.

Gemäß Mendel’scher Vererbungslehre stehen die Chancen dann gut, dass die Nachkommen die gewünschten Eigenschaften an den Tag legen.

Ein Züchter, der sich dem Rassestandard verpflichtet fühlt, wird die Elterntiere nach den gewünschten äußerlichen Merkmalen aussuchen und versuchen, dem Standard möglichst nahe zu kommen – mit der Nebenwirkung, dass die hypertrophierten (also stärker ausgeprägten) Merkmale der Tiere ungünstig vererbt werden können.

So wird aus dem „aufgeweckten“, „aufmerksamen“ und „empfänglichen“ Hund unter Umständen ein hypernervöses Wrack mit Geräuschphobie und dem Hang zur genetisch bedingten Störung. Psycho + Psycho ergibt eben Psycho. Lass ihn doch Tapeten fressen, spart Futter …

Neben Ganzkörperherpes und Schluckauf bekomme ich dann hin und wieder hektische Zuckungen, wenn ich auf die Internetseite von „Stehohrbordercollies von Kleinpopelsdorf“ stosse.

Border Collies, aber die mit Stehohren bitte, waren übrigens die letzten Vertreter ihrer Rasse, die dem Meer entstiegen sind. Deshalb auch die Stehohren, denn der Hund soll ja empfänglich sein … Wie das Rollhaarverbot mit den erlaubten Stehohren einhergehen soll, bleibt mir derweil ein Rätsel. Immerhin regnet es da rein – und in Schottland, das wissen wir ja …

Das muss natürlich nicht bedeuten, dass alle Hunde, die rein auf äußerliche Merkmale hin verpaart werden, unbedingt problematisch werden müssen, aber die Gefahr ist größer als bei Verpaarungen, bei denen das Verhalten im Vordergrund steht.

Vorausgesetzt, die hübschen Tierchen sind nicht schon von Geburt an bekloppt, gibt es jede Menge Möglichkeiten, dies nachzuholen – teilweise mit einem Eifer, der vermuten lässt, dass es Zulieferverträge zwischen Züchtern und Hundetrainern geben muss.

Wirft man zum Beispiel einen Blick auf die Internetseite einer beliebten Züchterin, findet man jede Menge herzzereißender Videos, in denen die kleinen Scheißer schon im Alter von Sechs Wochen munter irgendwelchen Objekten hinterher trampeln Niedlich. 250 Personen gefällt das.

Den späteren Welpenkäufern allerdings nicht unbedingt, die sich dann mit monochromen Plüschkugeln rumschlagen müssen, die mit 10 Wochen jedem Auto hinterher machen. Und dann zur Erklärung zu hören bekommen, dass sich das von alleine erledigt.

Das, was da passiert, nämlich das unkontrollierte Hetzen von unbelebten Objekten, bezeichnen viele Menschen als „Spiel“. Viele Hundetrainer, Tierärzte und Ethologen bezeichnen so etwas als problematisch.

Denn, und das dürfte sich mittlerweile bis ins letzte Hundeforum durchgesprochen haben, das Jagdverhalten ist selbstbelohnend. Der Hund, der jagt, wird mit körpereigenen Endorphinen zugeschüttet, der Begriff Endorphin ist eine Wortkreuzung aus endogenes und Morphin sagt Wikipedia und trifft den Nagel auf den Kopf.

Anders als von diversen TsDlern propagiert sind diese Endorphine sehr wirkungsstark und der Versuch, einen Hund mittels Leckerchen-Belohnung aus dem Jagen zu holen (unterbrechen sagen wir nicht, denn das ist Pfui! Achja, und „Tscht“ sagen wir nicht, weil das Geräusch den Hund bei seiner Urangst vor der Schlange packt, genau) vergleichbar ist, wie Sie mit einem trockenen Knäckebrot vom Sex abzuhalten (vergl. Krawallmaus). Aber egal.

Im Normalfall wird jeder Hund im Laufe seiner Entwicklung früher oder später mit der glücklich- und süchtigmachenden Wirkung des Jagens konfrontiert.

Der Welpe indes probiert sich bereits im Spiel aus, allerdings noch verschwurbelt mit jeder Menge anderer Verhaltensweisen, die so ein kleiner Pups lernt. Erst im Laufe der Zeit lernt er die verschiedenen Verhalten voneinander zu trennen und sozusagen nach Funktionskreis zu sortieren. Er lernt (im besten Fall), dass man Artgenossen nicht hetzt, packt und tötet und das man seiner Beute nicht vorher lautstark zu verstehen gibt, dass man sie gleich fressen wird.

Wird ein junger Hund jedoch schon sehr früh und einseitig mit jagdlichen Reizen konfrontiert, so wird die arme Maus (so nennt man die doch) mit den körpereigenen Belohnungssystemen im wahrsten Sinne des Wortes vollgeballert, obwohl das Tier vom Entwicklungsstand her noch garnicht in der Lage ist, damit umzugehen.

Verrückt, würden Sie heute abend auf der Straße einen 11-jährigen treffen, der sturzbetrunken ist, würden Sie sich fürchterlich aufregen. Der viermonatige Hütitüti der morphingeschwängert einer wertlosen Filzkugel hinterhetzt, als wenn es kein Morgen gäbe, den youtubet man und genießt die „Oh Cuuuute“-Kommentare …

Anders als die Hundebespaßungsindustrie uns glauben machen will, braucht ein Border Collie (oder irgendeine andere Rasse) keinen Agility-Vorbereitungskurs für Welpen, nein, rein genetisch betrachtet ist es für einen Hund, der dafür gezüchtet wurde, den Outrun quasi per Disposition mitzubringen, eher widersinnig,  einen Parcours zu absolvieren.

Die erste Lektion des Border Collie-Welpen: Nicht glotzen! Gefolgt von der zweiten Lektion des Border Collie-Welpen: Immer noch nicht glotzen. Schafe (und anderes Vieh) sind im ersten Jahr tabu, die bekommt er nicht zu Gesicht. Achwas, er bekommt nicht mal Lamm & Reis!

Dann mit etwa einem Jahr stehen da auf einmal diese komischen Tiere, machen „Mäh“ und hassenichgesehn – jetzt darf er. Mehr brauch er nicht. Vorausgesetzt, man möchte einen Hund haben, der adäquat am Vieh arbeitet.

Möchte man einen Hund haben, der Familienbegleiter ist, dann lautet die erste Lektion immer noch: Nicht glotzen!

Nur mit dem Unterschied, dass man das angeborene Verhalten tatsächlich bis in alle Ewigkeit managen muss, ohne einen adäquaten Einsatz für das Tier bieten zu können. Zu glauben, man könnte ihm irgendetwas anderes vorsetzen, der irrt bzw. glaubt dem Marketing der Hundeschulen. Kein Hund geht zum Treibball und sagt „Mensch, eigentlich werde ich ja seit Jahrhunderten für die Arbeit am Vieh gezüchtet, aber hey, so ein paar Bälle in ein Handballtor treiben, das ist viel cooler!“

Auch wenn der eine oder andere ISDS-Anhänger nun meinen sofortigen Tod fordert, für Familien mit Border Collie-Anspruch könnten verantwortungsvolle Züchter genau solche Exemplare verpaaren, die das typische Verhalten weniger stark ausgeprägt zeigen. Mit dem Nachteil, dass auch untalentierte Border Collies nicht unbedingt dem Rassestandard entsprechen. Die hätten dann vermutlich Rollhaar, da regnet es durch …

Die Engländer, ich erwähnte schon, was für ein pfiffiges Volk das ist, nennen solche Hunde dann übrigens „Pet Dog“. Und Pet bedeutet neben „Haustier“ eben auch „streicheln“. Und auch das wäre ja ein tolles Leben für einen Hund.

Doch so lange auf der einen Seite Hunde in erster Linie auf Schönheit hin selektiert, Verhalten nur eine Nebenrolle bei der Zucht spielt, die Tiere ungünstig sozialisiert und wie lebendige Sportgeräte behandelt werden, hat die Dame bei Facebook wohl nicht ganz Unrecht:

Dann muss man wohl damit leben. Eigentlich schade.

Mein Freund Elmo

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„Komm doch mal vorbei und guck ihn dir an“, sagte Rolf am Telefon und versuchte mir einen Hund anzudrehen.

Also setzte ich mich irgendwann letztes Jahr ins Auto und besuchte meinen Schäferfreund. Mit mir im Auto ein Welpe, der später noch zu Berühmtheit in diesem Blog gelangen sollte.

Rolf führte mich zu den hinteren Zwingern und zeigte mir den imposanten, viel zu dicken Elmo, den er einige Zeit zuvor von einer Dame bekommen hatte, um ihn dahingehend zu testen, ob er zum Hüten geeignet wäre. War er nicht.

„Ach weißt du“, sagte ich zum Rolf, „der ist ja ganz nett, aber wir sind voll bis unters Dach.“

Rolf ließ nicht locker und machte mir das in meinen Augen unverschämte Angebot, dass ich ja den Welpen da lassen und dafür den pummeligen Tiger mitnehmen könne.

Am Arsch die Räuber, mit Verlaub. So einen Welpen, den kann man gut vermitteln. So einen Hüteklops muss man erstmal auf Diät setzen und Manieren beibringen. Denn, das hatte die Besitzerin gesagt, der Elmo wäre nicht ganz einfach.

Rolf konnte das nicht bestätigen. „Is’n toller Hund, taugt aber nix zum Hüten.“

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Überhaupt, die Besitzerin. Die rief ungefähr zwanzig mal am Tag an, erklärte mir der Schäfrmeister und konnte kaum verbergen, wie dermaßen ihm das auf den Senkel ging. Irgendwann war ihm dann der Kragen geplatzt und er verlangte, dass sie ihren Hund wieder abholen müsse.

Für mich ein weiterer Grund, dankend abzulehnen. Also sagte ich Rolf, dass er diesen Tausch – Welpe gegen Klops – vergessen könne, einige Minuten später killte Arco sein erstes Huhn.

Also fuhr ich nach Hause und die Sache war vergessen. Bis vor einigen Wochen.

Da nämlich erzählte mir F., dass wir einen Altdeutschen Hütehund übernehmen würden. Von einem anderen Tierschutzverein. Für Umme. Ich war in etwa so begeistert wie eine Mutter, die erfährt, dass ihr Sohn 15 Banken ausgeräumt hat.

Denn das Problem in solchen Fällen ist oft, dass der Verein den Hund bei uns ablädt und sich dann in Ruhe zurücklehnen kann. Kostet ja nix.

Als F. mir dann erzählte, dass der Hund mehrfach „aus dem Nichts heraus“ gebissen habe und nun darüber nachgedacht würde, ihn einzuschläfern, steigerte dies meine Laune nicht unbedingt. Vor meinem geistigen Auge sah ich schon, wie wir den erst dreijährigen Hund die nächsten 10 Jahre am Bein hätten.

Na super.

Als ich an dem Abend nach Hause kam und den Neuzugang erblickte, war ich – gelinde gesagt – fassungslos. Da stand er: Elmo. Der Hüteklops, den ich ein Jahr zuvor bei Rolf gesehen hatte.

In der Zwischenzeit war er einige Male vermittelt worden, hatte dann irgendwann zugehappst und wurde wieder zurück an den Verein gegeben. Da die Heftigkeit des Happsens von Mal zu Mal heftiger wurde, hieß es nun „Hopp oder Topp“. Aha.

Nun lebt Elmo seit einiger Zeit bei uns und weiß sich zu benehmen. Dabei könnte er, wenn er wollte. Aber tut’s nicht.

Elmo ist einer von den Hunden, die sich einen Komplizen suchen, um dann gemeinsam die Welt zu erobern und jedem zu zeigen, wo der Frosch die Locken hat. Geht man darauf ein, dann duldet er nach kurzer Zeit keine vermeindlichen Eindringlinge mehr, die das „Dream-Team“ gefährden könnten. Nett ausgedrückt ist er außerordentlich kooperationswillig und vergisst halt nur nachzufragen, was denn nun der gemeinsame Plan ist. Weniger nett ausgedrückt zeigt er eine sozial motivierte Aggression gegen Menschen

Umso fataler, dass mit ihm so lange „Bindungs-Training“ praktiziert wurde, bis er zuverlässig zugebissen hat. Und so bestätigte der Hundetrainer noch mal, dass er noch nie einen so anhänglichen Hund kennengelernt hätte, während Elmo sich an ihm anlehnte und jeden fixierte, der sich nähern wollte.

Eigentlich ist Elmo alles andere als ein Held und will eigentlich nur ein Hund sein. Mit seiner vermeindlichen Aufgabe, alles Unheil dieser Erde von sich und SEINEM Menschen fernzuhalten, ist er heillos überfordert.

Loslassen zu können, mal abzuschalten, das gute Gefühl zu geniessen, dass es nichts zu regeln gibt und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen – diese Erfahrung durfte Elmo bei uns machen.

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Auf seine sehr charmanten Freundschaftsangebote sind wir erstmal nicht eingegangen, sondern haben erstmal auf unsere Individualdistanz bestanden. Denn eine Freundschaft mit Elmo kann im wahrsten Sinne des Wortes erdrückend sein, wenn man nicht von vorneherein klarstellt, dass das erste Date nicht mit einem Heiratsversprechen gleichzusetzen ist.

Denn dann wird Elmo zum liebeskranken Psychopathen – erst Freund, dann Stalker und schließlich folgt die Beziehungstat.

Eine tiefe und wahrlich große Liebe muss sich entwickeln und benötigt wesentlich mehr Zeit als die kurze Phase der Verliebtheit. Die große Liebe besticht durch Momente, in denen man seinen Standpunkt vertreten kann, mal Freiraum in Anspruch nimmt und über Distanz erst richtig spürt, wie nah man sich ist.

Wenn man das verinnerlicht, findet man in Elmo einen ganz tollen Hund, der einfach nur dabei sein will und außerordentlich nett und zuvorkommend mit Artgenossen und anderen Menschen umzugehen weiß.

Hunde wie Elmo gibt es zu Hauf. Angeschafft, weil er etwas besonderes ist, mit seinem gemerlten Fell, dem blauen Auge, der seltenen Rasse, der er angehört. Angeschafft, weil etwas wichtiges im Leben seiner Menschen fehlte, angeschafft, um eine Lücke zu füllen. Überfrachtet mit Emotionen und Erwartungen.

Oh ja, in Elmo wurden viele Erwartungen gesetzt – Erwartungen, die ein Hund nicht erfüllen kann und selbst einen Menschen dazu bringen könnten, sich einer Beziehung zu entziehen.

Aber Elmo, der hat sich reingekniet, hat alles in seiner Macht stehende versucht, um diesen Erwartungen gerecht zu werden. Nur ist er eben ein Hund und kein Therapeut, kein Ehepartner und erst recht nicht die beste Freundin, die sich bereitwillig als emotionaler Mülleimer zur Verfügung stellt, wenn es einem schlecht geht.

Elmo hat die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuscht. Dabei hat er sich so viel Mühe gegeben, hat versucht Verantwortung zu übernehmen, Schutz zu bieten und den Alltag zu regeln. Mit dem Ergebnis, dass er immer wieder ins Tierheim gebracht wurde.

Also hat er sich noch mehr angestrengt, wurde noch enger zum Menschen, noch unfreundlicher zu Fremden und noch kontrollierender seiner Umwelt gegenüber.

Elmo wäre – das steht fest, denn so wurde es gesagt – im wahrsten Sinne des Wortes für seinen Menschen in den Tod gegangen.

Was für ein dramatischer Irrtum.

Dieser Blog dient nicht als Vermittlungsportal, doch für Elmo, meinen Freund Elmo, wünsche ich mir endlich Menschen, die ihn behandeln wie einen Hund. Und dafür genau das bekommen – einen tollen Hund!

Wer ihn kennen lernen möchte, klicke hier!

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Auf dem Gipfel der Verzweiflung gibt es Live-Tennis! (Teil 1)

Erster Akt: Der Höllenschnauzer

Es gibt so Tage, an denen ich ernsthaft darüber nachdenke, das Mobiltelefon in den Müll zu werfen und den Festnetzapparat gleich mit zu entsorgen. Habe ich aber bisher nicht getan. Und so hab ich das davon. „Das“ heißt „Butterfly“ ist eine reizende Mittelschnauzerhündin. „Reizend“ wie CS-Gas, denn im Zusammenleben mit ihr hat man des Öfteren Tränen in den Augen. Mal vor Schmerz, mal vor Wut, mal vor Verzweiflung. Aber von Anfang an.

Letzte Woche war es, als ich es mal wieder getan habe. Ich ging ans Telefon, als es läutete. Am anderen Ende war eine nette Dame, die mir berichtete, dass ihr Nachbar einen Unfall hatte und nun dringend eine Unterkunft für seinen Hund gesucht würde.

Kurzerhand sagte ich zu, denn der Mann tat mir leid. Und der Hund auch. Und man hilft ja gerne.

Also fuhr ich kurzerhand nach Tupfingen im Taunus und holte „Butterfly“ ab. Abholen wiederum bedeutete, dass Madam mich am Gartentor erstmal mit aller Empörung begrüßte, die so ein Hund an den Tag legen kann. Spontan entschied ich, dass die Moxonleine das Mittel der Wahl wäre, um sich dem Tierchen zu nähern. Als ich sie dann „eingefangen“ hatte, stellte sie sich jedoch erstmal als freundlich aber reserviert heraus.

Und nun ist sie bei uns.

Auf dem ersten Blick ist Butterfly ein Zuckerstück. Zum zweiten Blick kommt es meist nicht, weil Butterfly dann schon weg ist. Zuerst dachten wir, sie sei taub, denn sämtliche freundschaftlichen Versuche, sie davon zu überzeugen, uns auch nur eines Blickes zu würdigen, schlugen gänzlich fehl.

Ich glaube, in Butterfly steckt so eine Identitäts-Problematik für Hunde. Butterfly muss ein Chow Chow oder ein Akita gefangen im Körper eines Mittelschnauzers sein. Im Gegensatz zu ihr sind Labbis hochsensible Seelen und Owtscharkas hochkooperativ. In meinem Leben habe ich noch nie einen Hund kennengelernt, der dermaßen eigenständig, stur und ignorant ist.

Das gilt jedoch nur, wenn man etwas von ihr möchte. Wenn sie etwas möchte, sieht das etwas anders aus. Dann wird sie nämlich nachdrücklich, wenn man es denn so nennen möchte. Im Laufe ihrer Jahre als Prinzessin hat sie diverse Strategien entwickelt, wie man auf sich aufmerksam machen kann.

Schritt 1: Fiepen
Schritt 2: Heulen
Schritt 3: Alle anderen Hunde zum Heulen animieren.
Schritt 4: Das Chorheulen durch lautes Gebell übertönen.
Schritt 5: Eine maximale Wirkung erzielt diese Vorgehensweise zwischen zwei und drei Uhr morgens.

Dafür ist sie verträglich mit Artgenossen. Nunja, vielmehr war es für sie wohl ein Schock zu sehen, dass es noch andere von ihrer Sorte zu geben scheint. Also hat sie für sich entschieden, dass wenn es schon andere Hunde auf der Welt gibt, dann muss sie logischerweise die Königin über das Hundevolk sein.

Artgenossen werden maximal geduldet. Und wenn irgendeiner unseres vierbeinigen Fußvolks meint, in die königliche Aura einzudringen, schaut sie ihn empört an, macht „Pfft“ und schwebt von dannen.

Madam zeigt nicht mal den Hauch eines Ansatzes, zu kommen, wenn man sie ruft. Stattdessen lässt sie sich lieber abholen, so wie es sich gehört. Aber bitte auch erst dann, wenn es ihr beliebt.

Also habe ich irgendwann beschlossen, dass ich sie einfach anleine, um sie ins Haus zu holen. Irgendwann will man ja auch ins Bett. Diese Gräueltat meinerseits quittierte das Schnauzerchen seelenruhig mit einem beherzten Griff in mein Handgelenk und einem Lächeln im Gesicht bei dem Hinweis „Ich bin zehn Jahre alt und habe schlechte Zähne.“

Vier Löcher und eine eitrige Entzündung später bin ich wieder bei der anfangs erwähnten Moxonleine, wenn es darum geht, das Hündchen ins Haus zu holen.

Als ich dann Freitag nacht von einem langen Vortragsabend nach Hause kam, berichtete mir F., dass Butterfly einen Weg gefunden hat, irgendwie auszubüxen. Glücklicherweise hatte sie das rechtzeitig gemerkt und Madam wieder eingefangen.

Und so rätselten wir noch, wie der Hund das wohl geschafft hatte, als wir uns plötzlich anschauten und uns fragten: „Wo ist die eigentlich.“

Charakterlich tendiert Butterfly zwar irgendwo zwischen Hartholz, andalusischen Esel und mitteleuropäischer Hauskatze, ihre Fähigkeiten, sich unsichtbar zu machen, entsprechen jedoch eher denen eines Ninjas.

Irgendwie hatte sie es geschafft, erst aus dem Wohnzimmer, dann aus dem Flur und schließlich vom Grundstück auszubrechen. Und das während wir darüber diskutierten, wie sehr wir aufpassen müssten, damit der Hund bloß nicht abhaut.

Es war kurz vor Eins Nachts, am nächsten Morgen musste ich terminbedingt um spätestens Acht raus und wir suchten Butterfly – einen grauen Hund in einem Wald im Dunkeln. Gegen drei Uhr gaben wir die Suche auf und entschieden, dass wir alle Tore auflassen und hoffen, dass sie von alleine zurückkommen würde.

Das tat der Hund auch – und zwar exakt drei Mal in der Nacht. Zum ersten Mal schlugen die anderen Hunde um Vier, das zweite Mal um Viertel nach Fünf und das dritte Mal um halb Sieben an.

Um halb Acht stand schließlich eine Nachbarin vor der Tür, die uns berichtete, dass Butterfly weiter unten auf der Straße in der Sonne läge und döse.

F. sprang sofort auf, um Butterfly vor einem elenden Tod in der freien Wildbahn zu bewahren, kam jedoch etwa 15 Minuten später wieder. Ich glaubte ein paar neue Adern an ihren Schläfen entdeckt zu haben, die pochten. Sie war so stinksauer, dass für diesen Zustand ein neuer Begriff erfunden werden müsste und berichtete mir – unterbrochen von diversen Flüchen, die ich hier nicht wiedergeben möchte – von den letzten Minuten.

Butterfly lag auf der Wiese und genoss das schöne Wetter, als sie F. erblickte, ließ sie sie bis auf ungefähr drei Meter rankommen, um sich dann gemütlich und in bester Altdamenmanier einen anderen Platz zu suchen. Das Spiel wiederholte sich einige Male, nun brauchte F. wahlweise eine Pause oder ein Gewehr.

Um 10 vor Acht liefen wir zu Dritt durchs Dorf, jeder mit einer Leine bewaffnet und fühlten uns bestätigt, dass der Hund wirklich ein Ninja sein musste. Oder tatsächlich eine Katze, die zum Fressen mal vorbeischaut, aber ansonsten eher ihre Ruhe haben möchte.

Um Fünf nach Acht machte Butterfly dann einen entscheidenden Fehler. Angelockt von irgendwas Interessantem landete sie im Garten eines Anwohners, der unsere Slapstickeinlage vorher beobachtet und genossen hatte. Der resolute ältere Herr machte kurzen Prozess – und das Gartentor zu.

So war es ein leichtes, Madam Butterfly wieder habhaft zu werden.

Auch wenn das Schnauzerchen den Ausflug bestimmt toll fand, haben wir entschieden, dass Madam die Zeiten unserer Abwesenheit besser in einer Box verbringen sollte, um so zu verhindern, dass sie wieder freigängig wird.

F. hatte bei eBay eine schicke Schmidt-Box ersteigert, diese sollte nun das neue Apartment für den Schnauzer werden. Der Freilauf wurde derweil gestrichen, ab sofort gabs Hofgang nur noch an der Leine. Hasse davon!

Als ich nun heute mittag nach Hause kam, wunderte ich mich noch, warum das Chorheulen irgendwie anders klang als die fünfzehn mal davor. Und als ich vorsichtig die Haustür öffnete, stand sie da und freute sich wie ein Keks: Butterfly! Als ich dann einen Blick ins Wohnzimmer warf, fand ich die funkelnigelnagelneue arschteure Schmidt-Box fachmännisch verlegt vor.

Kein Ninja, nein, ein graubärtiger McGyver! Ehre, wem Ehre gebührt, dachte ich bei mir. Respekt!

Butterfly wohnt derweil nicht mehr im Wohnzimmer bei den anderen Hunden. Sie nennt nun das Gästezimmer ihr eigen und war so nett, auf ein Körbchen zu verzichten. Sie hat nun ein Bett für sich. Das passt auch besser …

 

Wir b(r)au(ch)en ein Wunder!

Manchmal bin ich fassungslos. So auch gestern. Um kurz nach Acht schrieb mich eine Freundin an und fragte mich, was denn bei TiNo los wäre. Ich warf einen Blick auf die Facebookseite und verschluckte mich fast an meinem Kaffee. TiNo brennt! Scheiße!

Mein erster Impuls war: Da musst du jetzt hin. Setz Dich ins Auto und fahr los. Erst nach einem Moment des Nachdenkens wurde mir klar, dass es nichts bringt, vor Ort den Helfern für den Füssen rumzutrampeln und noch mehr Chaos zu verbreiten.

So las ich gebannt den ganzen Tag über mit, wie sich die Lage in dem Tierheim entwickelte. Am Ende steht ein zerstörtes Gebäude, das abgerissen werden muss. TiNo hat kein Katzenhaus mehr, keine Tierarztpraxis, keinen Seminarraum und keine Küche mehr.

Auch das Hauptgebäude wurde durch das Löschwasser stark beschädigt. Erste Schätzungen lagen bei 100.000 Euro Schaden, aber das dürfte wohl viel zu optmistisch gewesen sein. Viele – so auch ich – sind fassungslos.

Denn TiNo ist nicht irgendein Tierheim. TiNo, das ist zu allererst Ute, die immer so herzlich ist, immer ein offenes Ohr hat, mit der ich schon so viel gelacht habe und die mich so viel weitergebracht hat mit ihrem Sachverstand und ihrer Hilfsbereitschaft.

Als unsere Hundeanlage unter Wasser stand, hat Ute nicht eine Sekunde gezögert und meine Hunde untergebracht. Ganze Generationen von Hundetrainern haben in dem Tierheim auf der Spreng den souveränen Umgang mit aggressiven Hunden lernen dürfen. Unzählige Hundebesitzer haben davon profitiert, ohne zu es wissen.

Wer bei TiNO ein Praktikum macht, fährt mit einem Hund mehr nach Hause. Vor allem diejenigen, die vorher steif und fest behaupten, sie seien immun dagegen.

TiNo ist das Tierheim, in dem man sich willkommen fühlt. In dem es keine doofen Fragen gibt und in dem einem geholfen wird. TiNo ist das Tierheim, dass jungen Menschen eine Chance gibt und ihnen eine Ausbildung ermöglicht, auch wenn die Schulnoten nicht berauschend sind. TiNo ist das Tierheim, das schon Gruppenhaltung durchgeführt hat, als andere das noch für unmöglich gehalten haben.

Und nun das.

Um die Fassungslosigkeit zu zu verarbeiten hilft ein Blick in die Zukunft. Mai 2015.

Ein paar wichtige Menschen aus der Politik haben gerade ein paar Reden gehalten, als Ute mit einer Schere das Band durchschneidet und das neu erbaute Gebäude offiziell eröffnet. Hinter ihr und ihrem Team liegen Monate des Hoffens, des Bangens, des Schwitzen und auch Momente, in denen sie am liebsten alles hingeworfen hätten. Aber jetzt ist es vollbracht. TiNo erscheint in neuem Glanz. Dank vieler Helfer/innen und Spender/innen ist TiNo nicht nur wieder hergestellt, sondern noch besser, noch offener für jeden, aber immer noch genauso herzlich und liebenswert.

Um das zu erreichen müssen wir ein Wunder bauen!

Liebe Leserinnen und Leser,
bitte helft Ute und ihrem Team. Zeigt diesen wunderbaren Menschen, dass wir sie nicht alleine lassen! Wenn jeder meiner monatlichen Leser auch nur 10 Euro spenden würde, wär das Gehalt der TiNo-Mitarbeiter schon gesichert!

Ihr könnt zum Beispiel auf folgendes Konto spenden:

Tiere in Not Odenwald
Volksbank Odenwald
BLZ 508 635 13
Konto 1991 000

IBAN: DE45508635130001991000
BIC: GENODE51MIC (Michelstadt)

Außerdem könnt Ihr mich für eine Lesung oder einen Vortrag buchen, die Erlöse gehen an TiNo. Von mir aus tanze ich Euch etwas vor, wenn die Spende hoch genug ist!
Ines von Hundsein und ich veranstalten am 21. und 22. Juni 2014 einen Workshop, Eure Teilnahmegebühr geht ebenfalls in TiNO.Auch der Vortrag bei Sonja in Worms und die kommenden Erlöse des Nomro-Buchs sollen zu Gunsten von Ute und ihrem Team gehen.

Bitte teilt, erzählt weiter und helft!

Vielen Dank!

Wir werden alt.

Manche Ereignisse führen einem vor Augen, dass die Zeiten, in denen man noch jung und hip war, eindeutig vorbei sind.

Ein solches Ereignis warf seine Schatten voraus, als ich vor ein paar Monaten in meinem Briefkasten eine Einladung fand – zur Silberhochzeit meiner Schwester.

Wow, dachte ich. Fünfundzwanzig Jahre, alter Schwede, wie die Zeit vergeht.

Während es mich vor einigen Jahren in den Hochtaunus verschlagen hat, ist meine Schwester unserer Heimat treu geblieben und lebt auch heute noch am Niederrhein, um genauer zu sein in dem kleinen, aber umso katholischeren Städtchen Kevelaer.

Aufgewachsen sind meine Schwester und ich derweil in dem noch kleineren, aber mindestens genauso katholischen Örtchen Twisteden unweit der niederländischen Grenze. Da habe ich meine Kindheit verbracht – eine typische Kindheit auf dem Lande, möchte man sagen. Auf Grund der falschen Konfession blieb mir der Zugang zu den Messdienern versperrt, so dass mir nur die Mitgliedschaft im Fußballverein blieb, nachdem ich mich für die Tuba im Musikverein nicht so recht entscheiden konnte.

Hier wurde ich auch zum ersten, zum zweiten und zum dritten Mal von einem Hund gebissen.

Achje, ich bin ewig nicht mehr da gewesen, und wenn, dann um an Geburtstagen oder zu Weihnachten meine Familie zu besuchen, was viel zu selten vorkommt. Und nun, am letzten Samstag saß ich in meinem Auto, Hüte-Tussie Barney Yapp Yapp-machend im Kofferraum, in Richtung Nordrhein-Westfalen.

Ausnahmsweise hatte ich mir mal etwas Zeit genommen und vor, einige Orte zu besuchen, die mir prägend in Erinnerung geblieben sind. Den Sportplatz des „DJK“, die LuGa, das Schulzentrum, den alten Bunker und, das „Vogelhäuschen“, das so genannt wurde, weil hier die Schützenfeste stattfanden und das wir in „Vögelhäuschen“ umgetauft hatten, weil man hier als noch zuhausewohnender Jugendlicher prima erste Erfahrungen in Sachen Beziehungen vergeigen sammeln konnte.

Zeiten ändern sich und mit ihnen die Orte, die uns geprägt haben. Und so musste ich die Erfahrung machen, dass so mancher besser eine schöne Erinnerung bleiben sollte. Das Dorf hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Dort, wo wir als Kinder zwischen Tannenbäumen fangen gespielt haben, steht heute ein Wohngebiet mit unzähligen, völlig identisch aussehenden Häusern wie aus Lego gebaut. Aus dem Bolzplatz, auf dem wir so ziemlich jeden Mittag verbracht haben, wurde ein „Sportpark“ und selbst das gute alte „Vögelhäuschen“ wurde renoviert und ist nun von schicken Eigenheimen umgeben.

Ich fuhr mit dem Auto die Wege ab, die ich erst als Kind und später Jugendlicher auf mich genommen habe. Mein Weg führte mich an Bauernhöfen vorbei, die heute Hofladen oder Bauerncafé heißen, an Weizenfeldern, die heute dicht bebaut sind und an meinem Lieblings-Plattenladen, in dem sich heute ein „1-Euro-Shop“ befindet.

Irgendwann gab ich auf und beschloss, dass ich besser mal den Barney lüfte, bevor er noch platzt. Ich fuhr von der Hauptstraße runter auf einen geteerten Feldweg und ließ Barney tun, was Hunde so tun.

Tatsächlich, dachte ich bei mir, ich werde alt. Die Orte unserer Kindheit verschwinden nach und nach genauso wie unsere Erinnerungen. Unwiederbringlich weg.

So langsam musste ich mich beeilen, schließlich sollte die Feier pünktlich beginnen und ich wollte nicht zu spät kommen. Ich packte Barney ins Auto und startete Richtung Gaststätte zwecks Feier der silbernen Hochzeit.

Manchmal gibt es merkwürdige Zufälle. Zum Beispiel ein Navigationssystem, das einfach nicht funktionieren möchte. Und so kam es, dass ich mich zwar noch etwas wunderte, dass der Kasten mich jetzt quer durch die Pampas führt, aber man ist ja technikhörig.

Und stand sie plötzlich vor mir. Die Brücke. Und ich hatte sie komplett vergessen.

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Zwischenzeitlich hatte es angefangen zu regnen und eigentlich hatte ich es mittlerweile eilig. Doch parkte ich das Auto, holte Barney aus dem Kofferraum und schaute mich um.

Hier war ich bestimmt 20 Jahre nicht mehr und es war, als wenn die Zeit stehengeblieben wäre.

Der Kanal führt bis zur Niers und mein Kumpel Christian und ich sind oft mit unseren Fahrrädern und Tiger, dem Schäferhundirgendwas-Mix unserer Familie, hierher gefahren.

Während Tiger Vögel jagte oder halsbrecherisch in den Kanal sprang, bauten wir Flosse, die nie länger als drei Minuten schwimmfähig waren, oder Schwerter und Lanzen aus den Ästen der Bäume am Wegesrand. Später – ich war pubertär und wollte gut aussehen – ging ich hier mit Jens joggen. Jens, der sich dann das Leben genommen hatte, wie ich Jahre später erfahren habe.

Während Barney ziemlich ungebremst die Umgebung erkundete, versuchte ich mich daran zu erinnern, ob ich damals jemals Tiger abgerufen oder bei irgendwas unterbrochen hätte. Gut, es wäre ein ziemlich sinnloses Unterfangen gewesen, denn Tiger ließ sich nie abrufen. Und blödsinnig obendrein, denn hier, an der Brücke gibt es keinen Grund, irgendetwas zu unterbrechen.

Der Regen legte den Wald in leichten Nebel und das Geräusch der Regentropfen verdichtete sich zu einem monotonen Rauschen. In dem Moment schaute ich mir Barney an, der – fast wie Tiger damals – durch den Kanal tobte.

Hunde haben’s gut, dachte ich. Barney denkt nicht darüber nach, dass das Haus finanziert werden muss. Er muss keine E-Mails schreiben, Deadlines einhalten, Anrufe beantworten und Steuererklärungen machen. Ein Hund ist nicht Teil des Hamsterrades, in dem wir – zu totaler Flexibilität und maximaler Belastungsfähigkeit verdonnert – tagein tagaus versuchen, mitzuhalten.

Barney ist scheißegal, was mein Nachbar von seinem Gekläffe hält und ehrlicherweise ist im auch egal, dass ich Nachbarn habe.

Barney hatte gerade eine Frühlingsblume entdeckt, die in seiner Nase kitzelte. Er musste niesen und kläffte sie an. Er lebt im Hier und Jetzt und fand die Blume spannend. Das zählt.

Ich musste lachen. Vielleicht sollte ich mir ein Beispiel an Barney nehmen und die Blumen geniessen. Ich schaute mich um. Mein Gott, ist das schön hier.

Und einen Moment lang, war sie da, diese Unbeschwertheit, wie ich sie als Kind erlebt habe. Die wohl nur Kinder erleben können, das gute Gefühl, dass jetzt gerade eben nichts von Belang ist und das uns nichts passieren kann. Das alles gut wird.

Gleichzeitig dieses bittere Gefühl, dass wir so viel davon verlieren – durch all den Alltag, unsere Verantwortungen, Verpflichtungen und selbstauferlegten Zwänge.

Meine Schwester hat silberne Hochzeit gefeiert. 25 Jahre, alter Schwede. Wir werden alt.

In den 25 Jahren bin ich wohl erwachsen geworden, durfte erleben, dass manche Träume Träume bleiben und Dinge, die man nicht zu träumen gewagt hätte, plötzlich wahr werden. Dass wichtige Menschen irgendwann verschwinden und andere auftauchen, die einem wichtig werden. Ich habe gelernt, dass aus Liebe Gleichgültigkeit werden kann und das man sich innerhalb einer Sekunde unsterblich verlieben kann. Ich habe geflucht, gehofft, geweint und gelacht. Und einmal sogar gebetet – und das in Kevelaer.

Ich stand auf der Brücke und mir fiel auf, dass ich nie auf der anderen Seite des Kanals war. Verrückt, ich war früher bestimmt hundert Mal hier, doch habe ich nie geguckt, was hinter der Brücke kommt. Die Brücke war immer das Ziel, nie der Weg. So soll es bleiben.

Am Abend ging dann auf der Feier meiner Schwester eine Leinwand rum, auf die jeder etwas schreiben sollte. Ich schrieb „Auf die nächsten 25 Jahre – Viel Spaß!“.

 

Dem Guru seine Jünger

Erstaunlich: Sobald sich mehr als drei Leute zusammengefunden haben und irgendeiner Hundeerziehungs-, Ernährungs- oder Wasweissich-Philosophie frönen, kommen wie aus der Pistole geschossen drei andere um die Ecke und erklären die Gruppe zur Sekte.

Die Lalas sind eine Sekte, die Hardliner sind eine Sekte, die Barfer und die Rudeldingsbums ebenso. Kaum ein Begriff wird in der Hundeszene derart inflationär gebraucht, wenn es darum geht, eine bestimmten Strömung möglichst allumfassend und unsachlich plattzumachen.

Dabei sollte man eigentlich vorsichtig sein mit solchen Begriffen, auf der anderen Seite könnte der geneigte Beobachter sehr wohl das Gefühl bekommen, es mit Fundamentalisten zu tun zu haben angesichts der teils merkwürdigen Gepflogenheiten, die in so manchem Forum oder Facebookgruppe herrschen.

Als ich mal einen offenen Brief an die Bundestierärztekammer gebloggt habe, kam ich in den Genuss, von den Betreibern der Gruppe „Trainieren statt Dominieren“ zum personifizierten Bösen erklärt zu werden. Um die Gruppe zu schützen wurde der Link, den eine Nutzerin geteilt hatte, mit dem Hinweis, dass man mich nicht diskutieren möchte, schnell wieder gelöscht und sie mit den Worten

(…) leider häufen sich die Beschwerden von Gruppenmitgliedern über Dich. Deine Postings werden als extrem provokant empfunden und ich kann diese Ansicht teilen. Ich mag glauben, dass es Dir tatsächlich um Wissen geht, dann darf ich Dich bitten, Deine postings VOR dem Absenden zu überdenken. (…) Dies ist also Deine Chance auf eine Verhaltensänderung und so in der Gruppe zu bleiben.

„verwarnt“. Jeeps, das ist schon irgendwie spooky, zumal der Artikel nix, aber auch garnix mit TsD zu tun hatte.

Nun habe ich mich gefragt, was denn wohl dran ist an den Sekten-Vorwürfen und habe ein bisschen bei denen gegoogelt, die es wissen müssen. Und siehe da, ich bin auf eine „EBI-Checkliste für Einsteiger“ gestossen.

„EBI“ steht für Eltern- und Betroffenen-Initiative gegen psychische Abhängigkeit“, die Checkliste findet sich auf der Internetseite „Teensgeneration.com„, die wiederum ist eine “ Plattform, um christlich-gläubigen Teenagern überkonfessionell biblisch-begründete, praktische Hilfestellung in täglichen Fragen des Glaubens zu vermitteln.“

Als ich mir die Liste so durchgelesen habe, musste ich schmunzeln. Aber lest selbst.

Schön fand ich auch den Hinweis:

„Wenn Du nicht wirklich alle Behauptungen streichen kannst, ist schon VORSICHT geboten!“

Wie erkenne ich eine Sekte? (“Alarmzeichen”)

EBI-Checkliste für Einsteiger

  1. Schon der erste Kontakt mit der Gruppe eröffnete eine völlig neue Weltsicht (“Schlüsselerlebnis”)
  2. Das Weltbild der Gruppe ist verblüffend einfach und erklärt wirklich jedes Problem.
  3. Bei der Gruppe findest Du alles, was Du bisher vergeblich gesucht hast.
  4. Die Gruppe hat einen Meister / Führer / Vater / Guru / Vordenker, der allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist und oft wie ein Gott verehrt wird.
  5. Die Welt treibt auf eine Katastrophe zu, nur die Gruppe weiß, wie man die Welt noch retten kann.
  6. Die Gruppe ist die Elite, die übrige Menschheit ist krank / verloren – wenn sie nicht mitmacht / sich retten lässt.
  7. Die Gruppe lehnt die etablierte Wissenschaft ab. Die Lehre der Gruppe wird als einzig “echte Wissenschaft” verstanden.
  8. Die Gruppe lehnt das “rationale Denken”, den “Mind”, den “Verstand” oder die “Verkopfung” als negativ / satanisch / unerleuchtet ab.
  9. Kritik und Ablehnung durch “Außenstehende” ist gerade der Beweis, dass die Gruppe Recht hat.
  10. Die Gruppe bezeichnet sich als die “wahre” Familie oder Gemeinschaft.
  11. Die Gruppe will, dass Du alle “alten” Beziehungen (Familie, Wohngemeinschaft, Freundschaften) abbrichst, weil sie deine “Entwicklung” behindern.
  12. Die Gruppe grenzt sich von der übrigen Welt ab, z.B. durch
    • Kleidung
    • Ernährungsvorschriften
    • eine eigene “Gruppensprache”
    • Reglementierung von zwischenmenschlichen Beziehungen
  13. Die Gruppe verlangt strikte Befolgung der Regeln oder “absolute Disziplin”, “denn dies ist der einzige Weg zur Rettung!”
  14. Die Gruppe schreibt dein Sexualverhalten vor, z.B.:
    • Partnerzusammenführung durch die Leitung oder
    • Gruppensexualität oder
    • totale Enthaltsamkeit für einfache Mitglieder
  15. Du bist keine Minute des Tages mehr allein – jemand aus der Gruppe ist immer bei dir.
  16. Die Gruppe füllt die gesamte Zeit mit Aufgaben, z.B.:
    • Verkauf von Büchern und Zeitungen
    • Werben neuer Mitglieder
    • Absolvieren von Kursen
    • Meditationen.
  17. Zweifelst du / stellt sich der versprochene Erfolg nicht ein oder wirst du nicht “geheilt”, bist du selber schuld, weil du dich nicht genug eingesetzt / weil du nicht genug glaubst.
  18. Mitglied der Gruppe sollst du möglichst sofort / heute werden.
  19. Es gibt kaum eine Möglichkeit, sich in Ruhe ein Bild von der Gruppe zu machen: Du sollst nicht erst einmal nachdenken / reflektieren / prüfen, sondern erleben: “das kann man nämlich nicht erklären, komm doch gleich in unser Zentrum und mach erst mal mit!”

„Make Love – Not War“

DogTalking Nr. 1, 2013 – Thema Emotionen

“Make Love – Not War”

In der Hundeerziehung erlebt wohl so ziemlich jeder Hundehalter immer wieder Momente, die einen emotional stark belasten können. Sei es, weil der Hund in den Wald verschwunden ist und Rehe hetzt oder weil Waldi in einer Tour quengelt, während der Besitzer noch etwas Wichtiges erledigen muss. Im Alltag erleben wir jedoch auch immer wieder, dass Hundebesitzer sprichwörtlich ausrasten und völlig unangemessen und übertrieben agieren. Häufig wird diesen Menschen im Nachhinein bewusst, dass sie falsch gehandelt haben. Was bleibt, sind Schamgefühl, Selbstvorwürfe und ein schlechtes Gewissen. Ein Bericht über Menschen, Hunde und Gefühle.

„Ich will so nicht sein!“

Vor einiger Zeit bekam ich einen Anruf von einer Kundin. Ihre junge Hündin ist sehr agil, um es mal vorsichtig auszudrücken, und tanzt ihrem Frauchen gerne mal auf der Nase herum. An diesem Nachmittag wollte die Besitzerin mit ihrem Hund nur „schnell“ eine Runde drehen, bevor sie zu einem wichtigen beruflichen Termin musste. Frauchen also im Stress und unter Zeitdruck und die Junghündin auf Abenteuer aus. Und so kam es, wie es kommen musste. Während des ganzen Spaziergangs wuselte die Hündin umher, ließ sich nicht abrufen und hatte tausend Dinge im Kopf – nur nicht ihre Besitzerin. Als dann plötzlich ein Kaninchen über den Weg schoss, startete der Hund durch und ließ sein Frauchen am Waldrand stehen.

Den Termin im Nacken und voller Sorge um den Hund harrte meine Kundin am Waldrand aus, bis der Vierbeiner nach ungefähr 15 Minuten aus dem Dickicht kam. Als meine Kundin den Hund dann anleinen wollte und dieser mit einem Fangenspiel auf ihre Versuche reagierte, platzte ihr der Kragen und sie verprügelte den Hund.

Nun hatte ich sie am Telefon und sie war am Boden zerstört. So etwas sei ihr noch nie passiert und sie wollte ihrem Hund doch niemals Schmerzen zufügen. Aber in dieser Situation, da wurde sie so wütend und vergaß sich total. Das Schlimmste neben dem Schock über das eigene Verhalten war für sie, dass die ansonsten so anhängliche Hündin den Rest des Tages einen großen Bogen um sie machte und wenn sie gerufen wurde, ganz geduckt und zögerlich gekommen war.

Ursachen für emotionale Ausbrüche

Wie es dazu kommen konnte, dass die an sich sehr liebevolle Hundebesitzerin dermaßen „ausrasten“ konnte, liegt natürlich auf der Hand. Sie war im Stress und an sich schon angespannter als in normalen Situationen. Dieser Stress hat sich auf die Hündin übertragen, die zum einen unruhiger und damit weniger auffassungsfähig als sonst war und zum anderen auf Grund der Gereiztheit der Besitzerin versucht hat, auf die „witzige Tour“ aus diesem Konflikt zu entkommen. Diese unglückliche Konstellation aus hoher Anspannung auf beiden Seiten und der hohen emotionalen Belastung der Hundehalterin aufgrund des jagenden Hundes brachte schließlich das „Fass zum Überlaufen“ und hatte die unangemessene Reaktion des Menschen zur Folge.
Eine solche Kurzschlusshandlung bezeichnet die Psychologie „als eine Handlung, die durch emotionale Impulse ausgelöst wird“ und die „ohne Überlegung oder bewusstes Wollen geschieht. Hierbei ist die intellektuelle Kontrolle weitestgehend ausgeschaltet.“ (Quelle: Uni Hamburg).

Das der Besitzerin die Sicherungen durchgebrannt sind, ist menschlich nachvollziehbar und angesichts der Situation verständlich, wenn ihre Handlung auch alles andere als angebracht war.

In allererster Linie stellte sich der Besitzerin natürlich die Frage, welche Folgen Ihr Ausraster für ihre Beziehung zum Hund hat. Aufgrund der Einmaligkeit dieser Situation ist davon auszugehen, dass der Hund keine negative Lernerfahrung im Sinne einer bedingten Aversion o. ä. aus dieser Situation gezogen hat. Zumal es eher unwahrscheinlich ist, dass die verschiedenen Faktoren, die den Vorfall verursacht haben, sich in dieser Konstellation kurzfristig wiederholen. Der Hund wird also kein „Trauma“ davon tragen. Auch ist davon auszugehen, dass die gute Beziehung zwischen Hund und Halter keinen Schaden genommen hat.
Stress ist niemals ein guter Hundeführer

Doch wie kann meine Kundin verhindern, dass sie erneut in eine solche Situation gerät und wieder unangemessen reagiert? Einen Hinweis auf diese Frage findet man in der Sachkundeprüfung gemäß §11 TSchG für Menschen, die beruflich mit Hunden zu tun haben. Im Fragenkatalog wird ein besonders stressiger und anstrengender Arbeitstag geschildert, an dem der Prüfling die Aufgabe hat, mit einem aggressiven Hund zu arbeiten. Die richtige Antwort auf diese Frage, wie vorzugehen ist lautet, dass man die Arbeit mit dem Hund auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt.

Was bei der Arbeit mit gefährlichen Hunden unter Umständen lebensrettend sein kann, lässt sich relativ einfach auf das Zusammenleben mit dem eigenen Hund übertragen. So hätte meine Kundin den Spaziergang auf eine Runde um den Block verkürzen oder darauf verzichten können, die Hündin abzuleinen. Auch hätte sie den Spaziergang so verlegen können, dass sie erst den Termin wahrnimmt und dann – entspannt und in Ruhe – den Hund rauslässt.

Dass es anders kam, ist auch wieder emotional begründet. Die Sorge, dass der Hund sich dringend lösen muss, sorgte dafür, dass die Halterin trotz mangelnder Zeit und eh schon schlechter Laune mit dem Hund loszog. Die Gewissheit, dass ein Hund ein Lauftier ist und Bewegung braucht, war der Auslöser dafür, dass sie ihre Hündin ableinte. Und das ihr nicht aufgefallen ist, dass sich der Vierbeiner an dem Tag eher weniger zugänglich gezeigt hat, wurde im allgemeinen Stress schlicht und ergreifend übersehen.

Doch nicht nur in solchen Alltagssituation kann es angebracht sein, seine Pläne zu verschieben. Gerade wenn es um Hundetraining geht, ist es meines Erachtens besser, eine Trainingseinheit zu verschieben, anstatt unter ungünstigen Voraussetzungen zu arbeiten. Hier sind insbesondere auch Hundetrainer und Übungsleiter gefragt, den Menschen im Blick zu haben und auch mal auf einen Stundenlohn zu verzichten, wenn der Kunde unter starker Anspannung steht.

Mit Blick auf den Lernerfolg innerhalb einer planbaren Trainingssituation ist es immer besser, wenn der Hund nichts lernt, als wenn er etwas Ungünstiges lernt, was im Alltag ja oft genug passiert. Abgesehen davon, dass vermeidbare falsche Lernerfahrungen, z. B. weil der Besitzer in einer Situation nicht handlungsfähig ist, weder für den Trainingsablauf noch für den Hundebesitzer von Vorteil ist, ist es auch nicht gut für den Ruf der Hundeschule, wenn der genervte Besitzer im Beisein des Trainers unangemessen mit dem Hund umgeht.

Zu den Aufgaben einer guten Hundeschule gehört es, möglichst optimale Übungssituationen zu schaffen. Und hier spielen neben Ort, Zeit, möglicher Ablenkung natürlich auch eine entspannte Arbeitsatmosphäre dazu. Und in meiner Zeit in der Arbeit mit Hundehaltern habe ich es noch nie erlebt, dass ein Kunde negativ reagiert hätte, wenn man z. B. eine Stunde abbricht bzw. den Vorschlag macht, den Termin zwecks Nervenschonung zu verschieben.

Nerven schonen

Ein klassisches Beispiel, wie eine vermeintlich harmlose Situation eskalieren kann, schilderte mir ein Bekannter vor Kurzem. Er arbeitet von zuhause aus und hat mit seinem Hund das Problem, dass der Vierbeiner häufig wenig Verständnis dafür zeigt, das sein Mensch wichtigere Dinge zu tun hat, als den Hund zu beschäftigen.

Während mein Bekannter also am Schreibtisch saß und arbeiten wollte, lag der Hund in seinem Korb und fing an, leise zu fiepen. Nach einigen Minuten war der Hundehalter bereits leicht genervt, ignorierte das Verhalten seines Hundes jedoch zunächst. Einige Zeit später rief er dann ein leicht gereiztes „Sei ruhig“ in den Nebenraum. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Hund das Geräusch von einem leisen Fiepen in ein enervierendes Winseln steigerte, vergingen weitere Minuten und einige immer deutlich werdende Aufforderungen, endlich still zu sein.

Irgendwann war dann der Punkt erreicht, an dem dem Hundehalter die Nerven durchgingen, er ins Wohnzimmer polterte und den Hund wüst beschimpfte, mit Tierheim und Schlimmerem drohte, um dann wild fluchend wieder zurück an seinen Arbeitsplatz zu gehen. Nach kurzer Zeit der Stille war wieder ein leises Fiepen aus dem Wohnzimmer zu hören.

Bei unserem Treffen erzählte er mir dann, dass der Hund ihn damit in den Wahnsinn treiben würde und er den Köter am liebsten erschlagen hätte, was natürlich nicht stimmt, weil er seinen Hund sehr liebt. Aber dieses Gefiepe, das nerve ihn gewaltig.

Wenn wir uns die Situation im Detail anschauen, stellen wir fest, dass der Hund gar nicht wissen konnte, dass das Fiepen unerwünscht war und das durch die Reaktion des Besitzers auch nicht lernen konnte. Über mehrere Minuten konnte er schließlich ungestört machen, wonach ihm war, bis dann ganz plötzlich und ohne einen für den Hund ersichtlichen Grund das Donnerwetter losbrach.

Um hier eine Lernerfahrung und damit eine Verhaltensänderung beim Hund zu erreichen, hätte der Besitzer das unerwünschte Verhalten in dem Moment unterbinden müssen, in dem es begann. Ein Hund unterscheidet nicht zwischen einem akzeptablen Fiepen und einem, dass nicht mehr toleriert wird. Durch die unmittelbare Reaktion des Besitzers hätte der Hund eine Chance gehabt, zu lernen, dass fiepen nicht erwünscht ist.

Auch in diesem Beispiel möchte ich festhalten, dass der Hund durch die falsche Reaktion seines Menschen sicherlich keinen Schaden davon getragen hat. Aber er hat eben auch nichts gelernt.

Tatsächlich ist es so, dass Trainingserfolge bei Tierschutz-Hunden, die schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, einfacher zu erzielen sind, als mit solchen, die in ihrem Leben gar keine Erfahrungen mit Menschen gemacht haben.

Die Sache mit der Liebe

In der Theorie ist es natürlich einfach, einen Ratschlag zu geben – vor allem im Nachhinein und wenn man die Situation nicht selbst erlebt hat. Und wenn ich ehrlich bin, gerate ich immer wieder in Situationen, in denen ich feststelle, dass ich zu spät, zu langsam oder zu falsch reagiert habe. Glücklicherweise sehen unsere Hunde im Normalfall über solche kleineren Fehler hinweg und haben uns trotzdem lieb. Oder nicht?

Denn mit der Liebe ist das so eine Sache. Das Gefühl, dass wir unseren Hunden gegenüber empfinden, kann durchaus als Liebe bezeichnet werden. Doch wenn der Hund sich daneben benimmt, haben viele Menschen das Gefühl, dass ihre Liebe nicht erwidert wird.

Häufig höre ich von frustrierten Menschen, dass sie alles für ihren Hund tun und dieser trotzdem immer wieder macht, was er will. Man fühlt sich allein gelassen, ungeliebt und kommt oft zu dem Schluss, dass der Hund das Verhalten mit Absicht zeigt.

Angst zu Scheitern

Gerade wenn wir mit Besitzern aggressiver Hunde zu tun haben, aber noch viel öfter, der Hund sehr ängstlich ist, befinden wir uns mitten in einer hochemotionalen und belastenden Beziehungskonstellation.

Ein Rückschlag nach monatelangem Training, das Gefühl, für die ängstliche Kreatur seine Seele zu verkaufen und dann das: Ein kurzer Moment, etwas Unvorhersehbares und scheinbar jedes Vertrauen, welches man zu dem Hund aufgebaut hat, ist wie verpufft.

Halter ängstlicher Hunde sind häufig doppelt betroffen, wenn sie einen Rückschlag erleiden. In vielen Fällen stammen solche Hunde aus dem Tierschutz, haben eine Vergangenheit und wurden in der Absicht angeschafft, dem Tier mit viel Liebe und Geduld eine Umgebung zu schaffen, in dem es Vertrauen fassen und zur Ruhe kommen kann.

In den Gesprächen mit den Betroffenen stellt sich häufig heraus, dass sie zum einen Selbstzweifel haben, ob es ihnen gelingt, dem Tier die nötige Geborgenheit und Wärme zu geben, damit es seine Angst abbauen kann. Denn trotz der oft monate- oder gar jahrelangen Arbeit, hat der Hund immer noch Angst. Auf der anderen Seite haben sie oft Schuldgefühle, wenn der geliebte Hund sich ihnen gegenüber ängstlich verhält. Kommt es zu einem Missgeschick, ein Topf fällt auf den Boden oder man stolpert versehentlich über den Hund, dann bricht für solche Menschen eine Welt zusammen.

In der Beratung erleben wir oft heftigen Widerstand der Betroffenen, wenn es darum geht, das ängstliche Verhalten des Hundes als Teil von ihm zu akzeptieren und das Tier trotzdem bzw. gerade deshalb als Hund zu begreifen und auch so zu behandeln.
Das es dem Vierbeiner einfacher fällt, sich einem angstauslösenden Reiz zu stellen, wenn der Mensch nicht darauf eingeht, ist für den Besitzer auf den ersten Blick schwierig zu erfassen.

Oft muss eine Verhaltensänderung zuerst beim oberen Ende der Leine einsetzen, damit der Hund aus seinem inneren Käfig raus kann.

Es gibt keine bösen Hunde

Auch wenn fast jeder von uns schon mal das Gefühl hatte, dass unser Hund uns gerade mit purer Absicht lächerlich macht, bleibt festzuhalten, dass es so etwas wie böse Hunde nicht gibt.

Der Hund, der gerade in dem Moment mit uns Fangenspielen will, wenn wir ihn anleinen wollen, macht das genauso wenig aus Bösartigkeit wie ein Hund, der beißt. Gerade vom eigenen Hund gebissen zu werden, stellt ein einschneidendes Erlebnis dar, was in den meisten Fällen in einer Abgabe ins Tierheim (oder Schlimmerem) gipfelt.

Doch gehen solchen Situationen immer Ereignisse und Lernvorgänge voraus, die schließlich dazu führen. Leider verschließen viele Menschen die Augen vor dem nahenden Unheil. So wird hingenommen, dass der Vierbeiner weg gesperrt werden muss, wenn Besuch kommt, das man sich dem Hund nicht mehr beim Fressen nähern darf und das man im Flur einen Bogen laufen muss, wenn der Vierbeiner dort liegt und einen arglistig geäugt. Würde man hier schon frühzeitig eingreifen, so könnte man verhindern, dass es tatsächlich zum Schlimmsten kommt.

Und Besitzern bissiger Hunde ist auch häufig klar, dass ihr Tier eine Gefährdung darstellt. Doch haben sie oft große Schwierigkeiten damit, an dem Problem zu arbeiten und sich Hilfe zu suchen. Zu groß ist die Angst vor den Reaktionen der Umwelt. Was sollen die Nachbarn denken, wenn der Hund plötzlich mit Maulkorb gesichert geführt wird? Während andere Menschen einen gut erzogenen und sozialverträglichen Begleiter haben, müssen sich diese Menschen die mitleidigen bis verständnislosen Blicke und Kommentare ihrer Umgebung anhören.

Wenn in der Familie Kinder leben, kommt erschwerend hinzu, dass den Hundehaltern jegliches elterliche Pflichtgefühl abgesprochen wird. Was passiert, wenn der Hund das Kind verletzt?

Und während viele Besitzer für die Attacken ihres Hundes auf Außenstehende noch jede Menge Erklärungen und vor allem Begriffe wie „Zwicken“ oder „Schnappen“ finden, gehen diese bei einem innerhäuslichen Vorfall meist schnell zu Neige. Was folgt ist häufig Wut und Frust über das Geschehene. Und Angst. Bei meiner Arbeit habe ich häufig mit Familien zu tun, in denen eines oder mehrere Mitglieder wortwörtlich Angst vor dem eigenen Hund haben. Hunde beißen, so wie kleine Kinder sich hauen, Politiker sich streiten und vermeintliche Erwachsene sich im Internet beschimpfen.

R-E-S-P-E-C-T

Aretha Franklin sang in Ihrem gleichnamigen Hit von 1967 über „Respect“. Im englischen hat dieser Begriff zwei Bedeutungen, nämlich „Achtung“ im Sinne jemanden respektieren, aber auch „Beziehung“.
Wir sollten respektieren, dass wir es mit Menschen zu tun haben und dass diese ihre Schwächen und Stärken haben. Es ist leicht, sich über den Hundehalter aufzuregen, dem die Nerven durchgehen und über den Menschen zu tuscheln, der mit einem abgesicherten Hund durch den Park läuft.

Doch sollte man akzeptieren und respektieren, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben, die über Stärken und Schwächen verfügen. Und die ihren Hund mögen und häufig sogar lieben. Auch wenn er kläfft. Oder jagt. Oder beißt.

Heavenly Creatures

Frau M. hatte immer eine Augensalbe dabei. Für den Fall, dass sich „Charlie“, ihr dreijähriger Mops-Rüde mal aufregen sollte. Dann nämlich konnte es passieren, dass er – flutsch – eines seiner Augen aus der Höhle presste. Routiniert zückte Frau M. dann die Salbe, schmierte das Auge damit ein und – nochmal flutsch – drückte es wieder in die vorgesehene Position.

Möpse trifft man in der Hundeschule eigentlich eher selten außerhalb von den mittlerweile obligatorischen Welpengruppen. Denn so ein leinenpöbelnder Mops ist ja eigentlich ganz gut zu managen und nur die wenigsten Zeitgenossen sehen in dem kleinen Hund eine Gefahr für Leib und Leben.

Frau M. sah das eigentlich ganz ähnlich, würde sich „Charlie“ nur nicht immer so fürchterlich aufregen, wenn ihm andere Hunde begegnen. Ihr Tierarzt hatte ihr nämlich gesagt, dass es garnicht so gesund wäre, wenn der Hund vor lauter Theater ständig seine Augen aus den Höhlen pressen würde.

Also übten Frau M. und ich nun, an anderen Hunden vorbeizukommen, ohne dass „Charlie“ ein Auge nach ihnen warf – im wahrsten Sinne des Wortes.

Ganz andere Probleme hatte derweil Frau P. mit ihrer Cavalier King Charles-Hündin „Yvette“. Die war nämlich eine Futtermittelallergikerin, wie Frau P. in einem Forum erklärt bekam und ihr erst die Züchterin und dann eine Ernährungsexpertin bestätigte.

Nun könnte man sagen, ein bisschen Google hätte Frau P. viel Geld und ihrer „Yvette“ einiges an Leid ersparen können. Aber so einfach war es nicht.

Denn das Hündchen litt unter der sogenannten Syringomyelie, ganz grob zusammengefasst passte das Gehirn des Tieres auf Grund züchterischer Übertreibungen nicht mehr in den Schädel. So kommt es zu einem „inneren Wasserkopf“ auf Grund des erhöhten Drucks des Hirnwassers auf das Gehirn.

Auf Grund der Symptome vermutete Frau P. zunächst eine Allergie, probierte verschiedenste Futter aus, diskutierte sich quer durchs Internet und kam schließlich zum Barfen, was auch nicht weiterhalf.

Als die Symptome immer schlimmer wurden und der Hund beinahe durchdrehte vor Qualen, suchte Frau P. einen Spezialisten auf, der ihrem Hund helfen sollte.

Eine OP sollte es richten, allerdings konnte Frau P. den Erfolg nicht mehr messen, da „Yvette“ die Narkose nicht überstanden hatte.

„Anton“ wiederum ist ein Deutscher Boxer, seine Besitzer Herrn und Frau S. lernte ich kennen, weil der Hund „ein wenig nervös“ wäre, wie es hieß. Tatsächlich war „Anton“ das hündische Pendant zu einem „Zappelphilipp“, extrem aufgedreht und ein echter Wirbelwind. Allerdings nur bis er etwa fünf Jahre alt wurde. Ab da vergreiste der Hund genauso schnell wie er in jüngeren Jahren über die Wiese flitzte.

Mein Freund Gerd hat mir mal erzählt, dass sich diese merkwürdige Entwicklung des schlagartigen Alterns auf einen einzigen Rüden zurückführen ließe, dessen – preisgekrönte – Nachkommen für dieses Phänomen bei vielen Boxern geführt hätte.

„Kurti“ seines Zeichens war ein Golden Retriever wie er im Buche steht. Ein wunderschöner Hund und rassetypisch sehr freundlich. Warum er im Tierheim gelandet war, wollte niemanden so recht einleuchten, bis „Kurti“ bei der Abholung durch seine neuen stolzen Besitzern aus dem Nichts den Familienvater attackierte und schwer verletzt hatte.

In den 1980er Jahren machte mal die sogenannte „Cocker-Wut“ die Runde. Die roten Cocker Spaniel attackierten ohne ersichtlichen Grund ihre Besitzer, verletzten sie zum Teil schwerst und brachen danach ebenso unvermittelt in sich zusammen – als wenn sie sich schämten, wie einige der zu Schaden gekommenen Besitzer später erklärten . Nachdem sich solche Fälle häuften, klärte sich auf, dass die viele der betroffenen Tiere eine verwandtschaftliche Nähe aufwiesen. Später, Ende der 1990er Jahre und Anfang der 2000er Jahre wurden solche Fälle bei Golden Retrievern wie „Kurti“ bekannt, meistens bei besonders hellen Hunden mit großen, dem Kindchenschema entsprechenden Augen.

Nicht ganz so spektakulär, aber dafür umso fataler erging es „Lotte“, einer dreijährigen Australian Shepherd-Hündin aus einer „liebevollen Zucht mit Familienanschluss“, wie es so schön heißt. Weil die Liebe ja bekanntlich überall hinfallen kann, war „Lotte“ das Ergebnis einer Verpaarung zweier eng miteinander verwandter Hunde der Familie.

Als Andenken dieser Liebesbeziehung behielt „Lotte“ eine Degenerierung der Speiseröhre zurück, sprich das Gewebe war an einer Stelle geschwächt, so dass sich Nahrung und Wasser dort sammelten. In der Folge bekam „Lotte“, wenn sie etwas fressen oder trinken wollte, Erstickungsanfälle und verlor schließlich das Bewusstsein.

Es ist von Glück zu sprechen, dass „Lottchen“ bei einer verantwortungsvollen Tierärztin vorgestellt wurde, die das Argument, der Hund hätte ja drei Jahre damit überlebt, nicht gelten ließ und dieser abscheulichen Qual ein Ende setzte.

Trotz solcher Kollateralschäden erfreuen sie die Aussies der „Züchterin“ großer Beliebtheit und so habe ich in der letzten Zeit so manche Exemplare kennengelernt, die aus der „Zuchtstätte“ stammen. Immerhin sind sie wunderhübsch und neben der Inzuchtschäden auch mit dem Merle-Gendefekt ausgestattet, der sie so lustig bunt aussehen lässt.

Laut der Universitätsklinik in Leipzig sind heute ungefähr 500 Erbkrankheiten bei unseren Rassehunden bekannt.

Ein Großteil davon hängt damit zusammen, dass Äußerlichkeiten bei der Zucht eine völlig übergeordnete Rolle spielen, während altmodische Tugenden wie „Wetterhärte“, „Leichtfüttrigkeit“ und „Langlebigkeit“ in den Hintergrund gerückt sind.

Selbst Hunde, die eigentlich auch heute noch für einen klaren Auftrag gezüchtet werden, bekommen einen Rassestandard aufgedrückt, in dem festgelegt wird, wie der Hund auszusehen hat. Als ob es irgendeine Bewandtnis für ein Schaf hätte, wie der Border Collie aussieht, der es gerade über die Koppel treibt.

Wie kann es sein, dass immer mehr Schäfer darüber klagen, dass ihre Hunde den Anforderungen des Arbeitsalltags nicht mehr gewachsen sind? Wie kann es sein, dass sich der Harzer Fuchs seit einiger Zeit einer immer größer werdenden Fanschar erfreut und gleichzeitig die ersten Fälle von Epilepsie bei den Hunden auftauchen?

Ein Bekannter von mir züchtet Französische Bulldoggen, die er eigentlich nicht so nennen darf, weil sie richtige Nasen haben. Sein Argument, dass es ihm wichtiger sei, dass seine Hunde frei atmen könnten und alle Freuden eines richtigen Hundeleben geniessen können, kam bei seinem Verein nicht gut an, so dass er ihn verlassen musste und nun ohne Papiere züchtet.

Seinen Welpenkäufern ist das derweil egal, sie freuen sich über pfiffige und robuste kleine Hunde. Seinem ehemaligen Verein ist das nicht egal und so wird er als „Vermehrer“ beschimpft. Ein Blick auf seine Hunde, die auch im Sommer über die Wiese toben können und keinen Fahrradkorb brauchen, um bei einer längeren Radtour mithalten zu können, hilft dabei, die Begrifflichkeiten in ein anderes Licht zu rücken.

Auf internationalen Ausstellungen werden Hunde zu Siegern und damit zu wertvollen Vererbern für unzählige Nachkommen gekürt, die kaum in der Lage sind zu atmen, ohne Hilfe durch den Showring zu gehen oder ständiger Kühlung bedürfen, damit sie in der Halle nicht kollabieren. Und ihre Nachkommen wiederum sind allesamt Halbgeschwister. Die hiermit verbundene Verkleinerung des Genpools stellt einen weiteren Grund dafür dar, warum nahezu wöchentlich neue Erbkrankheiten bekannt werden.

Und während Frau P. um ihre „Yvette“ trauert und mir am Telefon erzählt, wie sehr sie es ärgere, wie die Krankheit von Züchtern und Verbänden immer noch verharmlost und verheimlicht wird, schaue ich „Pugsley“ an, meine Deutsche Dogge, und muss froh sein, dass er für sein Alter noch so gut drauf ist.

Denn am Ende sind wir alle Kinder dieser Zeit. Und eine Bulldogge sieht einfach unglaublich süß aus. So lange man nicht zuhören muss, wie das arme Tier um Luft ringt. Während sich Züchter, Zuchtverbände und besonnene Tierärzte darüber in den Haaren liegen, ob es sich bei den Tieren nun um eine Ikone oder um eine Qualzucht handelt, wird eine Studie veröffentlich, nach der die Hälfte der vorstellig gewordenen kurznasigen Hunderassen regelmäßig nach dem Fressen umfällt.

Als ich „Pugsley“ kaufte, war ich begeistert von den sensiblen Riesen und mir war sogar klar, dass die Lebenserwartung Deutscher Doggen geringer ist als die anderer, kleinerer und genetisch variablerer Rassen. Mein Irrtum lag darin zu glauben, dass mein Hund einfach früher altert. Das er nie wirklich gesund war, musste ich im Laufe der Zeit lernen.

Mit den Jahren wird man ja schlauer. Und obwohl ich auch heute noch Doggen-begeistert bin, wird „Puglsey“ die einzige bleiben, mit der ich mein Leben teile.

Denn am Ende unterstützen wir alle – und ich mit „Pugsley“ sowieso – eine ganze Industrie, die es garnicht gäbe, wenn unsere Rassehunde gesund wären.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde, die nie geboren geschweige denn gezeugt worden wären, wenn es nicht die künstliche Befruchtung und die Möglichkeit der Kaiserschnittgeburt gäbe.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde aus, die Spezialfuttermittel benötigen, um ein einigermaßen erträgliches Leben führen zu können.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde aus, die wir vor Wärme, Kälte und Feuchtigkeit schützen müssen, damit sie nicht sterben.

Wir geben sehr viel Geld für Hunde aus, die ohne schlechtes Gewissen und in purer Absicht krank gezüchtet werden, weil genau diese Krankheit dem Ideal der Rasse entspricht.

Der Gewinner des Spiels ist die Industrie: Die Züchter und Zuchtverbände, die trotz „Pedigree Dogs Exposed“ und anderen immer noch die Augen vor dem Problem verschließen. Und die Tierärzte, die Futtermittelhersteller und die Pharmaindustrie, die Milliarden mit den Hunden umsetzen und trotz ihrer unbestrittenen Macht schön den Ball flach halten, um ihre Gewinne nicht zu gefährden.

Verlierer sind die Hunde, die oft trotz aller Liebe und Fürsorge ein Leben führen, welches zumindest im Graubereich der Tierschutzrelevanz stattfindet.

So muss ich, so müssen wir uns die Frage stellen, ob wir Hunde brauchen, die auf Gedeih und Verderb ins Extreme gezüchtet werden.

Brauchen wir Hunde, die so klein sind, dass sie sich den Schädel brechen, wenn sie vom Sofa fallen? Brauchen wir Hunde, die in ihrem ersten Lebensjahr das 200-fache ihres Geburtsgewichtes zunehmen? Brauchen wir Hunde, die nicht in der Lage sind, sich alleine fortzupflanzen oder ohne Hilfe ihren Nachwuchs auf die Welt zu bringen? Brauchen wir Hunde, deren Schönheitsideal ein offener Rücken ist? Brauchen wir Hunde, denen so viel Fell angezüchtet wurde, dass sie nicht mal mehr kacken können, ohne dass man sie danach baden muss? Hunde, die kein Fleisch mehr vertragen? Die nicht mehr bellen können? Die immer und ständig entzündete Augen haben? Die mit ihrem Bauch immer auf dem Boden schleifen? Die nicht mehr in der Lage sind, mit Artgenossen zu kommunizieren?

Wir sollten uns ernsthaft fragen, wie es heute noch möglich sein kann, dass immer noch ein Markt für diese Hunde existiert. In Zeiten von Internet und Smartphone kann sich jeder immer und überall informieren. Überall kann man von der Macht des Konsumenten lesen, wir haben es in der Hand, bestimmte Rassen einfach nicht mehr zu kaufen.

Die Züchter zu unterstützen, die Wert auf Gesundheit und ein ausgeglichenes Wesen legen und diejenigen abzustrafen, deren einziges Ziel es ist, vermeintliche Schönheit zu vermehren. Sollen diese Unmenschen doch auf ihren Hunden sitzen bleiben.

Denn wenn sich rumspricht, dass den Menschen Gesundheit wichtiger ist als eine möglichst kurze Nase, dann werden sich die Rassen verändern. In dem Moment, in dem es ans Eingemachte geht, werden Frischbluteinkreuzungen plötzlich kein Problem mehr sein, dann werden innerhalb kurzer Zeit die Nasen länger, das Fell kürzer, die Riesen kleiner und die Zwerge größer.

Bis dahin bin ich froh, dass Pugsley noch so fit ist.

Der „Geldmach“-Trieb

Hierzulande gibt es ja in etwa so viele Hundeschulen wie es Pizzabuden gibt. Ein bedeutender Unterschied zwischen dem Anbieter von Hundetraining und dem von Pizza ist jedoch, dass man in Falle des Zweiteren spätestens dann bemerkt, dass die Qualität nicht ganz so super war, wenn man die Nacht auf dem Klo verbracht hat. Im Falle der Hundeschule dauert das meistens länger.

Doch das soll sich nun ändern. Denn mit der Novellierung des TierSchG müssen endlich auch solche Menschen ihre Sachkunde nachweisen, die Menschen auf der Hundewiese Ratschläge gegen Geld geben. (Ich würde mir ja auch eine Sachkunde für Menschen wünschen, die ungefragt Ratschläge auf der Hundewiese geben …)

Das finde ich gut, denn viel Ungemach könnte verhindert werden, wenn es für Hundetrainer so etwas wie einen Minimalstandard geben würde. Das wurde zwar oft versucht, aber auf Grund der speziellen Herzlichkeit zwischen den verschiedenen Hundetrainerausbildern hat es nie so recht geklappt.

Zwar kann man sich zum Beispiel von den Tierärztekammern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zertifizieren lassen, aber die schon Bundestierärztekammer scheint dem Braten selber nicht zu trauen und empfiehlt lieber den Gang zum Tierarzt.

Viele Kolleginnen und Kollegen sind erstmal ratlos, was da auf sie zukommt, was auch kein Wunder ist.

Schließlich wissen die Veterinärämter in Moment selber noch nicht, wie die Sachkunde umgesetzt werden soll. Auf Beamtendeutsch heisst es schön, dass „es noch keinen Handlungsleitfaden“ gäbe und man hört schon munkeln, dass es auch mit dem 1. August 2014, an dem das Gesetzt greifen soll, etwas knapp werden könnte.

Dieser Umstand wiederum hält einige Anbieter von Fortbildungen im Hundebereich nicht davon ab, kräftig die Werbetrommel dafür zu rühren, dass sie besorgte Hundetrainer/innen – natürlich gegen Zahlung eines entsprechenden Beitrages – auf die Sachkunde vorbereiten.

Wohlgemerkt auf die Sachkunde, von der noch keine Sau weiß, was genau abgefragt wird. Das nenne ich Service.

Ein paar Veterinärämter befeuern das Ganze noch, in dem sie – quasi weil sie auch noch nichts wissen – schonmal den einen oder anderen Anbieter empfehlen. Schliesslich machen die was mit Hunden, also muss das ja irgendwas mit den Ergebnissen zu tun haben, die dann irgendwann folgen.

Halten wir also fest, dass man viel Geld für Workshops, Seminare etc. ausgeben kann, ohne dass irgendjemand zum jetzigen Zeitpunkt abschätzen könnte, welchen Inhalt diese Veranstaltungen haben müssen, damit sie weiterhelfen.

Soweit, so gut und obendrein merkwürdig, dass sich ein paar Behörden vor den werblichen Karren von wirtschaftlich orientiert arbeitenden Unternehmen spannen lassen.

Apropo wirtschaftlich orientierte Unternehmen.

In Deutschland gibt es – auch wenn man das oft nicht glauben kann – eine strikte Trennung zwischen Wirtschaft und Staat. Aus diesem Grunde verfügt jede Branche, die etwas auf sich hält, über Lobbyisten, die versuchen, der Politik die Interessen ihrer Auftraggeber unterzujubeln. Kommt heraus, dass ein Politiker oder ein Beamter ein Unternehmen begünstigt, gibt es massiven Ärger für den Betreffenden

Das wiederum heißt im Klartext nichts anderes, als dass es den Veterinärämtern herzlich egal sein wird, wo man sein sauerverdientes Geld hingetragen hat, um sich möglichst umfassend fortbilden zu lassen.

So wertvoll und wichtig es ist, sich weiterbilden zu lassen, so wenig wird es einem weiterhelfen, wenn es darum geht, die Sachkunde zu erhalten, wenn man seinem Amtsveterinär sein Zertifikat oder was auch immer vor die Nase hält.

Auch das ist gut, schließlich kann es nicht Sinn der Sache sein, mit der Umsetzung eines Gesetzes irgendeiner Firma zu Reichtum zu verhelfen. Außerdem kann die Qualität eines Hundetrainers nicht daran festgemacht werden, ob er oder sie ein paar Tausend Euro für eine Fortbildung übrig hatten oder nicht.

Insofern werden demnächst einige gute Kolleginnen und Kollegen stolz ihre Sachkunde in Händen halten, obwohl sie nie die finanziellen Mittel oder die Zeit zur Verfügung hatten, teure Ausbildungen zu absolvieren.

Auf der anderen Seite werden wohl auch einige ganz schön fluchen, denn während sich die verschiedenen Hundetrainerausbilder in Villariba noch darum prügeln, welches Zertifikat denn nun der heilige Gral des Hundetrainngs ist, wird in Villabacho schon dem mittlerweile wertlosen Papier hinterhergeheult, weil es nicht anerkannt wird.

In Anbetracht der Flut von zweifelhaften Angeboten, panischen Rundmails und ellenlanger Diskussionen bei Facebook kann ich nur eines empfehlen:

Immer locker durch die Hüfte atmen!

Die allermeisten Veterinäre sind umgänglich und – auch wenn so mancher Tierschützer das anders sieht – sehr engagiert. Wenn man also einen guten Job macht und mit seinen Ansprechpartnern vernünftig umgeht, hat man auch nichts zu befürchten. Und für eine wie auch immer geartete Prüfung fortbilden lassen kann man sich immer noch, wenn es soweit ist

Andernfalls, wenn es mit der Sachkunde nicht klappt, ist es vielleicht besser, wenn man sich eine andere Tätigkeit sucht.

Fataler Doppelbesatz (3)

Nachdem ich mich zunächst mit der Geschichte von Frau Ertel und einigen – meiner Meinung nach – fragwürdigen Ansichten und Regeln für das Zusammenleben mit dem Hund auseinandergesetzt habe, möchte ich mich in diesem dritten Teil mit vermeintlichen Beweisen und den Menschen beschäftigen, die die Rudelstellungen betreiben.

Zur Zeit erleben die vererbten Rudelstellungen so etwas wie einen Hype, was zum Einen daran liegt, dass die Hundeflüstererin Frau Nowak diese Philosophie in der gleichnamigen Sendung vertritt.

Zum anderen wird im Moment von Seiten der Rudelstellungsverfechter gerne auf eine Studie verwiesen, die den vermeintlichen Beweis antreten soll, dass die vererbten Rudelstellungen wissenschaftlich belegbar sind.

Die Studie mit dem schönen Namen „Leadership and Path Characteristics during Walks Are Linked to Dominance Order and Individual Traits in Dogs“ kann im Internet nachgelesen werden und ist leider nur auf Englisch verfügbar.

Die Wissenschaftler haben mittels GPS-Daten Bewegungsmuster einer Hundegruppe bestehend aus 5 Vizslas und einem Mix sowie ihres Besitzers bei 14 Spaziergängen zwischen 30 und 40 Minuten erstellt und dabei gut 800.000 GPS-Punkte gesammelt.

Um die Persönlichkeiten der Tiere zu quantifizieren bedienten sich die Forscher zum einen des sogenannten „Dog Personality Questionnaire“ und des „Dominanz-Fragebogens“ aus der Studie „How does dominance rank status affect individual and social learning performance in the dog (Canis familiaris)?„.

Sehr viel Arbeit also, doch allein die Tatsache, dass es sich bei den Erforschten um exakt eine Gruppe von Hunden handelt, lässt vrmuten, dass es den Wissenschaftlern nicht um die Rudelstellungen gegangen sein kann.

Meiner Meinung nach beschreibt diese Arbeit – grob zusammengefasst – lediglich das, was eigentlich alle wissen, nämlich dass Hunde hochindividuell und anpassungsfähig sind und dass es unterschiedlichste Persönlichkeiten mit ihren jeweiligen Eigenarten gibt. Hierbei gibt es „Führungspersönlichkeiten“ genauso wie es Individuen gibt, die „folgen“.

Soweit sogut, mit vererbten Rudelstellungen hat die Studie meiner Meinung nach also nichts zu tun, aber ich bin ja auch kein Biologe.

Aber dafür eine gute Bekannte von mir, die so nett war und das Ganze auch noch mal hinsichtlich der vererbten Rudelstellungen durchforstete.

Sie kam schließlich zu dem selben Schluß, nämlich das aus den Ergebnissen der Studie nicht auf die Theorien der vererbten Rudelsstellungen geschlossen werden kann.

Soweit zur Theorie, aber es gibt ja unzählige Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht wissenschaftlich erklärbar sind.

Daher bleibt als Bewertungsgrundlage nur das, was die Verfechter der vererbten Rudelstellungen von sich geben, wenn sie Hunde einschätzen. Vor einigen Jahren hätte ich einmal beinahe selber das Vergnügen gehabt, unsere eigenen (Tierschutz-)Hunde bei Frau Ertel persönlich einschätzen lassen.

Dazu ist es jedoch nicht gekommen, dafür hatte ich ich vor knapp zwei Jahren mal die Gelegenheit, der Präsentation einer Rudelstellerin zu lauschen, zudem sind einige Menschen in meinem Freundeskreis das Wagnis eingegangen und haben ihre Hunde einschätzen lassen.

Als dritte Quelle dient mir das Forum auf Frau Ertels Internetseite, allerdings muss ich gestehen, dass ich keinen Zugriff mehr darauf habe. Verständlich, denn was man dort noch vor garnicht langer Zeit, bevor es Beschränkungen gab, so lesen durfte, war schon interessant.

Fazit: Man muss sich darauf einlassen – sozusagen sind die Rudelstellungen dei Globuli unter den Hundeerziehungsmethoden.

Die in verschiedenen Berichten genannte „Hundetauschbörse“ gab es zu dem Zeitpunkt – also vor ca. 2 1/2 Jahren –  tatsächlich, die zumeist weiblichen Nutzer schienen immer auf der Suche nach dem perfekten „Rudel“ zu sein. Da wurde mal hier ein Hund ausprobiert, da wurde mal da ein Hund eingeschätzt. Und wenn es nicht funktioniert hat, wurde er wieder abgegeben.

So war das Argument FÜR die Einschätzung von Tierheimhunden durch Frau Ertel auch, dass den Mitgliedern quasi egal wäre, welche Rasse oder welches Alter der Hund hätte, so lange er die gesuchte Position im Rudel einnehmen würde.

Das dem nicht so ist, konnte mir eine befreundete Tierheimleiterin bestätigen, bis Dato wurde bei ihr noch kein Hund vermittelt, weil er ein MBH oder sonstiges wäre.

Abgesehen davon, aber das ist meine persönliche Meinung, finde ich es grenzwertig, einen Hund einzig und allein auf Grund seines vermeindlichen Nutzen für ein nicht funktionierendes „Rudel“ anzuschaffen.

Mindestens genauso grenzwertig fand ich die Diskussionen, wenn es mit dem perfekten Rudel nicht so klappte.

Natürlich hat jeder das Recht, in einem persönlichen Forum die Regeln für die Streitkultur selber festzulegen, zusammengefasst wurden Kritikerinnen relativ schnell mit dem Stigmata der Ahnungslosigkeit belegt und ihnen – da isses wieder – unterstellt, dass sie sich nicht „einliessen“. Was auch immer das bedeuten mag.

Außerdem wurde immer gerne das Argument vorgebracht, dass die armen Hunde in ihrer wahren Persönlichkeit eingeschränkt würden und deshalb nicht ihrer Rolle gerecht werden dürften.

Nun leben wir in einer Welt, in der Hunde bestimmten gesellschaftlich aufoktruierten Regeln zu folgen haben. Da diese Regeln zumeist nicht viel mit den Vorstellungen unserer Hunde gemein haben, müssen wir sie wohl oder übel erziehen.

Und selbst in dem Moment, in dem wir versuchen nicht auf sie einzuwirken, tun wir es trotzdem. Frei nach dem ersten Axiom von Paul Watzlawick kann man nämlich nicht nicht kommunizieren, selbiges gilt für unseren erzieherischen Einfluss auf unsere Hunde.

Selbst wenn wir unseren auf Grund eines Fehlbesatzes an der Leine pöbelnden Hund einfach nur festhalten, haben wir uns schon eingemischt.

Aber man muss sich nunmal darauf einlassen. Und das ist genau mein Problem.

In einer Zeit immer neuer Methoden, die das Zusammenleben mit unseren Hunden erleichtern sollen, habe ich mir angewöhnt, erstmal zu hinterfragen.

  1. Auf welchen Studien, Quellen, Dissertationen etc. beruht eine Theorie?
  2. Werden die Ergebnisse durch andere Studien unterfüttert?
  3. Werden die Studien etc. vollständig wiedergegeben oder wird da was verschwiegen?
  4. Sind die Ergebnisse wiederholbar?

Im Falle der vererbten Rudelstellungen reicht eigentlich die Beantwortung einer der Fragen aus, um zumindest skeptisch zu werden.

Zumal die Einschätzungen nicht belastbar sind und im Zweifelsfalle auf die – störende – Einmischung des Menschen verwiesen wird. Allein die Tatsache, dass Hunde wieder abgegeben werden, obwohl sie per Einschätzung perfekt in die Gruppe passen müssten, zeigt doch, dass ein Sozialverband wesentlich komplexer ist, als dass man in in sieben Positionen unterteilen könnte.

Und wenn Frau Nowak einem völlig überforderten Besitzer eines ungebremsten Junghundes die Anschaffung eines zweiten empfielt, muss das schon als verantwortungslos bezeichnet werden.

Dennoch gibt es einige Menschen, die daran glauben, dass die Rudelstellungen tatsächlich funktionieren und ihre Meinung durch nichts, aber auch garnichts in Wanken bringen lassen.

Dabei ist die Einschätzung von Hunde-Persönlichkeiten sehr hilfreich, wenn es zum Beispiel darum geht, eine Gruppe im Tierheim zusammenzustellen. Doch wäre doch die Vorgehensweise, erst den Hund einzuschätzen und im Anschluss anhand der Ergebnisse individuell der Gruppe entsprechend ein Soziogramm zu erstellen.

Mit dem Ergebnis, dass Hund A beispielsweise in dieser Konstellation eine bestimmte Rolle einnimmt, in einer anderen aber vielleicht eine völlig andere. Warum man erst den Schuhschrank baut und dann versucht, die Schuhe da rein zu stopfen, erklärt sich mir nicht.

Sehr wohl verstehen kann ich indes, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, Hilfe zu erfahren, dass sie verzweifelt sind und vielleicht sogar Schuldgefühle in sich tragen.

Und im Bereich des Seelestreichelns sind die Rudelstellungen unschlagbar. Denn wenn es unter den Hunden nicht klappt, dann liegt das nicht an fehlenden Management-Qualitäten des Halters, sondern an der ungünstigen Konstellation des Rudels.

Nicht nur, dass der Mensch aus seiner Verantwortung heraus entlassen wird, nein, im Falle der Rudelstellungen ist das Entziehen der eigenen Persönlichkeit sogar ausdrücklich erwünscht.

Fragen, die sich jeder Mehrhundehalter stellt, nämlich ob ein Hund vielleicht zu kurz kommt und wie man allen gerecht werden kann, können beruhigt vergessen werden.

Laut Frau Ertel und anderen Rudelstellerinnen tut menschliche Fürsorge den Hunden nämlich garnicht so gut, wie wir denken – ganz im Gegenteil, sie hindert die Vierbeiner in ihrer Entwicklung.

Dass die Entwicklung unserer hochanpassungsfähigen Hunde in den letzten Jahrzehnten hin zu Sozialpartnern, die ja auch züchterisch vorangetrieben wird, dabei ausser Acht gelassen wird, finde ich nicht unproblematisch.

Unter diesem Gesichtspunkt allerdings verstehe ich sehr gut, dass einige Menschen, die sich mit der Anschaffung mehrerer Hunde vielleicht übernommen haben, die vererbten Rudelstellungen für sich entdeckt haben.

Alle anderen aber, die verstehe ich nicht.